Gespräche aus dem Off

brain

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„Wie fühlen sie sich dabei?“
Ben blickte dem Psychiater verständnislos in die Augen, als hätte dieser einen Scherz gemacht. „Was für eine Frage. Ich kann nicht schlafen. Wie soll ich mich schon dabei fühlen?“
„Sie haben gesagt, sie haben alles probiert. Was haben sie probiert?“
„Zuerst habe ich Schäfchen gezählt, dann die Straßenlaternen, dann Schlaftabletten, Bierflaschen, Joints, hat alles nichts gebracht. Die Tabletten haben Alpträume verursacht. Der Rest hat mir nur Kopfschmerzen und einen leeren Geldbeutel beschert.“ Bei dem Gedanken daran musste er den Kopf schütteln und schlucken. „Irgendein Teil von mir ist immer wach und dieser Teil ist sich stets bewusst, sich in einem Traum zu befinden, also habe ich nie wirklich geschlafen, nur halluziniert, oder vielmehr etappenweise geträumt.“
„Wie fühlen sie sich dabei?“
Er seufzte und fuhr sich durch die Haare. „Ich...weiß nicht, ob ich mich klar ausgedrückt habe.“ Ben beugte sich vor. Er saß in einem bequemen Sessel, der es ihm erlaubte seinem Gegenüber ins Angesicht blicken zu können. Die Sache mit der Couch hatte bei ihm nicht funktioniert, also hatte Dr. Elstrom einen offensiveren und direkteren Rahmen für ihre Sitzungen vorgeschlagen. Ben räusperte sich und blickte im Zimmer umher, als würden die Worte, die er suchte, über den Teppichboden wuseln. „Ich...kann...nicht...schlafen. Egal, wie lange ich vor mich hindöse, wie sehr ich mich davor auch angestrengt habe: ich komme nicht zur Ruhe. In meinem Kopf tobt ein Sturm, tagein, tagaus, in jedem Moment, den ich bei klarem Gedanken erlebe. Mein Puls...ich habe einen Ruhepuls von einhundertundzwei. Mein Appetit ist weg, meine Leidenschaft ebenso. Mein Leben ist ein Alptraum und sie fragen mich, wie ich mich dabei fühle, verdammt.“ Ben überlegte. „Müde...glaube ich. Unendlich müde, aber...das ist noch nicht alles.“
„Was noch?“
„Ich glaube, ich habe Angst davor, wach zu sein. Macht das Sinn?“
„Was denken sie?“
„Ich weiß es nicht. Das scheint alles keinen Sinn zu ergeben, mein Leben meine ich.“
„Muss es das denn?“
„Ja, verdammt...Herrgott noch mal. Wie soll ich ein Leben führen, ohne zu wissen, wo es mich hinführt, ohne sicher zu sein, dass sich die Strapazen lohnen? Jeden Tag frage ich mich, wo das alles hinführen und wo es enden soll. Ich denke daran, wie die Welt morgen wohl aussehen wird und wissen sie was?“
„Was?“
„Ich habe Angst davor, dass sie mir nichts zu bieten hat, dass sie mich immer und immer wieder fordert, bis ich nicht mehr kann, bis ich merke, dass ich mein Leben nicht führe sondern...friste.“ Bens Blick verfing sich in den orangefarbenen Vorhängen des Behandlungszimmers, die im Wind wehten. Er wusste nicht, was er noch sagen sollte.
„Kommen wir zurück zu ihrem eigentlichen Problem.“
„Meine Schlaflosigkeit.“
„Exakt.“
„Nun...es mag ihnen verrückt erscheinen, aber...jetzt, in diesem Moment, komme ich mir vor wie ein Schwächling, nichts weiter.“
„Jeder Mensch ist irgendwann einmal schwach, das ist vollkommen natürlich und nichts, wofür man sich schämen müsste.“
„Nein, sie verstehen nicht. Jetzt, bei Tag, komme ich mir dumm und kindisch vor, wenn ich sehe, wie draußen das Leben tobt, in den Kioskbuden und Läden, auf der Straße, wie es seinen kleinen Geschäften nachgeht, emsig und gehetzt, doch wenn es dunkel wird, dann sieht das anders aus, dann fühle ich mich nicht mehr kindisch. Ich liege da, in meinem Bett, und komme fast um vor Sehnsucht nach...ich weiß nicht wonach. Nach Geborgenheit vielleicht. Nach Seelenfrieden, einem Zustand der vollkommenen Leere und habe nicht die Kraft, mich dagegen zu wehren.“
„Sie wollen nichts empfinden?“
„Ich...will so etwas nicht empfinden. Es ist grausam, nie zur Ruhe zu kommen, immer an alles denken zu müssen...an alles auf einmal, der totale Gedankenstau.“
„In der letzten Sitzung bevorzugten sie noch das Wort: Armageddon.“
