Herbstwetter

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Liebe Leser,

1. ACHTUNG!!! Dieser Beitrag ist etwas länger. Überlegt euch also, wieviel Zeit ihr gerade in der Tasche habt :)
2. Ich bin ein absoluter Frischling bei der Leselupe. Der folgende Text war meine erste beendete Kurzgeschichte. Mittlerweile komme ich leider immer seltener zum Schreiben, dennoch hätte ich gern einmal Featback zu meinen Ideen.



Es war ein sonniger Herbstmorgen. Am Himmel zogen einige weiße, bauschige Wölkchen dahin. Der Wind wehte sanft durch die roten und gelben Blätter der Ahornbäume, die zu beiden Seiten entlang der Straßen standen. Hin und wieder segelte ein Blatt wiegend zu Boden. Es war ein Samstagmorgen. Kinder sammelten begeistert die bunten Blätter, Kastanien und Eicheln. Ihr Lachen hallte durch die Straßen. Die Eltern schlenderten gemächlich hinter ihnen her und staunten über all die Dinge, die ihre Kinder heran trugen. Über den Baumwipfeln des Parks stiegen zahllose bunte Drachen in den blauen Himmel hinauf.
In vielen Gärten blühten die letzten Blumen. Die Sonnenblumen im Garten von Frau Sommerland waren schon verblüht und eine Scharr singender kleiner Vögel pickte sich eifrig die schmackhaften Kerne heraus. Auf der Wiese rund um das Haus lag das Laub schon zu dicken Haufen zusammengeharkt. Frau Sommerland harkte es immer in windstille Ecken, damit die Igel, die schon jetzt schnüffelnd durch ihren Garten wackelten, einen Unterschlupf für den Winter hatten. Hinter dem Haus reiften Blumenkohl, Stangenbohnen, Fenchel, Salat, Karotten, Kürbisse, Zwiebeln, Kartoffeln und Spinat in ordentlich angelegten Beeten. Bald mussten sie geerntet werden.
Das Haus war klein und mit blaulackierten Brettern verkleidet. Die Fensterläden in beiden Stockwerken, das Geländer der Veranda an der Vorderseite und die Giebelverzierung waren weiß gestrichen. Oben auf dem roten Dach stand ein kleiner Fähnchenmast, an dem sich leuchtend bunte Bänder im Wind kräuselten. Daneben saß ein Wetterhahn, der sich leise quietschend in der Brise schaukelte.
„Ach, den wollte ich doch schon letzte Woche ölen“, seufzte Bärbel Sommerland. Mit einem zweifelnden Blick hinauf zu dem Blechhahn widmete sie sich wieder ihrer frisch gewaschenen Wäsche. Sie war wie gewöhnlich schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Sie konnte einfach nicht länger schlafen. Dafür legte sie am frühen Nachmittag oft einen kleinen Mittagsschlaf ein.
Das Haus hatte ihrem Mann, Erwin, gehört, doch dieser war zu ihrer großen Trauer schon sehr jung verstorben. Die beiden Kinder – ein Junge und ein Mädchen – hatte sie fortan allein großgezogen. Irgendwann zogen sie aus, um zu studieren und die Welt kennenzulernen und mittlerweile hatten sie ihre eigenen Familien – leider in anderen Orten. In den Schulferien, kamen sie oft zu Besuch. Ihre Tochter Miriam schickte ihr häufig Briefe mit neuen Fotos der Enkelkinder und selbstgemalten Bilder für ihre Oma. Die Bilder hängte sie sich dann in den Flur und die Fotos rahmte sie ein und stellte sie in die Schrankwand im Wohnzimmer; zu ihrem Erwin. Ihr Sohn Thomas war eher schreibfaul, rief sie aber dafür regelmäßig an. Hin und wieder schickte auch er ihr etwas von seinen Kindern.
Geheiratet hatte Bärbel nicht wieder. Keiner konnte ihr ihren Erwin ersetzen. Unter diesen Umständen wollte sie lieber gar keinen haben. Einige Jahre lebte sie allein in dem Haus. Dann begann sie, ihr Reich im Erdgeschoss einzurichten. Die zweite Etage wollte sie für Gäste herrichten. Dort gab es ein Bad, mit Dusche und Wanne, und ein großes Zimmer mit einem kleinen Balkon, der zur hinteren Seite des Hauses hinausragte. Seit sie vor ein paar Jahren in Rente gegangen war, vermietete sie die obere Etage an Urlauber oder Studenten, die für ein Praktikum einige Wochen im Ort waren. So gab es ein kleines Taschengeld zu ihrer bescheidenen Rente und sie war nicht die ganze Zeit allein.
Zurzeit wohnte dort ein junger Mann, der nach seinen Worten „eine Auszeit“ brauchte. Er fühlte sich in seinem Beruf – Zimmermann - nicht mehr wohl und wollte durch einen Tapetenwechsel neue Energie sammeln. Fast jeden Tag machte er einen langen Spaziergang. Ab und zu half er als Lieferant der Apotheke aus und hatte sich zu dem Stammtisch im Brauhaus gesellt. Er hieß Michael und wohnte mittlerweile schon seit drei Monaten bei Bärbel. Er war nett und half ihr gern im Garten oder, wenn es etwas zu reparieren gab. Vielleicht konnte er ihr auch helfen den Hahn zu ölen? Frau Sommerland fuhr sich etwas erschöpft durch ihr kurzes, weißes Haar. Dann nahm sie den Wäschekorb unter den Arm und ging über die Wiese hinein ins Haus. Sie stellte den Korb zurück ins Bad, ging in die Küche und setzte sich einen Kaffe auf. Sie mochte ihn türkisch mit ein bisschen Zimt und Kardamom.
„Miauu!“ Ein kleiner orange getigerter Kater schmiegte sich an ihre Beine.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Bärbel und beugte sich zu dem Tiger hinunter. Als sie ihn hinterm Ohr kraulte, fing er an zu schnurren. Dann strich er penetrant im sie herum und maunzte.
„Soso, wenn du Hunger hast, ist dir mein Haus also gut genug. Na, nun warte doch mal. Ich mach ja schon.“ Sie ging zum Kühlschrank und holte ein Stück rohe Hühnerbrust heraus. Das schnitt sie in kleinere Stücke und legte ihm alles in einen Napf. Gierig kaute er die Fleischbrocken. Inzwischen, nahm sie sich ihren Kaffee und setzte sich im Wohnzimmer auf ihren Lesesessel. Sie brauchte eine kleine Pause. Zwar war sie für ihr Alter noch recht fit und gesund, doch immerhin auch keine fünfzig mehr.
„Miau?“ Sie blickte zu dem Kater zu ihren Füßen.
„Noch nicht satt?“
„Miau.“
Mit einem Satz sprang er auf ihren Schoß.
„Ach nee…allzu lange habe ich aber nicht Zeit. Die Erntezeit beginnt.“ Der Kater blickte sie an. Dann fing er an auf ihrem Schoß herumzutapsen und rollte sich schließlich zu einem Knäul zusammen. Bärbel streichelte ihn und er begann mit geschlossenen Augen zu schnurren.
„Du bist mir schon einer…“ Der kleine getigerte besuchte sie seit einigen Wochen. Er war noch jung und verspielt und zerfledderte ihr ständig die Laubhaufen im Garten. Schon nach seinem zweiten Besuch im Sommer hatte Bärbel eine Katzenklappe in ihre Haustür einbauen lassen, damit er bei schlechtem Wetter ins Haus konnte, wenn sie nicht da war oder ihn nicht an der Tür kratzen hörte. Woher er kam wusste sie nicht genau. Die meisten Leute im Ort ließen ihre Katzen frei herum laufen. So kam es, dass die Katzen sich selbst aussuchten, wo sie Unterschlupf suchten und etwas zu essen verlangten. Als Frau Sommerland ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schlief der Kater noch tief und fest.
„Tja, mein kleiner, das tut mir jetzt Leid, aber ich muss wieder an die Arbeit.“ Sie nahm ihn behutsam unter dem Bauch und setzt ihn auf den Teppich. Beleidigt sah er zu ihr auf und stolzierte zur Klappe hinaus. Bärbel folgte ihm durch die Tür und ging zu ihrem kleinen Schuppen direkt neben den Beeten. Vom Kater war weit und breit nichts mehr zu sehen. In dem Schuppen bewahrte sie alles auf, was sie für die Gartenarbeit brauchte: eine Sense für das Gras, Harke, Spaten, Eimer, Rechen, Samen, Blumenerde, Dünger, Gartenschlauch und noch einiges mehr. Sie zog sich ihre Gartenschürze an und tauschte ihre Schuhe gegen Gartenschlappen. Mit einem Korb und einem Taschenmesser bewaffnet ging sie zwischen den Beeten entlang und begutachtete das Gemüse. Der Salat, Blumenkohl, Möhren, Bohnen und Zwiebeln waren reif genug. Alles andere würde sie noch ein, zwei Wochen stehen lassen. Während sie das Gemüse vorsichtig abschnitt und noch einen zweiten Korb holen musste, trottete Alfred zu ihr. Alfred war ein Hubertus Hund; auch Bluthund genannt. Er war zwar ein Riese von einem Viech, aber auf Grund seines schon sehr hohen Alters ruhig und schläfrig geworden. Er bewegte sich nicht mehr viel. Sein Alter war ihm förmlich an der Nasenspitze anzusehen: seine Schnauze war im Vergleich zu seinem sonst tiefbraunen Fell über die Jahre grau geworden. Mit seinen langen schwarzen Schlappohren machte er immer einen eher vertrottelten Eindruck. Bärbel hatte ihn als jungen Hund von einem Nachbarn gekauft, um nach dem Auszug ihrer Kinder Gesellschaft und Bewegung zu erhalten. Nachdem Alfred an dem schon gefüllten Korb neben dem Schuppen geschnuppert hatte, kam er zu Bärbel hinüber und stupste sie mit seiner nassen Schnauze am Arm.
„Na, du Faulpelz? Hat dich die Sonne aus deinem Versteck gelockt?“ Sie kraulte ihm den Kopf. Er war heute Morgen mit ihr zusammen aufgestanden, hatte sich dann aber schnell im Garten unter einen Strauch plumpsen lassen und gedöst. Sonst schlief er auf seiner Decke im Wohnzimmer. Er gab ein leises, dumpfes Bellen von sich und wich ihr nicht mehr von der Seite bis sie fertig war. Danach folge er ihr ins Haus. Bärbel stellte die beiden Körbe auf dem Küchentisch ab und begann das Gemüse zu sortieren. Sie wollte gleich eine Gemüsecreme-suppe kochen, einen Teil einfrieren und den Rest im Keller unterbringen, wo es noch länger frisch bleiben würde. Als sie die Kellertreppe, die direkt von der Küche abging wieder herauf kam, hatte sich Alfred auf dem Küchenfußboden lang gemacht. Sie seufzte, legte in ihr Küchenradio eine CD mit irischer Volksmusik ein und machte sich daran, das verbliebene Gemüse zu putzen und zu schneiden. Alles zusammen ließ sie eine gute Weile köcheln, was ihr Zeit gab, sich zu setzen und ein bisschen zu lesen. Später pürierte sie die Hälfte des Gemüses, gab zwei Becher Sahne und Schmelzkäse hinzu und schmeckte mit Kräutern aus ihrem kleinen Kräutergarten am Küchenfenster, Salz und Pfeffer ab. Sie war zufrieden. Ab abends sollte es regnen und bei so einem ungemütlichen Wetter, braucht man eine stärkende Suppe im Haus. Bärbel nahm den Topf vom Herd und blickte auf die Uhr.
„Schon gleich fünf“, murmelte sie. Sie nahm die Leine, die an der Tür zum Flur an einem Haken hing, befestigte sie an Alfreds Halsband und zerrte ihn hinaus an die frische Luft. Alfred versuchte sich sein Gewicht zu Nutze zu machen und blieb einfach stehen, doch dann musste er einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Sein Frauchen war fest entschlossen, ihn noch einmal zu einem Spaziergang zu bewegen. Draußen dämmerte es. Allmählig türmten sich dunkelgraue Regenwolken auf und der Wind wurde stärker.
„Nur eine kleine Runde“, sagte Bärbel in aufmunterndem Ton an Alfred gewandt. Sie zog sich ihre Mütze noch weiter über die Ohren und marschierte los. Ein kleines Stück die Straße entlang, an der Post vorbei Richtung Park. Sie lief zügig und der träge Alfred musste sich Mühe geben mit ihr mitzuhalten. Als sie um eine Hausecke, die mit wildem Wein überwuchert war, bogen, blies ihnen eine kräftige Böe entgegen. Bärbel kniff die Augen zusammen, um durch die herumwirbelnden Blätter sehen zu können. Alfred ging dicht hinter ihr, um etwas Schutz vor dem Wind zu haben. Ein paar Schritte weiter gingen die Laternen an. Ihr orangenes Licht ließ alles herum gemütlich und warm erscheinen, doch der kalte Wind und die dunklen Wolken machten es so gar nicht angenehm. Plötzlich ging ein Wolkenbruch los. Als hätte jemand eine Schleuse geöffnet, prasselte es vom Himmel herab, sodass Bärbel und Alfred im Nu pitschnass waren. „Herrgott!“, brüllte Bärbel durch den Lärm. Kurzum beschloss sie, nicht bis zurück nach Hause zu laufen. Stattdessen huschte sie ins nächst beste offene Lokal. Sobald die Tür hinter ihr zugegangen war, waren auch der Lärm und die Kälte verschwunden. Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. „Mensch, Bärbel!“, ertönte eine Stimme, „Dich hat‘s ja genau erwischt.“ Bärbel drehte sich um. „Ingrid! Ach, du auch hier? Ja, ich wollte eigentlich nur noch eine kurze Runde drehen und dann…“
„Komm, setz dich zu uns, Magda ist auch da.“
„Zu gern.“
Während Bärbel ihrer Freundin an den Tisch folgte, gab sie der Bedienung ein Zeichen. Bei ihrem spontanen Entschluss, durch die nächste Tür zu treten, war Bärbel mit Alfred in einer gemütlichen Kneipe gelandet. Auf dem Boden lag dunkles Parkett und die Wände und der Tresen waren mit Eiche vertäfelt. An den Wänden hingen vereinzelt aquarelle Landschaftsbilder. Es gab Lampen die angenehmes, indirektes Licht verströmten und urige Sitzecken, auf deren Lehnen einige Pflanzen standen.
„Herzlich willkommen“, begrüßte eine Kellnerin Bärbel lächelnd. „Sie wollen sicher etwas Warmes trinken.“
„Ja. Hätten Sie vielleicht eine heiße Schokolade für mich?“
„Selbstverständlich. Darf es noch etwas sein?“
„Danke, für mich nicht, später vielleicht. Aber wären Sie so nett, meinem Alfred eine Schüssel Wasser zu bringen?“ Dabei deutete sie auf den tropfenden Alfred, der sich brav neben sein Frauchen an eine Heizung gelegt hatte. Zum Glück war sein Fell sehr kurz, sonst hätte er schon in einer Pfütze gelegen. Die Kellnerin nickte freundlich.
„Und bei Ihnen, meine Damen?“ Damit wendete sie sich an Magda und Ingrid. Diese bestellten eine Runde Grog.
„Hab dich nicht so, Bärbel“, sagte Magda, „Wir laden dich auf eine Runde ein.“
„Außerdem wärmt so ein richtig guter Grog ordentlich durch“, fügte Ingrid hinzu und brachte damit das überzeugende Argument.
„Was macht der Garten?“, erkundigte sich Magda.
„Ich kann nicht klagen. Es ist zwar immer wieder ein Haufen Arbeit, aber es lohnt sich. Erst vorhin habe ich noch eine Gemüsecremesuppe gemacht.“
„Mmmmh, aus dem eigenen Garten schmeckt‘s gleich ganz anders, nicht wahr?“, bemerkte Ingrid.
„Und dein Untermieter?“, warf Magda ein. So unterhielten sich die drei älteren Damen noch eine geraume Zeit. Sie bestellten noch eine zweite Runde Grog und ein paar belegte Brote, da sie wegen des Regens das Abendbrot zu Hause verpasst hatten.
„Sagt mal, habt ihr nicht auch mal wieder Lust, einen Spieleabend zu machen?“, fragte Ingrid.
„Ach, das ist eine tolle Idee“, jauchzte Bärbel. „Ist es denn zu glauben? Da wohnen wir in derselben Stadt, gar nicht weit auseinander und trotzdem treffen wir uns viel zu selten.“
„Verflixt noch eins!“, pflichtete Magda bei.
„Wie wäre es morgen Abend bei mir?“, schlug Ingrid vor. „Heinrich geht sowieso zum Skat, da haben wir das Haus für uns.“
„Also, ich bin dabei“, sagte Magda.
„Ich auch. Ich bring noch die letzte Flasche selbstgebrannten Kartoffelschnaps vom letzten Jahr mit“, zwinkerte Bärbel. Das fand großen Anklang und weil es aufgehört hatte zu regnen, machten sie sich gemeinsam auf den Nachhauseweg. Wasser floss in breiten Strömen in die Gullys.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, dachte Bärbel.

