Hauptrolle

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Sumpfkuh

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Wirklich zu leben - das ist das Allerseltenste auf dieser Welt.
Die meisten Menschen existieren nur, sonst nichts.
Oscar Wilde, (1854 - 1900)


"Schön, wieder hier zu sein", dachte Ilya und schritt zufrieden durch die riesige Empfangshalle.
Er schaute sich staunend um, einiges hatte sich verändert, seit er das letzte Mal hier gewesen war.
Reges Treiben herrschte hier, viele Ankömmlinge standen in Schlangen vor jeweils einem der vielen Tresen, unzählige Pflanzen jeglicher Herkunft verteilten sich unsymmetrisch durch den weiten Flur und hier und da waren leise Geräusche von Tieren zu vernehmen.
Ilya ging zu Tresen Nummer vier. Trotz des vielen Trubels hatte er seinen Freund Kron sofort erkannt, der gerade damit beschäftigt war eine ältere Dame abzufertigen.
Als Kron ihn erblickte, hellte sich seine Miene schlagartig auf.
"Ilya, wie schön das du wieder da bist", lachte Kron und kam hinter seinem Tresen hervor um Ilya zu umarmen.
"Sag schon, wie war es diesmal?", forderte er llya auf.
Kron arbeitete schon am Empfang solange er sich erinnern konnte.
Illya hatte auch mal kurzfristig hier ausgeholfen, aber er hatte sich mit diesem Job einfach nicht anfreunden können. Immer das Selbe, Tag ein Tag aus Ankömmlinge einweisen, Daten aufnehmen und Berichte schreiben, diese träge Arbeit hatte ihn schnell gelangweilt.
„Einfach genial. Du musst das wirklich ausprobieren, es ist immer wieder aufregend, immer wieder neu und faszinierend. Das musst du aber selbst erleben, sonst glaubst du es nicht.“, sagte er euphorisch zu Kron, der nun wieder hinter seinem Tresen stand und Ilyas Ankunft bestätigte.
„Och. Ich glaube lieber nicht“, grinste Kron und öffnete den Durchgang für ihn. „Wenn ich dich so ansehe, erspar ich mir das doch lieber“ neckte er Ilya.
„Sehr witzig“, lachte Ilya, „ich habe aber auch schon schlimmer ausgesehen, falls du dich an vorletztes Mal erinnerst“.
„Oh ja, da hast du wohl Recht“, lachte Kron und rümpfte die Nase.
„Du bist echt ein Feigling, probier es doch wenigstens einmal, dann weißt du wenigstens was du nicht magst“, versuchte er Kron zu überreden.
Er konnte nicht verstehen, warum es ihn nicht zu diesem Abenteuer hinzog. Aber vielleicht waren sie auch deshalb so gut befreundet. Kron war eher der ruhige, gelassene Typ, während Ilya ein Draufgänger und Spieler war. Kron holte ihn regelmäßig auf den Boden der Tatsachen zurück, während Ilya Kron zu Dingen überredete die außerhalb seines Trotts lagen.
„Naja, ich überlege es mir mal“, antwortete Kron augenzwinkernd und schaute hinter Ilya.
Dort hatte sich nun auch eine kleine Schlange gebildet, die langsam unruhig wurde.
Kron warf ihm einen entschuldigenden Blick zu als er ihm den Weg deutete.
„Schade. Sehen wir uns später noch?“ fragte Ilya, als er in Richtung Durchgang spazierte.
„Das hoffe ich doch schwer“, lächelte Kron, während er schon den nächsten in der Schlange heranwinkte.
Nachdem Ilya den Durchgang passiert hatte, kam er auf den Hauptgang, von dem alle Abteilungen abgingen. Als erstes würde er sich bei seinem Chef melden müssen, um seine nächste Rolle zugewiesen zu bekommen. Er hätte auch Urlaub nehmen können, schließlich hatte er fünfzehn Rollen hintereinander gespielt, aber er war eben ein echter Abenteurer, seine Rollen waren für ihn wie Urlaub, gestresst war er selten. Dabei gab es hier viele Aktivitäten, denen er nachgehen konnte. Er kam an dem Autorentrakt vorbei, welcher den größten Teil gegenwärtig einnahm. Dieser war noch einmal unterteilt in diverse Themen wie Menschen, Tiere, Pflanzen, Insekten und mehr. Viele Autoren waren hier rund um die Uhr kreativ am Werk, einige davon enge Freunde von Ilya. Er kannte sogar zwei der Chefautoren, die ausschließlich große Drehbücher schrieben. Hauptrollen.
Zu seiner rechten Seite lagen die Räumlichkeiten der Kostüm- und Bühnenbildner, welche ständig an neuen, raffinierten und exklusiven Sachen feilten. Manchmal fragte er sich, woher sie bloß diese großartigen Einfälle nahmen von denen er jedes Mal auf ein Neues begeistert war.
Er war nicht besonders geschickt im Fertigen von Dingen, sein Talent lag eher im Spielen und Darstellen und das verschaffte ihm auch einen Heidenspaß.
Die Kulissen hatten anfangs eher dürftig ausgesehen, waren aber im Laufe der Zeit waren sie gewachsen und weiter gereift, genauso wie die Handlungen und Dialoge der Darsteller, und die Akteure selbst hatten auch einige evolutionäre Veränderungen durchgemacht.
Jetzt kam er an einem der Freizeiträume vorbei.
„Gläserrücken“ stand auf einem Schild an de Tür.
Ilya verdrehte die Augen. „So ein Mist“, dachte er sich. Er glaubte nicht an diesen Unfug. Er war einmal zwischen zwei Rollen dort gewesen, und sie wollten sie ihm tatsächlich weismachen, dass sich das Glas von alleine bewegen würde, wobei er überzeugt war, dass einer der anderen Teilnehmer das Gefäß bewegte.
Er war nie wieder dort gewesen.
Weiter hinten lagen mehrere große Kinosäle, daneben einige der kleinen. Alle Säle waren fortwährend besucht, in einem lief gerade das Leben von Michael Jackson, in einem der kleineren Räume eine Dokumentation über den König der Steppe. Die Leinwände standen niemals still. Hier hatte er schon viel Zeit verbracht und seinen Freunden beim ihrem Spiel zugesehen.
Jetzt kam er zu den Chefbüros und den Rollenverteilern.
Er ging direkt in das Büro seines Chefs, Anklopfen war hier nicht notwendig.
Sein Chef erhellte sich, als er ihn sah. „Ich habe dich bereits erwartet“, sprach er und deutete ihm, Platz zu nehmen.
Ilya nahm auf der großen Ledercouch Platz, ein Detail aus der Bühnenbildabteilung. Sein Chef liebte es, sein Büro mit Requisiten zu schmücken. So gab es auch noch einen Ahornschreibtisch, eine Tiffanylampe - die natürlich hier nicht funktionierten musste - und ein echtes Bärenfell.
„Die Freude ist ganz meinerseits“, sprach Ilya lächelnd zu seinem Chef.
„Kommen wir direkt zur Sache, es ist viel los heute“, sagte sein Boss und nahm neben ihm Platz.
„Wie viele Rollen hast du jetzt genau gespielt?“ erkundigte er sich bei Ilya. Natürlich wusste sein Chef haargenau, wie viele Male er schon gespielt hatte, aber wahrscheinlich wollte er es von ihm persönlich hören.
„Vierhunderzwölf“, sagte Ilya ohne lange zu überlegen.
„Mit Tieren, Statisten, Kurzrollen, allem drum und dran?“ fragte sein Boss.
„Die komplette Liste rauf und runter“, bestätigte Ilya nickend.



