Gute Nacht

Traum

Mitglied
Gute Nacht

"Gute Nacht, Frau Enderle. Wenn Sie noch etwas brauchen, dann klingeln Sie einfach." Die Altenheimpflegerin vom Nachtdienst verabschiedet sich, nachdem sie die Kissen aufgeschüttelt hat.
Frau Enderle mag die Nachtschwester gern. Trotz vieler Arbeit und Personalmangel findet sie immer noch Zeit für ein paar persönliche Worte. Frau Enderle weiß, dass ihre Betreuerin verheiratet ist und drei Kinder hat.
Ja, sie selbst hat auch zwei Kinder und fünf Enkel. Aber seit sie vor zwei Jahren ins Seniorenheim gezogen ist, hat sie nicht mehr viel Kontakt mit ihnen. Außer ein paar kurzen Anrufen oder Besuchen bei ihr, mit demonstraiven
Blick auf die Uhr gleich nach dem Kommen, werden die Kontakte immer seltener. Ihre Lieben sind viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt. Und sie wußten ja: ihre Oma war gut versorgt.
Sicher, damals war es ihr eigener Wunsch gewesen, in ein Seniorenheim zu gehen. Rudolf war jetzt drei Jahre tot, sie hatte ihn bis zuletzt aufopfernd und liebevoll gepflegt. Danach fiel sie in ein tiefes Loch der Depression, des Alleinseins. War hungrig nach Worten, aber ihre verhallten ohne Echo. Und ihre Kinder sollten kein schlechtes Gewissen
haben, das wollte sie wirklich nicht. Aber sie merkte deutlich, wie sie immer mehr zur Randgruppe der Einsamen hin gedrängt wurde. Sicher, als Rudolf noch lebte, hatten sie viel gemeinsam unternommen, waren aktiv in Vereinen, hatten viele Freunde und Bekannte, machten oft schöne Reisen zusammen.
Aber jetzt- wo waren Freunde und Bekannte geblieben? Sie fühlte sich wie amputiert. Hört denn alles auf, wenn der Lebenspartner stirbt, fragte sie sich. War sie nicht selbst ein denkender, fühlender Mensch, ein eigenständiges Wesen? Warum sehen die Mitmenschen in ihrem Umfeld immer nur das Paar, schenkten dem Einzelnen kaum Beachtung? Es war bitter für sie, diese Erfahrung zu machen. Nur Floskeln blieben übrig: Postkarten zu den Feiertagen oder zum Geburtstag, gelegentlich ein Anruf, wie es ihr ginge...Ihre Familie war sich selbst genug. Sie fühlte sich wie in einem Vakuum, wie in einem Kokon eingewebt. Hatte manchmal Angst, langsam verrückt zu werden.
Deshalb ging sie vor zwei Jahren freiwillig in das Seniorenheim. Dort konnte sie sich vielleicht irgendwie nützlich machen; anderen helfen, die schlechter dran waren als sie selbst, ihnen vorlesen, neue Kontakte knüpfen. Vielleicht fand sie eine Mitbewohnerin, die mal mit ihr ausging, ins Thater, zu Veranstaltungen, die auch mal einen Ausflug mit ihr machen würde oder eine schöne Reise- wie früher mit Rudolf...?
Voller Hoffnung fand sie sich in die neue Umgebung im Seniorenheim. Aber bald merkte sie, dass sie dort unterfordert war. Helfen durfte sie nicht, das sah man nicht gern. Wozu haben wir Personal, hieß es dann, "bitte lassen Sie das, Frau Enderle!"
Es gab viele ältere Senioren und Seniorinnen, die nichts mit sich anfangen konnten. Ein spontaner Lesenachmittag im Wintergartenn, von ihr organisiert, verlief ohne Widerhall.
Das gab´s doch nicht!? Hatte man denn an der Pforte sein Hirn- oder gar sein Herz mit abgegeben? Sie konnte das zunächst nicht begreifen. Brauchte lange, um zu verstehen, dass die alten Menschen hier in Lethargie verfallen waren.