Als Bärbel zu Hause ankam, sah sie im Obergeschoss Licht brennen. Michael war also schon da. Sie ging hinein und gab Alfred sein verspätetes Abendbrot. Dann ging sie hinauf zu Michael und klopfte an.
„Herein?“ Michael saß auf dem kleinen Sofa und guckte Fern.
„Guten Abend, Michael.“
„Guten Abend, Bärbel. Bist du in den Regen gekommen?“
„Das kannst du laut sagen. Aber ich habe mich dann schnell in einer Kneipe versteckt.“
„Soso“, sagte Michael grinsend. „Da gab‘s dann wohl ein paar Gläschen Grog, hm?“
„Auweia“, Bärbel hielt sich die Hand vor den Mund. Dann flüsterte sie vertraulich: „ist es so schlimm?“ Michael musste lachen: „Ach was. Ich bin wohl nur ein bisschen neidisch.“
„Willst du auch was zum Aufwärmen? Ich hab bestimmt auch noch einen Rum da. Suppe habe ich heute auch gemacht und, wenn du magst, hole ich dir eine Wärmflasche.“
„Ach, nur keine Umstände.“
„Doch, doch, doch, ich hole dir jetzt eine Schüssel Suppe.“
Er zuckte resignierend mit den Achseln, während die alte Dame nach unten huschte. Sie schöpfte etwas Suppe aus dem großen in einen kleineren Topf und machte die Herdplatte an. Alfred lag schon wieder im Wohnzimmer auf seiner Decke unter dem Fenster. Sie wollte gerade zwei große Schüsseln aus dem Schrank neben dem Fenster holen, da hörte sie ein Geräusch von draußen.
„Hallo?“
Niemand antwortete. Sie beugte sich zum Fenster und sah hinaus. Im nächsten Moment leuchtete sie ein grelles Licht an. Sie kniff die Augen zu und wich zurück in die Küche. Als sie die Augen wieder öffnete, war das Licht verschwunden. Sie war ganz aufgeregt. Der Schreck saß ihr noch in allen Gliedern. Hektisch versuchte sie sich wieder auf die Suppe zu konzentrieren.
„Merkwürdig“, murmelte sie. Schnell zog sie die Gardinen zu; auch die im Wohnzimmer. Dann füllte sie die Suppe in die beiden Schüsseln, schnitt noch zwei Scheiben Brot ab und ging zurück nach oben.
„Michael? Erwartest du noch Besuch?“, fragte sie und reichte ihm eine Schüssel.
„Nein, wieso?“
„Ach, nur so. Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Sicher.“ Er rutsche ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen.
„Was guckst du dir denn an?“, fragte sie neugierig.
„Einen Krimi.“
„Uh, ist er gut?“
„Ich weiß nicht, er hat gerade erst angefangen. Ich weiß auch gar nicht genau worum es geht. Eigentlich wollte ich noch gar nicht hier sein, aber bei dem Wetter…Mannomann.“
„Das kannst du laut sagen…hoffentlich hält es nicht so lange an.“ Suppe löffelnd sahen sie sich gemeinsam dem Krimi an.

