Herbsthaiku I

wüstenrose

Mitglied
Hallo Walther,

hab mich gefragt, ob ich überhaupt kommentieren darf, da ich nur bruchstückhaft (durch das Forum hier) dies und das über das Haiku aufgeschnappt habe.
Aber vielleicht ist es ja gar nicht so verkehrt, wenn ein "Nicht-Haiku-Vorbelasteter" sein Lese-Erlebnis schildert.

Das Schöne an deinen Zeilen ist die gänzliche Unaufgeregtheit. Man könnte es auch prosaisch lesen, dann würde das richtig banal daherkommen.
Aber irgendwas ist da noch beigegeben, das das Ganze spannend macht, das Aufhorchen lässt. Das Motiv ist klar, die Ahnung liegt in der Luft bzw. wir lesen schwarz auf weiß, was da herankommt. Trotzdem öffnet sich für mich als Leser ein weiter Raum, Unausgesprochenes drängt heran, Gedanken schwingen hin und her; die naheliegende Lesart gibt es eigentlich gar nicht, der Leser kann den entstandenen Raum individuell füllen.

Ich fülle ihn in erster Linie so: In der Banalität des beschriebenen Vorgangs liegt eine Art Glück: Ich schaue, ich nehme wahr, ich begreife, bin lebendig, lasse mich an die Hand nehmen, folge der Bewegung, bin einverstanden, werde Teil eines Ganzen...

...und will damit nicht sagen: so ist es zu verstehen!, sondern: dahin führt es mich, dahin nimmt es mich mit - und das ist ein sehr schönes, kostbares Gefühl.

lg wüstenrose
 

Walther

Mitglied
Lb. wüstenrose,

der Herbst ist Übergang, das Winterwerden ein Prozeß. Nach meinem Verständnis der Haikutradition ist es gerade die nüchterne, zurückhaltende Betrachtung dessen, was ist, um das es geht. Des Weiteren soll dem Leser und Betrachter Raum gegeben werden, das in Strichen angedeutetet Bild fertigzustellen.

Am Ende ist das Wunder die Natur selbst. Sie ist der Rahmen, in dem wir aufgehoben sind. Es steht dem bescheidenen Haijin eigentlich gar nicht zu, mehr Worte zu machen als unbedingt nötig, und vor allem steht es ihm nicht zu, das Gesehene zu interpretieren und es damit um seine Vielfältigkeit und Offenheit zu bringen.

Du hast das, was ich auslösen wollte, schön beschrieben, genau das soll ein Haiku anstoßen. Wenn das bei einem Leser gelingt, dann war der Versuch ein solcher wert.

Es ist großartig, wie Du den Haikumoment beschrieben hast. Dafür danke ich Dir sehr, daß hätte ich so gut nicht hinbekommen.

LG W.

Lb. Marie-Luise,

aus dem Obigen kannst Du eigentlich meine Antwort auf Deine nachvollziehbare Textänderung entnehmen. Deine Version schränkt bereits an, Du interpretierst und verengst auf den Augenblick, in dem die Blätter gerade rot sind. Sie sind aber auch noch orange, dann gelb, schließlich braun und am Ende abgefallen.

Du siehst, Dein Text hat bereits Offenheit und Vielfältigkeit in seiner Beschreibung eingebüßt.

Danke und lieber Gruß W.
 



 
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