„Nun, ich habe deinen Werdegang mit Freude beobachtet, deshalb denke ich es wird nun Zeit für etwas Größeres“, äußerte sein Chef etwas verschwörerisch.
Ilya spürte aufgeregte Freude in sich aufsteigen, „Ich bekomme doch wohl nicht etwa eine…nein, oder?“
„Doch, du bekommst eine Hauptrolle und wirst zukünftig freie Hand haben“, lächelte sein Meister.
Ilya konnte es kaum fassen. Er hatte so lange auf diese Chance gewartet, sich erträumt was er tun würde, und nur die wenigsten bekamen überhaupt eine Möglichkeit. Der letzte Darsteller mit freier Handhabung hatte Mussolini gespielt.
Und das ziemlich gut. Er fragte sich, ob er es überhaupt schaffen würde, ob er wirklich gut genug dafür wäre.
„Kein festes Drehbuch, keine limitierte Dauer?“ fragte er ungläubig.
„Nein, die Hauptsache ist, du machst deine Sache gut. Naturkatastrophen haben bisher nicht ausgereicht, wir brauchen Platz, deshalb sollst du die Hauptrolle spielen“, sprach er und erhob sich, um ihn zur Tür zu geleiten, scheinbar sollte er sofort los.
„Ich bin mir sicher, du wirst uns nicht enttäuschen. Und nun wünsche ich dir viel Spaß“, sagte sein Chef. n An seiner hellen blauen Farbe konnte Ilya erkennen, dass sein Chef sich wirklich für ihn freute und großes Vertrauen in ihn legte. Spontan umarmte er ihn und sie vereinten sich zu einer großen Kugel gleißenden Lichts, als es passierte. Dann trennten sich die Lichtgestalten wieder von einander. Ilya winkte seinem Chef noch einmal, dann schwebte er glücklich und aufgeregt zurück auf den Flur in Richtung Abfertigungshalle. Ein Drehbuch brauchte er sich diesmal nicht abholen. Es gab ja keine Vorgaben für ihn.
„Sicherlich hat die Bühnenabteilung schon den neuen Hintergrund fertig“, dachte er, als er an dem Animationsgebäude entlang wiegte, wo unzählige Lichtkegel fleißig am arbeiten waren. Er erkannte seine Bekannte Rina und winkte hinüber. Sie leuchtete rosa, als sie ihn sah und wandte sich dann wieder ihrer Arbeit zu.
Hier wurde große Animation für ihre Zeit auf der Erdenkulisse für sie erarbeitet. Das waren Naturkatastrophen, Spukerscheinungen, Wunder, Sternschnuppen, das ganze Programm eben. Oft hatte er da mitgewirkt. Kurzrollen, die aber auch viel Spaß machten. Es war einfach schön, Freunde persönlich von der Erde abzuholen und ihre Freude zu erleben, wenn sie sich kurz nach ihrem menschlichen Dasein wieder sahen.
Im Gläserrückenraum saßen ein paar Gelangweilte die versuchten, Kontakt mit den Lebenden herzustellen.