Scheußliches Wetter. Der kleine Kater wollte sich gerade ein leckeres Abendbrot bei der lustigen, netten Frau abholen, als er vom Regen überrascht wurde. Wasser an sich war ja schon schlimm, aber wenn es von oben kam, war es am schlimmsten. Dann konnte man sich nämlich nicht mehr frei bewegen ohne sich sein Fell zu ruinieren. Also hatte er sich im Park, wo er gerade herum stromerte, unter eine Bank gekauert und abgewartet. Eine Ewigkeit hatte es gedauert bis es aufhörte und er wieder hervorkommen konnte. Furchtbar langweilig war es gewesen, denn es gab nichts zum Spielen. Das heißt, am Anfang hatte er sich mit einer Eichel die Zeit vertreiben können, aber diese war ihm schon bald ungeschickter Weise davon gerollt. Er hätte sie sich wieder holen können, doch dazu hätte er in diese Abart von Wetter laufen müssen, und bevor er das tat, langweilte er sich lieber. Kurz bevor er vor Langeweile beinahe gestorben wäre, wurde es von oben her trockener. Länger hätte er es auch nicht ausgehalten. Schnurstracks hatte er sich auf den Weg zu der Frau mit dem bunten Haus gemacht. Jetzt bog er gerade in die Straße ein, drückte sich zwischen zwei Zaunlatten hindurch und war mit einem Satz auf der Veranda. Stapf. Stapf. Der kleine Tiger horchte auf. Nanu? Da war noch jemand im Garten? Schnell stolzierte er zum Rand der Veranda, sodass er um die Hausecke gucken konnte. Ein Lichtstrahl tanzte über die schwarze Wiese auf ihn zu. Dahinter lief eine dunkle, schemenhafte Gestalt. Bei jedem ihrer Schritte gab es ein schmatzendes Geräusch. An der regelmäßig hin und her schwenkenden Bewegung des Lichts konnte der Kater erkennen, dass offenbar nach etwas gesucht wurde. Wonach konnte er sich allerdings nicht vorstellen. Gemüse war reichlich uninteressante und nasse Wäsche erst recht.
Plötzlich sah er nur noch weiß. Der Blödi hielt ihm das Licht genau ins Gesicht.
„Miaauuu!“, er fauchte wütend, machte auf dem Absatz kehrt und wetzte zur Tür. Immer noch halbblind hechtete er durch die Katzenklappe. Drinnen fuhr er sich ein paar Mal mit der Pfote über das Gesicht und putzte sich seine dreckverschmierten Pfoten. Dann schlenderte er ins Wohnzimmer. Er war etwas verwundert, dass schon alles dunkel war. Ein muffiger Geruch stieg ihm in die Nase. Heilige Hühnerbrust, was war denn das? Im selben Moment erklang ein leises Schnarchen. Der kleine Kater sah genauer hin und erkannte Alfred. Er war erleichtert. Nur der alte, faule Hund. Auf noch einen komischen Zweibeiner hatte er auch wirklich keine Lust gehabt. Doch wo war nur die alte Frau? Er setzte sich neben den Hund und sah sich aufmerksam um. Der Spalt unter der Schlafzimmertür war schwarz. Schlief sie etwa schon? In der Küche war es genauso dunkel und es roch nach irgendetwas zum Essen. Da fiel sein Blick auf die Treppe. Flink lief er sie hinauf. Hier oben war er noch nicht gewesen. Bisher kam er nur zum Fressen oder für kleine Mittagsschläfchen im Wohnzimmer. Wenn das Wetter ab jetzt öfter so schlecht werden würde, würde er jedoch vielleicht auch längere Aufenthalte in diesem Haus unternehmen. Unter einer der Türen im oberen Stockwerk drang Licht hervor. Schnell lief er hinüber und ließ sein niedlichstes Maunzen hören. Als keine Reaktion kam, widerholte er es und kratzte ungeduldig an der Tür, um sein Betteln noch drängender zu machen. Dann hörte er Stimmen und leise Schritte. Die Tür ging auf und Frau Sommerland blickte zu ihm hinunter. Er sah zu ihr auf und maunzte noch einmal zuckersüß. Sie lächelte.
„Du hattest wohl auch noch kein Abendbrot, hm?“ Dann verschwand sie auf der Treppe. Der kleine Kater wäre gern mit ihr gegangen, doch erst musste er seine Neugier befriedigen.
Da saß noch ein Mensch. Ein Mann. Er war jünger als die nette Frau und guckte ihn belustigt an.
„Du bist also der Rabauke, der die Laubhaufen auseinander nimmt.“ Der Kater starrte zurück. Dann lief er einmal durch das Zimmer, schnupperte an den Möbeln, guckte hinter jede Ecke und Ritze und kehrte schließlich zur Tür zurück. In dem Moment hörte er auch schon Frau Sommerland die Treppe hinauflaufen.
„Soso, du möchtest also ein wenig in Gesellschaft sein.“ Sie stellte ihm einen Napf mit frischem Fleisch neben das Sofa und setzt sich wieder zu dem Mann.
„Stört es dich, wenn er hier oben ist?“
„Keines Wegs. Bisher bin ich vor Tierhaarallergien verschont geblieben.“
Beide begannen in einen eckigen Kasten zu blicken. Der Tiger kümmerte sich nicht weiter darum. Jetzt musste er erst einmal essen.
Nach dem Mahl putzte er sich ein wenig. Dann beschloss er, noch ein bisschen zu bleiben. Man konnte ja nie wissen, ob diese Nacht trocken blieb. Frech sprang er mit aufs Sofa und da kein Protest erfolgte, setzte er sich zwischen die zwei Menschen und betrachtete den Kasten. Darin gab es noch mehr Menschen, die sich bewegten. Aber diese waren viel kleiner als die zwei auf dem Sofa. Sie schauten sich also andere, kleine Menschen in dem Kasten an. Zweibeiner machten wirklich seltsame Dinge.

„Ui, das war ein spannender Krimi. Danke, dass ich mitgucken durfte.“
„Danke für die Suppe. Die hat echt gut getan“
„Sie steht unten auf dem Herd, falls du noch Appetit hast.“
„Morgen vielleicht. Für heute bin ich satt.“
„Das ist schön.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Ach, Michael?“ Er blickte auf. „Könntest du morgen den Wetterhahn ölen? Vorausgesetzt es regnet nicht. Sein Gequietsche wird langsam anstrengend.“
„Na dann, werde ich ihm mal zu Leibe rücken.“
„Vielen Dank. Ich werde jetzt nach unten gehen und mich hinlegen. Und den kleinen Rabauken hier, nehme ich mit.“
Frau Sommerland schnappte sich die leeren Schüsseln und den kleinen orangen Kater, lächelte Micheal noch einmal zu und verschwand in der Tür. Der Kater begann ungeduldig zu strampeln. Sie setzte ihn vor der Treppe ab und lief hinunter in die Küche.
„So, abwaschen kann ich auch morgen.“ Schlurfend ging sie ins Bad. Dann zog sie ihr Nachthemd an. Dabei folgten ihr vier kleine Pfötchen auf Schritt und Tritt. Bärbel ließ die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt breit auf und legte sich ins Bett. Kaum hatte sie sich zugedeckt, spürte sie etwas in ihrem Bett herum tapsen. Sie drehte sich um und erkannte im Dunkeln den kleinen Tiger.
„Na gut, ausnahmsweise. Aber in Zukunft möchte ich mein Bett für mich allein haben.“ Er schnurrte genüsslich, als sie ihn am Hals kraulte.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dich ansprechen soll…Hast du überhaupt einen Namen?“
Der Kater schnurrte nur mit geschlossenen Augen.
„Dann musst du den ertragen, den ich für dich aussuche.“
Als hätte er sie verstanden, öffnete er die Augen und blickte sie fordernd an. Als wollte er sagen: „Na los! Was hast du dir ausgedacht?“ Bärbel überlegte kurz.
„Oskar.“ Der Kater sah sie immer noch unverwandt an.
„Ab jetzt heißt du Oskar.“ Oskar schloss wieder die Augen und reckte seinen Hals.
„Na, zumindest scheinst du damit leben zu können.“ Sie kraulte ihn noch ein wenig und schlief dann ein.

