Glückliche Fügung

3,00 Stern(e) 1 Stimme

Inge Anna

Mitglied
Glückliche Fügung

Wir frühstückten schweigend. Rainers miese Laune ließ keinen Zweifel daran, dass diese Morgenstund' ganz gewiss kein Gold zwischen den Kiefern barg; nein, hier handelte es sich eher um einen dicken Bleiklumpen, den er vermutlich bald ausspucken würde. Vernehmlich schlürfte er seinen Kaffee, kaute lustlos an einem Stück Toast und bemängelte die Tatsache der fehlenden Zeitung mit ein paar herzzerreißenden Seufzern. Auslöser allen Frustes war eine heftige Auseinandersetzung am Vorabend. Es ging dabei einfach darum, ein aus einer Weinlaune heraus gegebenes Versprechen wieder rückgängig zu machen. Rainer hatte seiner Mutter großmütig in Aussicht gestellt, gemeinsam mit uns den Sommerurlaub auf Mallorca zu verbringen. Ich fiel aus allen Wolken, als die Schwiegermutter mir wenig später glückstrahlend ihre Begeisterung darüber bekundete. Die Vorstellung, ihre ständige Gegenwart 2 Wochen lang ertragen zu müssen, brachte mich derart auf, dass ich Rainer nahezu täglich damit in den Ohren lag, die Spanienreise aus dem Programm zu streichen. "Sei doch nicht so engstirnig, Margit; es wäre doch mal 'ne Abwechslung für sie. Sie lebt ja sehr einsam seit der Scheidung und wir würden diese Sache ganz bestimmt nicht zur Dauereinrichtung werden lassen", versuchte er einzulenken.

Der Haussegen hing seitdem schief, und ausgerechnet heute nachmittag sollte die endgültige Entscheidung in der heiklen Angelegenheit fallen. Die reiselustige Schwiegermama hatte telefonisch ihren Besuch angekündigt. Es müsste doch irgendwie hinzubiegen sein, ihr auf höfliche Weise klarzumachen, dass uns sehr daran gelegen wäre, ohne sie den Urlaub zu verbringen, ging mir durch den Kopf.

Rainers Schlechtwetterstimmung erfuhr nun noch eine weitere Steigerung, als der Morgengesang unserer Nachbarin lautstark durch die Wände drang. Frau Alwine Lerch, die vor kurzem hier eingezogen war, ließ ihren Sangeskünsten freien Lauf. Sie rühmte sich als unentbehrliche Stütze des Kirchenchores St. Barbara und wir hatten das schmerzhafte Vergnügen ihrer wohl etwas zu häufigen Gesangsdarbietungen. Frau Lerch pries voller Inbrunst das gütige Walten ihres Schöpfers, vielleicht gar in Verbindung mit dem heimlichen Wunsch, die Gnade des Herrn möge auch das junge Ehepaar erreichen, das von dem Verlauf dieses betrüblichen Samstags wenig Positives erwartete. Rainer zog ungehalten die Luft durch die Zähne und signalisierte so das Finito der Frühstückstafel. Ich räumte in unterdrückter Wut das Geschirr in die Spülmaschine. Frau Nachbarin führte inzwischen den Staubsauger durch die Wohnung, selbstverständlich mit der offenbar unvermeidlichen Gesangsuntermalung. Rainer fungierte indessen im Bad als Hobbyklempner, um einem seit etlichen Monaten tröpfelnden Wasserhahn auf der Stelle zu beweisen, was einen geschickten Handwerker ausmacht.