Nun ja, wenn er wieder kam, dann würde er endlich mal wieder alle seine Freunde wiedersehen.
Die meisten waren nämlich auch Darsteller so wie er und waren meistens in einer Rolle auf der Erde unterwegs.
Selten traf man sich hier. Höchstens zu Urlaubszeiten und beim Rollenwechsel.
Ob er wohl Mann oder Frau sein würde, fragte er sich noch als er den Ausgang betrat.
Er dachte an Kron, bei dem er vorhin seinen alten Körper abgegeben hatte. Er würde sicher verstehen, dass er direkt wieder los musste, außerdem würde er ihn später im Kino sehen, er hoffte, Kron würde stolz auf ihn sein. Zuletzt war er eine Stockrose gewesen, wurde gepflückt und ist dann vertrocknet. Pflanzen waren die beliebtesten Rollen, weil sie am aufregendsten sind und es gibt große Wartelisten. Davon hatten die Menschen keinen blassen Schimmer, konnten sie auch nicht, weil es ja nicht in ihrem Drehbuch stand.
Von vielen Rollen, die neben denen der Menschen existierten, hatten diese keine Ahnung.
Nur so konnte man eine Kulisse optimal nutzen.
Gelegentlich wurden sogar Feste auf der Erdkulisse gefeiert, es gab regelmäßig Führungen durch die verschiedenen Bühnen, die sich zu großer Beliebtheit entwickelt hatten. Manchmal kam es durch einen Fehler - denn auch hier passierten Fehler - zu einer Konfrontation zwischen Mensch und Lichtgestalt, aber die wurde meistens schnell behoben und die Zuschauer in den Kinos freuten sich über das nächste „Best of Pannen“. Das Drehbuch des Menschen, der in die Panne involviert war, wurde dann meistens kurzfristig umgeschrieben, oder das Erlebte wurde einfach gelöscht. Viele Rollen mussten wiederholt werden. So lange, bis es gut genug für eine der großen Kinosäle war. So war der Darsteller von Wolfgang Petry nun schon zum achzehnten Mal auf der Erde um sein Leben endlich sinnvoll zu gestalten.
Aber einen Menschen zu spielen, der mit freier Handhabung die neusten Requisiten ausprobieren durfte, das war einfach fantastisch.
Atombomben waren längst überholt, was die Handwerker bei den Requisiten da nun gebastelt hatten war viel besser und umfangreicher, damit würde er viel schneller viel mehr Platz für neue Rollen schaffen. Das hatte seinen Reiz, wähnte er und entschwebte freudig durch den Ausgang, der seine alte Seele wieder auf Null stellte und ihn direkt in die Gebärmutter eines anderen Darstellers schickte.
 

Charly

Mitglied
Hallo Sumpfkuh,

die Idee ist nicht schlecht.
Der Anfang ist zu lang. Zu ausgearbeitet gegenüber dem Rest. Der Spannungsbogen fehlt.
Wenn du zuerst Spannung reinbringst, vielleicht durch eine skurille Tatsache, dann die Erklärung, also Auflösung, und es vielleicht auch noch zu einem überraschenden Abschluss bringst (vielleicht etwas zum Ablachen), könnte durchaus eine lesenswerte Geschichte daraus werden.
An deiner Stelle würde ich auf jeden Fall an dieser Idee und diesem Text weiterarbeiten.

Gruß Charly
 

Gorgonski

Mitglied
Hallo Sumpfkuh

Ich denke im Gegensatz zum Vorredner, daß Du schon eine Menge in den Text investiert hast und wohl nicht mehr viel ändern wirst.
Allerdings könnte die Geschichte etwas Spannung vertragen, frag mich aber nicht wie...

Als einzigen kleinen Fehler entdeckt:
<Die Kulissen hatten anfangs eher dürftig ausgesehen, [strike]waren [/strike]aber im Laufe der Zeit waren sie gewachsen und weiter gereift, genauso wie die...>


MfG, Rocco
 



 
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