Rauschen. Fast als wäre man am Meer. Es dämmerte gerade erst, als Oskar aufwachte. Er gähnte und streckte sich. Dann lief er zum Fenster, schlüpfte hinter den Vorhang und sprang auf das niedrige Fensterbrett. Hinter der Scheibe erwartete ihn der gleiche Anblick wie am Abend zuvor. Graue Wolken und ein flimmernder Schleier aus Regen, der unablässig zur Erde viel. Wo kam nur all das Wasser her? Und womit zum Teufel hatte Oskar so ein Hundewetter verdient? Er ärgerte sich. Wieder ein Tag weniger, an dem er draußen nach Lust und Laune herumspazieren und neue Gärten entdecken konnte. Es würde ein langweiliger Tag werden… Missmutig sprang er wieder auf den Boden. Die alte Frau schlief noch. Sie schnarchte ein bisschen. Wieso schnarchen Menschen? Und Hunde genauso? Es gab schon merkwürdige Dinge auf der Welt. Oskar kam der Gedanke, dass er doch, wenn er schon nicht raus konnte, das Haus noch ein wenig genauer erkunden sollte. Beschwingt trabte er ins Wohnzimmer. Alfred schlief. Nicht weiter interessant. Da er dieses Zimmer schon recht gut kannte, huschte er gleich hinauf in den zweiten Stock. Das Zimmer von gestern Abend war verschlossen. Doch es gab noch eine weitere Tür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Oskar lehnte sich mit den Vorderpfoten gegen das Holz. Der Spalt wurde breiter und schnell huschte er hinein. Der Boden war kalt und aus platten, glatten Steinen. Ein paar blaue weiche Rasenflecken lagen herum. In dem Raum gab es drei weiße Näpfe.
Einer stand auf einem Bein und hatte oben einen Deckel. Darin floss Wasser, das hatte Oskar schon oft in anderen Häusern gesehen. Die Menschen setzten sich drauf. Manchmal nahmen sie sogar das große knisternde Blatt, das in den kleinen Kästen an den Gartenzäunen steckte, mit. Irgendwann standen sie wieder auf, taten etwas, das Oskar bisher nicht definieren konnte, und dann floss laut rauschend Wasser in dem Napf.
Ein weiterer Napf hing an der Wand. Auch darin floss hin und wieder Wasser. Meistens, wenn die Menschen von dem ersten Napf aufgestanden waren. Manchmal auch nicht.
Der dritte Napf war der größte. Er war fast so groß wie ein Bett. Und auch hier war ab und zu Wasser drin. Die Menschen legten sich hinein und dann hing immer dieser stechende Geruch in der Luft. Und, wenn kleine Menschen darin waren, schwammen oft weiße Wolken auf dem Wasser. Es gab auch einen Gartenschlauch, aus dem Regen kam. Zweibeiner schienen Wasser in Näpfen zu lieben. Aber Wasser vom Himmel mochten auch sie nicht. Mehr gab es nicht in dem weißen Raum. Oskar sprang auf den Deckel des einbeinigen Napfes. Darüber hing ein weißer Kasten. Neugierig stellte er sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfo-ten darauf. Er schien fest zu sein. Oskar sprang hinauf. Dabei gab der Kasten an einer Stelle unter seiner linken Vorderpfote nach. Ein Tosen brach los. Erschrocken sprang der Kater hinunter auf den Boden und rannte zur Tür hinaus.

Bärbel schälte sich aus der Bettdecke, zog flauschige Pantoffeln über und machte sich im Bad startklar für den Tag. Auf dem Weg zur Haustür lief ihr Oskar zwischen die Beine.
„Da steckst du, kleiner Teufel.“ Schnell gab sie ihm etwas zu essen, damit er Ruhe gab. Dann machte sie sich in Gummistiefeln und mit Regenschirm auf zum Bäcker. Frische Brötchen für einen guten Start in den Tag mussten schon sein. Im Garten erschrak sie. „Himmel, Arsch und Zwirn! Ich hab die Wäsche gestern ganz vergessen…“ Sie seufzte. „Die kann ich nachher gleich nochmal waschen.“
Letztendlich brachte sie nicht nur Brötchen, sondern auch noch Apfelkuchen und Brot mit. Sie richtete ein umfangreiches Frühstück her und schon bald lockte der Geruch Michael aus dem Bett.
„Guten Morgen, setz sich. Möchtest du auch ein Ei?“
„Ja, gern.“ Micheal goss sich Milch in seinen Kaffee. „Das Wetter ist noch nicht viel besser geworden?“
„Nein…es gießt in Strömen. Ich hoffe, bis heute Abend ist es vorbei.“
„Hast du etwas vor?“
„Ein kleiner Spieleabend mit meinen Freundinnen.“ Bärbel schnitt zwei Brötchen auf.
„Oh, das freut mich. Du gehst viel zu selten unter Leute.“
„Da hast du Recht. Ich weiß auch nicht. Irgendwie findet sich die Zeit nicht.“ Sie lächelte. „Für euch junge Leute klingt das sicher merkwürdig.“
„Ach was. Ist mir auch schon passiert.“ Sie kicherten.
„Wenn es trockener geworden ist, sehe ich mal nach dem Hahn.“
„Vielen Dank, Michael. Gehst du heute Abend wieder zum Stammtisch?“
„Ja.“
„Nimm dir bloß einen Schirm mit!“
Nach dem Frühstück holte Bärbel die Wäsche von draußen, wusch sie noch einmal und hing sie dann im Haus auf. Den Rest des Tages ließ sie ruhig angehen. Bis zum Nachmittag las sie und kraulte Oskar, der sich sofort, nachdem sie sich hingesetzt hatte, auf ihren Schoß gesprungen war. Dann gönnte sie sich und Michael eine Schüssel Suppe und buk einen Kuchen mit den ersten Birnen aus ihrem Garten. Gegen sechs Uhr machte sie sich mit Kuchen und Kartoffelschnaps auf den Weg zu Ingrid. Sie kam sich ein bisschen vor wie Rotkäppchen und musste lachen. Aber bei Rotkäppchen hatte es nicht geregnet, oder?

Es war dunkel. Nach dem Frau Sommerland das Haus verlassen hatte, war Oskar nach oben gelaufen und hatte an der Tür gekratzt. Micheal hatte ihm aufgemacht und ihn auf seinem Schoß sitzen lassen, während er in den flimmernden Kasten sah. Doch nach einer Weile war auch er gegangen. Nun war Oskar allein in dem Haus. Allein mit Alfred. Allein mit einem Hund. Das hätte er sich nie träumen lassen. Noch dazu mit einem so langweiligen Hund. Man konnte ihn nicht einmal ärgern. Der Regen klopfte unablässig gegen die Scheiben. Dem kleinen Tiger wurde klar, dass er wohl noch eine ganze Weile in diesem Haus gefangen sein würde. Er ging hinüber zu Alfred und stupste ihn mit der Pfote in die Seite. Der Bluthund rührte sich nicht. Oskar sprang auf seinen Rücken und kletterte ihm bis auf die Stirn. Alfred schlief gnadenlos weiter. Herrje…neben dem Schnarchsack konnte der Blitz einschlagen und er würde es nicht merken. Mit dem war wirklich nichts anzufangen. Dann entdeckte der kleine Kater eine Tüte neben dem Sessel. Was da wohl drin war? Neugierig steckte er die Nase hinein. Er stieß gegen etwas Weiches und zuckte zurück. Nanu? Vorsichtig steckte er eine Pfote in die Tüte und versuchte das Weiche Etwas heraus zu schubsen. Es war rund und rollte nach einem Hieb mit der Pfote fast von allein auf den Teppich. Ein Wollknäul! Herrlich! Oskar stürzte sich darauf. Er hielt es zwischen den Vorderbeinen eingeklemmt und biss fröhlich hinein. Im nächsten Moment gab er es wieder frei und verpasste dem Knäul einen kräftigen Tritt. Ein Faden löste sich und hinterließ eine bunte Spur, als der Wollball unter dem Sessel hindurch hinüber zur Küchenecke rollte. Oskar wetzte hinterher, gab der Kugel neuen Schwung und jagte sie in jede beliebige Richtung. Dabei ließ er sie keinen Moment aus den Augen. Er tobte mit ihr über den Boden, unter dem Esstisch hindurch, hinüber ins Wohnzimmer und wieder zurück. Bald merkte er, dass das Knäul immer kleiner wurde. Das machte ihn wütend und er biss noch heftiger hinein. Doch schließlich fielen auch die letzten Windungen des Wollfadens auseinander. Schade…nun war der Spaß vorbei. Oskar war enttäuscht. Trotzig sah er sich nach einer neuen Beschäftigung um. Er bemerkte, dass die Wolle kreuz und quer zwischen Küche und Wohnzimmer gespannt war, wie ein Spinnennetz. Tja, Wollknäul, es hat Spaß gemacht mit dir, aber auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende. Ein bisschen schlecht gelaunt huschte er die Treppe hinauf und in den Raum mit den weißen Näpfen. Er lief zu dem größten hinten in der Ecke und machte einen Satz hinein. Der weiße Rand war genauso kalt wie der Boden. Wie konnten die Zweibeiner sich hier stundenlang hineinlegen? Er entdeckte im Dunkeln etwas Glänzendes am gegenüber-liegenden Rand. Das musste er sich unbedingt genauer ansehen. Übermütig streckte er sich hinauf und berührte dabei mit der Schnauze den Hebel des Wasserhahns. Warmes Wasser lief ihm übers Gesicht und in die Nase. Pfui, pfui, pfui. Panisch und verärgert sprang der kleine Tiger aus dem Napf. Tropfend warf er dem Hahn noch einen bösen Blick zu, schüttelte sich und verließ schleunigst das Bad. Igitt! Was sollte das denn?

