Gedankenpausen

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titatom

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seltsame Gedankenpausen

zweite Version, dank Zefiras selbstloser Hilfe überarbeitet


seltsame Gedankenpausen

Es war stets die gleiche Situation. Der gleiche Weg zu diesem verwünschten Telefon am Ende der stillgelegten Halle. Die alte Fabrik war heruntergekommen, verstaubt und kaum noch beleuchtet. Es war wie immer viel zu dunkel, um die Weite und Höhe nur annähernd abschätzen zu können. Er kannte auch nicht die Größe des gesamten Gebäudekomplexes. Es war ihm egal, wo die Halle endete. Wichtig war das Telefon, dessen orangerote Glimmlampe signalisierte, dass sein Anruf gehört wurde. Solange das Signal leuchtete, nahm am anderen Ende der Leitung sicher jemand den Hörer ab und hatte stets ein offenes Ohr und eine Antwort auf seine Fragen. Es war inzwischen zur Routine geworden, beiläufig auf die stets glimmende Lampe zu blicken und zugleich die Nummer zu wählen. Erst im Laufe der Zeit fiel sein Blick während der Gesprächspausen auf den unscheinbaren Klingelknopf links neben der Wählscheibe, der seiner Patina nach zu schließen wohl schon immer hier installiert gewesen sein musste. Eine Art Schale aus glattem Messingguss, bündig mit der Wand verputzt. In der Mitte ein Bakelitknopf, rund herum reiche Verzierungen mit Jugendstilelementen und einer geschwungenen Gravur, auf der auch im fahlen Licht der Halle noch „ENDE“ zu lesen war.

Seine Fragestellung an das Telefon war anfangs rücksichtsvoll, jeder Satz wurde wohl überlegt gewählt. Er liebte den angenehmen Klang dieser Stimme und sah deshalb darüber hinweg, dass das Zuhören gut tat, aber viele seine Fragen unbeantwortet blieben. Die Stimme tat nicht sonderlich weh, sie hatte nie gelernt, weh zu tun zu müssen. Inzwischen störte ihn die Leere der Antworten aber mehr und mehr. Die Worte vom anderen Ende der Leitung, denen stets diese seltsamen Gedankenpausen vorher gingen, waren bei jedem Gespräch etwas anders perfekt formuliert, inhaltlich jedoch austauschbar. Er konnte keinen Sinn darin erkennen, auf eine klare Frage keine klare Antwort zu erhalten. Er hatte inzwischen doch in Dutzenden Telefonaten unmissverständlich nachgefragt. Seine Sätze wurden im Laufe der Zeit direkter und aggressiver, sie näherten sich eher einer zynischen Vernehmung denn der freundlichen Bitte um Information. Er musste bald aus eigenen Stücken eine Entscheidung treffen. Und doch war es für ihn wie ein Zwang, wie eine Manie, noch einmal diese Nummer zu wählen und abermals nachzufragen.

In dem kahlen Raum, in dem der andere Apparat stand, hing lediglich eine alte, verstaubte Hängelampe von der Decke, deren Licht gerade ausreichte, um das Telefon auf einem kleinen Tisch in ein fahles Licht zu hüllen. Eine Hand tauchte hin und wieder aus dem Schatten heraus in den Lichtkegel, um in eine große Kiste neben dem Tisch und dem Telefon zu greifen, mit Daumen und Zeigefinger etwas Kosmetikwatte heraus zu zupfen, um während des Telefonierens gedankenverloren eine etwa nussgroße, harte Wattekugel zu formen. Die Wattekugel schien keinen besonderen Sinn zu haben, eher Langeweile oder Zeitvertreib, um sich vom Telefongespräch abzulenken. Und jedes Mal, wenn der Kopf, der zur Hand gehörte, das Gespräch am Telefon für eine Gedankenpause unterbrach, warf die Hand die Kugel gekonnt in eine blecherne Öffnung. Der feste Watteball kugelte kaum hörbar durch den Trichter und verschwand in einem Labyrinth von Rohren.

