Gewichtskontrolle

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Gewichtskontrolle

Nicht, dass er es übertreiben würde, bei weitem nicht. Er überprüfte sein Gewicht nur ein Mal monatlich, dann allerdings gründlich.

Nach mehreren Versuchen hatte er sich schon vor geraumer Zeit auf den ersten Dienstagabend im Monat für seine Gewichtskontrolle festgelegt. Es hätte vielleicht auch ein anderer Tag sein können, aber der Montag war nun einmal der „frisörfreie“ Tag. Unabdingbar für seine Gewichtskontrolle war aber, dass ein Nachwuchs der Haare nach dem monatlichen Frisörgang am Dienstagnachmittag und die damit verbundene Einwirkung auf das Gesamtgewicht unbedingt vermieden werden musste.

Wenn er an diesem ersten Dienstagabend im Monat mit seinen Vorbereitungen für die Gewichtskontrolle beginnt, setzt er einen in langen Übungsreihen ausgetüftelten Ablauf in Gang, den er, nur sehr unwillig, bei sehr gravierenden Einwirkungen auf das zu erwartende Endergebnis variiert.

Die vom Frisör, in aller Öffentlichkeit, gewichtsmäßig reduzierten Kopfhaare, hatten ihn, im Anfangsstadium der Gewichtskontrolle, auch an anderer, der Öffentlichkeit nicht so leicht zugängigen Stelle zu Kahlschlägen animiert und, sozusagen um „Sackhaaresbreite“, fiel die Entscheidung, dass die Gewichtseinsparung, die sich durch die Glattrasur der Haarpracht im Bereich unter der Gürtellinie ergab, durch das Gewicht der anschließend notwendigen Aufbringung einer lindernden Creme an den Rasurstellen negiert werden konnte.

Um in diesem unteren Bereich des Körpers noch einen Augenblick zu verweilen, kommen wir zu einem weiteren Testergebnis zum Beginn der entscheidenden Phase der Gewichtskontrolle. Dieses Testergebnis führte allerdings auch nur zu einer Nichtweiterverfolgung, obschon die Begleitumstände durchaus in den Bereich eines satisfaktionsfähigen Erlebnisses hätten eingestuft werden können. Aber, obschon ihm bei diesem Versuch zuckende und, leicht vorstellbar, nach Wiederholung lechzender Tätigkeit verlangendem Tun überkam, wurde der sich ergebende messbare Gewichtsverlust, der sich durch die Abgabe des Ejakulats ergab, durch die sich durch die heftigen Handreichungen ergebende Anschwellung des Ejakulat abgebenden Körperteils eliminiert. An dieser Stelle machte er also mit den Haarspaltereien ein Ende und wandte sich der Überprüfung anderer Körperteile zu, die für ein positives Ergebnis möglicherweise erfolgversprechender in Betracht kamen.

Gravierende Gewichtsschwankungen ergeben sich, naturgemäß, durch die bei der Kontrolle des Gewichts vorhandene Füllung des Verdauungstrakts. Auch diesem Problem wurden im Vorfeld äußerst gewissenhafte Versuche gewidmet. Von Anfang war klar, dass der endgültigen Gewichtskontrolle eine fast bis auf Null reduzierte Nahrungsaufnahme vorausgehen musste. Zu den besten Testergebnissen führte letztendlich die Einführung eines, die Abführung unterstützenden Zäpfchens, im Anschluss an den diensttäglichen Frisörtermin. Es versteht sich von selbst, dass der Austrittsbereich im Anschluss an die Abführung sehr gründlich gereinigt und quasi „furztrocken“ des bevorstehenden Procedere harrte.

Erst in einigem zeitlichen Abstand von dem Beginn seiner Kontrolle hatte sich sein Interesse auch dem in seinem Körper befindlichen Tränensekret zugewandt. Die Versuchsergebnisse in diesem Punkt ergaben jedoch eine nicht zu ignorierende Größenordnung. Also war er inzwischen dazu übergegangen, sich, als allerletzten Schritt vor dem Besteigen des Gewichtskontrollgeräts, sprich Körperwaage, eine DVD anzuschauen, bei der er auch noch die allerletzte Träne vergießen konnte. Nachdem die anfänglichen Ergebnisse gezeigt hatten, dass praktisch kein messbarer Unterschied zwischen Lachtränen oder Trauertränen festzustellen war, variierte er hier jetzt zwischen Lachsalven auslösenden Komödien oder tief ins Herz gehenden Melodramen. Die Auswahl der DVD trieben ihm jedes Mal bereits im Vorfeld Tränen in die Augen.

