Großstadtlichter

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Eve

Mitglied
Großstadtlichter


Nasser Asphalt glänzt in die Nacht,
höhnisch grinsen deine Hochhäuser
gleich löchrigen Mahnmalen
auf mich hinab.

Schattenlos stehe ich vor dem großen Loch,
das sich langsam mit Regen füllt.
Stahlgitter umzäunen
die nässende Wunde des Viertels.

Schützend halte ich deinen Ring
in meiner Faust,
schleudere ihn tief in die Brache –
seiner letzten Ruhestätte.

Das Lied der Stadt nanntest du das Heulen
der Sirenen – bevor du gingst.

Ich denke an dich,
wenn sie schrill an mir vorbeirasen
auf irrer Fahrt zum nächsten Brand.
Oder Mord.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo Eve,

da hast du ein sehr ausdrucksstarkes Gedicht geschrieben, wie ich finde.
Die erste Strophe schafft bereits eine bedrohliche Atmosphäre, in dem die personalisierten Hochhäuser auf das lyr.Ich hinab grinsen. Hierbei ist interessant, dass diese Gebäude dem lyr.Du gehören, es agiert also aus den Dingen heraus. Dies vermittelt eine gewisse Kälte, die dem lyr.Du innewohnt, eine gewisse Unmenschlichkeit. Die "nässende Wunde des Viertels" scheint die Verletzung des lyr.Ichs zu symbolisieren, die das lyr.Du ihm zugefügt hat. Es regnet in der Stadt, in der nur diese beiden Figuren zu leben scheinen. Dies impliziert, dass die zwischenmenschliche Beziehung der beiden zerfließt.
Die "Stahlgitter" drücken die Hilflosigkeit des lyr.Ichs aus, das nichts gegen seine Schmerzen unternehmen kann.
Den Ring, den das lyr.Du einst dem lyr.Ich übergab, umschlingt es mit der Faust, was eine verborgene Wut transportiert. Dass das lyr.Ich den Ring anschließend in "die Brache" wirft, gleicht einem Akt des Zerwürfnisses. Das lyr.Ich scheint mit dem lyr.Du abgeschlossen zu haben.
In der darauffolgenden Strophe wird klar, dass das lyr.Du das lyr.Ich im Stich gelassen hat, als es ihre Stadt(die offensichtlich den Schauplatz ihrer Beziehung darstellt) verließ.
Die Brände und Morde, die in der Stadt vorzuherrschen scheinen, drücken die Vernichtung der Beziehung der beiden aus.

Fazit:
Dein Gedicht beschreibt den Trennungsschmerz des lyr.Ichs, aber auch die Wehmut ("ich denke an dich"), die es noch immer zu bestimmen vermag. Das lyr.Ich kann sich noch nicht vom lyr.Du lösen, es verbleibt noch in ihrer Stadt und besucht vielleicht sogar ab und an die Ruhestätte des Rings.


Ein paar Änderungsvorschläge möchte ich dennoch tätigen:

Großstadtlichter


Nasser Asphalt glänzt in die Nacht,
Deine Hochhäuser,
gleich löchrigen Mahnmalen,
grinsen auf mich hinab.

Schattenlos stehe ich vor dem Loch,
das sich mit Regen füllt.
Stahlgitter umzäunen
die nässende Wunde des Viertels.

Ich halte deinen Ring
in meiner Faust und
schleudere ihn tief in die Brache.

Das Lied der Stadt nanntest du das Heulen
der Sirenen – bevor du gingst.

Ich denke an dich,
wenn sie schrill an mir vorbeirasen,
auf irrer Fahrt zum nächsten Brand.
Oder Mord.
Vielleicht kannst du ja mit dem ein oder anderen etwas anfangen.

Liebe Grüße,
Hakan
 

Eve

Mitglied
Hallo Hakan,

eine Hammer-Interpretation! Hätt ich selbst gar nicht unbedingt so aus dem Text entnommen (bewusst zumindest nicht). Allerdings ist mir beim Lesen deines Kommentares aufgefallen, dass ich das "Du" zweimal in unterschiedliche Richtungen verwendet habe ... anfangs spreche ich die Stadt an, später dann den Verlorenen.

Deine Änderungen finde ich sinnvoll und werde auch einige davon übernehmen. Allerdings versuche ich erstmal, das "Du" in einer Richtung einzuhalten ... das LyrIch befindet sich im Zwiegespräch mit der Stadt (dem "Du"), die sich ihm gegenüber nicht weich und schön präsentiert hat, sondern in deren neutraler Kälte auch Verbrechen geschehen, Leute ermordet werden (wie der, den das LyrIch verloren hat).

