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Mirko Kussin

Foren-Redakteur
Der Lichtdom war eine Installation von Albert Speer aus 130 Flak-Scheinwerfern die erstmalig auf dem Reichsparteitag 1934 in Nürnberg in Betrieb genommen wurde. Im Abstand von 12 Metern strahlten sie ein paar Kilometer in die Höhe und vereinigten sich am Himmel zu einer Fläche aus Licht bzw bildeten einen Raum aus Licht.
Pop in Reinkultur sozusagen.
Habe irgendwo mal gelesen, dass an dem Abend dieser Inszenierung wohl reihenweise tote Vögel vom Himmel fielen.
Sehr metaphorisch das mit den Vögeln.
Gruß Mirko

Der Text gefällt mir nicht so gut, zu wenig verdichtet, zu kurz um ein gutes Prosagedicht darzustellen. In der Aussage nicht originell (weil man sowas jeden Tag in der Straßenbahn hört, oder in Altersheimen, usw), der Perspektivwechsel (zu den 6 Mio Juden stehen und den Lichtdom nicht vergessen) ist nicht schlecht, aber in dieser Kürze "rockt" der Text für mich einfach nicht.
 
M

Melusine

Gast
Den Lichterdom musste ich jetzt auch erst mal nachsehen. Als Symbol (Reichsparteitag 1933) scheint es mir aber hervorragend geeignet. Das Wesentliche knapp auf den Punkt gebracht - verdichtet eben. Gelungen!
(Ob es ein Gedicht ist... ist eine andere Frage, die ich nicht zu beurteilen wage.)

Mel
 
B

bonanza

Gast
der anfang behagt mir nicht:
"ich stehe dazu: die 6 millionen juden tun mir leid ..."
bei so einer aussage komme ich ins schwitzen.
 
M

Melusine

Gast
Mir ging es auch so, aber gerade deshalb finde ich es gelungen. Es ist genau das, was man eben immer wieder "hört". Der Ekel, den man beim Lesen empfindet, gehört irgendwie dazu. Finde ich.
Aber es bewegt sich natürlich im Grenzbereich.
 

NewDawnK

Mitglied
Ursprünglich veröffentlicht von Rudolf Wolter
Ich stehe dazu:
Die 6 Millionen Juden
tun mir leid
Mitleid ist m.E. kein Gefühl, sondern eher der Versuch, sich zu distanzieren von den tatsächlich Leidenden. Man kann Mitleid haben und braucht trotzdem nichts zu fühlen - außer vielleicht den dringenden Wunsch, wegzuschauen oder sogar die klammheimliche Freude, dass einen selbst nicht erwischt hat.

Dass die Gefühle des Protagonisten nicht sehr tief geht, beweist der zweite Teil des Textes par excellence.

Gruß, NDK
 

fenestra

Mitglied
Gehört
Ich stehe dazu:
Die 6 Millionen Juden
tun mir leid,
aber ich vergesse nie
den Lichterdom
in Nürnberg.
Das muß man
ihnen lassen:
so etwas
macht ihnen
keiner nach
Hallo, Rudolf,

ein aufgelesener Gesprächsfetzen, ausgestellt von dir, nicht als Museumsstück, sondern um auf die Präsenz eines deutschen Ungeistes hinzuweisen. 'Ungeheuerlich dies Gedicht!' Habe ich gedacht und wollte mich empören...denn ich hatte tatsächlich erst den Titel "gehört" unberücksichtigt gelassen. Ich würde vorschlagen, du schreibst ihn fett und in Großbuchstaben.

Ja, das was du aufgelesen hast, ist ungeheuerlich! "6 Millionen Juden tun mir leid". 6 Millionen ermordete Juden überfordern völlig meine emotionale Vorstellungskraft und Leidensfähigkeit. So einen Satz würde ich daher nie über die Lippen bringen. Und diese Verknüpfung von dem Grauen mit Positivem (auch die Autobahnen werden immer wieder angeführt) ist eine Hintertür der Rechtfertigung. Göbbels soll z.B. sehr gut die Klassiker auf dem Klavier gespielt haben. Es ist offenbar ein Phänomen der menschlichen Psyche, dass Grausamkeit und Menschenverachtung einhergehen kann mit Sensibilität für Kunst oder sogar mit der Fähigkeit, Kunst zu schaffen. Wird dadurch das Grauen geringer? Die Frage ist leicht mit nein zu beantworten. Aber: Welche Auswirkungen hat diese Feststellung auf die Bewertung von Kunst? Kann Kunst dadurch böse werden? Wird sie ethisch fragwürdig? Für mich ein schwieriges Problem.

