Gut navigiert

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Raniero

Textablader
Gut navigiert

Thorsten Schröter, der Fachverkäufer des Elektronikmarktes glaubte, nicht richtig gehört zu haben.
Lang und breit hatte er dem Kunden, einem Mann im vorgerückten Alter, die Handhabung des supermodernen Navigationsgerätes erklärt, die Vorzüge gepriesen sowie Rede und Antwort für alle erdenklichen Fragen gestanden. Eigentlich, so dachte Thorsten, müsste es der Kunde langsam kapiert haben, wenn er auch nicht den hellsten Eindruck machte, was moderne technische Errungenschaften betraf.
Zum Abschluss des Verkaufsgespräches aber hatte der Mann ihn durch eine Äußerung dermaßen irritiert, dass der gute Fachmann glaubte, im falschen Film zu sitzen.
Auf seine abschließende Bemerkung hin: „So, mein Herr, das Navi können Sie einfach an die Windschutzscheibe Ihres Autos kleben; sehen Sie, hier ist ein spezieller Saugmechanismus“, hatte der Kunde doch tatsächlich geantwortet: „Ich habe gar keine Windschutzscheibe.“
„Sie haben keine Windschutzscheibe? Sie sind mir ja ein ganz Schlimmer“, versuchte Schröter noch, seinen aufkommenden Ärger zu überspielen und einen Scherz versucht: „Ich verstehe, Sie fahren ein Cabrio“, doch der Kunde setzte einen drauf.
„Ich habe gar kein Auto“, erwiderte er, ganz ohne Augenaufschlag.

Auf Schröders Stirn bildeten sich Schweißperlen. Mühsam gelang es ihm, sich zu beherrschten.
„Darf ich fragen, wofür Sie dann ein Navigationsgerät brauchen, wenn Sie kein Auto besitzen? Wo wollen Sie es denn einsetzen, das Gerät, auf dem Skateboard?“
„Auf dem Skateboard nicht, aber im Bus, beispielsweise.“
„Im Bus?“
„In der Tat. Ich fahre täglich die gleiche Strecke, mit dem Bus, zu meiner Arbeitstelle. Mit der Linie zwölf, wissen Sie. Glauben Sie nicht, dass sich da so ein Navi gut anwenden ließe?“

Der Fachverkäufer spürte förmlich, wie seine Haare anfingen, zu Berge zu stehen.
„Ja, mein lieber Mann, was wollen Sie denn mit einem Navi im Bus? Ich habe Ihnen doch gerade lang und breit erklärt, dass so ein Gerät speziell für den Individualverkehr, für Fahrzeuge mit flexiblen Fahrrouten entwickelt wurde, um nach Gusto des Nutzers die schnellsten oder beispielsweise ökologisch effektivsten Strecken herauszufinden. Das gilt natürlich nicht für ein Fahrzeug mit einer fest vorgeschriebenen Fahrroute wie ein Bus, ein Zug oder eine Schwebebahn. Was glauben Sie, was Ihr Busfahrer davon hält, wenn Sie ihm ein Navi unter die Nase halten? Meinen Sie, der ändert seine Route? Der schmeißt Sie höchstens raus!“
„Ich habe nicht vor, meinem Busfahrer das Navi unter die Nase zu halten.“
„Ja, was wollen Sie denn dann, um Himmelswillen, mit dem Ding, im Bus?“
Thorsten Schröder schrie die letzten Worte fast heraus.
Der Kunde blieb ruhig, sehr ruhig.

„Wenn ich mich richtig erinnere“, erwiderte er, „haben Sie mir eingangs erklärt, dass so ein Navigationsgerät über mehrere Funktionen verfüge, ist das richtig?“
„Das ist korrekt.“
„Unter anderem auch über die Funktion, mir permanent anzuzeigen, wo ich mich gerade befinde, nicht wahr?“
„Das habe ich gesagt, das ist auch so, doch ich verstehe nicht, was Sie damit sagen wollen. Wenn Sie im Bus sind, dann sehen Sie doch, wo Sie sind, Sie brauchen doch nur aus dem Fenster zu schauen. Vor allem, wenn Sie täglich die gleiche Strecke fahren, außer“, platzte es aus Thorsten heraus, „wenn Ihr Busfahrer mal nen schlechten Tag hat und sich verfährt, aber dafür haben Sie ja dann Ihr Navi dabei“, zwinkerte er dem Kunden ein Auge zu.
„Sie brauchen gar nicht ironisch zu werden, ich meine das ernst. Ich habe die Busfahrt ja nur als Beispiel angeführt, ich dachte an eine andere Art der Vorwärtsbewegung.“
„Was für eine andere Art der Vorwärtsbewegung denn; mit dem Schlauchboot vielleicht?“
„Nein, zu Fuß.“
„Zu Fuß? Sie wollen zu Fuß spazieren gehen, mit einem Navigationsgerät?“
„Ich rede nicht von einem Spaziergang, sondern von unbedingt erforderlichen Fußmärschen.“
„Unbedingt erforderliche Fußmärsche?“
„Jawohl. Sie müssen wissen, ich gehe einmal in der Woche zum Stammtisch, das heißt, ich fahre mit dem Bus dahin, drei Stationen von meiner Wohnung. Nun, wie das an solchen Abenden üblich ist, wird dort auf den Verzehr von alkoholischen Getränken nicht verzichtet, im Gegenteil, es ist sozusagen heilige Pflicht. Wenn der Abend dann zu Ende ist, fährt leider kein Bus mehr, und in der letzten Zeit häuften sich bedauerlicherweise die Vorfälle, dass ich für den Heimweg per pedes bis zum Morgengrauen die halbe Nacht brauchte, einfach, weil ich die Orientierung verloren hatte. Da wäre doch ein Navi ganz nützlich, in einer solchen Situation, meinen Sie nicht auch?“
„Ach so, jetzt verstehe ich“, lachte der Fachverkäufer, „gar kein schlechter Gedanke. Darauf muss man erst mal kommen.“

Gemeinsam gingen sie zur Kasse, mit dem Navigationsgerät, Thorsten Schröder und der Kunde.
„Eine letzte Frage hätte ich aber noch“, konnte es sich der Fachverkäufer nicht verkneifen.
„Die wäre?“
„Na, ja, was werden Sie denn machen, wenn Sie aus bestimmten Gründen geistig nicht mehr in der Lage sind, das Navi zu bedienen, nach dem Stammtischabend?“
„Geistig nicht mehr in der Lage, das Gerät zu bedienen? Ach so, Sie meinen, wenn ich besoffen sein sollte? Dann nehme ich ein Taxi und halte dem Fahrer das Gerät unter die Nase, wie es Sie eben so schön formuliert haben. Der Taxifahrer wird strahlen vor Glück, denken Sie nicht auch…?“
 



 
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