Glückslos

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Raniero

Textablader
Glückslos

Christoph Lasnilos griff zum Telefonhörer.
„Guten Tag, mein Name ist Lasnilos von der Lotterie Glückslos und Partner, „spreche ich mit Herrn Lautbacke?“
„Ja, hier Lautbacke“, antwortete eine schläfrige Stimme.
„Lieber Herr Lautbacke, bei Durchsicht unserer Unterlagen habe ich festgestellt, dass Sie über Jahre hinweg unser Kunde waren. Ein sehr gute Kunde, möchte ich ausdrücklich betonen, hm. Bedauerlicherweise haben Sie jedoch Ihr Glücksabonnement bei uns vor einiger Zeit gekündigt. Darf ich fragen, was Sie zu diesem Schritt bewogen hat, Herr Lautbacke?“
„Gar nichts hat mich bewogen“, klang es müde am anderen Ende der Leitung, „ich habe einfach nur gekündigt.“
„Ja, entschuldigen Sie bitte, werter Herr Lautbacke, aber einen Grund muss es doch dafür geben. Waren Sie nicht zufrieden mit unserer Leistung? Haben wir vielleicht etwas falsch gemacht? Wenn ja, dann lassen Sie uns doch bitte darüber sprechen.“
„Es ist alles in Ordnung“, klang es einsilbig zurück.
„Aber irgendwas muss doch vorgefallen sein?“ Christoph Lasnilos wurde langsam unruhig. „Oder versuchen Sie vielleicht Ihr Glück anderweitig? Bei einem anderen Anbieter?“ fragte er alarmiert.
„Nein“
„Ja, wollen Sie denn gar nicht gewinnen?“
„Nein.“

Es trat eine kleine Pause ein.
Darauf war der Glücksverkäufer nicht gefasst.
„Ja, dann bleibt mit nichts anderes übrig, als Ihnen einen guten Tag zu wünschen. Auf wiederhören, Herr Lautbacke.“
„Auf wiederhören.“


Christoph Lasnilos war sprachlos, und das wollte bei ihm etwas heißen.
Er war der Starverkäufer seines Unternehmens und hatte im Laufe seiner langen Tätigkeit schon so manch harte Nuss geknackt.
In den Jahresstatistiken stand er, seit er in die Firma eingetreten war, unschlagbar oben, und darüber hinaus war es ihm in unzähligen Fällen gelungen, sogenannte abtrünnige Schäfchen, sprich, verlorengeglaubte Kunden wieder zurückgeführt zu haben, mit honigsüßen Versprechungen und butterweichen Schmeicheleien.
Keiner konnte das so wie er, das musste man ihm lassen. Keiner hatte ein solches Händchen dafür, Glücksspieler, die schon seit zwanzig und mehr Jahren noch nicht einen Pfennig gewonnen hatten, bei der zu Stange halten.
Diese Fähigkeit hatte er sich vor seinem Eintritt in das Geschäft mit dem Glück bei einem anderen Unternehmen erworben, bei einem Bücherclub, dessen ‚Repräsentanten‘ in den Anfängen ahnungslose Menschen auf der Straße ansprachen und mit nicht gerade weichen Bandagen anfassten.
Im Moment aber war Christoph Lasnilos nicht nur sprachlos vor Verblüffung, sondern auch vor Wut.
Da sagte ihm doch so ein Mensch offen ins Gesicht respektive durchs Telefon, er wolle nicht gewinnen. Man sollte es nicht für möglich halten, wozu manche Individuen fähig sind. Ausgerechnet ihm, Christoph Lasnilos, widerfuhr so etwas!

Er hatte schon seit längerer Zeit aufgehört, an das Gute im Menschen zu glauben.
Für ihn war ein jeder käuflich, solange es sich nur um die richtige Summe handelte, und in seinem Unternehmen, dem führenden der Branche, gab es diese Summe. zu gewinnen.
Erst kürzlich hatten sie ihr System aufgestockt, um bei leicht angehobenen Einsätzen die Gewinnchancen wesentlich zu verbessern.
Er konnte sich beim besten Willen niemanden vorstellen, auch den bestbezahlten Manager nicht, der bei diesen Gewinnsummen nicht schwach geworden wäre.
Und dennoch gab es da draußen im Lande einen, der behauptete, dass er nicht gewinnen wolle.
Ein Verrückter vielleicht?
Ein hoffnungslos der Trunksucht Verfallener?
Oder gab es doch wirklich jemanden, der über solche Unsummen verfügte, dass ihm selbst der Höchstgewinn als Peanuts erschien?
Dieses wollte Christoph Lasnilos bei aller Liebe nicht für möglich halten, denn er kannte die Menschen und die waren seinem Verständnis nach alle mit einer gewissen Habsucht ausgestattet.
Er beschloss, etwas mehr in Erfahrung zu bringen über diesen merkwürdigen Kauz, der nicht gewinnen wollte.

Christoph Lasnilos machte sich auf den Weg, mit seinem privaten Auto, zum Wohnsitz von Uwe Lautbacke, einem kleinen Ort im Süden der Republik.
Eigentlich war es ihm nicht erlaubt, seine Kunden oder solche, die es mal waren, zuhause aufzusuchen; das durften nur speziell ausgebildete Glücksbringer im Falle eines größeren Gewinnes, seine Aufgabe war hingegen nur die fernmündliche Anwerbung.
Darüber hinaus verletzte er mit diesem Vorgehen den Datenschutz und beging ein unerwünschtes Eindringen in die Intimsphäre anderer, doch das war ihm in diesem Moment gleichgültig.
Er war besessen von der Idee, den Menschen aufzufinden, der es gewagt hatte, das Glück zu foppen.