„Möchte noch jemand einen Schluck Tee zu seinem Schnaps?“, fragte Ingrid kichernd. Bärbel überlegte kurz. „Na gut, aber nur noch einen. Sonst lacht Michael mich wieder aus.“
„Ich nehme auch noch einen“, sagte Magda und schob ihre Tasse über den Tisch. „Noch eine Runde?“
„Nur, wenn du noch ein Stück von meinem Kuchen nimmst.“
„Haha, das lasse ich mir nicht zweimal sagen.“
„Oh, oh, ist auch noch eins für mich übrig?“
„Natürlich, Ingrid! Bedien dich“, forderte Bärbel auf und teilte die Karten aus. „Aber du müsstest noch einmal Zimt und Zucker nachfüllen.“
„Na, wenn es weiter nichts ist.“
„Ich fahre nächste Woche übrigens für zwei Wochen ans Meer für eine Kur“, erzählte Magda.
„Wegen deiner Nebenhöhlen?“, erkundigte sich Ingrid und füllte den Wasserkocher auf.
„Ja, genau. Mein Arzt empfiehlt mir das ja schon lange, aber irgendwie bin ich einfach nicht dazu gekommen.“ Ingrid und Bärbel nickten wohl wissend.
„Könntet ihr beide vielleicht Walter ein bisschen unter die Arme greifen? Mit seinem Knie fallen ihm die Einkaufstouren zunehmend schwerer. Besonders, wenn Getränke nötig sind.“
„Selbstverständlich. Ich könnte Micheal auch vorbeischicken.“
„Ach, das ist lieb von dir, Bärbel. Hoffentlich raube ich dem jungen Mann nicht seine ganze Zeit.“
„Ach iwo. Ich sag ihm nachher gleich Bescheid. Wer jung ist, kann ruhig mal anpacken.“
„Schreibst du uns eine Karte?“, wollte Ingrid wissen, hängte ein Teesieb Earl Grey in die Kanne und stellte sie neben dem Wasserkocher ab.
„Ich schreibe euch auch zwei“, grinste Magda. „Ich bin schon so aufgeregt. An meine letzte Reise kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Hoffentlich vergesse ich nichts.“
„Ach, das schaffst du schon. Schreib dir vorher eine Liste, das macht meine Tochter immer, wenn sie mit den Kindern zu mir kommt.“
„Das ist eine gute Idee.“
„So, Tee ist fertig, es kann losgeh’n!“, rief Ingrid und goss jedem eine Tasse ein. „Ich hole nur noch schnell Zimt und Zucker.
„Gib uns dieses Mal aber wenigstens eine Chance“, jammerte Bärbel.
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Draußen war es dunkel. Nur das orange Licht der Straßenlaternen schien durch die Wohnzimmerfenster und in das Schlafzimmer. In der Küche fiel Oskars Blick auf eine Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Vor Neugier vergaß er sein nasses Fell und schob sich drängelnd durch den Spalt. Er stand am Anfang einer steinernen Treppe, die nach unten führte. Es war stockdunkel und kühl. Der Geruch von Erde und kaltem Stein lag in der Luft. Achtsam kletterte der Tiger die Stufen hinab. Er konnte schemenhaft Körbe und Kisten ausmachen. Interessiert schnupperte er sich durch die Stapel. Wieder nur Grünzeug…Immer das gleiche. Ein Rascheln kam aus einer Ecke. Ein Mäuschen huschte durch den Raum. Lautlos beobachtete Oskar es. Der kleine Nager verschwand, schnell wie er gekommen war, hinter einem Sack Kartoffeln. Dahin konnte der Kater ihr nicht folgen, da der Sack zwischen anderem Gemüse regelrecht eingeklemmt war. Oskar versuchte es dennoch und machte sich daran seine kleine Pfote in die schmalen Spalte neben dem Sack zu schieben. Er wühlte und bohrte mit der Nase, aber es half nichts. Das sah er widerwillig ein. Deshalb legte er sich mit etwas Abstand auf die Lauer. Doch Oskar war trotz allem noch ein junger, ungeduldiger Kater. Schon nach kurzer Zeit dachte er ans Aufgeben. Ihm würden noch viele Mäuse über den Weg laufen. Im nächsten Augenblick hörte er wieder das Rascheln und eine kleine lange Nase kam zum Vorschein. Als sich eine gute Gelegenheit bot, schnappte er sich das Mäuschen. Er hatte es gerade mit dem Maul eingefangen, als er die Haustür hörte. Vielleicht war Frau Sommerland zurück! Oder Michael! Mit der noch lebenden Maus im Maul trabte er die Treppe wieder hinauf in die Küche. Doch es war weder Frau Sommerland, noch Michael, die da durch die Tür traten. Im Flur stand ein fremder Mann mit einem Licht in der Hand. Er roch nach Rauch und Regen.

Ingrid, du hast ja schon wieder gewonnen!“, lachte Bärbel.
„Entschuldigt, meine Lieben, aber heute habe ich wohl einfach ein Glückliches Händchen beim Rommé.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Magda, „wenn das mit Skat auch so gut klappt, kannst du die Männer am Stammtisch einmal so richtig beeindrucken.“
„Ach, ich kann doch gar kein\' Skat. Wie wäre es mit Bridge?“
„Eine gute Idee“, sagte Bärbel begeistert. „Ich hab ewig kein Bridge mehr gespielt!“ Es klingelte an der Tür. Die drei Frauen blickten verwundert in den Flur.
„Nanu?“, wunderte sich Ingrid, „Wer kann das denn jetzt noch sein?“
„Vielleichte hat Heinrich vorhin seinen Schlüssel vergessen“, überlegte Bärbel.
„Wäre nicht das erste Mal“, kicherte Ingrid und ging zur Haustür. Als sie öffnete, stand ein triefnasser Mann vor ihr. Er hob die Kapuze etwas hoch und sah Ingrid fragend an. Hinter ihm kam Heinrich schlurfend den Weg entlang.
„Ach, Michael! Jetzt erkenn ich Sie erst. Entschuldigung. Kommt rein, kommt rein. Wieso seid ihr denn schon zurück? War heut nichts los bei euch?“ Die beiden Männer drängten sich in den Flur und zogen ihre tropfenden Regenjacken und Schuhe aus.
„Heinrich, such doch bitte ein paar Schlappen für Michael raus, ich setz für euch noch schnell Tee auf.“
„Ein Grog würde es auch tun“, grinste Michael viel sagend. Ingrid lächelte keck und ging zurück zu ihren Mädels.
„Bei den Männern ist schon Feierabend“, verkündete sie der staunenden Runde.
„Ach nee“, sagte Bärbel, „Und der Michael will mich wohl abholen?“ Michael war soeben durch die Tür getreten und setzte sich an den Tisch.
„Wir wollten uns eigentlich noch eurer Runde anschließen. Walter war müde und wir haben ihn noch nach Haus gebracht.“
„Oh, das ist nett“, bedankte sich Magda.
„Ihr habt Glück, es ist sogar noch Kuchen übrig.“
„Der Gute mit den Birnen aus dem Garten?“, fragte Heinrich interessiert.
„Genau.“
„Und was treibt ihr sonst so?“
„Wir wollten grad mit Bridge anfangen, aber dafür sind wir jetzt wohl zu viele“, meinte Ingrid.
„Rommé?“, fragte Michael. Die Frauen prusteten.
„Könnt ihr gut verlieren?“, fragte Bärbel.
„Zwei mal Grog für die Herren“, kündigte Ingrid an und stellte zwei Tassen auf den Tisch.
„Ach, Ingrid, wenn du schon dabei bist…“, begann Magda.
„Kommt sofort.“

Oskar stand wie versteinert in der Kellertür. Wer war diese Type? Und was zum Mauseloch wollte er hier? Er hatte ihn noch nie gesehen und glaubte auch nicht, dass er hier etwas verloren hatte. Die Type stand fast ebenso regungslos da. Geräuschvoll zog der Mann die Nase hoch.
„Dann woll’n wir mal.“ Seine Stimme war rau und klang nach grober Baumrinde. Er trug einen dichten Bart und robuste Kleidung. Unter schnaufen steckte er den Lichtstrahl in die Innentasche seiner Jacke. Darüber war Oskar sehr froh. Einmal blind gewesen zu sein reichte ihm für ein Katzenleben. Der Fremde blickte sich suchend um. Dabei entdeckte er den kleinen Tiger.
„Wen haben wir denn da?“ Er ging in die Hocke und streckte eine Hand aus. Was wollte der denn? Oskar war empört. Er war doch kein dummer Hund, der sich mit so etwas locken ließ. Feindselig krümmte er den Rücken zu einem Buckel, stellte sein feuriges Fell auf und fauchte mit funkelnden Augen. Die Maus fiel aus seinem Maul und flüchtete in wilder Panik, aber erleichtert, dass sie noch eine Chance bekam, davon. Oskar fluchte. Diese Zweibeiner konnten einem wirklich alles verderben. Schön, dieses Spiel konnte er mitspielen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er dem Eindringling entgegen.