„Ja, ich weiß.“ Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. „Ich stehe auf Theatralik, aber...ich glaube, das mit dem Stau trifft es besser. Meine Gedanken sind wie Autos, die weder vor noch zurück können. Sie rempeln sich gegenseitig an und hupen wie verrückt, wollen, dass ich sie zu Ende denke, an ihr Ziel bringe, aber...ich weiß nicht, wo das sein soll, das Ziel.“
„Was sind das für Gedanken? Sind es ihre eigenen?“
„Nun...der Großteil stammt von mir, aber die lautesten sind Dinge, die ich von anderen gehört habe und die meine eigenen...ich will nicht sagen in den Schatten stellen, aber zumindest gefährden, in ihrer Integrität. Ich traue meinen eigenen Gedanken nicht mehr, wissen sie? Das Meiste von dem, was sich in mir abspielt, wenn ich die Augen geschlossen habe, geschieht ganz von allein, automatisch sozusagen, ohne, dass ich etwas dagegen tun könnte. Meine Gedanken kommen und gehen, wie es ihnen gerade passt, wie ungezogene Kinder, die einem auf der Nase herumtanzen. Ich habe keinen Einfluss auf sie, das ist das Schlimmste daran, meine Hilflosigkeit. Je länger ich mir vorzumachen versuche, dass dieser Zustand irgendwann einmal vorbeigehen wird, desto lauter hupen die Autos, desto hilfloser werde ich. In mir brennt ein Feuer, Tag und Nacht, das keiner löschen kann, außer mir, doch ich weiß nicht wie.“
„Doch, das wissen sie. Denken sie nach.“
„Wie soll ich nachdenken können bei diesem Getöse in meinem Schädel? Jeder Moment, den ich damit verbringe darüber nachzusinnen, wie ich an meinem Zustand etwas ändern kann, ist verlorene Zeit, unwiederbringlich verloren, und dann, wenn ich mal wieder an diesem Punkt angelangt bin, wie so oft, dann merke ich, dass meine größte Sorge darin besteht, Zeit zu verschwenden, aber genau das tue ich, um mir darüber klar zu werden, also werde ich mir bewusst, diese Zeit verloren zu haben und fange an darüber nachzugrübeln, wie ich etwas daran ändern kann und stehe am Ende wieder vor der Erkenntnis, meine Zeit mit Nachdenken verbracht und verschwendet zu haben. Tja, und jetzt sitze ich hier und in einer guten halben Stunde werden sie sagen: Die Zeit ist um, und ich werde wieder hinausgehen, auf die Straße und zurück in mein Leben, mit dem Gefühl, Zeit verschwendet zu haben. So ist das.“
Dr. Elstrom hatte die Beine übereinander geschlagen, das Kinn auf seiner Faust aufgestützt und nickte.
„Kennen sie den kleinen Prinzen?“
„Ja, ich habe ihn gelesen, damals, in der Schule. Wieso?“
„Da gibt es einen Planeten, der von einem Alkoholiker bewohnt wird. Der Alkoholiker trinkt um zu vergessen, dass er sich schämt und er schämt sich, weil er trinkt. Fällt ihnen da nichts auf?“
„Nein, nein, das reicht mir nicht. Das ist wie der Arbeiter, der eigentlich nur leben will, jedoch nur lebt, um zu arbeiten. Da muss doch mehr dahinter stecken.“
„Wohinter? Hinter dem Leben...oder hinter dem Denken?“
„Hinter beidem, verdammt. Was nützt es mir am Leben zu sein, wenn ich nicht denken kann? Was nützt es mir denken zu können, wenn ich tot bin?“
„Was wäre, wenn nichts für sie selbst einen Nutzen oder Sinn hätte? Würde es sich dann etwa nicht lohnen?“
„Ich weiß nicht...ich glaube...nein. Es würde sich nicht lohnen, nicht in meinen Augen.“
„Sehen sie, es ist doch so, dass alles, was man tut oder nicht tut Spuren hinterlässt, auf dem eigenen Lebensweg und auf dem der Menschen, die man unterwegs trifft. Man geht diesen Weg niemals alleine, ganz gleich, wie einsam man sich fühlen mag. Alles ist voneinander abhängig. Stellen sie sich vor, die Sonne würde denken können. Sie scheint so vor sich hin, und scheint und scheint, doch eines Tages verliert sie die Lust dazu und fragt sich nach dem Sinn des Ganzen. Sie weiß nichts von anderen Planeten oder von Galaxien oder vom Urknall und all diesen Sachen. Alles, worüber sie nachdenkt, ist, ob es sich lohnt zu scheinen, so ganz allein in der Tiefe des Alls. Niemand sagt ihr, dass sie wichtig ist für das Leben auf der Erde, dass ohne sie alles und jedes im ewigen Eis erfrieren würde. Niemand sagt ihr, dass es Sinn macht, dass sie scheint und woher sollte sie es wissen, wenn es ihr keiner sagt?“
