Hatschi und zugenäht!

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Timaro

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„Hatschi!“
„Gesundheit.“
„Danke gleichfalls.“
Der Psychiater reichte Peter ein Taschentuch. Mit dem Zweiten trocknete er sich selbst.

„Reaktive Depression.“
„Wie bitte?“ Peter runzelte die Stirn.
„Sie leiden unter einer mittelschweren reaktiven Depression. Reissen Sie sich etwas zusammen, denken sie an was Schönes und Sie werden sehen: Bald geht’s ihnen wieder besser. Der Nächste, bitte!“
Peter stockte der Atem. Er fühlte sich hundsmisserabel, sein Leben erschien ihm sinnlos. Freude empfinden konnte er schon lange nicht mehr und nun gab ihm seine letzte Hoffnung einen solch lapidaren Ratschlag mit auf den Weg.

„Hatschi!“
„Gesundheit.“
„Danke gleichfalls.“
„Sie scheint’s ja ganz schön erwischt zu haben.“
„Pollenallergie. Von März bis Oktober. Macht mir das Leben zur Hölle.“ Peter antwortete wie in Trance.
Hatte ihm sein Arzt wirklich „zusammenreissen“ empfohlen? Hat sich hinsichtlich der Behandlung von Depression etwas geändert und Peter hat’s als Einziger nicht mitbekommen.
„Schlimm, ganz schlimm. Pollenallergie muss schrecklich sein. Leiden Sie sehr darunter?“ fragte ihn der Seelendoktor.
Der nächste Patient schien sich zu verspäten, oder er hat sich heute mal kurz zusammengerissen, also nutzte Peter die Gelegenheit, wenigstens über sein zweitschlimmstes Problem sprechen zu dürfen.

Bereits bei meiner Geburt...“ fuhr Peter fort, „…habe ich, so wird erzählt, geniesst, statt geschrien. „Danke gleichfalls“ waren denn auch meine ersten Worte. „Sooo ein kleines Hosenscheisserchen“ bereits im Alter von einem Jahr mit „Danke gleichfalls“ zu kontern, kommt bei den Leuten nicht so gut an. So galt ich schon früh als schwieriges Kind.
Na ja, dieses Problem hat sich dann wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben gezogen.
In der Schule gab sich niemand mit mir ab, weil mein Geniese und die Feuchte drumrum selbst dem Tolerantesten und Resistentesten irgendwann zuviel wurde.
Nicht mal als Messdiener war ich zu gebrauchen. Eigentlich hoffte ich in dieser Funktion Gott etwas näher zu sein und so vielleicht mit dem Chef persönlich über die Natur, Blumen, Pro und Contra und Ähnliches zu diskutieren.
Leider gestaltete sich die Übergabe von Wein und Wasser an den Prediger als ziemlich problematisch. Ich hab bis dahin nicht gewusst, was für ein Repertoire an gottlosen Ausdrücken ein Geistlicher beherrschen muss. War bestimmt nicht immer einfach mit mir.“

„Wie stands mit Frauen? Hatten sie eine Freundin?“ wollte der Psychiater wissen.
„Einmal.“ Peter schluckte. „Sie hatte dasselbe Problem.“
„Ein bisschen depressiv?“
„Nein, Pollenallergie.“
„Um Gotteswillen!“
„Das war in der Zeit, als meine Allergie immer schlimmer wurde. Ich nieste damals nicht nur in der Nähe von Gräsern, Blumen und Kräutern, sondern auch in Gesellschaft von Menschen, welche in der Natur arbeiteten. Gärtner und Förster ertrug ich ganz schlecht.“
„Funktionierte es?“
„Wie gesagt, Gärtner und...“
„Mit Ihrer Beziehung!“
„Zu wem?“
„Zu Ihrem Hamster. Zu Ihrer Freundin natürlich!“

Peter wischte sich eine Träne ab und fuhr dann mit gedämpfter Stimme fort:
„Wir waren auf dem Heimweg von einem romantischen, harmonischen Picknick. Wir niesten dabei zwar um die Wette, aber gerade das verband uns. Wir gerieten mit unserem Auto in eine Demonstration grüner Aktivisten. Da kam er. Der schlimmste Niesanfall meines Lebens. Ich weiss nicht, wie ich das geschafft habe, aber ich überfuhr ausnahmslos jeden. Die meisten waren sofort tot. Die Schwerverletzten ertränkte ich bei der Reanimation. Das tat mir leid. Meiner Freundin auch. Ab da war ich wieder allein.“


„Traurig, traurig.“ Mein Arzt fühlte mit.

„Könnte meine Depression möglicherweise etwas mit meiner Allergie zu tun haben?“ wollte Peter wissen.
„Kann sein. Warum sind Sie eigentlich zu mir gekommen?“
„Ich wollte mich umbringen.“
„Wieso das?“
„Sie sagten etwas von einer reaktiven Depression.“ Peter verlor langsam die Geduld.
„Richtig, da war was. Wie ist es passiert, das mit dem Suizidversuch?“

Peter setzte sich auf, gedankenverloren starrte er vor sich hin.
Leise fuhr er fort: „Nachdem mich meine Freundin verlassen hatte, sah ich keinen Sinn mehr im Leben. Meine Allergie, die Psyche...“ Jedenfalls entschloss ich mich, diesem unwürdigen Dasein ein Ende zu setzen. Ich nahm mir einen Stuhl, legte eine Schlinge um den Hals, schneuzte nochmals und liess mein Leben ein letztes Mal Revue passieren. Irgendwie erinnerte ich mich dabei auch an viele schöne Dinge. Plötzlich funkte ein Keimchen Hoffnung auf. Ich wollte den Knoten grade lösen..“ Peter schluchzte.
„Was passierte dann?“

„Hatschi.“
„Gesundheit.“ Sagte der Mann mit dem weissen Bart und dem weiten, wallenden Gewand.
 



 
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