Michael und Bärbel waren auf dem Weg nach Hause. Als der Kuchen und der Kartoffelschnaps sich dem Ende geneigt hatten, machte die Runde diesen Umstand zum Anlass, um getrennter Wege zu gehen. Ein paar Ecken waren sie noch mit Magda zusammen gegangen, bis sie in unterschiedliche Richtungen mussten. Die Regenwolken lichteten sich allmälig und einige Sterne kamen zum Vorschein.
„Ach, das war ein schöner Abend“, seufzte Bärbel.
„Schön, dass es dir gefallen hat. Ihr könntet das ruhig öfter machen. Bei dir ist doch genug Platz und mich stört es nicht, wenn es etwas später wird.“
„Das stimmt. Aber alte Leute haben immer so viel zu tun.“ Sie lachten.
„Ich werde dich hin und wieder daran erinnern, auch einmal etwas anderes zu tun zu haben.“ Gemeinsam stapften sie durch die Pfützen und das raschelnde Laub. Michael blickte gen Himmel.
„Vielleicht kann ich mir morgen endlich mal deinen Hahn angucken.“

Mit ausgefahrenen Krallen landete Oskar auf dem Knie des Mannes, der es nicht rechtzeitig geschafft hatte aus der Hocke hochzuschnellen. Flink kletterte der Kater hinauf zur Schulter und holte mit der Pfote aus. Er erwischte den Fremden an der rechten Wange und hinterließ drei tiefrote Streifen. Dem Mann war es inzwischen gelungen, sich aufzurichten und er griff nun nach dem Fellknäul, das sich schmerzhaft in seine Schulter krallte. Oskar wurde mehr schlecht als recht im Nacken gepackt. Die Hand wollte gerade zum Wurf ausholen und Oskar machte sich schon auf einen unkontrollierten Flug gefasst, als der Vollbärtige den Halt verlor und rücklings auf den Boden knallte. Dabei ließ er den Kater los, der geschickt auf den Pfoten landete und sich in einen sicheren Abstand begab. Er guckte sich um und erkannte die Ursache der Wendung. Ein reflektierender spiegel-glatter Teppich hatte sich von der Treppe aus auf dem Boden ausgebreitet. Oskar blickte die Treppe hinauf. Beim Anblick des leise plätschernden Wasserfalls, erinnerte er sich an seinen Ausflug in den Raum der Näpfe. Hups. Aber immerhin hatte es geholfen. Auf dem rutschigen Laminat war der Einbrecher ausgerutscht, als er Schwung holen wollte.
„…kleines Biest….“ Auweia! Jetzt aber nichts wie weg. Unter Stöhnen und Ächzen rappelte sich der Mann erneut auf und machte Anstalten, den Tiger wieder einzufangen. Doch der war schneller und schlüpfte zwischen Stuhlbeinen hindurch. Während er das Treppengeländer hinaufkletterte, um möglichst wenig Kontakt mit dem Wasser zu bekommen, hörte er hinter sich wieder einen gewaltigen Rumms. Neugierig drehte er sich um. Der Einbrecher hatte sich in den kreuz und quer zwischen den Möbeln gespannten Wollfäden verheddert und lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Ja, ein bisschen Chaos kann hilfreich sein. Oskar hielt die Gelegenheit für günstig, um einen neuen Angriff zu starten. In dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzte, hörte er ein dumpfes Schnaufen. Ein Schatten kam aus dem dunklen Wohnzimmer heran getrottet und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rücken des Bärtigen plumpsen. Alfred! Sogar große, träge Hunde konnten hilfreich sein. Wer hätte das gedacht? Zufrieden lief der kleine Tiger hinüber. Der Mann versuchte den Kopf zu heben und zu begreifen, was in den letzten Augenblicken geschehen war, doch als er Oskar mit erhobener Pfote vor sich sah, legte er seinen Kopf schnell wieder ab und schloss die Augen.

Als Frau Sommerland und Michael durch die Tür traten und das Licht einschalteten, wussten sie erst gar nicht recht, was sie mit dem Bild anfangen sollten, das sich ihnen bot. Mitten zwischen Küchenecke und Wohnzimmer lag ein Mann, den sie nicht kannten. Auf ihm lag Alfred schwer wie ein Sack Getreide und drumherum stolzierte ein kleiner oranger Kater mit aufgestelltem Schwanz hin und her. Stühle lagen daneben, der Sessel aus dem Wohnzimmer und der Küchentisch hatten ihre Plätze verlassen und rote Wolle durchzog die Szenerie, die von der spiegelnden Wasseroberfläche abgerundet wurde. Nur langsam gewannen sie eine Vorstellung von den Ereignissen und riefen die Polizei. Der Mann wurde wegen Hausfriedensbruch und Einbruch festgenommen. Er hinterließ eine halbe Nacht Wischarbeit und zwei nasse Fellballen, die für ihre Heldentat ununterbrochen Aufmerksamkeit einforderten, in dem sie beim Aufräumen im Weg herumstanden. Bärbel und Michael wischten Eimer um Eimer Wasser zusammen. Das Laminat war aufgequollen und musste demnächst ausgetauscht werden. Die Treppe hatte es zum Glück gut überstanden. Das Wasser musste von oben gekommen sein; sie fanden einen laufenden Wasserhahn und eine randvolle Badewanne. Nachdem das Gröbste getan war, bekamen Alfred und Oskar ein extra leckeres Mitternachtsmahl. Bärbel und Michael gönnten sich noch einen Teller Suppe und heiße Milch mit Honig. Völlig ausgelaugt saßen sie bei Michael auf dem Sofa.
„Es ist mir völlig schleierhaft, wie die beiden es geschafft haben, das Haus unter Wasser zu setzen“, murmelte Bärbel.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, kommentierte Michael.
 
Liebe Leser,

1. ACHTUNG!!! Dieser Beitrag ist etwas länger. Überlegt euch also, wieviel Zeit ihr gerade in der Tasche habt :)
2. Ich bin ein absoluter Frischling bei der Leselupe. Der folgende Text war meine erste beendete Kurzgeschichte. Mittlerweile komme ich leider immer seltener zum Schreiben, dennoch hätte ich gern einmal Resonanz zu meinen Ideen.



