Herbst

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behappy

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Herbst

Der September verschwindet und der Oktober hat schon wieder unzählige Tage hinter sich gebracht. Die Reifen stehen dort, an die Tür des alten Schuppen gelehnt. Die Fenster auf der Nordseite des Hauses sind leicht geöffnet. Der Weg vor dem Haus ist noch feucht vom Regen am Tag zuvor. Gestern noch hat es geregnet. Gestern sprachen wir miteinander. Ich hörte deine Schritte, als sie draußen im Regen verschwanden.

Es klingelt. Ich öffne die Tür nicht, sondern gehe in die Küche und esse etwas. Ich schließe das Fenster in der Küche. Die Sonne scheint auf das Gras draußen, ebenso wie auf den Weg. Das Gras ist noch naß. Ich öffne das Fenster wieder und spucke hinaus.

Warum ist ein Tag oder eine Stunde so lang, wenn es jetzt, im Oktober, schon die zweite Woche erreicht hat, der September einfach vorbeigegangen und die Wärme, die er mitbrachte, nicht wiederzuholen ist. Ich nehme das Telefon in die Hand und stelle es sofort wieder zurück. Bevor ich überlegen kann, wen ich anrufen möchte. Jetzt hinausgehen, über die Straße laufen, mit den Schuhen über den nassen Asphalt schlürfen. Es ist kein Wind da. Das wäre das richtige - Wind.

Ein Bus hält nicht weit vom Haus. Ich kann ihn nicht sehen, aber ich höre genau, wann er wieder losfährt. Ich warte darauf. Ich weiß, daß ich den Bus auch höre, wenn alle Fenster geschlossen sind. Gestern, als du hier warst, hörte ich keinen von den Bussen oder Autos, die vorbeifuhren. Du sprachst, und es lag kein Bedauern in deiner Stimme. Ich sprach und wollte nicht, daß irgend etwas in meiner Stimme liegt. So war es, ich weiß genau, daß es so war. Ich überlegte einen Moment, dir hinterherzublicken, entschied mich aber dagegen.

Ich bin müde und gähne. Ich streiche über meine Augenbrauen, über meine Nase und unter meinen Augen.

Morgens Nebel. Gestern wie heute. Als du mir gegenüber saßest und leicht mit der Schulter zucktest, nein, sage ich mir jetzt, das warst nicht du, ich bin es, der mit den Schultern zuckt vor Ratlosigkeit. Ich stand auf, sagte etwas, schon nicht mehr zu dir gewendet und klopfte leise gegen die Tür des Schrankes. Wir wollten unsere Stimmen hören und redeten.

Ich trinke Kaffee. Nachdem ich lange Zeit auf ihn verzichtet hatte, dachte ich, es sei ein Fest, wieder Kaffee zu trinken, sehr heiß mit Sahne. Nun ja - manchmal genieße ich es wirklich. Gestern machte ich Tee. Ich nahm nicht wie sonst einen Beutel, sondern den losen Tee, schüttete zwei Löffel in das Teesieb und hängte es in die Kanne. Als ich das Sieb herauszog, klingelte es. Du lächeltest mich an, doch wir umarmten uns nicht. Ich weiß, wie ich die Tür hinter dir schloß, es war das letzte Geräusch, das ich hörte, bis du gingst.

Ich blicke aus dem Fenster. Es ist genau wie vor ein paar Sekunden oder vor einer halben Stunde oder wie heute morgen. Ein kleiner Baum hat sich schon rötlich verfärbt, alle anderen, auch die Büsche haben noch grüne Blätter. Es ist bestimmt anders als am Morgen, sage ich mir, bestimmt wurden am Nachbarhaus die Rolläden hochgezogen und das Gras war so naß, daß die Schuhe innen feucht wurden. Ich begebe mich wieder in die Küche und setze mich auf den Küchentisch. Warum blickte ich dich gestern nicht von hier aus an, warum lachten wir nicht und fielen uns in die Arme.

Du trugst eine rote Bluse. Du gingst, nachdem wir uns begrüßt hatten, sehr vorsichtig in mein Zimmer.