Danke für diesen Denkanstoß und viele Grüße

fenestra
 

Loki

Mitglied
Tut mir Leid, aber es gefällt mir nicht unbedingt. Für mich kommt es rüber als würden hier die Juden das Mittel zum Zweck sein.
Vielleicht täusch ich mir ja, aber ich Hasse diese "alten" Zeiten.
 

Zarathustra

Mitglied
Ungeheuerlich,
unverschämt und gefährlich bitterböse ist dieses Gedicht.

Und doch:
es trifft meines Erachtens den Nerv unserer Zeit.
Man muss sich nur umhören,
dann kann man Menschen treffen,
die genau im Geist dieses Gedichts denken und argumentieren.

Grüsse aus München
Hans
 

Zarathustra

Mitglied
Aber ist es nicht besser, endlich die Vergangenheit ruhen zu lassen und endlich in der Gegenwart zu leben oder/und sich Gedanken um die Zukunft zu machen. Es ist natürlich schon ein wenig notwendig darüber zu sinnieren.
Aber man sollte doch nicht immer die Vergangenheit aufwärmen, und "ja wie schlecht doch alles WAR". Wir Leben heute und jetzt und es ist nicht notwendig, die Vergangenheit zu leben, man kann sie nicht ändern.

Aber wie schon gesagt, es sollte natürlich nicht in vergessenheit geraten, aber die Zeiten ändern sich...
 

fly

Mitglied
vielleicht bin ich zu parteiisch, aber...

...mir gefällt es.
Ich schreibe gerade mein Abitur über "Im Krebsgang" von Günther Grass. In dieser Novelle geht es um die Schuldfrage der Deutschen und darum wie schwer es, für die Einzelnen, ist, mit dieser umzugehen. Ich will hier jetzt keine Inhaltsangabe schreiben, aber wer es gelesen hat und über die letzten Sätze: "Das hört nie auf. Nie hört das auf." Im Bezug auf das Buch und die Auswirkungen des Schuldgefühles über drei Generationen (in der zweiten Generation, der des Protagonisten dieses Buches, löst es eine Scheu aus über das Geschehen nachzudenken und in der dritten Generation, der des Sohnes des Protagonisten, schlägt es um in eine neue nationalistische Ideologie)gründlich nachdenkt, der versteht diesen Text nicht nur sondern begreift, was dahinter steht.
Ich finde mein Vater (deshalb meine Angst zu parteiisch zu sein) tritt mit diesem Text an die Grenze, aber nicht einfach um zu schocken, sondern um den Geist der Zeit, um den Nagel auf den Kopf zu treffen. Der Text geht nicht leicht aus dem Kopf und regt zum Nachdenken an; zum Nachdenken über ein Thema das, verdammt noch mal, sehr wichtig, gefährlich und notwendig ist! Respekt, für diese Zielgenauigkeit!
 
Hallo Rudolf,

ich habe nie klarer, in so wenigen Zeilen, eine Verbindung zwischen Schuld, Selbstanklage und Bitternis gegenüber des Menschen-möglichen gelesen.
Die Zeilen fielen mir auf durch ihre Sprachgewaltigkeit, die mir immer gefällt. Die Kommentare taten ihr übriges -
ich glaube, dass diese Bitterkeit gerechtfertigt ist:
DAS macht ihnen keiner nach!
Aber alles andere?
Wir werden schon unsere Ausreden finden...

Gruss, Marcus

PS: für alle anderen; manche Scheuklappen sollten niedergeissen werden, um endlich einen Blick auf die eigene beschädigte Vergangenheitsbewältigung zu legen - öffnet den Blick, dann erkennt ihr wie sehr diese Worte mit deutscher Selbstverherrlichung und dessen moralische Uneindeutigkeit verbunden ist -
das Gedicht ist völlig klar in seiner Aussage, es ist weder Gossensprache, noch Verteidigung, noch Aufruf;
es ist Bitterkeit und ich finde es wirklich fragwürdig, dass das hier keinem auffällt.
 
Frau Merey-Kästner,
Ihr Kommentar scheint mir genau das zu sein, worauf der Autor hier aufmerksam machen wollte - Ihr Verweis auf jenes Gedicht ist ja ganz "schön" aber Ihr Zusatz: "schweigen, schweigen, schweigen" offenbahrt hier ganz deutlich eine urdeutsche, zur Kultur avancierte Mentalität -
sollten wir denn nicht schreien?
Sollten wir etwa nicht jeden Tag schreien?