Die Grundversorgung war gegeben, da fehlte es an nichts. Aber das Menschliche, das Füreinander-dasein, der liebevolle Umgang mir einander ...- es war wie abgeschnitten, verlernt, verloren...- Warum nur? Mußte das wirklich so sein? Nein - damit wollte sie sich nicht zufrieden geben! Wozu gab es ein Klavier im Speisesaal? Man könnte doch mal einen musikalischen Nachmitag gestalten, miteinander singen...Sie fragte die Heimleiterin, ob das möglich wäre. Grundsätzlich ja, bekam sie zur Antwort. "Aber bedenken Sie, Frau Enderle, das würde für unser Personal wieder zusätzliche Arbeit bedeuten".
Sie organisierte ihren musikalischen Nachmittag. Hatte vorher handschriftlich am Schwarzen Brett eine Notiz angebracht:"Am Donnerstag besteht die Möglichkeit zum Singen. Sie sind herzlich eingeladen."
Und sie setzte sich ans Klavier in dem zunächst noch ziemlich leeren Saal. Die Türen standen auf; Klaviertöne perlten hinaus in den Flur. Nach und nach kamen sie herein, zuerst ganz wenige, dann aber immer mehr. Nun spielte sie Volkslieder. "Singt doch mit!" lud sie ein. Und sie sangen mit: "das Ännchen von Tharau", "Die Gedanken sind frei" und "Am Brunnen vor dem Tore"- und all die schönen Volkslieder von früher. Ja, sie sangen mit und freuten sich. Der Ausdruck ihrer Gesichter wurde lockerer, lebhafter.
Dann ritt sie der Teufel: Jetzt war sie in ihrem Element, spielte alte, zündende Schlagermelodien: die "Caprifischer" -"Roter Mohn", "Die Männer sind alle Verbrecher". Ach, ihr fielen so viele "olle Kamellen" ein; sie wunderte sich selbst, was sie noch alles im Gedächtnis und im Gefühl hatte. Nun war sie zum Charleston übergegangen, drosch auf die Tasten, was das Zeug hielt. Danach tanzen, mitmachen- das wär doch was? Warum nur gab es so wenig Männer hier? Eigentlich schade...
Heftiges Geschirrklappern riß plötzlich alle aus ihrer begeisterten Stimmung, der reinste Hexenkessel war es bin dahin- mußte jedenfalls so aussehen beim Personal, wie sie sich ausgelassen benommen hatten.
Das energische Händeklatschen der Heimleiterin brachte sie wieder zur Besinnung, beendete abrupt das lustige Durcheinander im Saal. "Bitte haben Sie Verständnis, meine Herrschaften, wir müssen jetzt endlich für das Abendessen aufdecken. Wir können ja so einen Nachmittag mal wiederholen, wenn Sie das wollen", war ihr Kommentar.
Aber es gab keine Wiederholung. Sie hatte nachgefragt im Büro deswegen, "Es wäre doch nett, es noch mal zu veranstalten; ein paar Getränke könnte es dann auch dazu geben..."
Wie konnte sie nur so ein Ansinnen vorbringen! Bekam vage Antworten, leere Ausflüchte, Bedenken... Und plötzlich war der Speisesaal mitsamt dem Klavier außerhalb der Essenzeiten zugesperrt. Der geregelte Rythmus des Hauses war von ihr durcheinander gebracht worden- und alle hatten mitgemacht! Das ging natürlich nicht. "Wehret den Anfängen" - das kannte man ja schon von früher.
A U S !
Wirklich aus der Traum von Abwechslung, Bewegung, mehr Lebensfreude?
Vorläufig...-