„Ich bin nicht die Sonne.“
„Was macht sie so sicher, dass sie nicht für irgendjemanden einen Stellenwert einnehmen, den die Sonne für die Erde einnimmt? Nur, weil niemand zu ihnen durchdringen kann, um ihnen zu sagen wie wichtig sie sind und wie viel von ihnen und ihrem Wohlergehen abhängt? Vielleicht haben sie ja auch Recht und sie sind wirklich nur ein gleißender, feuerspuckender Himmelskörper, der im Nichts scheint und der nichts wärmt und niemandem Licht spendet, aber...was ist, wenn es anders wäre, wenn da jemand wäre, der auf sie baut und dessen Glück und Geschick von ihrer Kraft und ihrem Gelingen abhängig wäre? Was könnten sie sich eher verzeihen? Zu scheinen, ohne zu wärmen oder zu erlischen und denen, die in der Kälte harren, ihre letzte Hoffnung zu nehmen?“
„Ach...was soll das? Jetzt glaube ich fast, dass sie verrückt sind. Sie sollten mir helfen, stattdessen kommen sie mir mit Planeten und Alkoholikern. Verdammt, haben sie mir überhaupt zugehört? Ich kann verfickt noch mal nicht schlafen.“
„Aber...sie fürchten sich davor wach zu sein und empfinden es als Zeitverschwendung, weil sie darüber nachdenken, warum sie nicht schlafen können, richtig?“
„Nun ja...nicht ganz, ich...“
„Und wenn sie sich in einen Zustand hineingegrübelt haben, der dem Schlaf am Nahesten kommt, dann drehen sich ihre Gedanken unaufhörlich um die Zeit, die sie verschwendet haben um herauszufinden, warum sie nicht schlafen können, richtig?“
„Das ist...das kann man so nicht sagen...“
„Oh doch, man kann. Der kleine Prinz hätte es mit Sicherheit genauso gesehen. Die Angst davor, Zeit zu verlieren, veranlasst sie dazu, sie damit zu verschwenden, Angst zu haben. Sie trinken Lebenszeit, weil sie sich dafür schämen, sie trinken zu wollen und sie schämen sich, weil sie sie trinken.“
„Wenn das wahr wäre, dann bräuchte ich einfach Urlaub, von allem. Ich würde mich mit einem Fass Zeit in mein Bett verkriechen und würde es erst wieder verlassen, bis ich volltrunken wäre und die Minuten und Sekunden, die ich mir einverleibt hätte, noch meine Lippen benetzen würden.“
„Und dann? Dann wäre alles besser?“
„Ich hätte Zeit gewonnen.“
„Nicht gewonnen, sie hätten sie gefressen. Wenn sie aufwachen würden, würde alles so sein wie zuvor: die Zeit ein kostbarer, knapper Rohstoff und sie selbst ein überforderter, an sich selbst zweifelnder Künstler, dem es nicht gelänge, die Dauer zu einer Skulptur für die Ewigkeit zu formen.“ Wie zur Bekräftigung blickte Dr. Elstrom Ben fest in die Augen, blinzelte und lächelte. Er machte eine ausladende Handbewegung, als müsste er seine Muse finden. „Sagen sie, wie trinken sie ihr Leben am Liebsten: in kleinen Schlucken oder auf Ex?“
Ben stutzte. „Im Moment gar nicht...glaube ich. Ich verdurste.“
„Die Quelle liegt direkt vor ihnen, sie müssen nur von ihr schöpfen, es sei denn...sie haben sich dazu entschlossen, zu verdursten, aus Angst kein Wasser zu finden.“
„Ich habe mich zu gar nichts entschlossen.“
„Aha.“
„Was: Aha?“
„Sie haben es ausgesprochen. Sie haben sich zu gar nichts entschlossen und auch das ist eine Wahl, die sie getroffen haben.“
„Ich glaube ich weiß, was sie meinen, aber...sie haben anscheinend vergessen, dass ich die Dinge nicht beeinflussen kann und meine Entscheidungen nichts an den Tatsachen ändern können. Ich sehe mir einen Film an und höre Stimmen aus dem Off.“
„Sie haben sich entschieden, diesen Film zu sehen, dabei könnten sie die Hauptrolle spielen und eigentlich handelt es sich hierbei gar nicht um eine Entscheidung, sondern vielmehr um das Versäumen einer solchen. Sie haben es versäumt das Set zu betreten, aber das heißt nicht, dass es dazu zu spät ist.“
„Doch, das ist es. Es ist zuviel geschehen, um Frieden zu finden, um noch mal von vorn anzufangen.“
„Sie können nicht von vorne beginnen und das sollen sie auch gar nicht. Es spielt keine Rolle, wann sie ihren Text sprechen, die Hauptsache ist, sie tun es. Seien sie eine Sonne und fangen sie an zu scheinen. Jetzt.“
 