Es war ein sonniger Herbstmorgen. Am Himmel zogen einige weiße, bauschige Wölkchen dahin. Der Wind wehte sanft durch die roten und gelben Blätter der Ahornbäume, die zu beiden Seiten entlang der Straßen standen. Hin und wieder segelte ein Blatt wiegend zu Boden. Es war ein Samstagmorgen. Kinder sammelten begeistert die bunten Blätter, Kastanien und Eicheln. Ihr Lachen hallte durch die Straßen. Die Eltern schlenderten gemächlich hinter ihnen her und staunten über all die Dinge, die ihre Kinder heran trugen. Über den Baumwipfeln des Parks stiegen zahllose bunte Drachen in den blauen Himmel hinauf.
In vielen Gärten blühten die letzten Blumen. Die Sonnenblumen im Garten von Frau Sommerland waren schon verblüht und eine Scharr singender kleiner Vögel pickte sich eifrig die schmackhaften Kerne heraus. Auf der Wiese rund um das Haus lag das Laub schon zu dicken Haufen zusammengeharkt. Frau Sommerland harkte es immer in windstille Ecken, damit die Igel, die schon jetzt schnüffelnd durch ihren Garten wackelten, einen Unterschlupf für den Winter hatten. Hinter dem Haus reiften Blumenkohl, Stangenbohnen, Fenchel, Salat, Karotten, Kürbisse, Zwiebeln, Kartoffeln und Spinat in ordentlich angelegten Beeten. Bald mussten sie geerntet werden.
Das Haus war klein und mit blaulackierten Brettern verkleidet. Die Fensterläden in beiden Stockwerken, das Geländer der Veranda an der Vorderseite und die Giebelverzierung waren weiß gestrichen. Oben auf dem roten Dach stand ein kleiner Fähnchenmast, an dem sich leuchtend bunte Bänder im Wind kräuselten. Daneben saß ein Wetterhahn, der sich leise quietschend in der Brise schaukelte.
„Ach, den wollte ich doch schon letzte Woche ölen“, seufzte Bärbel Sommerland. Mit einem zweifelnden Blick hinauf zu dem Blechhahn widmete sie sich wieder ihrer frisch gewaschenen Wäsche. Sie war wie gewöhnlich schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen. Sie konnte einfach nicht länger schlafen. Dafür legte sie am frühen Nachmittag oft einen kleinen Mittagsschlaf ein.
Das Haus hatte ihrem Mann, Erwin, gehört, doch dieser war zu ihrer großen Trauer schon sehr jung verstorben. Die beiden Kinder – ein Junge und ein Mädchen – hatte sie fortan allein großgezogen. Irgendwann zogen sie aus, um zu studieren und die Welt kennenzulernen und mittlerweile hatten sie ihre eigenen Familien – leider in anderen Orten. In den Schulferien, kamen sie oft zu Besuch. Ihre Tochter Miriam schickte ihr häufig Briefe mit neuen Fotos der Enkelkinder und selbstgemalten Bilder für ihre Oma. Die Bilder hängte sie sich dann in den Flur und die Fotos rahmte sie ein und stellte sie in die Schrankwand im Wohnzimmer; zu ihrem Erwin. Ihr Sohn Thomas war eher schreibfaul, rief sie aber dafür regelmäßig an. Hin und wieder schickte auch er ihr etwas von seinen Kindern.
Geheiratet hatte Bärbel nicht wieder. Keiner konnte ihr ihren Erwin ersetzen. Unter diesen Umständen wollte sie lieber gar keinen haben. Einige Jahre lebte sie allein in dem Haus. Dann begann sie, ihr Reich im Erdgeschoss einzurichten. Die zweite Etage wollte sie für Gäste herrichten. Dort gab es ein Bad, mit Dusche und Wanne, und ein großes Zimmer mit einem kleinen Balkon, der zur hinteren Seite des Hauses hinausragte. Seit sie vor ein paar Jahren in Rente gegangen war, vermietete sie die obere Etage an Urlauber oder Studenten, die für ein Praktikum einige Wochen im Ort waren. So gab es ein kleines Taschengeld zu ihrer bescheidenen Rente und sie war nicht die ganze Zeit allein.
Zurzeit wohnte dort ein junger Mann, der nach seinen Worten „eine Auszeit“ brauchte. Er fühlte sich in seinem Beruf – Zimmermann - nicht mehr wohl und wollte durch einen Tapetenwechsel neue Energie sammeln. Fast jeden Tag machte er einen langen Spaziergang. Ab und zu half er als Lieferant der Apotheke aus und hatte sich zu dem Stammtisch im Brauhaus gesellt. Er hieß Michael und wohnte mittlerweile schon seit drei Monaten bei Bärbel. Er war nett und half ihr gern im Garten oder, wenn es etwas zu reparieren gab. Vielleicht konnte er ihr auch helfen den Hahn zu ölen? Frau Sommerland fuhr sich etwas erschöpft durch ihr kurzes, weißes Haar. Dann nahm sie den Wäschekorb unter den Arm und ging über die Wiese hinein ins Haus. Sie stellte den Korb zurück ins Bad, ging in die Küche und setzte sich einen Kaffe auf. Sie mochte ihn türkisch mit ein bisschen Zimt und Kardamom.
„Miauu!“ Ein kleiner orange getigerter Kater schmiegte sich an ihre Beine.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Bärbel und beugte sich zu dem Tiger hinunter. Als sie ihn hinterm Ohr kraulte, fing er an zu schnurren. Dann strich er penetrant im sie herum und maunzte.
„Soso, wenn du Hunger hast, ist dir mein Haus also gut genug. Na, nun warte doch mal. Ich mach ja schon.“ Sie ging zum Kühlschrank und holte ein Stück rohe Hühnerbrust heraus. Das schnitt sie in kleinere Stücke und legte ihm alles in einen Napf. Gierig kaute er die Fleischbrocken. Inzwischen, nahm sie sich ihren Kaffee und setzte sich im Wohnzimmer auf ihren Lesesessel. Sie brauchte eine kleine Pause. Zwar war sie für ihr Alter noch recht fit und gesund, doch immerhin auch keine fünfzig mehr.
„Miau?“ Sie blickte zu dem Kater zu ihren Füßen.
„Noch nicht satt?“
„Miau.“
Mit einem Satz sprang er auf ihren Schoß.
„Ach nee…allzu lange habe ich aber nicht Zeit. Die Erntezeit beginnt.“ Der Kater blickte sie an. Dann fing er an auf ihrem Schoß herumzutapsen und rollte sich schließlich zu einem Knäul zusammen. Bärbel streichelte ihn und er begann mit geschlossenen Augen zu schnurren.
„Du bist mir schon einer…“ Der kleine getigerte besuchte sie seit einigen Wochen. Er war noch jung und verspielt und zerfledderte ihr ständig die Laubhaufen im Garten. Schon nach seinem zweiten Besuch im Sommer hatte Bärbel eine Katzenklappe in ihre Haustür einbauen lassen, damit er bei schlechtem Wetter ins Haus konnte, wenn sie nicht da war oder ihn nicht an der Tür kratzen hörte. Woher er kam wusste sie nicht genau. Die meisten Leute im Ort ließen ihre Katzen frei herum laufen. So kam es, dass die Katzen sich selbst aussuchten, wo sie Unterschlupf suchten und etwas zu essen verlangten. Als Frau Sommerland ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schlief der Kater noch tief und fest.
„Tja, mein kleiner, das tut mir jetzt Leid, aber ich muss wieder an die Arbeit.“ Sie nahm ihn behutsam unter dem Bauch und setzt ihn auf den Teppich. Beleidigt sah er zu ihr auf und stolzierte zur Klappe hinaus. Bärbel folgte ihm durch die Tür und ging zu ihrem kleinen Schuppen direkt neben den Beeten. Vom Kater war weit und breit nichts mehr zu sehen. In dem Schuppen bewahrte sie alles auf, was sie für die Gartenarbeit brauchte: eine Sense für das Gras, Harke, Spaten, Eimer, Rechen, Samen, Blumenerde, Dünger, Gartenschlauch und noch einiges mehr. Sie zog sich ihre Gartenschürze an und tauschte ihre Schuhe gegen Gartenschlappen. Mit einem Korb und einem Taschenmesser bewaffnet ging sie zwischen den Beeten entlang und begutachtete das Gemüse. Der Salat, Blumenkohl, Möhren, Bohnen und Zwiebeln waren reif genug. Alles andere würde sie noch ein, zwei Wochen stehen lassen. Während sie das Gemüse vorsichtig abschnitt und noch einen zweiten Korb holen musste, trottete Alfred zu ihr. Alfred war ein Hubertus Hund; auch Bluthund genannt. Er war zwar ein Riese von einem Viech, aber auf Grund seines schon sehr hohen Alters ruhig und schläfrig geworden. Er bewegte sich nicht mehr viel. Sein Alter war ihm förmlich an der Nasenspitze anzusehen: seine Schnauze war im Vergleich zu seinem sonst tiefbraunen Fell über die Jahre grau geworden. Mit seinen langen schwarzen Schlappohren machte er immer einen eher vertrottelten Eindruck. Bärbel hatte ihn als jungen Hund von einem Nachbarn gekauft, um nach dem Auszug ihrer Kinder Gesellschaft und Bewegung zu erhalten. Nachdem Alfred an dem schon gefüllten Korb neben dem Schuppen geschnuppert hatte, kam er zu Bärbel hinüber und stupste sie mit seiner nassen Schnauze am Arm.
„Na, du Faulpelz? Hat dich die Sonne aus deinem Versteck gelockt?“ Sie kraulte ihm den Kopf. Er war heute Morgen mit ihr zusammen aufgestanden, hatte sich dann aber schnell im Garten unter einen Strauch plumpsen lassen und gedöst. Sonst schlief er auf seiner Decke im Wohnzimmer. Er gab ein leises, dumpfes Bellen von sich und wich ihr nicht mehr von der Seite bis sie fertig war. Danach folge er ihr ins Haus. Bärbel stellte die beiden Körbe auf dem Küchentisch ab und begann das Gemüse zu sortieren. Sie wollte gleich eine Gemüsecreme-suppe kochen, einen Teil einfrieren und den Rest im Keller unterbringen, wo es noch länger frisch bleiben würde. Als sie die Kellertreppe, die direkt von der Küche abging wieder herauf kam, hatte sich Alfred auf dem Küchenfußboden lang gemacht. Sie seufzte, legte in ihr Küchenradio eine CD mit irischer Volksmusik ein und machte sich daran, das verbliebene Gemüse zu putzen und zu schneiden. Alles zusammen ließ sie eine gute Weile köcheln, was ihr Zeit gab, sich zu setzen und ein bisschen zu lesen. Später pürierte sie die Hälfte des Gemüses, gab zwei Becher Sahne und Schmelzkäse hinzu und schmeckte mit Kräutern aus ihrem kleinen Kräutergarten am Küchenfenster, Salz und Pfeffer ab. Sie war zufrieden. Ab abends sollte es regnen und bei so einem ungemütlichen Wetter, braucht man eine stärkende Suppe im Haus. Bärbel nahm den Topf vom Herd und blickte auf die Uhr.
„Schon gleich fünf“, murmelte sie. Sie nahm die Leine, die an der Tür zum Flur an einem Haken hing, befestigte sie an Alfreds Halsband und zerrte ihn hinaus an die frische Luft. Alfred versuchte sich sein Gewicht zu Nutze zu machen und blieb einfach stehen, doch dann musste er einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Sein Frauchen war fest entschlossen, ihn noch einmal zu einem Spaziergang zu bewegen. Draußen dämmerte es. Allmählig türmten sich dunkelgraue Regenwolken auf und der Wind wurde stärker.
„Nur eine kleine Runde“, sagte Bärbel in aufmunterndem Ton an Alfred gewandt. Sie zog sich ihre Mütze noch weiter über die Ohren und marschierte los. Ein kleines Stück die Straße entlang, an der Post vorbei Richtung Park. Sie lief zügig und der träge Alfred musste sich Mühe geben mit ihr mitzuhalten. Als sie um eine Hausecke, die mit wildem Wein überwuchert war, bogen, blies ihnen eine kräftige Böe entgegen. Bärbel kniff die Augen zusammen, um durch die herumwirbelnden Blätter sehen zu können. Alfred ging dicht hinter ihr, um etwas Schutz vor dem Wind zu haben. Ein paar Schritte weiter gingen die Laternen an. Ihr orangenes Licht ließ alles herum gemütlich und warm erscheinen, doch der kalte Wind und die dunklen Wolken machten es so gar nicht angenehm. Plötzlich ging ein Wolkenbruch los. Als hätte jemand eine Schleuse geöffnet, prasselte es vom Himmel herab, sodass Bärbel und Alfred im Nu pitschnass waren. „Herrgott!“, brüllte Bärbel durch den Lärm. Kurzum beschloss sie, nicht bis zurück nach Hause zu laufen. Stattdessen huschte sie ins nächst beste offene Lokal. Sobald die Tür hinter ihr zugegangen war, waren auch der Lärm und die Kälte verschwunden. Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. „Mensch, Bärbel!“, ertönte eine Stimme, „Dich hat‘s ja genau erwischt.“ Bärbel drehte sich um. „Ingrid! Ach, du auch hier? Ja, ich wollte eigentlich nur noch eine kurze Runde drehen und dann…“
„Komm, setz dich zu uns, Magda ist auch da.“
„Zu gern.“
Während Bärbel ihrer Freundin an den Tisch folgte, gab sie der Bedienung ein Zeichen. Bei ihrem spontanen Entschluss, durch die nächste Tür zu treten, war Bärbel mit Alfred in einer gemütlichen Kneipe gelandet. Auf dem Boden lag dunkles Parkett und die Wände und der Tresen waren mit Eiche vertäfelt. An den Wänden hingen vereinzelt aquarelle Landschaftsbilder. Es gab Lampen die angenehmes, indirektes Licht verströmten und urige Sitzecken, auf deren Lehnen einige Pflanzen standen.
„Herzlich willkommen“, begrüßte eine Kellnerin Bärbel lächelnd. „Sie wollen sicher etwas Warmes trinken.“
„Ja. Hätten Sie vielleicht eine heiße Schokolade für mich?“
„Selbstverständlich. Darf es noch etwas sein?“
„Danke, für mich nicht, später vielleicht. Aber wären Sie so nett, meinem Alfred eine Schüssel Wasser zu bringen?“ Dabei deutete sie auf den tropfenden Alfred, der sich brav neben sein Frauchen an eine Heizung gelegt hatte. Zum Glück war sein Fell sehr kurz, sonst hätte er schon in einer Pfütze gelegen. Die Kellnerin nickte freundlich.
„Und bei Ihnen, meine Damen?“ Damit wendete sie sich an Magda und Ingrid. Diese bestellten eine Runde Grog.
„Hab dich nicht so, Bärbel“, sagte Magda, „Wir laden dich auf eine Runde ein.“
„Außerdem wärmt so ein richtig guter Grog ordentlich durch“, fügte Ingrid hinzu und brachte damit das überzeugende Argument.
„Was macht der Garten?“, erkundigte sich Magda.
„Ich kann nicht klagen. Es ist zwar immer wieder ein Haufen Arbeit, aber es lohnt sich. Erst vorhin habe ich noch eine Gemüsecremesuppe gemacht.“
„Mmmmh, aus dem eigenen Garten schmeckt‘s gleich ganz anders, nicht wahr?“, bemerkte Ingrid.
„Und dein Untermieter?“, warf Magda ein. So unterhielten sich die drei älteren Damen noch eine geraume Zeit. Sie bestellten noch eine zweite Runde Grog und ein paar belegte Brote, da sie wegen des Regens das Abendbrot zu Hause verpasst hatten.
„Sagt mal, habt ihr nicht auch mal wieder Lust, einen Spieleabend zu machen?“, fragte Ingrid.
„Ach, das ist eine tolle Idee“, jauchzte Bärbel. „Ist es denn zu glauben? Da wohnen wir in derselben Stadt, gar nicht weit auseinander und trotzdem treffen wir uns viel zu selten.“
„Verflixt noch eins!“, pflichtete Magda bei.
„Wie wäre es morgen Abend bei mir?“, schlug Ingrid vor. „Heinrich geht sowieso zum Skat, da haben wir das Haus für uns.“
„Also, ich bin dabei“, sagte Magda.
„Ich auch. Ich bring noch die letzte Flasche selbstgebrannten Kartoffelschnaps vom letzten Jahr mit“, zwinkerte Bärbel. Das fand großen Anklang und weil es aufgehört hatte zu regnen, machten sie sich gemeinsam auf den Nachhauseweg. Wasser floss in breiten Strömen in die Gullys.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, dachte Bärbel.

