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„Ich kann nicht bei dir übernachten, sorry. Meine Eltern erlauben es nicht.“

„Deine Eltern sind immer total streng zu dir! Mach mal was dagegen, du bist doch kein Kind mehr!“

„Das versuch ich ihnen schon seit Jahren klar zu machen. Viel Spaß noch. Wir sehen uns morgen.“

„Okay. Bis dann.“

Als er am anderen Ende das Freizeichen hörte, legte er ebenfalls auf. Es machte ihm inzwischen nichts mehr aus lügen zu müssen, er war daran gewöhnt. Es machte alles einfacher.

„Wer war das?“ Seine Mutter stand an der Tür. Er runzelte die Stirn. In letzter Zeit hatte er immer öfter das Gefühl, dass sie ihn beobachtete, belauschte. Als würde sie nach einem Anzeichen dafür suchen, dass er immer noch ihr Sohn war.

„Kate.“

„Dieses blonde Mädchen? Sie ist doch sehr nett. Warum willst du nicht zu ihr gehen? Ich verbiete es dir ganz bestimmt nicht.“ Nein. Sie wäre froh, ihn wenigstens für eine Nacht aus dem Haus zu haben.

„Es geht hierbei nicht um dich“, machte er ihr klar. „Schon längst nicht mehr. Mama.“ Das letzte Wort sprach er verächtlich aus, so dass es zum Hohn wurde. Er sah sie blass werden. Sie war schon immer eine gewesen, die die Augen vor der Wahrheit verschloss.

„Ich... ich gehe dann mal schlafen“, murmelte sie. „Gute Nacht, Christian.“

„Gute Nacht.“ Er sah sie gehen und schüttelte den Kopf. Da musste etwas unternommen werden.

Er holte sich was zu trinken und schaute auf die Uhr. Noch zwei Stunden, dann würde Jake nach Hause kommen. Noch so viel Zeit...



Nacht. Ruhig und dunkel, ein Schleier aus Teilnahmslosigkeit, der sich über die Stadt legte und alle Schatten verbarg. Aber sie lebten.

Sie lebten...

Christian atmete schwer. Seine Lungen schienen nicht genug Luft aufnehmen zu können. Sein Herz schlug schnell, schwer in seiner Brust. Er legte den Arm quer über die Augen und wartete, dass sich seine Atmung beruhigte.

Jake küsste seine Schulter, heiße Lippen auf heißer Haut.

„Ich liebe dich, Chris“, wisperte er. Christian ließ zu, dass er ihn in seine Arme zog und an sich drückte, wie ein kleines Kind, das er längst nicht mehr war.

...„Ich kann nicht bei dir übernachten... sorry... Meine Eltern...“

„Wir müssen reden, Papa.“

„...Jetzt?“

„Ja.“ Chris ließ sich nicht von Jakes Tonfall erweichen. „Jetzt. Es geht um Mutter.“

„Hat sie schon wieder irgendeine Bemerkung gemacht? Ich dachte, ich hätte ihr klar gemacht...“

„Nein. Es geht gar nicht mehr um irgendwelche Bemerkungen, Papa.“ Er hatte sich die Worte sorgsam zurechtgelegt, während er auf Jake gewartet hatte. „Ich fürchte, es ist jetzt viel ernster.“

Jakes Hand hielt inne. „Was meinst du damit?“, fragte er besorgt.

„Ich habe heute gehört, wie sie am Telefon mit ihrer Schwester gesprochen hat. Sie hat die Polizei erwähnt.“

„Was?“ Jetzt hatte er Jakes volle Aufmerksamkeit.

„Keine Angst, sie hat noch nichts erzählt. Aber...“, Christian verstummte kurz, als würde er zögern, „...ich glaube nicht, dass das lange so bleiben wird.“

„Denkst du wirklich, dass sie... so was tun würde? Schließlich hat sie all die Jahre geschwiegen...“

All die Jahre geschwiegen...

Christians Hand ballte sich kurz zur Faust, dann zwang er sich zur Ruhe.

