Geschichten aus Nichtberlin (2) - Wohnungssuche in Münster

3,00 Stern(e) 2 Bewertungen

Billy

Mitglied
Es war richtig in der Wohnungsannonce auf eine abgeschlossene Lehre hinzuweisen, also meine handwerklichen Fähigkeiten hervorzuheben und damit die Bereitschaft zur hausmeisterlichen Betätigung zu signalisieren. Das Angebot war reichhaltig.

Angebot Nr. 1: ein Zimmer in einem freistehenden Einfamilienhaus, 10 qm mit separatem Eingang - 400 DM.

Da mein Auto schon längere Zeit in keiner Waschanlage war, entschloss ich mich, einen kurzen Fußweg in Kauf zu nehmen und etwas abseits vom Haus zu parken um meine Verhandlungsposition nicht gleich mit einem schlechten ersten Eindruck zu schwächen.

Meine Schuhe könne ich ruhig anlassen sagte die Frau, nachdem sie die schwer und sicher wirkende bronzefarbene Haustür geöffnet hatte, an der ich gerade die Namen aller Familienmitglieder auf einem glasierten Tonschild - ziemlich sicher selbst gemacht, studierte. Schuhe anlassen? Ich blickte an der Frau vorbei auf die sauber aufgereihten Schuhe im Flur und ziehe meine dann doch auch lieber aus. „Schauen wir uns das gute Stück doch erst einmal an" sagte sie, und ich folgte ihr eine enge Wendeltreppe hinauf in die obere Etage, in der sich das Zimmer befand. Der kurze Blick reichte: Das Zimmer war vollkommen unakzeptabel. Die angegebenen 10 qm wurden in ihrer Nutzbarkeit durch eine Dachschräge deutlich eingeschränkt und die Einrichtung bestand aus einer Melamin-Jugendzimmersünde in Grün und hellem Fichtenholzimitat. Die Besitzerin riet mir die beiden Poster durch eigene zu ersetzen, während ich, um überhaupt irgendetwas zu machen und meine große Enttäuschung zu überspielen, mit kritischem Blick die Matratze befühlte.

Kurze Zeit später plauderten wir in der Couchgarnitur des Wohnzimmers versunken, bei Kaffee und Keksen über meinen Werdegang. Woher ich komme, was ich studiere? Aha, was Kreatives, welch ein Zufall, ihr jüngster Sohn würde sich auch für so was interessieren, malt viel, jetzt aber erstmal das Abitur und sie selbst wünscht sich auch eher ein Maschinenbaustudium, da ihm das Technische auch sehr liegen würde, usw.
Ein Porzellanpuppenbein im Nacken hinderte mich beim entspannten Zuhören, sodass ich unbequem leicht nach vorne gebeugt Rede und Antwort stehen musste. Irgendwann, die mäandernde Erzählung der Frau schien kein Ende zu nehmen, ich sozusagen nur noch quer hörte und mit meinen Gedanken schon woanders war, erregte der Satz „Bitte keine Freundinnenbesuche" wieder meine volle Aufmerksamkeit. Ich schaute auf die Uhr, versicherte dass das Zimmer sehr interessant, der nächste Termin dadurch sicherlich hinfällig aber nun mal leider ausgemacht und ich diesen wahrzunehmen der Höflichkeit halber verpflichtet bin: nur weg hier.

Auf der kalten Stufe vor dem Haus zog ich mir schnell meine Schuhe wieder an und fühlte mich als wäre ich sechzehn. Da kam auch schon der Sohn um die Ecke, die Mutter wollte uns noch vorstellen, da wies ich mit wehleidigem Blick auf meine Armbanduhr und sagte gezwungen lächelnd, dass ja wohl bald genug gemeinsame Zeit vorhanden sei, um sich näher kennen zu lernen, die Zeit jetzt aber leider davon eile.
Als ich im Auto saß, schwor ich mir mich beim Fahren nicht umzuschauen, nur geradeaus, direkt auf die Straße, damit es mir unmöglich wird jemals wieder hierher zurückzufinden.



Der nächste Termin: ein Bauernhaus – besser gesagt ein ehemaliges Bauernhaus, aber die Landwirtschaft lohnte sich nicht mehr, der Hausherr war krank und nun lebte man von der kleinen Rente und dem Ersparten. Das alles erfuhr ich schon am Telefon und die Redseligkeit der Frau verwunderte mich ein wenig.

Von der Innenstadt, das hatte ich mir auf dem Stadtplan angesehen, waren es noch gut und gern 20 min. mit dem Auto bis dorthin, von der Fahrt mit dem Bus ganz zu schweigen. Es gab eine Sparkassenzweigstelle, einen Edeka und einen Schnellimbiss.
Die Vermieter waren alt und nett, fragten nicht viel und meinen Sozialkontakten zum Trotz mietete ich das Zimmer, weil mir das Leben hier in der Natur irgendwie romantisch erschien. Den eigentlichen Beweggrund (neben dem beginnenden Studium) in eine andere Stadt zu ziehen, nämlich endlich am Leben teilzunehmen und abseits jeder elterlichen Beobachtung Mädchen und Kneipen, also Sex, Drugs and Rock'n Roll kennen zu lernen war, (zumindest kurzzeitig) in Vergessenheit geraten.