Auch diesmal war er wieder wütend über sein Unvermögen, hatte die Nase gestrichen voll und den Hörer bereits zu einem wieder mal allerletzten Gespräch in der Hand, als er spontan innehielt, um erstmals bewusst jenen Klingelknopf zu betrachten. Er flüsterte beim Lesen der Gravur das Wort „ENDE“ vor sich hin und starrte weiterhin gedankenverloren auf den gravierten Schriftzug. Nach einer Weile drückte er den Knopf. Ein, zwei Sekunden lang schien nichts zu passieren. Jetzt vernahm er ein leises Klicken und sah sich in der halbfinsteren Halle um. Das Geräusch veränderte sich in ein Rauschen. So als ob ein Gewittersturm rasch naht, dachte er sich und blickte nach oben. In diesem Moment traf ihn ein in Jute eingewickelter, zentnerschwerer Ballen genau auf die Stirn. In Sekundenbruchteilen presste die immense Wucht des Aufpralls seinen Kopf in den Nacken und zerschmetterte den zweiten und dritten Halswirbel zu einem offenen Bruch. Ein spitzer Knochensplitter durchtrennte einem Skalpell gleich das Rückenmark und er ging unter dem riesigen Ballen kerzengerade zu Boden. Er war bereits tot, noch bevor sein Schädel auf dem Beton aufschlug und der riesige Packen den schlaffen Körper vollständig unter sich begrub,. Es herrschte Totenstille. Aus dem übermannshohen, aufgerissenen Ballen kullerte eine Hand voll Wattekugeln herunter und rollte leise über den Betonboden.
 

Zefira

Mitglied
Lieber titatom,

ich fange an, Deine Texte zu lieben. Sie sind skurril, gruselig und völlig frei von unnötigen Erklärungen :) .

In diesem bist Du ein wenig zu großzügig mit Adjektiven und Füllwörtern. Ich habe die Geschichte durchlektoriert und hoffe, ich trete Dir damit nicht zu nahe. Im Prinzip finde ich die Geschichte nämlich sehr gelungen!


Es war stets die gleiche Situation. [strike] Andauernd[/strike] der gleiche Weg zu diesem verwünschten Telefon am Ende der stillgelegten Halle. Die alte Fabrik war heruntergekommen, verstaubt und kaum noch beleuchtet. Es war wie immer viel zu dunkel, um die Weite und Höhe nur annähernd abschätzen zu können. Er kannte auch nicht die Größe des gesamten Gebäudekomplexes. Es war ihm [strike] im Grunde auch[/strike] egal, wo die Halle endete. Wichtig [strike] für ihn[/strike] war das Telefon, dessen orangerote Glimmlampe signalisierte, dass sein Anruf gehört wurde. Solange das Signal leuchtete, nahm am anderen Ende der Leitung sicher jemand den Hörer ab und hatte stets ein offenes Ohr und eine Antwort auf seine Fragen. Es war inzwischen zur Routine geworden, beiläufig auf die stets glimmende Lampe zu blicken und zugleich die Nummer zu wählen. Erst im Laufe der Zeit fiel sein Blick während der Gesprächspausen auf den unscheinbaren Klingelknopf links neben der Wählscheibe, der seiner Patina nach zu schließen wohl schon immer hier installiert gewesen sein musste. Eine Art Schale aus glattem Messingguss, bündig mit der Wand verputzt. In der Mitte ein Bakelitknopf, rund herum reiche Verzierungen mit Jugendstilelementen und einer geschwungenen Gravur, auf der auch im fahlen Licht der Halle noch „ENDE“ zu lesen war.

[strike] Die Art[/strike] [blue] Seine[/blue] Fragestellung an das Telefon war anfangs rücksichtsvoll, jeder Satz wurde wohl überlegt gewählt. Er liebte den angenehmen Klang dieser Stimme und sah deshalb darüber hinweg, dass [strike] nur[/strike] das Zuhören gut tat, aber viele seine Fragen unbeantwortet blieben. Die Stimme tat nicht sonderlich weh, sie hatte [strike] es[/strike] nie gelernt, weh zu tun zu müssen. Inzwischen störte ihn die Leere der Antworten aber mehr und mehr. Die Worte vom anderen Ende der Leitung, denen stets diese seltsamen Gedankenpausen [blue] vorher[/blue] gingen, waren bei jedem Gespräch etwas anders [strike] perfekt[/strike] formuliert, [blue] inhaltlich[/blue] jedoch austauschbar. Er konnte keinen Sinn darin erkennen, auf eine klare Frage keine klare Antwort zu erhalten. Er hatte inzwischen doch in [red] Dutzenden[/red] Telefonaten [strike] zahlreich und[/strike] unmissverständlich nachgefragt. Seine Sätze wurden im Laufe der Zeit direkter und aggressiver, sie näherten sich [strike] langsam[/strike] eher einer zynischen [strike] Ermittlung, einer[/strike] Vernehmung denn der freundlichen Bitte um Information. Er musste [strike] nur[/strike] bald aus eigenen Stücken eine Entscheidung treffen. Und doch war es für ihn wie ein Zwang, wie eine Manie, noch einmal diese Nummer zu wählen und abermals [blue] nachzufragen[/blue].

