Gedicht samt Interpretation

3,80 Stern(e) 5 Bewertungen

hibou

Mitglied
1. Gedicht

Lebe wohl, du schwarze Rose
schwarze Rose von Hawaii
wenn ich andre Mädchen kose
denk ich nur an dich dabei

Jedes Märchen geht einmal zu Ende
doch dann bricht unser Herz nicht entzwei!
Lebe wohl, du schwarze Rose
schwarze Rose von Hawaii

Ruft ein Matrose herüber vom Schiff:
„Du sollst nicht weinen um mich!
Ach, es war so schön
doch es ruft das Meer,
Niemals vergesse ich Dich!

Lebe wohl, du schwarze Rose
schwarze Rose von Hawaii“

2. Interpretation:

Lebe wohl, du schwarze Rose

Eine – wenn auch wahrscheinlich kurzlebige – Freundin als Rose zu bezeichnen ist nicht nur ein galantes Kompliment sondern auch eine offensichtliche Allusion an Rose = Vagina. Schon seit dem Beginn der materiellen Welt war die Rose das Realsymbol des weiblichen Geschlechtes. Darüber sind ganze Bücher geschrieben worden. Fleischliches Begehren und Religion vermischen sich an dem Ort – der Madonna im Rosengarten – des Heiderösleins („musst es eben leiden“) – der Rose „Quisse de Nymphe“.... Ja, was ist der Name der Rose? Von Neurosen wollen wir schweigen. Geht es doch offensichtlich hier nur um einen simplen Seemann, der seiner zurückbleibenden Geliebten einen Abschied singt. Immer schon haben wir uns seltsamerweise Matrosen als singend vorgestellt. La Paloma ohé! aber das wär ne andere Geschichte.
Nun: warum schwarze Rose? Vielleicht wegen der Hautfarbe des schönen Kindes? Doch auf Hawaii (wir greifen vor) ist der Teint der ansässigen Ureinwohner eher hellbraun?

schwarze Rose von Hawaii

das vulkanische Gestein dieser hochgetürmten Inseln! Die Finsternis der Krater! Das bedrohliche Gefühl, von einem schwarzen Schlund eingesaugt zu werden! Wir sehen unsern Psychiater förmlich bedeutungsvoll nicken. Die Vagina als Alptraum! Kastrationsängste!! doch warum auf den freundlichen Inseln der Hawaiianer, wo die Leutchen mit nichts als Blumenkränzen bekleidet ihre immer sonnigen Tage verleben, auf Gauguin warten, ganz selten mal mit Christian Fletcher davonziehen und ÜBERHAUPT nichts davon wissen, früher mal Captain Cook gekocht und verspiesen zu haben!

wenn ich andre Mädchen kose

Hier beschönigt er, gell? „andre Mädchen“... in Winterhude wartet seine Alte auf ihn.... „kose“: jeder weiß, was diese Umschreibung bedeutet. Aber halt: der Reim. Hm.....
Varianten drängen sich uns, zuerst langsam und zart, dann immer krasser auf:

Lebe wohl, du schwarze Noppe
.....
wenn ich andre Ischen poppe

oder

Lebe wohl, du schwarze Gumse...

ah nein, ich habs!!:

Lebe wohl, du weisse Wicke (hehe)


......

denk ich nur an dich dabei

Schöner wär, wenn er dabei an nichts und niemanden anderen denken würde. Aber diese Rose überlagert sein ganzes Gehirn, und nun, da er die Namenlose verlässt, wird er erst recht beim Kosen ihr Bild vorm inneren Auge, ihre Rose für seine Erregung brauchen. Tönt nach Cybersex, nech?

Jedes Märchen geht einmal zu Ende
doch dann bricht unser Herz nicht entzwei


Jetzt verallgemeinert er aber: was ist etwa mit der Unendlichen Geschichte oder den Harry-Potter-Romanen? Und Herzen sind schon von Geringerem in Stücke gesplittert („wenn das meine Mutter wüsst, das Herz im Leib würd ihr zerspringen!“) Jetzt fällt mir schon wieder die Geschichte ein, wie Ulbricht zu seinem Namen kam. Erinnert ihr sie noch? Als einfacher Soldat in den Schützengräben des Ersten Weltkrieges hiess er nämlich nur Ul. Er war ein bleicher, zartbesaiteter Junge. Wenn dann mal wieder ein paar Feinde in Stücke geschossen wurden, rief sein Nebenmann regelmässig: Herr Leutnant! Ul bricht!! So bekam er seinen Namen weg. Was antwortete der Vorgesetzte? Lenin gegen die Wand! (oder so)


Ruft ein Matrose herüber vom Schiff:
Du sollst nicht weinen um mich!


Das muss man sich nun mal plastisch vor Augen führen. Wie weit ist das Schiff vom Ufer weg? Dümpelt die schwarze Rose gar nahe der Bordwand der Fregatte herum? Versteht sie Deutsch oder ruft der Matrose im Mauna Kea-Dialekt? Ist sie diesen herrischen Ton der „Bitte“ gewöhnt?

Ach, es war so schön
doch es ruft das Meer,
Niemals vergesse ich Dich!


Hier ist der Reim hoffnungslos korrumpiert (darum das „ach“?). Schlechte Auspizien für ein Wiedersehen.... Wir schlagen deshalb eine Variante vor:

„Scheiden ist so schwer
doch es ruft das Meer“

- der Reim ist damit gerettet, außerdem wird der Zusammenhang zwischen scheiden und Scheide deutlicher.
Neulich stand ich etwa im siebten Stockwerk einer Ostseefähre an der Reling, es war weit nach Mitternacht, ich hatte Neptun schon alle erforderlichen Opfer gebracht, von ferne leuchteten die Lichter von Smygeham in Schonen herüber. Da hörte auch ich das Meer von weit weit unten rufen! Aber es rief was ganz anderes. „Spring endlich!“ Natürlich gehorchte ich nicht (bin ich vielleicht ne Rose, Mann?), sondern fuhr brav nach Haus und schrieb diesen Essay. Seufz. Wahrscheinlich sagen die Leser wieder: das ist uns zu hoch!!
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist eine lange und Ehrwürdige Tradition, in die Du Dich einreihst, ich denke zum Beispiel an Morgenstern.

Da steht erst das Gedicht und dann seine Interpretation, die zugleich interpretiert und parodiert. Das Große Lalula: die Beschreibung eines Schachspiels.

Das ist eine wirksame Methode.

Das Gedicht - zerpflückt, neu zusammengesetzt, sprachlich ausgelotet.

Unerwartete Wendung: Die Rose - das Gestein.

Anrufung an den Leser: "Sag, das ist uns zu hoch!!"
 



 
Oben Unten