Gekentert

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Was kümmerte den blutjungen Matrosen, der mutterseelenallein und von jeglicher Zuversicht verlassen auf einer dicken Holzplanke inmitten des Pazifischen Ozeans trieb, das farbenprächtige Spektakel einiger Kumulus Wolken im Abendrot. Und wie lächerlich schien ihm der Gedanke dabei, dass vielleicht gerade in diesem Augenblick, tausende Kilometer von ihm entfernt, sein Mädchen auf das Meer hinaus blickte und einen Kuss auf Reisen schickte. Ihn wohl behütet dachte, von einem Kapitän, der zeit seines Lebens den Gefahren auf See verbissen entgegen getreten war, aber nun doch so leblos und endgültig, wie ein toter Fisch auf dem Grund des Meeres lag.
Niemals war ihm das eigene Leben wertvoller erschienen, Gott allmächtiger und die Sehnsucht nach einem Menschen größer, als in diesen Tagen zwischen den Wellen ohne Courage.
Regelmäßig, mit kleineren Ruhepausen, stießen seine Hände in das Wasser hinab; in die ihm so fremde Welt, die lauwarm und seinem Leben in gewisser Weise freundlich gesonnen war, in diesen scheinbar erfrischenden Glanz. Bei alledem war er aber in trübster Laune, die immer noch trüber wurde dadurch, dass seine geschwollene Zunge am Gaumen klebte, wie ein Klumpen heißer Kohle, welcher die letzte Hoffnung verbrannte, die noch in ihm vorhanden war.
Das Fieber kam in der zweiten Nacht, bei Sternenlicht und spiegelglattem Meer. Er begann zu frieren und sah ein Schiff, das oben am Himmel vor Anker lag, bald einen Engel, der ihn aus dem Wasser schöpfte, wie einen Kloß aus warmer Brühe. Ein Husten plagte ihn, er spuckte kleine Herzen, unaufhörlich, und die Delfine lachten.
Kaum noch merklich am Leben schwemmte ihn die Meeresströmung am dritten Tag an den Strand einer exotischen Insel. Im Lärm der Brandung kam er zu sich. Wie ein Wurm kroch der Jüngling in den Schatten einer Kokospalme und zum ersten Mal in seinem Leben spürte er eine tiefe Dankbarkeit.
Gerettet, dachte er bei sich. Das Leid war für immer überstanden.
Ein wenig zu Kräften kommen, wollte der geschundene Mensch. Sich ein bisschen ausruhen und später auf den Weg machen, die nächste Ansiedlung aufsuchen, aber ein fürchterlicher Blitz riss ihm die Haut und das Fleisch von den Knochen.
Über dem Bikini-Atoll breitete sich in atemberaubender Schönheit der Atompilz aus.
 

Karinina

Mitglied
lieber Gernot, vielleicht sieht es jemand anders, ich kann keinen dringenden Grund finden, warum den armen Wicht nun auch noch der Atompilz erwischt. Mir fehlt irgendwie der Ahaeffekt. Wäre die Insel von Kanibalen bevölkert, könnte ich das noch eher akzeptieren.
Aber: Du hast einen sehr guten schnörkellosen Stil, vielleicht ein wenig zu glatt, vielleicht sollte es ein klein bisschen stolpern, manchmal nur?
Ich grüße Dich, Karinina
 
Hallo liebe Karinina

Das Stück ist für mich eine Sprachübung, die Handlung ist nebensächlich, und es freut mich sogar *smile* wenn's nicht holpert stolpert.

beste Grüße

Gernot
 
K

KaGeb

Gast
Lieber Gernot,

schön, mal wieder was von dir zu lesen. Freue mich sehr, dass du wieder da bist (und hoffentlich bleibst!?)

