Geteiltes Leib ist halbes Leib.

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pleistoneun

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Er trug die beiden soeben gelieferten leeren Fässer in seine Wohnung in den dritten Stock. Die plumpen Behälter trugen sich noch leicht, beim Runtertragen hingegen würden sie wohl bereits mit Inhalt gefüllt ein Mehrfaches wiegen. Die Last des vollen Fasses liegt noch verstreut am Fußboden seiner Wohnung. Überall Reste seiner nächtelangen, harten Arbeit, die er übers Wochenende mit nachhause nahm. Aus Arbeitsengpässen war der bullige Henkermeister zum wiederholten Male gezwungen, seine Arbeit mit nachhause zu nehmen. Nicht zu bewältigen war der Arbeitsanfall in letzter Zeit, Schwerverbrecher, Leichtverbrecher und Omas, die ihre Enkel schlugen, Erwachsenenschänder, städtischer Unrat und Antimoralisten, Demonstranten, Wurstverkäuferinnen und Schwarzhändler, allesamt wurden sie zum Schafott geführt. Dem Ansturm auf die Hinrichtungsstätte konnte nur durch Überstunden und Wochenendarbeit beigekommen werden.

So trug es sich also zu, dass die schwere Axt auch in der Wohnung des Henkers geschwungen wurde. Petantisch wurde aller anfallender Müll getrennt. Kopfüber der Kopf ins eine Fass, der Rest war Restmüll und kam ins andre Fass daneben. Ein Beruf, der weitgehend ohne Psychologie auskommt. Es füllten sich die Tonnen bis oben hin nicht mit Rübensaft oder frischem Gemüse, nicht mit Beerensaft oder gar Grütze. Es roch nach Kopfgedärm und offenem Hals, nach gestocktem Blut und Schlachterwahn. Und wer genauer schnüffelte, vernahm sogar ein wenig Angst. Von ganz oben, aus dem Chefschafott, kam die Weisung, die Arbeit noch schneller, noch besser, und noch effizienter zu verrichten. In der Eile haute man nämlich oft daneben. Der Druck verstärkte sich, der schwitzende bullige Henkermeister, der die Hälse schneller hackte als sein Waldpendant das Holz, wollte sich in seinem Job bewähren und schnell Karriere machen, sich hocharbeiten, zum Meisterhenker, zur Henkerelite graduieren. Hälse, dick wie Baumstämme, verkropft, egal, mit Wucht entzweit die scharfe Klinge Kopf und Körper.

Am Ende stehen am Montag Morgen mit hochgekrempelten Ärmeln die schnaupenden Henker in einer Schlange vor dem Büro des Chefs. Links und rechts die dampfenden Fässer aufgestellt als Arbeitsnachweis mit der Hoffnung auf Beförderung. Doch abgestumpft für menschliche Anliegen wie Vorgesetzte dieser Berufssparte nun mal sind, werden die Henkersknechte mit den Worten abgespeist, sie mögen ihren Umsatz steigern.

Und dann kauern sie am Korridor mit ihren blutbefleckten Westen, halten sich in Armen und beweinen ihren Beruf. Man findet bei seinesgleichen Trost und teilt nicht nur des Menschen Körper, sondern manchmal auch dasselbe Schicksal. Geteiltes Leib ist eben halbes Leib.
 



 
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