In dem kahlen Raum, in dem der andere Apparat stand, hing lediglich eine alte, verstaubte Hängelampe von der Decke, deren Licht gerade ausreichte, um das Telefon auf einem kleinen Tisch in ein fahles Licht zu hüllen. [strike] Lediglich[/strike] eine Hand tauchte hin und wieder aus dem Schatten heraus in den Lichtkegel, um in eine große Kiste neben dem Tisch und dem Telefon zu greifen, mit Daumen und Zeigefinger etwas Kosmetikwatte heraus zu zupfen, um während des Telefonierens gedankenverloren eine etwa nussgroße, harte Wattekugel zu formen. Die Wattekugel schien keinen besonderen Sinn zu haben, eher Langeweile oder Zeitvertreib, um sich vom Telefongespräch [blue] abzulenken[/blue]. Und jedes [red] Mal[/red], wenn der Kopf, der zur Hand gehörte, das Gespräch am Telefon für eine Gedankenpause unterbrach, warf die Hand die Kugel gekonnt in eine [red] blecherne[/red] Öffnung. Der feste Watteball verschwand mit einem dumpfen, leiser werdenden Geräusch in der Dunkelheit eines Rohres. Da stolpere ich. Ein Watteball macht ein dumpfes, blechernes Geräusch…? Bei mir nicht…

Auch diesmal war er wieder wütend über sein Unvermögen, hatte die Nase [strike] wieder[/strike] gestrichen voll und den Hörer bereits zu einem wieder mal allerletzten Gespräch in der Hand, als er spontan innehielt, um erstmals bewusst jenen [strike] merkwürdigen[/strike] Klingelknopf zu betrachten. Er flüsterte beim Lesen der Gravur das Wort „ENDE“ vor sich hin und starrte weiterhin gedankenverloren auf den gravierten Schriftzug. Nach einer Weile drückte er den Knopf. Ein, zwei Sekunden lang schien nichts zu passieren. Jetzt vernahm er ein leises Klicken und sah sich in der halbfinsteren Halle um. Das Geräusch veränderte sich in ein [strike] undefinierbares[/strike] Rauschen. So als ob ein Gewittersturm rasch naht, dachte er sich und blickte nach oben. In diesem Moment traf ihn ein in Jute eingewickelter, zentnerschwerer Ballen genau auf die Stirn. In Sekundenbruchteilen presste die immense Wucht des Aufpralls seinen Kopf in den Nacken und zerschmetterte den zweiten und dritten Halswirbel zu einem offenen Bruch. Ein spitzer Knochensplitter durchtrennte einem Skalpell gleich das Rückenmark und er ging unter dem riesigen Ballen kerzengerade zu Boden. Er war bereits [strike] klinisch[/strike] tot, noch bevor sein Schädel auf dem [strike] harten[/strike] Beton aufschlug und der riesige Packen den schlaffen Körper vollständig unter sich begrub,. Es herrschte Totenstille. Aus dem übermannshohen, aufgerissenen Ballen [red] kullerte[/red] eine Hand voll Wattekugeln herunter und [red] rollte[/red] leise über den Betonboden.



Gefällt mir! Es hätte allerdings auch umgekehrt kommen können. Manchmal möchte ich nach dem zwanzigsten "Für Elise" oder Vivaldi-Thema auch anfangen, mit Wattebäuschen zu werfen...

Liebe Grüße,
Zefira
 

titatom

Mitglied
Liebe Zefira,

es ist ja immer ein Kompromiss zwischen all der Aussagekraft, den man in eine Geschichte hineinstopfen will und der Verpackung in eine flüssige Schreibe. Hier nochmal die von dir redigierte Version.

Herzlichen Dank
Tom
 



 
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