Herbstblues

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Walther

Mitglied
Herbstblues


Es schwelgt der Indian Summer in den Farben.
Die Augen quellen über, sehn sich satt.
Ich gehe durch die Lande, fühl mich matt.
Es sind nicht nur die Träume, die verdarben.

Auf Feldern steht das Stroh in fahlen Garben.
Wohl dem, der jetzt schon das geerntet hat,
Das winters mangelt. Der Wind bewegt ein Blatt,
Das leise fällt auf die, die früher starben.

Ich lasse diesen Wind die Wangen streicheln
Und lächle in mich, hör den Vogelschwarm.
Kastanien schau ich und die vielen Eicheln;

Die Sonne scheint so weich und wohlig warm:
Es fällt heut leicht, sein Glücklichsein zu heucheln,
Ein hoffnungsloses Herz ist wirklich arm.

für Walter Kempowski
 

AlexT

Mitglied
Ein interessanter und überraschender Schluss. Das wirft schon einmal ein Licht auf eine oft verdrängte Wahrheit bzw. Problem: Das, was wie Gradationen an Glücklichsein bei einer person aussieht, zeigt nur, dass es manchmal unerträglich schwer bis unmöglich ist, sich glücklich zu ZEIGEN, und manchmal eben doch etwas leichter - an der Bitterkeit der LAge ändert das aber nichts, weil dieses scheinbare Glück etwas NICHT VORHANDENES ist, so oder so! Die Welt übersieht das, wie auch sonst vieles, und Du zeigst das auf. Finde ich schon mal gut. Auch in den Quartetten schöne poetische Atmosphäre, die Vergänglichkeit schön deutlich gemacht und das tiefe Paradoxon zwischen Schönheit (Farben des Herbstlaubs) und Verfall/Abgleiten ins Nichtsein ("Es sind nicht nur die Träume, die verdarben") in einem und demselben Vorgang in der Natur, nämlich der Verfärbung der Blätter im Herbst. Ein harmonisches Gesamtkonzept zwischen den vier Strophen ist deutlich erkennbar. Insgesamt also ziemlich gut in meinen Augen.
 

Walther

Mitglied
Morgen, lieber Alex,

danke erst einmal für Deine lobende Erwähnung; in der Tat hat selbst der abgebrühteste Dichter einen gelegentlichen Bedarf nach öffentlichem Lob. :)

Herbstgedichte leben in der Ambivalenz der Jahreszeit: Hurra, wir leben noch, sind noch nicht ganz tot, aber bald. Dann, wenn der Winter kommt, wird es düster, werden fröhliche Wohnzimmer mit Sonneneinstrahlung grau-kalte Höhlen.

Daher auch: Wohl dem, der jetzt schon das geerntet hat, was winters mangelt: Mut und Hoffnung beispielsweise, Seelennahrung also. Aber mehr: Der Wind bewegt ein Blatt, das leise fällt auf die, die früher starben. Kempowski war ein Sammler von Blättern derer, die früher starben, er war der Wind, der diese Blätter (noch) bewegt hat. Und nun?

Den Rest könnte man ebenfalls interpretieren, man kann aber auch das tun, was die Trauer erträglicher macht, zur Tagesordnung übergehen, die Wangen wohlig vom lauen Oktoberwind, der wie ein Frühlingsfächeln daherkommt, streicheln lassen, der ein letzter Bote des Südens ist, da, wo das Leben jetzt noch pulsiert.

Das allein ist schon Hoffnung, eine kurze nur. Und dennoch: Das Memento mori ist in schwelgende Farben eingehüllt. Und da wollen wir es, aller Angst trotzend, für heute belassen, ohne es aber aus den Augen zu verlieren.

So schließt dieses Gedicht den Kreis zum Barock, aus dem es in die Istzeit gewachsen ist. Dabei ist ihm das verloren gegangen, was diese Epoche noch hatte: die Gottesgewißheit. Der Preis dafür ist hoch: Ein hoffnungsloses Herz ist wirklich arm.

