Gutenachtgeschichte

Till Braven

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Der Raum war lang und schmal, ein düsterer Schlauch, und jetzt, mitten in der Nacht, gab nur eine schwache Lampe etwas funzeliges Licht. Dabei tauchte ihr Schein die Umgebung in ein mattgelbes Leben, so als brenne eine Kerze. Aber er riß auch tiefe, lange Schatten in schmutzigem Grau. Es roch nach altem Staub, und es zog kalt vom Fenster. Das Zimmer ist ungemütlich, dachte er. Und er wußte, daß sie es ganz ähnlich empfand. Irgendwie unheimlich, diese vier Wände. Sie hatten etwas von dem Charme der Gruselgeschichten, Spuk und Hokuspokus und Gespenster zur Geisterstunde.
„Ist doch klar, du schläfst dort, und ich schlafe hier.“ sagte sie und blickte dabei kurz in seine Richtung, und dann schaute sie ihn nicht mehr an.
Der Raum beherbergte zwei Betten, beide so groß, daß man gut und gerne zu zweit darin liegen könnte. Das eine Bett stand beim Fenster. Es war jenes, welches sie mit dem Wörtchen dort angab. Das zweite befand sich an der hinteren Wand des Zimmers, aus einem Schrank heruntergeklappt war dieses Bett. Es wirkte verborgener wegen seiner Lage an der hinteren Wand, und weil es aus dem Schrank herausgeklappt war. Hier döste man abgeschiedener, etwas herausgelöst aus der Unheimlichkeit des Zimmers, nicht mitten in ihm, wie dort im Bett. Hier wollte sie sich schlafen legen.
Sie hatte begonnen, in ihrem Gepäck nach der Tasche mit der Seife und der Zahnbürste zu suchen, deshalb schaute sie ihn jetzt nicht mehr an.
„Wir können doch auch in diesem einen Bett hier schlafen.“ bemerkte er und fuhr fort: „Wegen der alptraumhaften Schrecklichkeit des Zimmers. Wie wär’s, wenn wir uns deshalb zusammenlegen. So wie Kinder das tun würden, in fremder Umgebung.“ Und dazu dachte er: man könnte sich vielleicht in den Arm nehmen, beim Einschlafen. Aber so etwas sagte er nicht.
„Ja?“ fragte sie lächelnd und setzte sich daraufhin ganz nachdenklich auf die Couch zwischen den Liegen. Ihr Lächeln hatte ihm gefallen, aber als sie dann gedankenvoll im Sitz versank und sogar nicht einmal mehr ihre Zahnbürste weitersuchte, da dachte er schon nicht mehr daran. Daran, daß man sich vielleicht in den Arm nehmen könnte, an das Einkuscheln in die Wärme, an das Schmiegen der Wangen in ihrer Weichheit.
„Brauchen wir ja nicht, wenn dir das zu nah ist.“ sagte er. Aber das mit den weichen Wangen erzählte er ihr nicht.
„Nein, wir versuchen das erstmal so.“ sagte sie. „Erstmal versuchen wir das so, ich hier und du dort.“
Inzwischen hatte sie ihr Waschzeug aus dem Gepäck hervorgeholt und begab sich aus dem Zimmer. Er wartete sitzend und sein Blick fiel über das Bett, in welches er sich in Kürze legen würde, er musterte die Wolldecke, in ein Laken geschlagen, streifte die Fensterfront, von der es kalt zog, daß man es noch an dem Platz spürte, an dem er saß.
Möglicherweise würde er auch frieren in der Nacht, überlegte er. Nicht nur, weil er die Zugluft über das Bett streichen spürte, auch wegen der schaurigen Hülle dieses Schlafgemachs, greulich romantisch. Gut, daß sie da war. Da merkt man erst, wie wichtig es doch ist, nicht allein zu sein. Erst recht nicht in solchen Örtlichkeiten.
Nun war sie wieder aufgetaucht und schickte sich an, unter die Decke des Bettes zu schlüpfen, welches sie sich ausgesucht hatte.
„Ich glaube, es ist gar nicht so schlimm.“ bemerkte sie kurz darauf. „Die Matratze ist gut. Man liegt richtig bequem. Und warm ist es auch. Unter der Decke zumindest. Unter der Decke ist es sogar warm.“
Schließlich verließ er das Zimmer in Richtung Toilette. Auf dem Weg, und während er sich am Tagesende wusch, wanderten seine Gedanken in die tiefe Nacht, die bevorstand. Das Zimmer völlig dunkel. Auch die kleine Lampe würde ja nicht mehr leuchten. Zwei Betten, so weit voneinander entfernt, daß man sich nicht einmal die Hände würde reichen können. Wenn man sich rollen würde, niemand könnte seicht mit seiner Atmosphäre stoppen, kein Schutzschild aus Gegenseitigkeit.
Als er zurückkam, lag sie tief in die Decken eingehüllt. Bevor er nun das Licht ausschaltete, um sich blind den Weg zu seiner Ruhestätte zu suchen, hielt er neben ihrem Bett inne.