„Du kennst sie doch. Sie ist zwar feige, aber in letzter Zeit vergisst sie ihren Platz. Sie steigert sich da rein. In so einem Zustand ist sie zu allem fähig, dieses giftige Miststück.“

„Chris, sprich nicht so von deiner Mutter“, rügte Jake abwesend, während er nachdachte. Christian konnte seinem Gedankengang mühelos folgen. Wenn Mutter zur Polizei gehen würde, würde der Skandal Schlagzeilen machen. Auch wenn er nicht ins Gefängnis käme, seine berufliche Laufbahn wäre für immer zerstört. Sein geordnetes Leben konnte er dann vergessen. Und Chris, sein kleines Spielzeug, ebenfalls.

„Bist du dir sicher?“, erkundigte er sich noch mal. Christian lächelte, aber in der Dunkelheit konnte Jake es nicht sehen.

„Ja.“ Er umklammerte Jakes Hand als wäre sie der letzte Strohhalm und legte einen verzweifelten Tonfall in seine Stimme. „Du musst etwas tun! Ich will nicht, dass sie uns trennt!“

„Nein, ich auch... nicht...“ Christian hörte die Unsicherheit aus seiner Stimme heraus. Jake war ein konservativer Mensch, der Gedanke an Veränderung behagte ihm nicht, schon gar nicht die Vorstellung selbst aktiv zu werden. Aber so ging das nicht. Mutter war ein Risiko. Chris wollte nicht länger damit leben, mit der ständigen Anspannung sie bewachen zu müssen. Er hatte andere Dinge, die seine Aufmerksamkeit forderten. Außerdem konnte er sich nicht ganz auf Jake konzentrieren, solange sie da war und hinterhältig alles versuchte, um ihren Ehemann wiederzukriegen.

Chris drehte sich um und fasste im Dunkeln nach Jakes Gesicht, um es zu sich heranzuziehen und zu küssen. Nur allzu bereitwillig ließ sich Jake von den Sorgen ablenken. Als Christian den harten Griff um seine Hüften fühlte, wusste er, dass er gewonnen hatte. Jake würde tun, was er ihm sagte. Wie immer.

Es war ganz einfach.



Wie immer flüchtete Christian am Morgen vor seinem Spiegelbild und verbrachte so wenig Zeit wie möglich im Badezimmer. Jake war schon weg, zur Arbeit. Chris achtete immer darauf, erst nach seinem Weggang aufzustehen. Er wollte keine gezwungenen Gespräche. Jake und er waren nicht gut im Reden.

Mutter war noch da, die arbeitslose faule Haut, die sie war. Sie saß in der Küche, trank ihren Kaffee und blätterte desinteressiert in der Tageszeitung. Es war alles nur Zeitvertreib, ein morgendliches Ritual, das sie seit Jahren durchführte, um ihre zerbrechlichen Vorstellungen von einer intakten Familiengemeinschaft aufrecht zu erhalten. Als Chris hineinkam, warf sie ihm einen schnellen Blick zu und tat dann so als hätte sie ihn nicht gesehen. Wie jeden Morgen. Aber diesmal wollte er es ihr nicht durchgehen lassen. Diesmal wollte er das Problem endlich aus der Welt schaffen.

„Leg die Zeitung beiseite“, befahl er. „Du interessierst dich eh nur für die neuesten Gerüchte.“ Sie sah ihn empört an.

„Christian, wie sprichst du denn mit mir? Ich bin deine Mutter...!“

„Noch.“ Er wollte sich zuerst setzen, überlegte es sich dann aber anders. Es würde besser wirken, wenn er auf sie herabsah. Also blieb er an der Tür stehen und verschränkte demonstrativ die Arme.

Sie war nervös. „Was... was soll das, Chris?“ Sie versuchte zu lächeln. „Komm, du musst dich beeilen, sonst kommst du zu spät zur Schule...“

„Ich muss hier noch etwas erledigen“, erwiderte er. Jetzt hatte sie Angst. Er merkte es an dem gehetzten Blick, an dem gezwungenen Lächeln. Sie hatte Angst vor ihm. Vor ihrem eigenen Sohn.

„Wo...worum geht es denn?“, fragte sie schwach.

Er hielt es für das beste gleich zur Sache zu kommen. „Papa wird heute die Scheidung einreichen.“ Ihre Augen weiteten sich. Sie sah aus wie eine Puppe, fand er, wie eine schwachsinnige Puppe.