Ich lege es allen Kommentatoren ans Herz, in Zukunft Stellungnahmen zu diesem Teil deutscher Geschichte mit dem notwenigen Ernst zu lesen und sich weder hinter mitwisserischer Verdrängung noch jugendlicher Langeweile zu verstecken.
Diese "Tat", werte Freunde, liegt nur wenige Jahrzehnte zurück und ich möchte behaupten, dass die beängstigende Ignoranz unserer Väter uns näher liegt, als wir glauben.
 
M

Melusine

Gast
Ich lege es allen Kommentatoren ans Herz, in Zukunft Stellungnahmen zu diesem Teil deutscher Geschichte mit dem notwenigen Ernst zu lesen und sich weder hinter mitwisserischer Verdrängung noch jugendlicher Langeweile zu verstecken.
Lieber Marcus Richter, darf ich dir ans Herz legen, in Zukunft die Stellungnahmen anderer Kommentatoren mit der nötigen Aufmerksamkeit zu lesen, bevor du derlei unsinnige (um nicht zu sagen: beleidigende) Pauschalurteile vom Stapel lässt?

Deinem Kommentar zu Elisabeth Merey-Kastners Kommentar allerdings schließe ich mich an und würde hier auch den Kommentar von Zarathustra einschließen, man solle doch die Vergangenheit endlich ruhen lassen und nicht immer wieder aufwärmen. Denn diese Vergangenheit ist nicht tot und durch Totschweigen macht man sie nicht ungeschehen, sondern überlässt das Feld den Geschichtsfälschern, den Auschwitzlügnern – und den Urgroßvätern und Urgroßmüttern, die ihren Urenkeln weiterhin vermittlen, es sei "doch nicht alles schlecht gewesen damals". Die unbehelligt, unwidersprochen solche Ungeheuerlichkeiten von sich geben wie die von Rudolf Wolter "gehörte".


Hier ging es aber zunächst vor allem um die Form der Darstellung und um die Frage, ob sie dem Thema angemessen sei. Implizit auch um die Frage, ob die Form der Darstellung denn nicht geschmacklos sei.

Ich denke, die Form ist angemessen. Der Text ist ein Denkanstoß im besten Sinn, denn er stößt tatsächlich an. Löst beim ersten Lesen Empörung aus, dann Nachdenken.

Mirko Kussin monierte, der Text sei zu wenig verdichtet für ein Gedicht. Dem möchte ich widersprechen. In dieser Dichte hört man solches eben nicht im Altenheim oder in der Straßenbahn. (Vielleicht bedürfte das Gedicht einer knappen Anmerkung, was es mit dem Lichterdom auf sich hat, da die Symbolik offenbar nicht allgemein verständlich ist.)

Mel
 
Melusine,
tut mir leid, wenn ich im Überschwang mal wieder alles über einen Kamm geschoren habe. Ich hoffe auch, dass man sich nicht wirklich angegriffen oder beleidigt fühlt, sondern daraus eine Wutbezeugung herausliest, die immer dann aus mir herausbricht, wenn ich höre, wie ein Missverständnis dem nächsten unter die Arme greift.

Zum Thema der Darstellung:
Natürlich gehe ich nicht davon aus, dass der Autor den Text als lyrische Luftblase konzipiert hat - man sollte den Text sowieso nicht auf derartige Eigenschaften untersuchen. Je direkter und klarer die Worte des Autors sind, und mögen sie manchem auch zu direkt sein, um so ehrlicher setzt er sich mit der Problematik auseinander. Deshalb ist die direkte Sprache auch immer Aufruf gegen Phrasenhaftigkeit und den Irrglauben, man könne dem Unfassbaren schöne Kleider anziehen.
Jede lyrische, sich explizit als solche ausweisende Bearbeitung ist also fehl am Platz, ganz zu schweigen, wenn das romantische Ego eines Verfassers das Thema der Konzentrationslager als Sprungbrett benutzt.

Dieser Text hier hat allerdings, wie man merkt, keine lyrischen Anwandlungen - es handelt sich um agitatorisches Sprachmaterial, das nicht umsonst den Eindruck vermittelt, dem Sprachgebrauch eines nationalsozialistisch eingefärbten Kaffeekränzchens zu entstammen. Die Kürze des Textes verweist darauf, dass wir Deutschen es immer verstanden haben, unsere poltische Einstellung so kurz und knapp wie möglich zu vermitteln, am besten in Form einer Anekdote, die unmissverständlich von allen verstanden wird.

