Goldener Oktober

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eisbeisser

Mitglied
Goldener Oktober

Es ist noch früh!
Nebelschwaden ziehen träge und tief durch den friedlich schlafenden Ort bis hinunter zum Fluß.
Gestern war es heiß, über 35 Grad, heute soll es regnen. Ich freue mich darauf. Wer kann sie schon über längere Zeit ertragen, diese brütende Hitze.

Ich verlasse die kleine Pension durch den Hinterausgang und schlendere durch die, bei Tag, so malerischen Straßen des stillen Ortes.

Es ist Oktober, der heißeste Oktober seit ich denken kann.
Wenn es heute regnet bekommen wir einen Jahrhundertwein, den Besten, den es je gegeben hat. Ich überquere die Hauptstraße und stehe ohne Übergang auf der Wiese am Ufer des Flusses.
Die Weinberge auf der anderen Seite kann ich nur erahnen. Noch herrscht absolute Dunkelheit.
Das nahe, gurgelnde Wasser vor mir, läßt mich stehen bleiben, denn ich sehe nichts.
Es kann nicht mehr lange dauern bis zur Dämmerung. Schon erklingt vom Ort her ein erster Hahnenschrei. Doch von einem Sonnenaufgang ist nichts zu sehen.
Eigenartig irgendwie.
Ich mache kehrt und gehe zurück in den Ort hinein.
Ein noch fernes Grollen empfiehlt mir meine Schritte zu beschleunigen.
Ein Gewitter, hier zwischen den Weinbergen, ist viel gefährlicher als anderswo.
Ich schaue auf meine Armbanduhr.
Schon kurz vor acht, das kann doch nicht sein! Dann hätte sich ja der Hahn vorhin in der Zeit geirrt. Aber bei dieser Schwärze? Kein Wunder.

Ich sehe grelles Licht am Horizont! Die Luft knistert! Dann dieser urzeitliche Knall, nicht mehr weit!
Ein Hund rennt mit eingeklemmtem Schwanz ganz dicht an mir vorbei und versteckt sich irgendwo.
Es blitzt jetzt ganz nahe schon und ich höre fast gleichzeitig den fürchterlichen Donner, der mir mein Trommelfell zu sprengen droht.
Ich höre noch etwas! Es ist ein Rauschen, ein Rauschen wie das eines Wasserfalls.
Was kommt da auf uns zu? Hier wo ich stehe, vor dem einzigen Gasthauses im Ort, fällt noch kein Tropfen, aber es kommt näher, dieses Rauschen, immer näher.
Ich glaube eine noch tiefere Schwärze in der Dunkelheit zu erkennen, bekomme ein schlechtes Gefühl in der Magengegend. Geht das gut?
Im nächsten Moment reißt es mich von den Beinen und mir stehen alle Haare zu Berge!
Unweit meines Standortes ist ein gewaltiger Blitz in ein altes Haus eingeschlagen.
Wirbelnde Trümmer fliegen mir um die Ohren. Ich liege flach auf der Erde, schütze meinen Kopf mit beiden Armen.
Und dann kommt Sie, die Wasserwand.
Ich schnappe nach Luft, werde von den Wassermassen auf den Boden gepreßt.
Trotzdem kämpfe ich mich hoch und sehe gerade noch, wie das eben noch brennende Haus wieder in tiefer Dunkelheit versinkt.
Der Boden unter meinen Füßen vibriert beim nächsten Donnerschlag.
Die Erde scheint sich aufzutun, oder die Hölle?
So schnell ich kann renne ich zu dem vom Blitz getroffenen Haus, denn jemand ruft kaum hörbar um Hilfe. Eine junge Frau liegt unter zusammengebrochenem Häuserschutt und streckt mir flehend ihre Hände entgegen. Ich kämpfe mir einen Weg durch die Wassermassen, räume Trümmer von ihren Beinen und schreie sie an, ob noch jemand im Hause sei, aber sie schüttelt den Kopf. Sie ist verletzt, aber kurzerhand werfe ich sie mir über die Schulter und laufe, so schnell ich nur kann, zurück zum Gasthaus. Der Wirt steht in der offenen Tür und schaut mir entgegen. Er ist ein alter Mann, schlottert am ganzen Körper. Dennoch nimmt er mir die Frau aus den Armen und trägt sie ins Haus.
Als ich mich umdrehe, hört der wahnsinnige Regen mit einem Mal auf, so, als wäre er nie da gewesen und es wird schlagartig hell.
Es trifft mich wie ein Keulenschlag, als ich die Verwüstung sehe!
Die Straßen sind übersät mit ausgespülten Weinstöcken und lehmigem Matsch. Immer noch fließen ganze Sturzbäche durch die Straßen, überall gurgelt es.
Am gegenüberliegenden Ufer liegt bergeweise der ganze Ertrag an Weintrauben für dieses Jahr, von diesem kurzen, aber gewaltigen Unwetter geerntet.