Lieber Gruß W.
 

maerchenhexe

Mitglied
lieber Walther,

'Tadellöser' möchte ich da fast sagen. Eine Hommage an den Blättersammler Kempowski, den ich für einen der bedeutensten Schriftsteller der Gegenwart hielt. Die Sonettform spannt wunderbar den Bogen aus der Zeit kommend wieder hin zum Vergänglichen. Schön, das du nicht im Gedanken der Vergänglichkeit verharrst, sondern Hoffnung mitschwinfen lässt. Berührende,behutsame Bilder, die tragen. Um mit dir zu sprechen, nur ein hoffnungsloses Herz ist wirklich arm.

ganz lieber Gruß
maerchenhexe
 

Walther

Mitglied
Hallo Maerchenhexe,
Walter Kempowski hat die Vergangenheit der schlimmsten deutschen Zeit in die Gegenwart zu retten versucht. Das ist ein heroischer Auftrag, den er sich selbst stellte. Er hat ihn gegen alle Widerstände doch am Ende recht erfolgreich erledigt.
Heute nennen wir ihn einen der bedeutendsten Schriftsteller der jüngeren Vergangenheit. Daran kann man erkennen, daß mit seinem Ableben ein Teil dessen, was er ans Licht brachte, wieder verschatten wird. Unser Dasein ist endlich, was von uns bleibt, wenig bis nichts.
'Tadellöser' möchte ich da fast sagen. Eine Hommage an den Blättersammler Kempowski, den ich für einen der bedeutensten Schriftsteller der Gegenwart hielt.
Dieses Lob ist vielleicht ein wenig zu viel des Guten, zeigt aber auf, worum es geht: Die Vergangenheitsform des "hielt", denn auch wenn er tot ist, können wir ihn noch "halten", bis auch wir gegangen sind in das Schattenreich. Diese werden nach unserem Vergehen immer dichter, bis wir Teil des Ursprungs aller Dinge sind oder eben der so rätselhaften "Dunklen Materie", die gerade die Anstrophysiker so fasziniert. Es wäre sicherlich spannend, über diesen Zusammenhang einen philosphisch-semantischen Essay zu schreiben. Vielleicht mache ich das mal. :)
Dir jedenfalls vielen Dank für Deinen freundlichen Eintrag.
Indian Summer Sonnengrüße entbietet Dir und allen Lupianern
der W.
 
T

Thys

Gast
Hi Walther,

so langsam kommt's mir wieder. Irgendwie war mir so, als hätten wir schon einmal eine umfangreichere Diskussion geführt.
Es ging damals um Deinen Text "Aus tiefen Bechern".

Nun, im Gegensatz zu damals halte ich mich hier kurz. Deinen "Herbstblues" finde ich durchweg gelungen und überzeugend.

Gruß

Thys
 
T

Thys

Gast
Hi Walther,

hab ich noch nicht gesehen. Werd ich mir beizeiten ansehen und ggf. kommentieren.

Gruß

Thys
 

Hieronymus

Mitglied
Hallo Walther,

ein schönes, bilderstarkes Sonett.
Zeile 3 in Strophe 2 fällt rhythmisch etwas aus dem Rahmen (zwei unbetonte Silben hintereinander in "man[blue]gelt. Der[/blue] Wind").
Ist das Absicht?

LG Hieronymus
 

Walther

Mitglied
Herbstblues


Es schwelgt der Indian Summer in den Farben.
Die Augen quellen über, sehn sich satt.
Ich gehe durch die Lande, fühl mich matt.
Es sind nicht nur die Träume, die verdarben.

Auf Feldern steht das Stroh in fahlen Garben.
Wohl dem, der jetzt schon das geerntet hat,
Das winters mangelt. Wind bewegt ein Blatt,
Das leise fällt auf die, die früher starben.

Ich lasse diesen Wind die Wangen streicheln
Und lächle in mich, hör den Vogelschwarm.
Kastanien schau ich und die vielen Eicheln;

Die Sonne scheint so weich und wohlig warm:
Es fällt heut leicht, sein Glücklichsein zu heucheln,
Ein hoffnungsloses Herz ist wirklich arm.

für Walter Kempowski
 

Walther

Mitglied
Hi Hieronymus,

das stimmt, und keiner hat's bisher bemerkt. Ich habe den Artikel, der nicht benötigt wird, einfach gelöscht. Und schon paßt das Metrum!

