Gedichteschreiber (Villanelle)

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viktor

Mitglied
Gedichteschreiber (Villanelle)

Gedichteschreiber haben eine Meise.
Gedichteschreiber, sagt man, sind nicht dicht,
und zwar ein jeder ganz auf seine Weise.

Der eine dichtet laut, der andre leise,
Verzückung legt sich über sein Gesicht -
Gedichteschreiber haben eine Meise.

Sie gehen in Gedanken auf die Reise,
ein jeder sucht in Dunkelheit das Licht,
und zwar ein jeder ganz auf seine Weise.

Es dichten Junge und es dichten Greise,
das plumpe Großmaul und der kleine Wicht,
Gedichteschreiber haben eine Meise.

Gar einsam zieht der Dichter seine Kreise,
der eine kompliziert, der andre schlicht,
und zwar ein jeder ganz auf seine Weise.

Sie setzen ihren Zug auf die Geleise,
doch wo der hinfährt, wissen sie oft nicht.
Gedichteschreiber haben eine Meise,
und zwar ein jeder ganz auf seine Weise.

( Die Villanelle von villanus = lat. bäuerlich ist ein schematisch vorgegebenes
Reimgedicht nach dem folgenden Muster:
5 Dreizeiler + 1 Quartett. Die Endreime stehen durchgängig im aba-Zwang bis hin zum Quartett, das dann abaa gereimt sein muss.
Die erste und dritte Zeile der ersten Terzine bilden im Quartett die beiden
Schlusszeilen.
Dazu ist die erste Zeile der ersten Terzine die Schlusszeile der zweiten Terzine, die Schlusszeile der ersten Terzine die Schlusszeile der dritten Terzine und so zieht sich das durch.)
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo Viktor,

dank Deiner Beschreibung der Villanelle ist mir klargeworden, dass auch das folgende berühmte Gedicht von Dylan Thomas in diese Kategorie fällt:


DO NOT GO GENTLE INTO THAT GOOD NIGHT


Do not go gentle into that good night,
Old age should burn and rave at close of day;
Rage, rage against the dying of the light.

Though wise men at their end know dark is right,
Because their words had forked no lightning they
Do not go gentle into that good night.

Good men, the last wave by, crying how bright
Their frail deeds might have danced in a green bay,
Rage, rage against the dying of the light.

Wild men who caught and sang the sun in flight,
And learn, too late, they grieved it on its way,
Do not go gentle into that good night.

Grave men, near death, who see with blinding sight
Blind eyes could blaze like meteors and be gay,
Rage, rage against the dying of the light.

And you, my father, there on the sad height,
Curse, bless me now with your fierce tears, I pray.
Do not go gentle into that good night.
Rage, rage against the dying of the light.


Da hast Du Dir wirklich eine würdige Form ausgegraben.

Viele Grüße
Hiero
 

presque_rien

Mitglied
Hey Hiero,

danke für dieses wunderschöne Gedicht - ich kannte es noch nicht (obwohl ich schon mal in dem Dylan-Thomas-Museum in Swansea war - *schäm*) und bin hin und weg! Überhaupt, diese Form ist großartig. Und saukompliziert.

Lg presque
 

viktor

Mitglied
danke für eure positive kritik.
ich habe diese form durch zufall entdeckt und kannte sie vorher überhaupt nicht.
sie ist im deutschen - im gegensatz zu fra unf engl - wohl eher selten anzutreffen.
liebe grüße
viktor
 

wüstenrose

Mitglied
Hallo Viktor,
gefällt mir ausgezeichnet, auch inhaltlich: Dichter sind Irrlichter, Suchende, Fragende, manchmal Verlorene... - aber all das wird nun nicht umständlich und weinerlich beklagt, sondern es kommt heiter und easy daher. Ein lachendes und ein weinendes Auge. Was lehrt uns das? Dichter sind seltsame Geschöpfe!
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Es ist eine alte Form, die mir aber neu war. Sie gefällt mir sehr und das Werk ist auch gut umgesetzt.
 
R

Rose

Gast
Hallo viktor,

super Einfall und sehr gut in Worte gefasst. Habe das erste Mal eine Villanelle gelesen. Schöne Form.

Blumige Grüße
Rose
 



 
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