Herbst: nein danke

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El Gazzo

Mitglied
Herbstfarben

Wie treffend ihn doch die Engländer bezeichnen. „fall“. Einfach, prägnant. „fall“ kannst du nur fühlen. Ein kurzes Wort als Meisterschütze, sein Ziel nicht verfehlend.

Vom Klang her allerdings hat der Engländer das falsche Wort gewählt. Gänzlich unpassend, dieses weiche „fall“. Bei uns heißt es wenigstens so wie es ist. Herbst. Eckig, kalt und hart. Selbst ein Zischlaut ist eingebaut! Unsere Gesellschaft lässt sich das gefallen. Fallen doch nicht nur Blätter in dieser Jahreszeit.

Es fällt das Stimmungsbarometer der Menschen um dich herum. Schlimmer noch. Du fällst mit ihnen. Du spürst es nicht so deutlich? Nun, die anderen begleiten dich im Fall, auf gleicher Höhe sozusagen.
Die angeschlagene Psyche, Depressionen haben Hochkonjunktur, die Selbstmordrate ist rekordverdächtig. Kaum einer schaut in sein Inneres, in den tiefen Brunnen seiner Bewusstheit. Dort, wo sich alles Wichtige abspielt. Dort, wo gesteuert wird und mitunter unglaubliche Irrtümer zustande kommen.

Trauern wir dem ärmellos trockenen Sommer nach, den Ferien mit ihren selbst gestrickten Freiheiten, den salzsonnigen Mittelmeerländern? Kommt unser Chemiehaushalt ins Schwanken, durch das sich langsam reduzierende Vitamin-D. Die Tage sparen zunehmend an Licht, und das morgendliche. Aufstehen im Dunkeln lässt uns glauben, wir gingen zur Nachtschicht.

Wo sind die Farben? „Fall“. Wir fallen und haben keine Ahnung wie schnell, wie weit, wohin. Nicht zufällig feiern wir Allerheiligen gerade in dieser Zeit. Wieso eigentlich feiern und warum Feiertag? Ich kenne niemanden, der an diesem Tage wirklich feiert.
Wir stehen unmotiviert wie bestellt und aufgefädelt, an den Gräbern der Verstorbenen, die gewissermaßen auch „gefallen“ sind.

Wenn man all diesen inneren Zuständen nun Farben zuordnete, sie wären niemals fröhlich. Selbst eingefleischte Romantiker, die Natur anbetend, müssten zugeben, dass die viel zitierte reiche Farbenpalette im großen und ganzen auf Erdfarben beschränkt ist, lediglich ein kurzes biologisches Intermezzo darstellt und genau genommen den Tod aller Blätter andeutet, vorwegnimmt. Weitab vom frischen Grün des Gegenspielers Lenz. Die grau einfallenden Nebelfetzen sind die nahezu ideale Ergänzung zur jahreszeit-bedingten Katastrophe. Die dadurch verursachten Auffahrunfälle möchte ich hier gar nicht erst erwähnen.

Wenige Wochen später schließlich wird das ohnehin gebremste Wohlbefinden gar noch etikettiert und endgültig in den Boden gerammt. Auf dem Etikett steht schlicht: Advent. Sage und schreibe vier Wochen Dauerunlust, verschärft durch inoffizielles farbloses Humorverbot. Tiefer kann man nicht fallen.

Der absolute Gipfel dieses in jeder Weise farblosen Herbstes ist jedoch sein Ausklang. Die Weihnachtsvorfreude! Ich nehme Kinder und deren Geschenkbedürftigkeit jetzt einmal aus. Die Erwachsenen aber sind an diesem, besonders christlich gemeinten Fest doch eher in sich geknickt oder ganz gebrochen. Mal ganz ehrlich: Kennen sie in ihrer Verwandt- oder Bekanntschaft mehr Beispiele für gemeinsames Glück und Eintracht oder eher für Schmerz, Trennung. Die Zahlen der Statistiker sind gnadenlos. Besonders in dieser spätherbstlichen Zeit fallen solche Missstände den Betroffenen besonders schmerzvoll auf die leicht angezuckerten Köpfe. Jetzt, wo sie erst lernen müssten allein zu sein und erkennen sollten, wie wenig praktikabel Egoismus doch ist, aus der Sicht eines Singles.

Ich möchte nicht als Schwarzmaler gelten, sonst müsste ich noch erwähnen, wie der erhebliche Teil der Gesellschaft als Zwangsalternative die Kaufhäuser stürmt, nur um sich abzulenken. Diese gefühlsbetonte Zeit der Familie, Ruhe, dem Frieden und der Besinnlichkeit zugedacht wäre. In Großmärkten aber wird nur Hektik und Stress in viel Gold und Silber verpackt feilgeboten. Keine typischen Herbstfarben.

Herbstfarben! Dass ich nicht … traurig werde.

© El Gazzo
 
L

Lotte Werther

Gast
Kolumne

Hallo El Gazzo,

Dies hier ist dein erster Prosatext auf der Leselupe.

Ich habe eines deiner ersten Gedichte noch in guter Erinnerung. Musica Musica. Dann folgten andere nach in verschiedenen Foren. Sie zeugen alle von deiner Stärke, die in der Lyrik liegt.

Dieser Text ist eher im Forum Kolumnen anzusiedeln. Es ist ein Zeitungsartikel, keine Kurzgeschichte. Am Text selbst solltest du noch intensiv arbeiten. Hier einige Anregungen:

"Denn beim Fallen in dieser Jahreszeit sind nicht nur die Blätter gemeint."
Fallen doch nicht nur Blätter in dieser Jahreszeit.

"Das ist auch der Grund, warum du es nicht so deutlich spürst..."
Du spürst es nicht so deutlich?

Was mir gefallen hat, ist der Wortvergleich selbst. Das weiche fall im Gegensatz zum harten Herbst.

El Gazzo, das Straffen des Textes sehe ich als wichtigste Arbeit vorerst. Frisch ran also.

Viel Spaß weiter beim Schreiben wünscht

Lotte Werther
 



 
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