Es könnte eine Art "Frieden" zwischen beiden geben, weil das LyrIch den Ring (die Verbindung zu sorglosen Zeiten, früher) wegwerfen kann. Gerade auch an dem Ort, an dem der Stadt Wunden zugefügt werden, indem Gebäude eingeebnet werden, die dem Schritt der Zeit nicht mehr standhalten können oder die nicht mehr genug Geld abwerfen und so platt gemacht und in neue Bürogebäude oder Wohnungen umgewandelt werden. Erst einmal sind die Flächen aber (unschöne) Löcher im Gesicht der Stadt.

Das LyrEr ist in einem Straßenkampf gestorben ... und in manchen Ecken der Großstadt ist es leicht, diese Dinge zu sehen - in anderen, sauberen Vierteln vielleicht eher nicht.

Viele Grüße,
Eve
 

Eve

Mitglied
Großstadtlichter


Nasser Asphalt glänzt in die Nacht,
deine Hochhäuser,
gleich löchrigen Mahnmalen,
grinsen auf mich hinab.

Schattenlos stehe ich vor dem Loch,
das sich mit Regen füllt.
Stahlgitter umzäunen
die nässende Wunde des Viertels.

Ich halte seinen Ring
in meiner Faust und
schleudere ihn tief in die Brache.

Das Lied der Stadt nannte er das Heulen
der Sirenen – bevor du ihn mir nahmst.

Ich denke an ihn,
wenn sie schrill an mir vorbeirasen,
auf irrer Fahrt zum nächsten Brand.
Oder Mord.
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo Eve,

"Hammer-Interpretation" halte ich für übertrieben, aber da ich am Montag meine zentral gestellte Abi-Klausur schreibe, und aufgrund meiner Faulheit(die keine Lernvorbereitungen zulässt) das Gedicht auswählen muss, übe ich mich ein wenig im Interpretieren...

Ich persönlich habe diese beiden lyr.Dus gar nicht als störend empfunden. Denn ich habe mir die Stadt als Schauplatz der Beziehung vorgestellt, in der jedem etwas gehören kann.
So liegt es nahe, dass das Viertel mit der Wunde dem lyr.Ich zuzuschreiben ist. Ich finde das persönlich nicht schlimm, vielleicht sogar gerade so reizvoll.

Den "Frieden" den du ansprichst, sehe ich im Gedicht nicht kommen, da der Ring in eine Brache geworfen wird. Das erscheint mir persönlich so, als wolle das lyr.Ich sich ganz davon trennen. Es wäre also ein scheinbarer, nur in der Abtrennung der beiden Figuren möglicher Frieden.

Und dann habe ich mich tatsächlich ärgerlicherweise verlesen. Ich hatte nicht "seinen Ring", sondern "deinen Ring" gelesen, weswegen meine Interpretation nur fehlschlagen konnte. Ach, diese verdammte Konzentration...

Übrigens: Du solltest es vermeiden, gleich drei Figuren in einem solch kurzen Gedicht einzuführen. Dies ist verwirrend für den Leser. Aber das ist nur (m)eine Meinung...

Na ja, ich bin gespannt auf deine Überarbeitung!

Liebe Grüße,
Hakan
 

Eve

Mitglied
Hallo Hakan,

ne, du hattest dich nicht verlesen, das stand "deinen Ring" (das war ja der Punkt, an dem ich bemerkte, dass ich das DU unterschiedlich verwendet habe).

Der Frieden ist in der Tat nicht vorhanden, weder mit der Stadt noch mit irgendetwas anderem. Er könnte kommen ... aber das ist hier noch nicht angelegt. Ich wollte eine melancholische Stimmung in regennasser Nacht schaffen, das Ganze an einem Ort spielen lassen, der von Hochhäusern gerahmt ist, deren Fenster teilweise erleuchtet in die Nacht scheinen und die Schemen der Häuser fast bedrohlich wirken lassen (das Grinsen der Hochhäuser).

Ja, der Ring ist eine Verbindung ... und es kein Abschiednehmen im positiven Sinn. Vielleicht ist es überhaupt kein Abschied. Sondern nur das physische Lösen von Dingen.

Ich lasse den Text nochmal etwas wirken und schau mal, was ich daran deutlicher machen kann.

Danke dir für deine Kommentare und Anstöße!