S

Seelenblume

Gast
Ich wollte dir noch sagen, wie sehr ich diesen Text mag.
Habe ihn vor ein paar Wochen mit staunender Aufmerksamkeit gelesen. Er ist sehr durchdacht und sehr inhaltsschwanger, es entsteht ein beeindruckendes Gesamtwerk-


Liebe Grüße, Seelenblume
 

brain

Mitglied
Hi Seelenblume. Wow, das nenn ich mal ein echt tolles Feedback. Vielen Dank dafür. Da muss ich natürlich auch noch sagen, dass mir der Text selbst ne Menge gibt und der bedeutungsschwangere Inhalt wirklich von mir und meinen Zweifeln und Ängsten handelt.
LG:)
Alex
 
S

Seelenblume

Gast
Ja

dieses Gespräch scheint all das zu vereinen, was sich in (d)einer menschlichen Seele in dieser Situation abspielt.. es fasst alle Gefühle, Gedanken, Zweifel und Ängste die all das mit sich bringen und wurde in der Form des Psychiaters plus Patient gut dargestellt...
Dabei wirkt das Ganze sehr authentisch, schlüssig, nicht überspitzt, aber dennoch sehr fesselnd...
Dein Werk hat eine sanfte Persönlichkeit..:)
 

brain

Mitglied
Eine sanfte Persönlichkeit? Mhhh...das gefällt mir ausserordentlich gut, weil ich befürchtet habe, dass die Ansichten und Probleme des Prot. sehr zynisch und hoffnungslos daherkommen, weil dieser sich in den Zustand des Leidens verliebt bzw. sich an diesen gewöhnt hat. Ich glaube, das würde ihm (dem Prot.) Mut machen.
Liebe Grüße
Alex:)
 
