Gewebe der Zeit

Gerard

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Gewebe der Zeit


Rätselhafte Gefühle, berauschende Momente, Herzflimmern und Verzweiflung. Hauchzarte Gespinste von Träumen hervorgerufen und dazu verdammt beim leichtesten Atemzug zu zerfallen. Gewebe, so fein gesponnen das ein Luftzug genügt um sie zu zerstören und doch sind sie es, die uns am Leben erhalten, uns immer wieder Mut machen. Netze gewoben aus filigranen Materialien, die einem Märchen entsprungen zu sein scheinen. Welch großartige Magie kann solch Meisterwerke der Phantasie zustande bringen, legt den Zauber des Überirdischen auf unser zerbrechliches Herz und unsere empfindsame Seele, läßt Träume vor unserem geistigen Auge aufsteigen an die wir uns klammern, gibt uns Hoffnung auf ein wenig von dem Erhofften und stürzt uns ins tiefste Tal des Jammers.
Gewebe der Zeit lassen keinen Rückschluß zu, auf unerfüllte Hirngespinste, verzweifeltes Warten, unausgesprochene Worte und nie wahr gewordene Vorstellungen. Der Faden wird uns zum Zeitpunkt unserer Geburt aus der Hand genommen und von einem anderen, höheren Wesen geführt. Welch edles Netz es spinnt ist unvorhersehbar, doch weh dem der an einen unfähigen Weber gerät, dem sei großes Leid prophezeit. Kein Entrinnen möglich, die Spule des Lebens liegt in einer fremden, unbeeinflußbaren Hand, die ihre Fäden fleißig durcheinander wirbelt und Muster entstehen läßt die uns vielleicht gar nicht in dem Kram passen wollen. Nur der Tod kann den Lauf der Windungen, Knoten und Nahtstellen beenden und erlöst uns von dem Netz, das so gar nicht auf unseren Leib zugeschnitten ist.
Das Wesen, daß die Spule meines Geschicks in der Hand hält, hat mich durch seine handwerkliche Fehlinterpretation meiner Träume und Hoffnungen dazu verdammt selbigen immerzu hinterherzulaufen und sie niemals einzuholen. Die Gewebe der Zeit rauben mir Tag um Tag, Woche um Woche, Monat um Monat und Jahr um Jahr meines unerfüllten Lebens. Das Netz, das um mich herum gewoben wird beginnt mich bereits einzuengen, drückt mir die Luft ab, beraubt mich jeglichen Glaubens, nimmt mir meine liebsten Träume und gibt mich der Verdammnis preis.
Oh Schicksal, laß den Faden zerreißen, schlag diesem Stümper die Spule aus der unfähigen, verkrüppelten, gichtgeplagten Hand, oder gib meinen weiteren Lebensweg in fähigere, geschicktere Finger, die mir ein wenig Zufriedenheit zugestehen und das Netz ein kleines bißchen nach meinem Geschmack ausschmücken.
Manch Werk ist derart zart, daß es im frühesten Schaffensstadium zerstört und ein Neubeginn ermöglicht wird. Doch die Falle in der ich sitze wurde mit unverwüstlichen Hanfseilen gefertigt, hält ein langes, unerfülltes Leben allen Widrigkeiten stand und ist so eng, daß es kein Entrinnen gibt. Ich kann nur stillhalten und den verhaßten Lauf der Spule verfolgen, abwarten wann der nächste Knoten geknüpft wird und ich wieder einen blauen Fleck von den Druckstellen bekomme, die er in meinem Fleisch hinterläßt, wie all die Knoten vor ihm.
Gebt mir eine Schere und ich zerschneide dieses Gespinst aus Bosheit, verlorenen Träumen, Verlusten und Resignation. Befreie mich von den klebrigen Fäden des Geschicks, nehme die Spule in die eigenen Hände, werfe sie hoch in die Luft, fange sie wieder auf und ziehe meine Fäden ganz nach dem eigenen Geschmack. Lasse Formen und Farben entstehen die mich glücklich machen, die mir ein Lachen entlocken, mein Herz erwärmen, meinen Geist schärfen, werde mein eigener Künstler.
Gewebe der Zeit, du hast mich in deinem teuflischen Netz gefangen. Noch zapple ich und wehre mich gegen deine Unfähigkeit, doch irgendwann in nicht allzu ferner Zeit rege ich mich nicht mehr und der letzte Widerstand erstirbt. Dann hast du die Schlinge endgültig zu eng gezogen, jede Hoffnung erstickt in deinem Gespinst aus peinlichen Fehlern und Fettnäpfchen für jede Gelegenheit. Dann bin ich zur Marionette geworden, hänge hilf- und willenlos an deinen Fäden und lasse mich von einem fremden Willen in Bewegung versetzen. Ist es das was du mit deinem Netz aus Verdruß und Langeweile bezweckst?
 



 
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