„Gute Nacht.“ sagte er. Dann neigte er sich zu ihrem Gesicht hinunter, welches sie ins Kissen drückte, und fuhr mit zwei Fingern streichelnd über ihre Wange. Sie rührte sich nicht, aber ihre Augen folgten ihm wach. „Schlaf gut.“ sagte er noch, dann verschwand er in die entfernte Ecke.
Als er lag, war es eine ganze Weile still im Zimmer. Er schloß die Augen. Das Zimmer blieb. Der langgestreckte Raum, düster, und es roch nach altem Staub, leicht angemodert. Er hatte sich die Füße kalt gelaufen, barfuß auf dem Weg zur Toilette, und jetzt spürte er sie wie schwere Klumpen.
„Schlaf gut!“ sagte sie da in die Finsternis hinein, aus der anderen Ecke des Zimmers.
„Ja.“ stimmte er ihr zu. „Du auch. Ja, natürlich, du auch.“ antwortete er.
Dann blieb es erneut lautlos. Vielleicht hätte er sich bei anderem Wetter ja in viel besserer Stimmung auf der Matratze niedergelassen, aber nun war der Tag diesig gewesen, und dazu hatte es naßkalt genieselt. Kein praller Sonnenschein, dessen Wärme sich in die Knochen fortpflanzen würde, nur grau in grau.
Und dazu dieses Zimmer. Da wünschte er sich, er wäre schon zuhause. Dort wartete sein eigenes Bett. Das verzieh ihm jede Laune und die Kissen kannten seinen Duft. Darin konnte man allein sein, den Kopf auf die eigene Schulter legen, und wurde trotzdem von Geborgenheit umworben. Gedanken konnte man nachsteigen, ohne daß ein Zimmer auftauchte, lang wie ein Schlauch und düster dunkel kalt.
„Was hast du denn? Was ist denn?“ fragte sie aus der anderen Ecke.
Er ersehnte sich, er wäre nicht mehr hier. Wieviel Zeit mochte nun vergangen sein, seit er sich gewünscht hatte, er möge sie in den Arm nehmen dürfen, sich sanft festhalten wie in Kindertagen. Das würde helfen einzuschlafen, in Obhut beschützt.
Er wußte auf ihre Frage in die Stille hinein keine Antwort, jedenfalls keine zu sagen. Er konnte sie auch nicht sehen, obwohl sich seine Augen inzwischen an die Dunkelheit gewöhnt hatten. Auch nicht, wenn er seinen Kopf in ihre Richtung drehte. Da war die Silhouette eines Bergs Decken auf dem Bett, aber sehen konnte er sie nicht.
Er sagte nichts, und die Minuten verstrichen. Er hatte kein Gefühl für die Zeit, er wußte nicht, vergingen nun drei Minuten oder eine Viertelstunde.
„Ich möchte zu dir.“ sagte er plötzlich. Und es war wieder für einen Atemzug lang regungslos ruhig.
„Ist es denn kalt?“ fragte sie.
„Ja.“ antwortete er. „Aber ich glaube, das ist es nicht. Es ist hier so....allein.“
„Dann komm.“ hörte er sie nach einem Moment. „Dann komm, aber bring dir eine Decke mit.“
So erhob er sich, die Wolldecke, welche in ein Laken eingeschlagen war, unterm Arm. Und er schlüpfte in das andere Bett, neben sie. Sie empfing ihn wortlos, auf der Seite liegend eingehüllt, von ihm abgewandt.
Nun hörte er sie atmen. Tief und regelmäßig, und manchmal, als würde sie unhörbar stöhnen. Er fühlte sich hier wärmer. Er war in ihrer Nähe, da bekam er jede Regung mit, die in ihr geschah, da konnte er sie wittern, wie ein milchiges, süßes Etwas.
„Wenn du möchtest, dann kann ich dich ja in den Arm nehmen.“ sagte er nach einer ganzen Weile. Fast hatte er schon Angst, sie könnte eingeschlummert sein, und nicht mehr mitbekommen, was er gerade vorschlug. Er sagte: „Wenn du möchtest, kann ich dich ja in den Arm nehmen.“ Aber eigentlich hätte er viel lieber gesagt: Nimm mich doch in den Arm!
„Nein. Ich will jetzt nur noch schlafen.“ entgegnete sie müde gedehnt, immer noch von ihm abgewandt.
„Aber deshalb....ja gerade.“ lauteten die Worte, mit denen er flüsternd darauf einging. „Zum Einschlafen. Ja doch. Zum besseren Einschlafen.“
Wie zwei kleine Kinder. Wie Bruder und Schwester. Wie Hänsel und Gretel in der Gewalt der Hexe aus dem Knusperhaus. In diesem Zimmer, in dem man fremd allein war.
Angeschmiegt, ganz weich, Wange an Wange, ein wenig gerieben. Oder hören, wie das Herz schlägt, wenn man das Ohr auf die Brust neben sich legt. Das dumpfe Klopfen und das Heben und Senken, weil man atmet.
Nur blieb sie von ihm abgewandt.
 



 
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