Ich möchte darauf hinweisen, dass in diesem Text nicht umsonst auf jene ominösen "ihnen" verwiesen wird. Jene "Sie" also, denen man jenes leuchtende Ereignis nicht wird nachmachen können. Verdrängungsmechanismen also, die sich hier nicht nur auf das Verdrängen der eigenen Schuld beziehen, sondern, was viel schlimmer ist, auf das Verdrängen der eigenen Mittäterschaft, der man am liebsten ein Denkmal gesetzt wissen möchte.

Ich glaube, ich habe angedeutet, dass dieser Text weit mehr beinhaltet, als ihm zugesprochen wurde,

Melusine und alle anderen sollten meinen Wutausbruch nicht als moralische Entgleisung, sondern als moralisches Bekenntnis interpretieren.

Mit freundl. Grüssen,
Marcus
 
E

Elisabeth Merey-Kastner

Gast
Hallo,

zu den Anschuldigungen mich betreffend möchte ich sagen, dass ich eine ausgesprochene Antinazifrau bin. Wenn ich "schweigen" sagte, dann meinte ich, dass hierüber nur Künstler oder solche, die autobiographische Erlebnisse haben, berichten sollen (nach Celan fehlen einem fast die Worte).

Ich bin in der Nazizeit zur Welt gekommen, meine Eltern haben jüdischen Freunden das Leben gerettet. Ich bin mit sieben Jahren zwangsweise im Viehwaggon transportiert worden, egal wohin.

Habe den Stalinismus erlebt und hatte nur Schwierigkeiten in der Schule.

Habe die Diktatur Ceaucescus intensiv verfolgt, und meine Lieblingsautorin, die Herta Müller, kann ich empfehlen. Die kann zumindest sehr gut schreiben.
Der Zynismus des Protagonisten dieses Werks tut mir weh.

Schönen Abend
Elisabeth
 

NewDawnK

Mitglied
Hallo Elisabeth,

Du ziehst Schlüsse aus Deiner Biographie, die jeder verständlich finden wird, die der Sache aber nicht dienlich sind.

Wer - so wie Du - Grausames erlebt hat, neigt dazu, alles Unverarbeitete und alle Ängste nach außen zu projezieren oder zu verdrängen. In der Erinnerung sind dann immer nur die Anderen die (Mit)Täter gewesen oder man will gar nichts mehr davon hören. Jedenfalls sieht man sich selbst auschließlich als Opfer der Umstände, obwohl die Welt mit Sicherheit auch damals nicht schwarz/weiß eingefärbt war.

Jeder muss die Möglichkeit bekommen seine Meinung zu diesem Thema frei zu äußern, und sei sie noch so unreflektiert, denn wir alle hätten damals dabei sein können, und wir alle hätten Mitläufer werden können. Wenn darüber nicht offen nachgedacht wird, kann es jederzeit wieder passieren.

Eigentlich müsstest gerade Du wissen, dass der Grund allen Übels die Überheblichkeit einer einzelnen Weltsicht war, der sich alle Nicht-selber-Denkenden angeschlossen haben. Oder war es anders?

Schöne Grüße, NDK
 
E

Elisabeth Merey-Kastner

Gast
Halo NDK,

vielen Dank für deinen Kommentar. Ich habe es mir lange überlegt, ob ich darauf eingehen soll. Aber, nachdem es sich um mein Lebensthema - neben Liebe - handelt, sollte ich es tun.

Ich glaube, es war gar nicht mein Gedanke, jemand hat es mir vor langer Zeit gesagt: Über dieses Schreckliche sollten nur wirkliche Könner schreiben. Ich habe hierüber auch schon Autobiographisches von mir gegeben, obwohl ich keine Könnerin im wahren Sinne bin.

Der Gegensatz tut mir weh. Einerseits haben sie gefällige Events veranstaltet, andererseits tun ihm die 7 Millionen leid. Es waren mehr, die ihm leid tun könnten. Hinzu kommen Sinti und Roma, ehrliche Kommunisten und Sozialisten und Helden wie die Geschwister Scholl. Alle, die in den KZs starben, waren Helden. Namenlos. Stelle dir vor, Kinder.

Kennst du vielleicht diesen Spruch, aber Autobahnen haben sie gebaut. Keine einzige Autobahn, und sei sie noch so lang und Länder übergreifend, kann ein Menschenleben ersetzen.
Über dieses Thema könnten wir ewig lang diskutieren. Ich tue das immer wieder und habe schon einige Nazis bekehrt.

In einem persönlichen Gespräch könnte ich das alles viel besser ausdrücken.

Schöne Grüße
Elisabeth
 



 
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