Nach einigen Tagen gegenseitiger Begutachtung wurde ich von meinen Vermietern auf eine Tasse Kaffee und ein Stück Kuchen eingeladen. Als ich die knarzige Treppe herunterging, roch es schon nach Kaffee, vermischt mit dem Geruch des nur kurze Zeit zuvor eingenommenen Mittagessens. Die Vermieterin stand mit einem weißen Haushaltskittel bekleidet freundlich nickend vor dem Herd um kochendes Wasser in den Kaffeefilter zugießen. Ich nickte zurück und blickte in das Zimmer, aus dem die Fernsehgeräusche kamen auf den kranken Vater, der in einer Decke eingehüllt auf dem Sofa lag. Er schaute auf und schien sich über meinen Besuch zu freuen.
„Guten Abend, immer herein", rief er mir zu.
„Guten Abend, was läuft denn?", fragte ich mit dem Kopf zum Fernseher weisend.
Er schlug die Decke etwas zur Seite und ich sah, dass er darunter nur eine Windel trug.
„Nur der übliche Mist, nichts Besonderes."
Dann fiel uns erst mal nichts mehr ein. Er schaute weiter fern, ich suchte mir einen freien Platz auf dem abgewetzten Sofa. Die Frau brachte uns Kaffee und stellte mit der Fernbedienung den Fernseher leiser.
„Er hört nicht mehr gut", sagte sie zu mir blickend. „Seine Beine tun heute sehr weh".
Dann stand sie auf und lüftete das Ende der Decke, um mir seine nackten Beine zu zeigen. Sie waren dünn, adrig und leicht blau. Die Haut wirkte beinah transparent. Die Zehennägel waren gelb und wirkten außergewöhnlich dick und lang. Einer war sogar ziemlich dunkel. Um zu zeigen, dass ich den Anblick nicht abstoßend fand, aß ich schnell etwas vom Kuchen. Eine Schauderwelle durchlief meinen Körper und endete in einer leichten Kopfbewegung. Ein alter, verbrauchter Körper lag vor mir und ich wollte nicht zulassen, dass mich der Anblick ekelte, dass es mir etwas ausmachte. Aber es machte mir etwas aus und das war mir peinlich. Es war aber nicht nur das, es war der Eindruck im ganzen Haus, der Geruch der in den Räumen lag, es roch alt und moderig, es roch nach tot. Hier wohnten alte Leute und ich hatte bisher noch nie viel mit alten Leuten zu tun gehabt. Meine Eltern waren noch relativ jung und unsere Verwandtschaft - nein, eigentlich auch keine alten Leute.

Nach unserem gemeinsamen Kennenlernabend brachte mir meine Vermieterin oft Essen herauf. Ich hörte sie dann immer schon schwer atmend die Holztreppe heraufkommen. Sie möchte nicht lang stören, aber so ein junger Mann wie ich habe doch immer Hunger und könnte doch bestimmt etwas Gulasch mit Klößen vertragen. Ich nahm das Essen immer an, zog dann eine Gabel aus dem Besteckkasten und schob es vorsichtig vom Teller zunächst auf eine Papierservierte und dann in den Abfall – ich konnte es nicht essen.

Als ich eines Tages im Bademantel die Treppe zum gemeinsam genutzten Bad herunterging, fing mich die Vermieterin ab.
„Möchten Sie duschen"?
„Ja gern", antwortete ich.
„Es tut mir leid, aber ich habe in der Wanne gerade eine eitrige Decke von meinem Mann eingeweicht, die bekommt man sonst gar nicht mehr sauber. Sie können aber in einer guten Stunde wiederkommen".
Abends duschte ich in der Wanne hockend, in Badelatschen und versuchte dabei mögliche Berührungen zwischen Körper und Inventar zu vermeiden. Dabei war es saukalt, der unterdimensionierte elektrische Heizlüfter gab dem Badezimmer leider nur eine unzureichende Temperatur.