Eine sehr gründliche und tiefgehende Maniküre und Pediküre schloss sich an. Ebenso wurden die Nasenschleimhäute unter Zuhilfenahme eines Nasenspül-Sets gereinigt und die Ohren durch vorsichtiges Einführen und kreisender Bewegungen eines Wattestäbchens von verbleibender Nässe oder vielleicht, im schlimmsten Fall, sogar Ohrenschmalzrückständen befreit.

Ein weites Feld war und ist natürlich die Auswahl des Gewichtskontrollgerätes. Hier hatte er sich nach vielen Recherchen und Zuhilfenahme von kompetenten Beratern zu einem zwar sündhaft teueren, aber zweifelsfrei absoluten Spitzenmodell entschieden. Obschon dieses Gerät während der Nichtbenutzung unter einer Staub abhaltenden Spezialfolie aufbewahrt wurde, reinigte er den Gewichtsbereich mit einem staubfreien, leicht angefeuchteten Tuch, mit anschließender Trocknung vermittels eines Haarföns.

Dann war es endlich so weit, splitterfasernackt, und, wie er meinte, befreit von allem unnötigen Ballast, betrat er den das Gewicht prüfenden Bereich des Gewichtskontrollgeräts, mit einer Variation von Mal zu Mal – mal zuerst mit dem linken und mal zuerst mit dem rechten Fuß, was jedoch nie einen Unterschied ergab. Leicht fluoreszierend zeige ihm dann das Gewichtskontrollgerät das digitale Ergebnis des aktuellen Monats an. Dieses Ergebnis schrieb er mit seiner sehr schönen Handschrift in seine aktuelle Gewichtskontrollkladde ein, inzwischen eine von mehreren, in schlichtem, schwarzen Rindsleder gehalten, stellte Vergleichsrechnungen mit prozentualen Veränderungen an und erstellte farbige Diagramme, die er fein säuberlich in die Kladde einklebte.

Der Abschluss der Gewichtskontrolle war auch schon rituell: er warf sich einen weißen Satin-Morgenmantel über, goss sich aus seinem bereits vor Stunden gefüllten Dekanter einen trockenen Rotwein ein, nahm einen Schluck, griff zum Telefon und bestellte bei seinem Lieblingsitaliener seinen Stammtisch im hinteren, rechten Raum des Restaurants. Bei weiteren Schlucken aus dem Rotweinglas ging er schon einmal in Gedanken die Speisekarte durch, ohne sich jedoch bereits jetzt auf ein Menü festzulegen. Die Zusammenstellung der endgültigen Bestellung behielt er, wie immer, Luigi, seinem Lieblingskellner, vor der ihn bisher noch immer zur vollsten Zufriedenheit beraten und bedient hatte.
 

DocSchneider

Foren-Redakteur
Teammitglied
;-) Wer schön sein will, muss leiden. Der Diätwahn satirisch überspitzt - ist es Zufall, dass dieser Text ausgerechnet an Neujahr erscheint? Vorsätze?
Den geschraubten Stil hältst Du in Deinem Text erstaunlicherweise gut durch.

LG Doc
 
Hallo Doc, schönen Dank für Deine Zeilen. Nein, ich fürchte der Zeitpunkt der Veröffentlichung war kein Zufall. Vorsätze? Jede Menge: zwei davon stehen ganz oben. Erstens, ich werde mir einen zweiten weißen Satin-Morgenmantel kaufen (den, den ich jetzt habe, kleckere ich zu oft mit Rotwein voll). Zweitens: ich werde öfter nach Luigi gehen, ohne aber den vierwöchigen Intervall der Gewichtskontrolle zu verändern. Buon Appetito! Elmar
 



 
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