Zum Text:


Was kümmerte den blutjungen Matrosen, der mutterseelenallein und von jeglicher Zuversicht verlassen auf einer dicken Holzplanke inmitten des Pazifischen Ozeans trieb, das farbenprächtige Spektakel einiger Kumulus Wolken im Abendrot.
Worte, auf die du im Text (m.M.n.) verzichten könntest: „blutjungen“, „mutterseelenallein“, „von jeglicher Zuversicht verlassen“, „das farbenprächtige Spektakel“.
Warum? ‚“Blutjung“ ist (denke ich) redundant, d.h. diese Info bringt den Text nicht weiter. „Mutterseelenallein“ ist er ohnehin auf seiner Holzplanke, d.h. überflüssiger Hinweis. Kumuluswolken sind weiß vor blauem Hintergrund, das alles im Abendrot. 3 Farben somit. Okay, hier wäre „farbenprächtig“ reine Auslegungssache.
„Von jeglicher Zuversicht verlassen“ halte ich persönlich für zu dick aufgetragen, weil er diese niemals aufgeben wird. Gerade deswegen klammert er sich ja an die Holzplanke, weil er hofft. Niemals lässt der freiwillig los, um zu ertrinken. „Die Hoffnung stirbt zuletzt.“


Und wie lächerlich schien ihm der Gedanke dabei, dass vielleicht gerade in diesem Augenblick, tausende Kilometer von ihm entfernt, sein Mädchen auf das Meer hinaus blickte und einen Kuss auf Reisen schickte. Ihn wohl behütet dachte, von einem Kapitän, der zeit seines Lebens den Gefahren auf See verbissen entgegen getreten war, aber nun doch so leblos und endgültig, wie ein toter Fisch auf dem Grund des Meeres lag.
Diesen kompletten Abschnitt (und weitere) würde ich streichen. Gern mehr Ideen bei Interesse.


Was passiert im Text? In scheinbar aussichtsloser Situation kann sich ein im Meer auf einer Holzplanke treibender Matrose auf eine idyllische Insel retten, nur um festzustellen, dass diese sich im Bikini-Atoll befindet.
An für sich (m.M.n.) eine sehr gute Idee, aber ist die Umsetzung im Text (für mich) zu gefühlslastig. Ich kann mir deinen Matrosen leider nicht vorstellen,wie er auf der Bohle treibt, ausgetrocknet, die Haut vom Salzwasser rissig, die Lippen gesprungen und die Bewegungen stoisch – bar jeder Logik und jeglichen gesunden Menschenverstandes rudert er dennoch Stunde um Stunde, um schlussendlich Rettung zu erlangen, Rettung in Form einer Insel (dessen Idylle m.M.n. völlig nebensächlich ist). Dann stirbt er auch schon ...


5 große "W" sollen eigentlich jede Geschichte säumen: Wer, Was, Wann, Wo, Wie.
Wer ist klar: Ein Matrose.
Was passiert? Er schwimmt im Wasser.
Wann? Hier bleibt nur das Fragezeichen. Atomversuche im Bikini-Atoll waren um 1940/50 aktuell. Derzeit ist das Gebiet Unesco-Welt-Kulturerbe. Ein zeitlicher Hinweis wäre hier m.M.n. dringend erforderlich
Wo? Ist auch wieder klar
Wie? Auch diese Frage bleibt leider unbeantwortet.

Idee: Lass ihn am Ende nicht "erklärter Maßen" sterben, sondern umschreibe nur den Weg dahin. Ein Atompilz in der Ferne reicht (für mich als Leser) völlig aus, genauso wie es tote Tiere am Strand täten, auf die er womöglich stößt etc. Ich bräuchte das Bild von zerfetzter Haut und Knochen nicht ...

Nur Ideen, lieber Gernot.

LG, KaGeb
 

Karinina

Mitglied
Hallo Kageb, ich hab noch vor langer Zeit gelernt, dass das W wie Wie vom Ästhetischen her keine Rolle spielen sollte. Aber das ist für die Geschichte auch nicht relevant, vielmehr fehlt mir etwas, was mein Herz trifft. So, wie es jetzt ist, nehm ich den Atompilz einfach hin, ich sage einfach nur: Auch das noch. Ich möchte aber schreien vor Schmerz und sagen, oh Gott nein, nicht jetzt! Ich kann Gernot keinen Rat geben, aber vielleicht jemand von Euch?
 
Hallo ihr Lieben

KaGeb, Kumpel, danke für deine intensive Auseinandersetzung mit dem Text. Du sprichst sehr deutlich einige Punkte an und das machst du gut, denn es geht mir nahe und lässt mich nachdenklich werden.
Eigentlich hab ich mir nicht viel erwartet, auf der Lelu, aber ich wurde eines Besseren belehrt. Vor allem auch durch Karinina, die mir ihre Bedenken mitteilte.

danke euch beiden

Gernot
 



 
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