Goldener Oktober.

> Ende <
 
A

Arno1808

Gast
Hallo eisbeisser,

der Text gefällt mir sehr gut. Deine Beschreibung ist platisch und lässt den Leser die Urgewalt des Unwetters spüren.
Schön!

Ein logischer Fehler:
Nebelschwaden ziehen träge und tief durch den friedlich schlafenden Ort bis hinunter zum Fluß.
...
Noch herrscht absolute Dunkelheit.
Es herrscht also noch absolute Dunkelheit!
Wie kannst Du in absoluter Dunkelheit die Nebelschwaden sehen?


Aber das ändert nichts am Gesamteindruck, den der Text hinterlässt, und der ist wirklich gut!

Lieben Gruß

Arno
 

eisbeisser

Mitglied
Hallo Arno,

es freut mich dass Dir meine Geschichte gefallen hat.
Danke für Deine Bewertung.
Warst Du schonmal über Nacht an der Mosel? Selbst bei völliger Dunkelheit sind dort bei feuchtem Wetter Nebelschwaden zu spüren. Ich habe das oft erlebt.

Lieben Gruß

Walter
 
A

Arno1808

Gast
Na gut!

;-))
natürlich glaube ich, dass man das 'spüren' kann.
Aber wenn ich mir den Satz von Dir ansehe:

Nebelschwaden ziehen träge und tief durch den friedlich schlafenden Ort bis hinunter zum Fluß

Das spürst Du??
:D

Gruß

Arno
 

eisbeisser

Mitglied
ok!

Du bist hiermit, irgendwann im Sommer an einem Wochenende, zu einigen Flaschen, "Goldener Oktober", eingeladen!

Wir treffen uns dann in Kröv an der Mosel, wenn es Dir recht ist.

Laß mich bei Gelegenheit wissen wann Du mal Zeit hast...

Gruß

Walter
 

Zefira

Mitglied
Lieber eisbeisser,

Gratulation zu dieser großartigen Schilderung *Haare trocken rubbel*

Das einzige, worüber ich gestolpert bin, ist die Wasserwand (schiefe Methapher das, ich weiß...).

Wenn sie so dicht fällt, daß sie einen Liegenden "auf den Boden preßt" - dann ist mir das "trotzdem stehe ich auf" ein bißchen zu einfach und zu farblos.

Ich raffe mich auf, ich kämpfe mich wieder auf die Beine - aber einfach "ich stehe auf", das klingt nach "in Wirklichkeit war ja gar nichts..."

So, jetzt darfst Du mich auch einladen (das war ja der Zweck dieses Postings :D )

Zum Wohl,
Zefira
 

eisbeisser

Mitglied
Schon geschehen!

Liebe Zefira,

zunächst vielen herzlichen Dank für Deine offenen Worte und es ist richtig wenn Du sagst, dass die Geschehnisse mit der Wasserwand und dem Aufstehen nicht zusammenpassen. Wenn ich jetzt wüsste, wie ich hier meine Geschichte überarbeiten kann, würde ich das gleich tun! Bin erst seit gestern in der Leselupe und muß mich noch orientieren.

Das mit der Einladung steht! Wenn Du dich mit Arno absprechen könntest wäre das schön...

Liebe Grüße

eisbeisser
 

Zefira

Mitglied
Lieber eisbeisser,

nichts leichter als Überarbeiten in der Lupe. Du klickst unter Deinem Text (Achtung: unter dem Text, nicht unter einem Kommentar!) das Kästchen "edit/delete" an. Dann erscheint der Text in einem neuen Fenster, in dem Du korrigieren kannst.

Wenn Du anschließend noch einen Kommentar unter den Text setzt, etwa "ich habe das jetzt überarbeitet, vielleicht schaut ihr noch mal drüber" werden alle, die sich bisher in dem Ordner betätigt haben, automatisch benachrichtigt.

lG, Zefira
 



 
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