Großvater

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Vera-Lena

Mitglied
Großvater

Die weißen Flocken sanken auf dein weißes Haar.
Sie verfingen sich in deinen weißen Wimpern.
Dein Atem gefror auf deinem Bart.
Mit deinen schwarzen Augen blitztest du mich an.
Du zupftest meine Mütze zurecht
und holtest aus deinem Mantel einen Apfel hervor.

Du wusstest, dass ich hungrig war
und wie weit wir noch zu gehen hatten.
Das Mittags-Läuten wehte zu uns herüber.
Das machte den Weg auch nicht kürzer,
auch nicht das Eichhorn, das uns
von Baum zu Baum ein Stück begleitete.

Du stapftest einen Schritt, währenddessen
stapfte ich zwei. Du kanntest den Weg
auch dort, wo er schon verweht war.
Ich wusste, dass wir heimgelangen würden.
Es war unser letzter Spaziergang,
aber das wusste ich nicht.
 

chrishilden

Mitglied
Es schafft ein herrliches melancholisches 'Klima'. Man
sieht die beiden förmlich vor sich.
Eine Frage: Ist diese Geschichte wahr? Hast du sie selbst erlebt?
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Chrishilden,

danke für Deine lobende Kritik. Auch Lob empfinde ich in der LL als etwas Wichtiges, besonders, wenn man mal eine bisher ungewohnte Sparte ausprobiert hat. Das ermutigt einen doch weiter zu machen. Anderenfalls würde man etwas Neues vielleicht wieder aufgeben. Deine eher private Frage habe ich Dir per E-Mail beantwortet.

Ein glückliches Neues Jahr wünscht Dir Vera-Lena
 

Vera-Lena

Mitglied
Hallo Ihr Lieben,

zum Vergleich mit dem Text von penelope, hole ich meinen Text jetzt noch einmal herauf, weil sie und ich unterschiedliche Perspektiven gewählt haben. Das finde ich interessant.

Liebe Grüße
Vera-Lena
 

Markus Saxer

Mitglied
Hallo Vera-Lena

Schöner Text, gefällt mir. Ein bisschen hat mich das dreifache Weiss bei den ersten zwei Sätzen gestört. Vielleicht könntest Du auch einfach Schneeflocken anstelle von weissen Flocken verwenden. Sobald ich Schneeflocken höre, stelle ich mir die automatisch weiss vor (na gut, wenn es in der Nähe eines Kohlekraftwerks schneit, dann sind die Flocken auch nicht unbedingt blütenweiss). Sehr stimmig und melancholisch finde ich das Ende.

LG, Markus
 

Vera-Lena

Mitglied
Lieber Markus,

danke für Deine Antwort und Deinen Hinweis!

Das mehrmalige "Weiß" war ein überaus eindrucksvolles Phänomen für das Kind. Da war alles weiß an dem geliebten Großvater und dann fielen auch noch weiße Flocken darauf. Das Kind hat dieses Bild tief in sein Innerstes herabsinken lassen, denn da war ja dann noch dieser unglaubliche Kontrast, nämlich die schwarzen, blitzenden Augen mit denen er das Kind anschaute.

Eine Mütze wird der Großvater schon auch aufgehabt haben, aber er hatte so lange Haare, dass sie ein Stück weit darunter hervorlugten.

Ich möchte also das "weiß" gerne stehen lassen.

Liebe Grüße von Vera-Lena
 
P

penelope

Gast
liebe vera-lena,

ja, genau dieses heimkommen, das urvertrauen, das spürbar ist, kann ich in deinem gedicht lesen. da sind für mich huchel und bobrowski ganz nah, wie ich sie auch in meinem gedicht implantiert habe.
ja, ich sehe es genau so: dichtung ist wörter zu sehen und bilder reden zu lassen, und beides möglichst zugleich. dann zeigt sich jedes wort aus ausdruck, der vom wort über bilder greift, ineinandergreift, das nicht nur in die schrift flieht, sondern im geschriebenen gestalt findet. eine gestalt, die nicht nur das zittrige schriftbild aus tinte oder die geradegezogene druckerschwärze eines druckers darstellt. nein, es handelt sich um das ganze system aus zeichen, bildern und wörtern, das vom dem schreibenden als dichtung aus ihm heraus freigeschrieben wird...

lg penelope
 

Vera-Lena

Mitglied
Liebe penelope,

danke für Deine ausführliche Antwort zu diesem Text!

Ja, es ist oft so, dass Bilder auftauchen, die dann nach dem gesprochenen Wort verlangen, damit sie sich mitteilen können, sowohl als Bild selbst, als auch als Bildinhalt. Für mich ist Lyrik immer = das gesprochene Wort. Und wenn ich es in Schrift umsetzen muss, dann versuche ich, durch Zeilenumbruch und Strophenaufteilung den "Urrythmus" hineinzubekommen, den das Erlebnis für mich hatte.
Hier war es die einfache Sprache, die dem Denken und Fühlen des Kindes entsprach. Großvater, der immer alles wusste und alles verstand und auf einmal war er nicht mehr erreichbar,das Kind konnte seine Hand nicht mehr in die seine legen.

Es kamen dann wieder andere Vertrauenspersonen in mein Leben, aber jeder Mensch ist einmalig und unaustauschbar.

Noch einmal Danke! :)

Liebe Grüße von Vera-Lena
 



 
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