„Wa... aber... wie...“

„Wenn du nichts vernünftiges zu sagen hast, sei lieber still.“

Sie holte tief Luft. „Das glaube ich nicht!“ Ihre Augenbrauen trafen aufeinander. „Jake... Jake würde so etwas nie tun! Das hast du dir ausgedacht!“

„Nennst du mich einen Lügner?“

Sie rang einen Augenblick lang mit sich selbst. „Ja!“, brachte sie schließlich hervor. „Ich halte dich für einen ganz miesen Lügner, Christian! Ich... ich werde Jake gleich anrufen und ihm sagen...“

„Er ist jetzt nicht bei der Arbeit.“ Chris musste ein Lächeln unterdrücken. „Er ist gleich zu seinem Anwalt gefahren.“

„Du... lügst!“

„Warte es ab. Du wirst es ja heute abend selbst sehen, schwarz auf weiß.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich wollte dich nur vorwarnen.“

„Was...“ Sie stand abrupt auf, der Stuhl kippte fast um. „Du...! Was hast du getan? Du warst es, gib es zu! Was hast du Jake gesagt?“

Er blieb ungerührt. „Nur die Wahrheit. Dass du uns auseinander bringen willst.“

„Auseinander... ? Du wagst es, solche Worte in den Mund zu nehmen? Der einzige, der hier jemanden auseinander bringen will, bist du!“

„Ich habe aber nicht gedroht die Polizei einzuschalten.“ Einen Augenblick lang war sie wie erstarrt.

„Du... hast gelauscht...?“

„Dachtest du, ich lasse einfach so zu, dass du deine Intrigen weiterspinnst? Ich habe schon die ganze Zeit darauf gewartet, dass du so etwas dummes tust. Drohungen... ts, ts, Mama, du solltest es besser wissen. Aber du hast angefangen die Nerven zu verlieren, oder?

Ungeduld zahlt sich nicht aus. Mama.“

„Hör... hör auf mich so zu nennen!“, schrie sie.

„Na, na, wir wollen doch nicht laut werden“, bemerkte er. „Was sollen denn die Nachbarn denken?“

„Wenn Jake sich scheiden lässt, werde ich wirklich zur Polizei gehen!“ Sie griff nach ihrer Geheimwaffe. „Ich sorge dafür, dass ihr beide hinter Gitter wandert...!“

„Beide? Wie stellst du dir das vor? Ich bin das Opfer, schon vergessen?“ Jetzt lächelte er doch noch. „Wenn du dich an die Polizei wendest, werdet du und Jake im Gefängnis landen. Ich, ich werde zu Pflegeeltern gegeben. Kein schlechtes Schicksal, findest du nicht? Nette Pflegeeltern, die wissen, was es bedeutet Eltern zu sein... die nicht so feige sind und sich vor der Verantwortung drücken... denen ein Kind auch wirklich etwas bedeutet...“

„Ein Kind? Du? Du bist kein Kind, du... du bist ein Monster!“

„Aber ich war ein Kind!“ Jetzt war er es, der seine Stimme mäßigen musste. „Ich war ein Kind als das alles angefangen hat! Aber du... du hast nichts unternommen. Weggeschaut hast du und es brav ignoriert. Wir waren die perfekte Familie, oder? So ein glücklich verheiratetes Paar und ein süßer Sohn... Aber in Wirklichkeit hast du mich benutzt. Genauso wie Jake mich benutzt hat! Du hast ihm mich gegeben, als... als Pfand, um ihn zufrieden zu stellen, damit du tun konntest, was du wolltest! Perfekt... alles lief so wie du es wolltest!“ Er lachte auf. „Bis ich beschlossen habe den Spieß umzudrehen. Man kann das Spiel auch andersrum spielen, Mama...“

„Du hast mir meinen Ehemann gestohlen!“

„Falsch. Du hast ihn mir praktisch geschenkt“, korrigierte er kalt. „Es ist ganz einfach Jake zu kontrollieren... wenn man nur den richtigen Hebel in der Hand hält...“

„Du hast ihn gegen mich ausgespielt!“

„Wirklich? Oh, das tut mir aber leid. Aber... korrigier mich, wenn ich falsch liege... war es nicht von Anfang an ein Spiel? Der Einsatz... nun, das ist die Macht, stimmt’s?“ Er hatte die Hände zu Fäusten geballt ohne es zu merken. Der Schmerz drang nicht bis zu seinem Bewusstsein vor. Er lachte wieder. „Du hast dein bestes versucht, um Jake wieder auf deine Seite zu bekommen. Aber er will nichts von dir, schon seit langem. Seit er mich hat... ich bin schließlich sein Fleisch und Blut. Wie willst du dagegen ankommen?“