Als er in der Kleinstadt eintraf, blitzsauber und herausgeputzt, wie es sich für einen Ort in dieser Gegend gehört, orientierte er sich zuerst an einer großen Straßenkarte im Zentrum.
Er suchte Lautbackes Adresse auf der Karte und vergewisserte sich zusätzlich bei einem Passanten.
„Tulpenstraße? Ja, die ist in westlicher Richtung, auf einer kleinen Anhöhe. Sehr feine Lage. Ungefähr fünf Kilometer von hier.“
‚Sehr feine Lage‘, dachte Christoph Lasnilos, ‚könnte es denn doch möglich sein, dass in dieser feinen Gegend jemand wohnt, der Geld im Überfluss hat? Der nichts mehr braucht?’

Er fuhr die Hauptstraße in Richtung Westen und gelangte in der Tat nach ungefähr fünf Kilometern in eine Wohngegend, welche die anderen Bereiche der Stadt, die er bisher gesehen hatte, bei weitem übertraf, was die Qualität anbelangte.
Luxus pur, konnte man an den Fassaden der reich ausgestatteten und architektonisch eigenwillig konzipierten Häusern ausmachen; wie mochten wohl die Innenleben dieser extravaganten Villen aussehen.
Während er langsam weiterfuhr und dabei die Pracht der phantastischen Gebäude bewunderte, bemerkte er, dass links vor ihm eine kleine Seitenstraße abzweigte.
Tulpenstraße las er auf einem kleinen feinen Straßenschild.

Er bog ein und fuhr im Schrittempo die Gasse entlang; 2, 4, 6... sein Ziel war die Hausnummer 88.
Sehr langsam fuhr er weiter bis zum letzten Gebäude auf der rechten Seite; das Haus trug die Nummer 86.
Auf der gegenüberliegenden Seite befand sich kein Haus mehr, sondern ein freies Feld, das sich bis zu einem Wäldchen im Hintergrund erstreckte. Vor ihm in Fahrtrichtung endete die Straße in einem größeren Wendekreis. Er parkte den Wagen vor dem Haus mit der Nummer 86 und stieg aus.
Als er näher auf dieses Gebäude zuging, um anzuschellen und sich nach der Hausnummer 88 zu erkundigen, trat ein älterer Mann heraus.
„Entschuldigen Sie, ich suche die Nummer 88, Tulpenstraße 88. Können Sie mir helfen?“
Statt einer Antwort wies der Alte nur in Richtung Ende der Straße, zum Wendekreis.
„Zu Herrn Uwe Lautbacke, ist das hier richtig?“
Wiederum antwortete der alte Mann nicht und zeigte erneut auf das Ende der Straße; dann trat er ins Haus zurück.
‚Merkwürdige Leute‘ dachte Christoph Lasnilos, und machte sich zu Fuß auf in die angegebene Richtung.
Als er in den Wendekreis gelangte und nach rechts blickte, blieb er wie angewurzelt stehen.
Etwas zurückgesetzt, hinter einer hohen Hecke, sah er ein kleines Schild mit der
Zahl 88, darüber ein größeres mit der Aufschrift:

Westfriedhof
 

nachts

Mitglied
Hallo Raniero

Nette Idee, gut umgesetzt find ich
(kleine Anmerkung: Das mit dem Westfriedhofschild könntest du vielleicht anders gestalten normalerweise erkennt man nen friedhof wenn man vor ihm steht. Und irgendwie, könnte dein Prot vielleicht auch nen " normalen" Namen gebrauchen, denk ich mal)

LG Nachts
 

Raniero

Textablader
Hallo Nachts,

vielen Dank für den Hinweis auf den Friedhof, werde ich übernehmen. Hinsichtlich des Namens des Protagonisten überlege ich, ob ich ihn nicht 'verschleiere', ohne die Bedeutung, die ich ihm zugemessen habe, zu verlieren,
denn
so einen Anruf hat's tatsächlich gegeben.

LG

Raniero
 
S

suzah

Gast
hallo raniero,

ich finde die geschichte recht witzig, habe aber nicht ganz verstanden, wie es zu der adresse kam.

"bei Durchsicht unserer Unterlagen habe ich festgestellt, dass Sie über Jahre hinweg unser Kunde waren."

es ist eigentlich unwahrscheinlich, dass lautbacke von beginn an als kunde der lotterie diese "friedhofsadresse" angab. hat er die adresse mit seiner kündigung geändert, als gag sozusagen diese friedhofsadresse angegeben oder evtl tat das sein sohn und der ehemalige kunde lautbacke liegt tatsächlich auf dem friedhof?

da ich übrigens bei ähnlichen werbeanrufen auch schon mal "nein, ich will nichts gewinnen" sagte, hat mich diese idee mit der friedhofsadresse besonders amüsiert.

liebe grüße suzah
 

Raniero

Textablader
Hallo suzah,

freut mich, dass Dir die Story gefallen hat.

Vielen Dank auch für den Hinweis auf die Adresse.
Die hat Lautbacke bei der Kündigung angegeben,als Gag und um den dämlichen Vertreter (und andere rein materialistisch denkende Zeitgenossen)bloßzustellen,in welch bescheuerten Denkweisen sie leben.

Liebe Grüße

Raniero
 



 
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