Vor rund einem Jahr war Hans in das Haus eingezogen, gut aussehend für sein Alter, charmant, von freundlicher Wesenart. Die Seniorinnen bekamen glänzende Augen, wenn er sie freundlich grüßte, mal ein par Worte mit ihnen redete. Sie pflegten sich wieder gründlicher, machten mehr aus sich. Es war richtig nett, wenn Hans den Kavalier spielte, Türen aufhielt, den Stuhl zurecht rückte- es war plötzlich wieder mehr Leben in der Bude! Aber eben nur im Heim- da war Hans der Hahn im Korb!
Sie hatte sich angewöhnt, sich adrett zu kleiden. Spaziergänge zu machen, sich zwischen jung und alt in ein Café zu setzen, dort das Leben einzusaugen, ein Stück davon auf ihr Zimmer zu nehmen.
Eines Tages traf sie zufällig Hans im Café. Dort hatten sie Zeit und Muße, sich anregend zu unterhalten, ohne von Argusaugen der anderen Senioren im Heim beobachtet zu werden. Man wußte ja: die Mitinsassinnen konnten ganz schön eifersüchtig werden und mitunter recht spitze Bemerkungen fallen lassen.
Um das zu vermeiden, hatten sie beschlossen, möglichst immer getrennt aus dem Haus zu gehen und sich dann im Café zu treffen. Sie gingen auch mal ins Theater oder in ein gemütliches Restaurant. Irgendwann, bei Kerzenschein, gestand Hans seine Liebe zu ihr, streichelte ihre Hände,- machte zärtliche Komplimente. Arm in Arm gingen sie frohgestimmt in Seniorenheim zurück.
Seit gut drei Monaten sind sie ein Liebespaar. Hans schlich immer gegen einundzwanzig Uhr zu ihr, wenn die anderen vor dem Fernseher saßen. Sicher, das Bett war schmal- und eigentlich nicht für zwei gedacht. Aber es ging, wenn sie sich eng aneinander schmiegten- zumindest für den Anfang. Sie verstanden sich und genossen ihr Glück.
Die Mitbewohner ahnten etwas, konnten es aber nicht greifen. Man konnte nur sehen, wie sie beschwingt, ein Liedchen wir sich her summend, durch die Gänge lief. Instinktiv witterten die Frauen eine Romanze. Aber sie kamen nicht dahinter, wer noch daran beteiligt war;- das spielt sich sicher anderso ab, dachten sie.
Bald sollten sie es erfahren. Frau Enderle und ihr Hans fanden nach langer Suche eine gemeinsame Wohnung: zentral, ruhig und doch verkehrsgünstig, Geschäfte und Arztpraxen in der Nähe. Mit Bedacht haben sie ihre neue Bleide ausgesucht- mit einem Wort: seniorengerecht. Und sie werden die Heimleiterin schon bald in Kenntnis setzen, dass sie ausziehen und ihren Lebensabend gemeinsam verbringen werden...!

Kann es ein, dachte Frau Enderle, dass mir die Nachtschwester vorhin zugezwinkert hat, als sie mir eine gute Nacht wünschte...? Na und- wenn schon! Was ist dabei, wenn sie Bescheid weiß?! Was kümmert´s uns- meinen Liebsten und mich! Sie schaute auf die Uhr: 20.40 Uhr.
Da summte sie leise vor sich hin:
"Bald kommt der Hans zu mir..."

(In Memoriam für Do, und dass Klaviere nicht mehr
verschlossen bleiben)
 
Hallo

Ich hatte Probleme mit dem Anfang! Ich finde ihn zu lang und dadurch eher langweilig. Ich würde ihn kürzen.

In diesem Sinne ... lieben Gruß Stephanie
 

Traum

Mitglied
Du hast sicherlich recht

und ich werde schauen, wie ich den Anfang kürzen kann.
Vielleicht kommen noch Vorschläge dazu.

Vielen Dank,
und ich wünsche Dir noch einen guten Tag-

Traum
 



 
Oben Unten