Zu Mittag gab's den üblichen Samstagseintopf, dem Rainer vor kurzem die Oberbezeichnung "Scheiterhaufen" zugedacht hatte. Dies hielt ihn allerdings keineswegs davon ab, sich mehrmals den Teller zu füllen. Die frostige Stimmung verflüchtigte sich dann merklich, als ich nach dem Essen doch klein beigab und meinem verstimmten Eheherrn ein Friedensangebot unterbreitete: "Also, Schatz, ich bin mit der Gesellschaft deiner Frau Mama einverstanden; 14 Tage sind schließlich keine Ewigkeit und jetzt mach' ein freundliches Gesicht; sie wird sicher in Kürze hier aufkreuzen; sie muss ja nicht unbedingt von unserem Zoff Wind kriegen." Exakt in diesem feierlichen Moment schrillte die Haustürklingel und Rainer hatte es über alle Maßen eilig, die Pforte zu öffnen. Natürlich roch sie Lunte, zog es jedoch vor, Töne schönster Harmonie anzuschlagen und aufs Liebenswürdigste mit uns zu plauschen. Die Kaffeemaschine blubberte bereits und die Wonnen des Schwarzwaldes boten sich in sahniger Herrlichkeit einladend dar. Die Schwiegermama langte tüchtig zu, ließ uns aber gleichzeitig wissen, dass sie eigentlich strengste Diät halten müsse, ihrer Leber wegen; aber heute mache sie mal eine Ausnahme. "Wer wohnt denn jetzt in dem Appartement neben euch?" wollte sie wissen. Die Erwähnung des Namens ließ sie aufhorchen. "Alwine Lerch? - Eine alte Schulfreundin von mir hieß so; habe ewig nichts mehr von ihr gehört. Ach, sie hatte eine wundervolle Singstimme, um die viele sie beneideten." Es entstand eine lange Pause und genau in diese Pause hinein tönte ein mehrmaliges Ding-Dong an der Wohnungstür. Ich ging, um zu öffnen und war nicht sonderlich überrascht darüber, dass unsere Nachbarin wieder mal eines ihrer zahlreichen kleinen Anliegen anzubringen gedachte. "Ich möchte nicht stören; aber hätten Sie vielleicht ein paar Eier vorrätig? Wissen Sie, wenn ich mir fürs Einkaufen nicht alles aufschreibe, vergesse ich die Hälfte." Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie hereinbitten zu müssen und prompt tat ich es auch. Und dann sah meine Schwiegermutter ihre ehemalige Mitschülerin nach Jahren wieder. Die beiden Damen gerieten völlig aus dem Häuschen. Zum Glück reichte der Kuchen; denn Frau Lerchs Appetit übertraf den meiner Schwiegermutter um das Dreifache. Es wurde ein vergnüglicher Nachmittag. Rainer entkorkte zur Feier des Tages 'ne Flasche Schampus. Der edle Tropfen tat schließlich seine krönende Wirkung. Ich traute meinen Ohren kaum, als die beiden Schulfreundinnen noch an diesem Abend beschlossen, ihre wiedergewonnene Zweisamkeit so richtig zu genießen. Ich hätte meine Schwiegermutter beinahe umarmt, als sie Alwine vorschlug, gemeinsam mit ihr die Schönheit der Schweizer Berge zu erkunden. "Die Rettung!" dachte ich - dank einer glücklichen Fügung.
 

Rainer

Mitglied
kurzplauderei - muss aus naheliegenden gründen meinen senf dazugeben

hallo inge anna,

in deiner amüsanten und vergnüglich geschriebenen geschichte hat der rainer aber nochmal mächtig glück gehabt - tststs dinge gibts.

viele grüße

rainer (schwarzwälderkirschphobiker)
 

Inge Anna

Mitglied
peinlich!!!

Hallo Rainer,
oha! muss mal 'ne Liste mit männlichen Seltenheitsvornamen anfertigen. Ich habe da 'nen Bauernkalender mit einigen Raritätchen, was Vornamen betrifft.
Vielen Dank für Deine Antwortzeilen und herzlichen Gruß von
Inge Anna
 
K

Klopfstock

Gast
Liebe Inge Anna :)
habe mich gerade sehr amüsiert - diese Kurzgeschichte gefällt mir ausgezeichnet. Ich mag ganz besonders diese kleinen Köstlichkeiten darin, wie z.B., daß die Sängerin
Lerch heißt, oder die Stelle "Die Wonnen des Schwarzwaldes
boten sich in sahniger Herrlichkeit einladend dar", oder
am Anfang, das mit dem "Bleiklumpen"....
Das sind so Sachen, die mir auch in Deinen Gedichten
immer gefallen.....aber das weißt Du ja ;)

Ja, nun kann ich nur noch sagen, daß
ich auf weitere Geschichten gespannt bin - das Talent
dazu hast Du ja, liebe Inge Anna, neben Deinem Talent
zum Gedichteschreiben....

Wünsche Dir noch weitere so gute Inspirationen
und sende ganz liebe Grüße
Klopfstock :)
 

Inge Anna

Mitglied
Liebe Irene,
das Schreiben einer Kurzgeschichte ist ein hartes Stück Arbeit; Dein Lob jedoch ist mir Ansporn zu Neuem Schaffen. Ich danke Dir herzlich, mühe mich redlich um die Gunst der Muse und schicke liebe Grüße aus dem leider immer noch schneefreien Saarland
Inge Anna
 



 
Oben Unten