S

Seelenblume

Gast
Ursprünglich veröffentlicht von brain
Eine sanfte Persönlichkeit? Mhhh...das gefällt mir ausserordentlich gut, weil ich befürchtet habe, dass die Ansichten und Probleme des Prot. sehr zynisch und hoffnungslos daherkommen, weil dieser sich in den Zustand des Leidens verliebt bzw. sich an diesen gewöhnt hat. Ich glaube, das würde ihm (dem Prot.) Mut machen.
Liebe Grüße
Alex:)
Hmmm. Nein. Diesen Eindruck habe ich von ihm (dem Prot.) nicht... für mich wirkt er sehr intelligent, in dem Sinne, als das er viele Ebenen seines Leidens durchleuchtet hat und aufgrunddessen so resigniert dem Psychiater gegenübertritt. Aber ich glaube, dass er so resigniert gar nicht ist, denn er (der Prot.) scheint schon dem Wunsch noch einem Leben zu haben, das vom Leiden nicht so sehr gebranntmarkt ist. Nur wie es mit dieser Intelligenz nunmal so ist.... :)
Ich denke, der Protagonist muss die Worte des Psychiaters noch verarbeiten, ehe er sonnenähnlich zu scheinen beginnt. Aber ich glaube auch, dass er das wird. Ganz bestimmt...

Liebe Grüße, Melanie
PS: Du setzt deinen Smiley anscheinend jedesmal an anderer Stelle? :)
 

brain

Mitglied
Intelligent genug, das Leiden zu verstehen, jedoch nicht schlau genug diesem aus dem Wege zu gehen oder sich davon zu befreien!? Wäre ein Leben ohne Leid lebenswert, wenn dadurch das Glück zur Gewohnheit und somit uninteressant wird? Liebt man das Leiden oder leidet man beim Lieben? So, wie Genie und Wahnsinn sich nahe sind, so sind es Zweifel und Selbstüberschätzung, Liebe und Haß, Glaube und Zynismus. Due glaubst an diesen Prot., der zu großen Teilen ich ist, so scheint es mir zumindest. Du glaubst an die Sonne in ihm! Das hilft ihm, es auch zu tun:) und ja: ich mache die Smilies immer an einer anderen Stelle (bzw. hab ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wo einer hinkommt oder wo nicht:) Können ja eigentlich überhall mal hin, oder...
Liebe Grüße
Alex
 

brain

Mitglied
Intelligent genug, das Leiden zu verstehen, jedoch nicht schlau genug diesem aus dem Wege zu gehen oder sich davon zu befreien!? Wäre ein Leben ohne Leid lebenswert, wenn dadurch das Glück zur Gewohnheit und somit uninteressant wird? Liebt man das Leiden oder leidet man beim Lieben? So, wie Genie und Wahnsinn sich nahe sind, so sind es Zweifel und Selbstüberschätzung, Liebe und Haß, Glaube und Zynismus. Due glaubst an diesen Prot., der zu großen Teilen ich ist, so scheint es mir zumindest. Du glaubst an die Sonne in ihm! Das hilft ihm, es auch zu tun:) und ja: ich mache die Smilies immer an einer anderen Stelle (bzw. hab ich mir noch keine Gedanken darüber gemacht, wo einer hinkommt oder wo nicht:) Können ja eigentlich überall mal hin, oder...
Liebe Grüße
Alex
 
S

Seelenblume

Gast
Ich weiß nicht, ob eine Befreiung vom Leiden so sehr mit Intelligenz verknüpft ist...ich denke, dass Einsichten, innere Gefühle, eine Bereitschaft dabei eine wesentliche Rolle spielen und manchmal fehlt es auch einfach am entscheidenden Impuls, dieser Freiwerdung entgegenzutreten. Ich bin der Auffassung, dass nicht jeder Mensch zur gleichen Zeit rekapituliert.. wann es Zeit ist, das Leiden bewusst zu vermindern, liegt m.M.n. nicht primär an der Zeit des Leidens oder am Leidensdruck, sondern vor allem daran, wann man wirklich bereit dafür ist. Manchmal kann ein fortgehendes Leiden auch zu WIRKLICHEN, echten und wertvollen Einsichten fühlen.. aber das alles muss man sehr differenziert betrachten.