Der Weg vor dem Haus trocknet. Das Gras ist bestimmt noch naß. Wie wohl deine Schritte auf dem trockenen Weg klingen mögen? Ich öffne die Tür und setze mich auf die Treppe. Ich schütte den Kaffee, der inzwischen kalt geworden ist, auf die Erde. Niemand hat einen Schaden erlitten, sagt Cary Grant zu Ingrid Bergmann in Notorious. Ich sage den Satz halblaut vor mich hin. Es ist ziemlich mild, und ich ziehe meine Schuhe und meine Socken aus.

Als wir am Tisch saßen, berührtest du meine Hand. Du berührtest sie nur ganz leicht und zogst deine Hand langsam zurück. Ich blickte auf meine Hand und sagte nichts.

Ich laufe barfuß auf dem Weg und stelle fest, daß er noch nicht überall trocken ist. Ich knie nieder und befühle ihn mit meinen Händen. Der Weg ist sehr hell.

Für einen Moment glaube ich, daß du nie wieder hierher kommen wirst.

Meine Füße beginnen, kalt zu werden. Ich laufe zur Treppe zurück und ziehe meine Socken wieder an. Als wir den Tee tranken, wolltest du eine Zigarette rauchen. Ich zog meine Schachtel hervor, und sie war leer. Du nahmst deine Schachtel aus der Handtasche, und sie war leer. Wir lachten beide, und ich war glücklich, daß wir lachten. Vor dem Haus gegenüber ist ein Automat, sagte ich eine Weile später. Du fragtest mich, ob ich rauchen wolle, und ich schüttelte den Kopf. Habe ich für heute abend eine Verabredung?

Ich laufe im Zimmer umher und lege dies und jenes hierhin, dorthin. Ich nehme einen Pinsel mit weichen Haaren und streiche damit über meine Augenbrauen und meine Ohren.

Du nahmst deine Tasse, stelltest sie auf den Schrank und sahst mich dabei an. Ich schaute auf die Tasse, und mir fiel auf, daß ein Sprung darin war, und ich weiß schon lange, daß die Tasse einen Sprung hat.

Es könnte etwa eine halbe Stunde vergangen sein, seitdem ich draußen auf der Treppe saß.

Als ich in die Küche ging, um frischen Tee zu bereiten, sah ich im Haus gegenüber ein Kind. Es drückte mit beiden Händen gegen die Fensterscheibe und schaute nach draußen. Kurze Zeit später war es verschwunden. Du trankst keinen Tee mehr. Ich ließ die Kanne auf dem Tisch stehen und blickte dich an.

Es gibt so viele Dinge, die man erledigen kann, daß die Zeit vergeht.

Ich laufe durch die Wohnung. Jetzt bin ich nervös.


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knychen

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hallo christoph,
die zeitsprünge waren etwas verwirrend, das gleichnis mit dem sprung in der tasse jedoch genial. alles in allem würde ich sagen, das depressionen -trennungen, sommer vorbei, scheiss wetter- ganz gute motivationen sein können.
gruß knychen
 

Zefira

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Lieber Christoph,
Du hast mir einen wunderschönen Tagesausklang beschert mit den Worten
>Ich laufe im Zimmer umher und lege dies und jenes hierhin, dorthin. Ich nehme einen Pinsel mit weichen Haaren und streiche damit über meine Augenbrauen und meine Ohren.<

Ich wollte nur, du hättest die letzte Zeile weggelassen - ohne das wäre es ein feines Herbst-Stimmungsbild ...
 

behappy

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Liebe Anna,

ich finde, ohne die letzte Zeile fehlt dem Text etwas, nämlich das Unstete, Unruhige, mit dem das 'ich' aus der Geschichte hervorgeht. Auch vom Rhythmus her, gefiele mir es nicht, eine Zeile vorher aufzuhören.

Gruß
Christoph
 

Zefira

Mitglied
Lieber Christoph,
nun, es ist Deine Entscheidung, mit welchem Eindruck Du schließen willst. Vielleicht hat mir auch mein eigenes Ruhebedürfnis gestern abend den Kommentar eingegeben...

Zumindest das "jetzt" im letzten Satz solltest Du aber überdenken. Die Unruhe durchzieht den ganzen Text (nervös herumlaufen, Gegenstände hin- und herlegen usw.) und ist insoweit am Ende nichts Neues, was man mit "jetzt" ansagen sollte, oder?
 



 
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