Vielen vielen Dank!!!

Lieber Gruß W.
 

Balu

Mitglied
das ist die Sprache, die ich liebe

für mich eins, das aus der dem Einheitsbrei herausragt

Es fällt heut leicht, sein Glücklichsein zu heucheln,
für mich die berührendste Stelle

Ich neige mein Haupt, Walther

und grüße Dich herzlich
Knut
 

Walther

Mitglied
Hallo Balu,

zurück bei der Textarbeit. Endlich. Danke für Deinen Eintrag.

Ja, die Sonette. Die haben es mir angetan, und ich tue ihnen viel an, und manchmal, eher selten, gelingt das sogar und wird so etwas Ähnliches wie Dichtkunst. So wie dieses hier (vielleicht). Wenn ich einmal einen klitzekleinen Augenblick unbescheiden sein darf: Dieses Sonett gefällt mir selbst sehr. Es ist wohl eines meiner besseren Gedichte, vielleicht sogar eines der besten überhaupt.

Was man sich immer vor Augen führen muß: Es braucht viel Übung und viel Arbeit und viel Geduld und vielviel Glück, um einmal ein gutes Gedicht zu schreiben. Und, husch, schon ist dieser Moment, dieser selige, vorüber.

Grüßend

W.
 
M

Marlene M.

Gast
auch ein schönes Sonett, lieber Walter-lächel.
Voller Bilder die Hoffnungslosigkeit der Vergangenheit antithetisch aufgebaut hin zum Besseren..das LI sieht sich satt...
ein Blatt bewegt sich- es ändert sich was...
( Tipp-Fehler bei Das ... und das leise...)- oder gewollt?

Am Ende doch die Rückkehr zum Negativen
es scheint ...
dann das Resumee und der Kreis schöießt sich wieder in die Hoffnungslosigkeit.
Sehr gut Wortwahl, sehr metaphorisch und doch irgendwie fast pragmatisch am Schluß.
Eines der seltenen wirklich erstklassigen Sonette, die man so in Foren liest- Respekt! LG vom Frischling Marlene
 

Walther

Mitglied
Lb. Marlene,

danke für Deinen Eintrag. Dieses Sonett scheint gelungen zu sein. Selbst kann man das eher schlecht beurteilen.

Deinen Hinweis, in dem Du einen Fehler nennst, kann ich nicht ganz nachvollziehen. Würdest Du das ein wenig klarer formulieren? Der Autor ist irgendwann "betriebsblind" und kann daher den einen oder anderen Schreibfehler nicht mehr erkennen.

Lieben Dank und Grüße

W.
 

MarenS

Mitglied
In dieser Zeile bin ich nicht schlüssig:

Das winters mangelt. Der Wind bewegt ein Blatt,

es scheint für mich die Verkürzung von
Das des Winters mangelt
oder
Das im Winter mangelt

zu sein und instinktiv würde ich da winters groß schreiben.

die Maren
 

Walther

Mitglied
Lb Maren,

winters, sommers, abends, nachts und morgens schreibt klein, dachte ich. Aber ich lasse mich gerne vom Gegenteil überzeugen. :)

Lieben Dank für Deinen Hinweis.

LG W.
 
M

Marlene M.

Gast
Das winters mangelt. Wind bewegt ein Blatt,
Das leise fällt auf die, die früher starben.


Betriebsblind-lächel. ja, das sind wir manchmal, lieber Walter , auch ich freue mich deshalb immer über Anregungen.
ich denke es sind nur Tipp-fehler:
nach dem Komma wird "das" klein geschrieben.
Das Leise wird groß geschrieben, wenn - und so hatte ich es "gelesen" als Leises im Allgemeinen sieht.
das gäbe deinem Schluß noch mal eine sehr lyrische Variante.

ich sehe aber nun, dass du das leise auf das Blatt bezogen hast. da müsste das "das" dann auch wieder klein sein.( Relativsatz)

ich fände meine Leseweise noch einen Tick wertvoller fürs werk.
Vielleicht gar:
das winters mangelt. Wind bewegt ein Blatt
und Leises fällt auf die, die früher starben.

LG von Marlene
 



 
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