Ach, diese Geschichte ist eigentlich ganz geschickt gemacht...;) An den Stellen, an den der Erzähler (ich nenne ihn mal: "du"..;)) selbst keine Lösung auf sein Problem, keine Antwort auf seine Ängste hat, sagt der Psychiater, es müsse zum eigentlichen Problem zurückgekehrt werden..:)
Aber das alles ist auch sehr liebevoll geschrieben, nicht nur sanft.. der Vergleich zwischen Kindern und den Gedanken allein.. hupende Autos... all das und die Bilder, Metaphern lassen ein Bild einer sehr ruhigen Atmophäre entstehen, völlig konträr zu dem, was sich scheinbar IN dem Protagonisten abspielt..

Und sie spricht viele Probleme an.. das ewige Problem des Theoretikers, der in seiner Kopf- Welt lebt und sich dabei nach dem Leben draußen sehnt... das Problem des Gedankenstaus, wenn alles wieder einmal den Kopf zum Zerplatzen zu bringen droht..die Schlaflosigkeit..die Leidenschaftslosigkeit und über allem die Sehnsucht, die manchmal unter all dem noch durchsickert...

Ein kleiner Kritikpunkt meinerseits: Ich denke, dass ein Psychiater nicht so reagieren würde, wie es deiner am Ende der Geschichte tut.. also dem Leben des Protagonisten lediglich dem Sinn geben zu wollen, dass er für andere Menschen lebt. Das kann ihn vermutlich auf Dauer nicht wirklich erfüllen..man will auch ein eigenes Glück, das unabhängig von anderen Menschen existiert. Zudem zeigt die Reaktion bzw. die Herangehensweise des Psychiaters auch seine eigene Verzweiflung über die Lage des Prot., denn so eine Aussage ("Dann denk doch wenigstens an die anderen..", "Dann lebe wenigstens für sie!") ist meist ein letzter verzweifelter Versuch, noch irgendeinen Sinn zu finden.. Ich denke, im realen Leben würde es dem Pschiater viel mehr daran gelegen sein, einen von anderen Menschen relativ unabhängigen Lebenssinn/ Kraftquelle für den Protagonisten zu finden. Aber zum einen sind das nur Vermutungen und zum anderen kommt es auf Fachlichkeiten hier wohl gar nicht so sehr an...:)

Na ja, aber im Grunde ist der Psychiater doch ein sehr kluger Mensch, der in seinem Metier heimisch ist..

Und nein.. es ist vielleicht gar nicht wichtig, ein Leben völlig leidlos zu führen.. in der Tat wäre das wohl auch eine Art Verrat an sich selbst, da das ein vermutlich nicht erreichbares Ideal ist. Aber ich glaube nicht, dass wirkliches, tiefes, wahres und völliges Glück zu einer Gewohnheit werden wird.. für mich stelt Glück in gewissem Sinne immer ein Art Erfüllung da und kann Erfüllung den fahlen Beigeschmack einer Gewöhnung haben?
Auch im Glück, in sich, im Leben sind noch so viele Nuancen erkennbar, die man alle durchwandern kann.. aber je nachdem, wie offen und wie frei man wirklich ist, kann das eben auch wirklich gelingen.. oder man scheitert und sehnt sich nach dem Leiden, vielleicht, weil einem das viele Eindrücke ins existentielle des Lebens gewährt.

Oh ja, ich glaube an die Sonne in dem Protagonisten, der zu manchen Teilen du bist. Aber ich glaube an noch viel mehr in ihm.

:) - Grüße,
Melanie
 



 
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