Viele Grüße,
Eve
 

Perry

Mitglied
Hallo Eve,
Großstadtszenarien sind ja nun kein arg neues Bild für lyrische Texte, du schaffst es durch die Personifizierung (grinsende Hochhäuser, nässende Viertel) aber eine fühlbare Verbindung herzustellen. Problematisch sehe ich aber dann, den Wechsel zurück zur anonymen Stadt (das Lied der Stadt) und hin zu einem anderen Du. Hier solltest du dich auf ein Du beschränken sonst wirds unübersichtlich.
Ansonste gern gelesen!
LG
Manfred
 

Eve

Mitglied
Hallo Manfred,

vielen Dank fürs Lesen und deinen Kommentar ... ich habe extra in der zweiten Version versucht, nur ein DU zu haben (die Stadt, die das LyrIch anspricht).

Um die "Verwirrung" zu lösen, könnte ich schreiben:
Deinen Gesang, nannte er die heulenden
Sirenen – bevor du ihn mir nahmst.

Immer noch denke ich an ihn,
wenn sie schrill an mir vorbeirasen,
auf irrer Fahrt zum nächsten Brand.
Oder Mord.
Kommt so besser heraus, was ich rüberbringen wollte? Oder ist der ganze letzte Teil zu unterschiedlich zum persönlicheren Anfang?

Viele Grüße,
Eve
 

Eve

Mitglied
Großstadtlichter


Nasser Asphalt glänzt in die Nacht,
deine Hochhäuser,
gleich löchrigen Mahnmalen,
grinsen auf mich hinab.

Schattenlos stehe ich vor dem Loch,
das sich mit Regen füllt.
Stahlgitter umzäunen
die nässende Wunde des Viertels.

Ich halte seinen Ring
in meiner Faust und
schleudere ihn tief in die Brache.

Deinen Gesang, nannte er die heulenden
Sirenen – bevor du ihn mir nahmst.

Immer noch denke ich an ihn,
wenn sie schrill an mir vorbeirasen,
auf irrer Fahrt zum nächsten Brand.
Oder Mord.
 

Perry

Mitglied
Hallo Eve,
so ist es schon nachvollziehbarer. Besser wäre natürlich, wenn du fürs "ihn" noch ein deutlich identifizierbares Wort finden könntest, muss ja nicht gleich "Geliebter oder Herzensschöner" sein (lächel).
LG
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Hallo Eve,

schon eine Weile beschäftigt mich dieses Gedicht. Meine Interpretation weicht von Hakans ab. Für mich hat die Stadt dem lyrischen "Ich" den Liebsten genommen.


Nasser Asphalt glänzt in die Nacht,
deine Hochhäuser,
gleich löchrigen Mahnmalen,
grinsen auf mich hinab.

[blue]( hier stolpere ich über löchrige Mahnmale, sind das Abrisshäuser oder einfach Häuser mit Licht hinter den Scheiben? - beleuchtete Mahnmale)[/blue]
Schattenlos stehe ich vor dem Loch,
das sich mit Regen füllt.
Stahlgitter umzäunen
die nässende Wunde des Viertels.

[blue](Spitze)[/blue]

Ich halte seinen Ring
in meiner Faust und
schleudere ihn tief in die Brache.

[blue](gefällt mir gut[/blue])

Deinen Gesang, nannte er die heulenden
Sirenen – bevor du ihn mir nahmst.

(hier würde ich evt. umstellen:
Heulende Sirenen, nannte er deinen Gesang,
den wir liebten
bis du ihm mir nahmst.
Vielleicht auch mit der oberen Strophe tauschen, die Stadt hat ihn ihr genommen, dann soll sie auch den Ring bekommen.)

Immer noch denke ich an ihn,
wenn sie schrill an mir vorbeirasen,
auf irrer Fahrt zum nächsten Brand.
Oder Mord.

(Mit dieser Strophe habe ich meine Probleme: Krankenwagen, Polizei, Feuerwehr? War er einer von ihnen?)

Lieben Gruß
Franka
 

ENachtigall

Mitglied
Hallo Eve,

lese es wie Franka: die Großstadt, als personifiziertes Ungeheuer, ruft mit ihrem "Sirenengesang" mal ihre Helfer, mal ihre Opfer. Die "löchrigen Mahnmale" erinnern mich an Bauruinen.

Ein eindrucksvolles Gedicht. Es birgt noch Potential, die Bilder sprachlich klarer zu modellieren. (Das braucht vielleicht aber seine Reifezeit.)

Viele Grüße

Elke
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo Franka, hallo ENachtigall,

sagen wir mal so: Zuvor gab es noch kein "er", sondern nur ein "du", das sowohl dem Geliebten, als auch der Stadt gehörte. Daher rührte meine Interpretation. Jetzt ist das Gedicht ein wenig verschoben...