„Du bist krank“, zischte sie. „Einfach... krank! Ich werde mit Jake reden... er wird es einsehen... er wird dich verlassen, du Missgeburt, und zu mir zurückkehren... und dann werden wir dich in die Irrenanstalt bringen, damit du dort für immer verrottest...!“

„Soll ich jetzt Angst haben?“, fragte er kühl. „Wir wissen doch beide, dass das Schwachsinn ist. Dein Strohhalm ist gerissen... du hast verloren. Du wirst dieses Haus verlassen... du wirst aus meinem, aus unserem Leben verschwinden. Ich will dich nie wiedersehen!“

Sie wollte noch etwas sagen, aber ein Blick auf sein Gesicht ließ sie alle Worte vergessen. Hastig flüchtete sie aus der Küche. Nach einigen Augenblicken hörte er das Zuschlagen der Tür.

Mehrere Minuten lang blieb er regungslos stehen. Sein Atem ging schwer. Ihm war schwindlig. Das Gefühl der Erleichterung blieb aus.

Ich habe sie vertrieben. Ich habe die Schlange aus ihrem Nest verbannt... ihr perfektes Leben zerstört...

Warum verspürte er keinen Triumph?

Er stellte sich vor wie Jake zurückkam. In die leere Wohnung, jetzt nur noch Chris und er und weiße Wände. Alles lag frei, keine Ecke bot Unterschlupf, Schutz, es gab nichts mehr, was man verstecken musste... vor niemandem.

Ihm wurde schlecht. Er stolperte ins Badezimmer und übergab sich, für einen kurzen Augenblick wurde ihm schwarz vor Augen.

Ich habe... sie... vertrieben... aus meinem... Leben...

Er sah auf. Sein Blick fiel auf das eigene Gesicht im Spiegel, die verhasste Gestalt.

Unserem Leben.

Mit einem Aufschrei rammte er die Faust in den Spiegel.
 
D

Denschie

Gast
Hallo Klippenkletterer,
ich bin etwas unschlüssig nach dem Lesen deiner
Geschichte.
Auf der einen Seite spielst du sehr schön mit dieser
Inzestsache zwischen Vater und Sohn. Das Opfer, das
zum Täter wird, die wirren Gefühle der Mutter dem
gegenüber - das alles zog mich schon in seinen Bann.
Allerdings komme ich nicht ganz von dem Gedanken los,
so eine Story auch beim Friseur in einer Klatsch-
zeitung hätte lesen zu können.
Der Stil deiner Dialoge ist sehr plakativ, vielleicht
in einer Daily-Soap passend.
Rund ist die Geschichte. Und flüssig zu lesen ebenfalls.
Es sind die o.a. geführten Assoziationen, die mich
stören.
Liebe Grüße,
Denschie
 

Justina

Mitglied
Hallo Klippenkletterer,

die Darstellung von Gefühlen und Affekten gelingt Dir gut. So kann ich mir beispielsweise genau Christians verächtlichen Blick vorstellen, wenn er mit seiner Mutter redet.

Doch in der zweiten Hälfte wird die Geschichte unglaubwürdig und die Dialoge lassen an Nachmittags-Talkshows der Privatsender denken. Es ist zwar leider so, daß manche Mütter, die endecken, daß ihr Ehemann ein Kind mißbraucht, diese Tatsache verdrängen und damit den Täter indirekt unterstützen. Auch ist bekannt, daß mißbrauchte Kinder sich in sexualisiertes Verhalten flüchten können. Doch ein Kind, das irgendwann gemeinsame Sache mit dem Täter macht, um die Mutter zu strafen, und weil es seine sexuelle Macht über den Täter genießt, nein, das ist unvorstellbar.

Ich empfehle Dir, Dich einmal auf Homepages von Betroffenen kundig zu machen, dann wirst Du vielleicht erkennen, daß Deine Phantasie mit dem realen Leiden und Handeln der Opfer wenig zu tun hat.


Viele Grüße
Justina
 



 
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