Nach einem halben Jahr, es war früh am Morgen klopfte es an meiner Tür.
„Mein Mann ist letzte Nacht gestorben. Er schlief ganz friedlich ein. Wenn sie möchten, können sie noch Abschied von ihm neben", flüsterte mir die Vermieterin zu.
Ich zog ein Paar Pantoffeln an und ging hinunter und direkt unten an der Treppe in einem Raum, wo er sonst nie lag, war Licht. Ich ging hinein. Der Raum war klein, eine Kerze leuchtete und er lag mit gefalteten Händen wie eine Wachsfigur auf dem Sofa. Ich atmetet leise durch die Nase aber es roch - wie sonst auch. „Ich lasse sie einen Augenblick allein", sagte sie und verließ das Zimmer. Ich setzte mich auf einen Stuhl nahe beim Toten und betrachtete in still. Er war sehr alt geworden und wie er so da lag, sah er fast besser aus als zu Lebzeiten. Ich verglich meine Gefühle mit denen, wie man sich fühlen sollte (wie ich glaubte), wenn jemand gestorben ist. Es war mein erster Toter. Ein paar Wochen später zog ich aus.
 
Tja, ich weiß nicht recht, was ich sagen soll...

Idee und Ausführung versprechen eigentlich sehr viel.
Du solltest den Text stärker untergliedern.
Bis auf allerdings zahlreiche sprachliche Ungenauigkeiten (Schreibfehler, Wiederholungen) ist das sehr gut(!) und "es hat was".

Lass es sich setzen, und dann nochmal sprachlich und in der Form (Strukturierung) nacharbeiten, aber lass sonst Alles, wie es ist, denn es kommt sehr authentisch hier an.
Auch den flüssigen Schreibstil um Himmels Willen nicht verändern!

Ich würde mir mehr solcher Texte wünschen!
 

anemone

Mitglied
tut mir leid Billy,

diese Geschichte erscheint mir einfach gefühllos und das Verhalten des Protagonisten oberflächlich und abstoßend.
Besonders das Thema "Essen in den Abfallbehälter werfen".
Was muss diese Frau enttäuscht sein, wenn sie dort ihre gutgemeinte Gabe wiederfindet. Ein Gespräch mit der Hauswirtin über die Krankheit ihres Mannes hätte ich interessanter gefunden.

mfG
anemone
 

Billy

Mitglied
Hallo Waldemar

vielen Dank für deinen hilfreichen Beitrag.

Das mit den Schreibfehlern und Wiederholungen werde ich mir zu Herzen nehmen und den Beitrag in einigen Tagen noch einmal überarbeiten.

Meinst du mit "stärker untergliedern" eine Strukturierung durch Absätze?

Liebe Grüße. Billy.
 
@ billy

Ja, Absätze, damit's leichter lesbar wird.

Ansonsten -meine Meinung- aber nicht allzuviel verändern, sonst wird's möglicherweise schlechter. Dein Schreibstil gefällt mir, weil er "arglos" und flüssig daherkommt, irgendwie so, als wäre das in einem Rutsch geschrieben. Ist nichts "gekünstelt" dran.

Daß der Protagonist im zweiten Teil "Essen wegwirft", und die Schilderung, welche Probleme er mit Alter und Vergänglichkeit hat ("eitrige Badewanne" ist z.B. eine sehr drastische und skizziert-konzentrierte Darstellung), macht (in unserer realen Umwelt tatsächlich vorhandene)Probleme auf (der VerständnisAbstand zwischen Jugend und Alter z.B.). Aber genau dies ist -meiner Meinung nach- gute "Literatur" als verbales Werkzeug.

Du knallst einem hier ungekünstelte Realitäten vor den Kopf, und es tut (fast) weh. Deshalb finden Manche das "abscheulich, brutal, usw." und schreien "Aua".

Aber, genau wenn sie schreien, hast Du möglicherweise getroffen (es gibt natürlich auch Mist, der einen zum Schreien bringen kann).

Ein Text, der keinerlei Reaktionen erzeugt, oder nur einverständlichen Beifall, ist m.M. nach meist hohler Kram (Es sei denn!, ein solcher Text verfolgt ausdrücklich diese Absicht, z.B. als Spiegel zu dienen oder zu erheitern, wie die gekonnten Texte von Klopfstock u.a.)
 

Billy

Mitglied
@Marcus,

Ja, du hast recht mit dem Bruch zwischen der Anfangshandlung im Bauernhaus und "nach einem halben Jahr". Mal schaun ...

Schönen Gruß. Billy.
 

Zefira

Mitglied
Ich kann Waldemar nur zustimmen, was das weggeworfene Essen angeht.

Ich kann den Protagonisten gut verstehen. Natürlich ist es nicht vom Feinsten, was er da geboten hat. Aber er sagt nirgends im Text, daß er für sich in Anspruch nimmt, ein guter Mensch zu sein... Übrigens sagt er auch nicht, daß er das Essen so weggeworfen hat, daß seine Vermieter etwas davon merken. Ich könnte mir vorstellen, daß er gerade das sorgfältig vermieden hat. Er bringt das Essen nicht runter (eine atavistische Abwehr, gegen die wirklich nichts zu machen ist), schafft es dann aber ganz heimlich auf die Seite... genau so stelle ich ihn mir vor.
 



 
Oben Unten