Liebe Grüße,
Hakan

PS: wollt mich nur ein wenig verteidigen, ach, ich weiß auch nicht warum...:)
 
G

Gelöschtes Mitglied 8846

Gast
Lieber Hakan,

warum verteidigen, das Schöne an der Lyrik ist doch, dass die meisten Werke viele Interpretationsmöglichkeiten zulassen. Mir hat deine auch gefallen und ich liebe Gedichte, die mir den Raum geben eigene Erlebnisse und Gefühle hineinzulegen.

Lieben Gruß
Franka
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo Franka,

ich ja auch, nur das Gedicht hat sich durch die Überarbeitung eben auch grundlegend verändert, weswegen meine Interpretation sowieso schon fast hinfällig ist...
Whatever, wünsche frohes Schaffen!

Liebe Grüße,
Hakan
 

ENachtigall

Mitglied
Hakan,

brauchst Du gar nicht; ich wollte nur meine Übereinstimmung mit Frankas Lesart bekunden. Dabei war mir durchaus bewußt, dass sich Deine auf die frühere Version bezog. (Das ist halt eine Nebenwirkung der ausgeblendeten Vorversionen, wenn man - wie ich hier - nur die aktuelle Version liest und kommentiert. Mir ist es ehrlich gesagt manchmal zu langwierig, die Chronologie der Überarbeitungen mit den Kommentaren abzustimmen).

Lieben Gruß

Elke
 
H

Hakan Tezkan

Gast
Hallo ENachtigall,

ich weiß, dass ich das nicht brauche... Aber nun gut. Was soll's.
Ich wünsch euch einen schönen Sonntag!

Liebe Grüße,
Hakan
 

Eve

Mitglied
Hallo Manfred,

ja, das "ihn" müsste evtl. klarer herauskommen ... ich gehe mal in mich, um einen Ersatz für "Herzensschöner" zu finden *g*

Viele Grüße,
Eve
 

Eve

Mitglied
Hallo Franka,

vielen Dank für deinen ausführlichen Kommentar ... du liegst richtig - meine Intention war, dass die Stadt dem LyrIch den Liebsten genommen hat. Daher auch das gespaltene Verhältnis des LyrIchs zur Stadt (Gedanken bei Nacht, löchrige Mahnmale = Erinnerung an das, was passiert ist). Die Hochhäuser sind bewohnte Häuser, deren teilweise erleuchtete Fenster wie Löcher aus einem großen, dunklen Umriss in die Nacht scheinen. Es könnten natürlich auch Abrisshäuser sein, da das LyrIch ja auch vor einem Bau-Loch steht.

Wenn ich die Strophe mit dem Gesang umstelle, würde es bedeuten, dass die heulenden Sirenen ganz klar der Gesang sind (ob das jeder so empfindet?) und die beiden ihn nur "heulende Sirenen" nannten ... ist das dann nicht verdreht? Von der Reihenfolge her ist dein Vorschlag mit der Umstellung stimmig ... sie steht nachdenklich an diesem Loch, denkt an die Sirenen (und was sie versinnbildlichen), schleudert dann seinen Ring (ein letztes Andenken?) in das Loch (verbindet ihre Wunde mit der der Stadt) und zieht zum Ende hin den Bogen zu den vorbeirasenden Krankenwagen, Feuerwehrwagen, die für sie seitdem immer Verderben bedeuten (weil sie auch "ihn" geholt haben).

Mit der letzten Strophe wollte ich andeuten, dass er auf der Straße gestorben ist ... und das Lied, das beide vorher als Gesang der Stadt empfunden haben, auf einmal die "Melodie des Todes" für sie geworden ist – und sie immer noch bei jedem Sirenengeheul (von Kranken-, Feuerwehr- oder Polizeiwagen) daran erinnert wird. Ist das zu weit hergeholt?

Jetzt, nachdem der Text einige Tage steht und ich einige Meinungen dazu gehört habe, kann ich sicher nochmal mit neuen Ideen dran gehen und schauen, ob er mit ein paar Änderungen noch klarer herauskommen kann ... :)

Viele Grüße,
Eve
 

Eve

Mitglied
Hallo Elke,

vielen Dank fürs Lesen :) ja, die Großstadt sollte hier teilweise bedrohlich wirken, gerade in der Nacht, wenn manches zur Ruhe kommt und die Gedanken in eigene Richtungen fließen können (wie hier beim LyrIch).

Ich denke auch, dass ich an manchen Zeilen nochmal arbeiten werde ... um sie deutlicher herauszustellen - manchmal ist eine Reifezeit sehr sinnvoll ... :)

Viele Grüße,
Eve
 



 
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