Als Bärbel zu Hause ankam, sah sie im Obergeschoss Licht brennen. Michael war also schon da. Sie ging hinein und gab Alfred sein verspätetes Abendbrot. Dann ging sie hinauf zu Michael und klopfte an.
„Herein?“ Michael saß auf dem kleinen Sofa und guckte Fern.
„Guten Abend, Michael.“
„Guten Abend, Bärbel. Bist du in den Regen gekommen?“
„Das kannst du laut sagen. Aber ich habe mich dann schnell in einer Kneipe versteckt.“
„Soso“, sagte Michael grinsend. „Da gab‘s dann wohl ein paar Gläschen Grog, hm?“
„Auweia“, Bärbel hielt sich die Hand vor den Mund. Dann flüsterte sie vertraulich: „ist es so schlimm?“ Michael musste lachen: „Ach was. Ich bin wohl nur ein bisschen neidisch.“
„Willst du auch was zum Aufwärmen? Ich hab bestimmt auch noch einen Rum da. Suppe habe ich heute auch gemacht und, wenn du magst, hole ich dir eine Wärmflasche.“
„Ach, nur keine Umstände.“
„Doch, doch, doch, ich hole dir jetzt eine Schüssel Suppe.“
Er zuckte resignierend mit den Achseln, während die alte Dame nach unten huschte. Sie schöpfte etwas Suppe aus dem großen in einen kleineren Topf und machte die Herdplatte an. Alfred lag schon wieder im Wohnzimmer auf seiner Decke unter dem Fenster. Sie wollte gerade zwei große Schüsseln aus dem Schrank neben dem Fenster holen, da hörte sie ein Geräusch von draußen.
„Hallo?“
Niemand antwortete. Sie beugte sich zum Fenster und sah hinaus. Im nächsten Moment leuchtete sie ein grelles Licht an. Sie kniff die Augen zu und wich zurück in die Küche. Als sie die Augen wieder öffnete, war das Licht verschwunden. Sie war ganz aufgeregt. Der Schreck saß ihr noch in allen Gliedern. Hektisch versuchte sie sich wieder auf die Suppe zu konzentrieren.
„Merkwürdig“, murmelte sie. Schnell zog sie die Gardinen zu; auch die im Wohnzimmer. Dann füllte sie die Suppe in die beiden Schüsseln, schnitt noch zwei Scheiben Brot ab und ging zurück nach oben.
„Michael? Erwartest du noch Besuch?“, fragte sie und reichte ihm eine Schüssel.
„Nein, wieso?“
„Ach, nur so. Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Sicher.“ Er rutsche ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen.
„Was guckst du dir denn an?“, fragte sie neugierig.
„Einen Krimi.“
„Uh, ist er gut?“
„Ich weiß nicht, er hat gerade erst angefangen. Ich weiß auch gar nicht genau worum es geht. Eigentlich wollte ich noch gar nicht hier sein, aber bei dem Wetter…Mannomann.“
„Das kannst du laut sagen…hoffentlich hält es nicht so lange an.“ Suppe löffelnd sahen sie sich gemeinsam dem Krimi an.

Scheußliches Wetter. Der kleine Kater wollte sich gerade ein leckeres Abendbrot bei der lustigen, netten Frau abholen, als er vom Regen überrascht wurde. Wasser an sich war ja schon schlimm, aber wenn es von oben kam, war es am schlimmsten. Dann konnte man sich nämlich nicht mehr frei bewegen ohne sich sein Fell zu ruinieren. Also hatte er sich im Park, wo er gerade herum stromerte, unter eine Bank gekauert und abgewartet. Eine Ewigkeit hatte es gedauert bis es aufhörte und er wieder hervorkommen konnte. Furchtbar langweilig war es gewesen, denn es gab nichts zum Spielen. Das heißt, am Anfang hatte er sich mit einer Eichel die Zeit vertreiben können, aber diese war ihm schon bald ungeschickter Weise davon gerollt. Er hätte sie sich wieder holen können, doch dazu hätte er in diese Abart von Wetter laufen müssen, und bevor er das tat, langweilte er sich lieber. Kurz bevor er vor Langeweile beinahe gestorben wäre, wurde es von oben her trockener. Länger hätte er es auch nicht ausgehalten. Schnurstracks hatte er sich auf den Weg zu der Frau mit dem bunten Haus gemacht. Jetzt bog er gerade in die Straße ein, drückte sich zwischen zwei Zaunlatten hindurch und war mit einem Satz auf der Veranda. Stapf. Stapf. Der kleine Tiger horchte auf. Nanu? Da war noch jemand im Garten? Schnell stolzierte er zum Rand der Veranda, sodass er um die Hausecke gucken konnte. Ein Lichtstrahl tanzte über die schwarze Wiese auf ihn zu. Dahinter lief eine dunkle, schemenhafte Gestalt. Bei jedem ihrer Schritte gab es ein schmatzendes Geräusch. An der regelmäßig hin und her schwenkenden Bewegung des Lichts konnte der Kater erkennen, dass offenbar nach etwas gesucht wurde. Wonach konnte er sich allerdings nicht vorstellen. Gemüse war reichlich uninteressante und nasse Wäsche erst recht.
Plötzlich sah er nur noch weiß. Der Blödi hielt ihm das Licht genau ins Gesicht.
„Miaauuu!“, er fauchte wütend, machte auf dem Absatz kehrt und wetzte zur Tür. Immer noch halbblind hechtete er durch die Katzenklappe. Drinnen fuhr er sich ein paar Mal mit der Pfote über das Gesicht und putzte sich seine dreckverschmierten Pfoten. Dann schlenderte er ins Wohnzimmer. Er war etwas verwundert, dass schon alles dunkel war. Ein muffiger Geruch stieg ihm in die Nase. Heilige Hühnerbrust, was war denn das? Im selben Moment erklang ein leises Schnarchen. Der kleine Kater sah genauer hin und erkannte Alfred. Er war erleichtert. Nur der alte, faule Hund. Auf noch einen komischen Zweibeiner hatte er auch wirklich keine Lust gehabt. Doch wo war nur die alte Frau? Er setzte sich neben den Hund und sah sich aufmerksam um. Der Spalt unter der Schlafzimmertür war schwarz. Schlief sie etwa schon? In der Küche war es genauso dunkel und es roch nach irgendetwas zum Essen. Da fiel sein Blick auf die Treppe. Flink lief er sie hinauf. Hier oben war er noch nicht gewesen. Bisher kam er nur zum Fressen oder für kleine Mittagsschläfchen im Wohnzimmer. Wenn das Wetter ab jetzt öfter so schlecht werden würde, würde er jedoch vielleicht auch längere Aufenthalte in diesem Haus unternehmen. Unter einer der Türen im oberen Stockwerk drang Licht hervor. Schnell lief er hinüber und ließ sein niedlichstes Maunzen hören. Als keine Reaktion kam, widerholte er es und kratzte ungeduldig an der Tür, um sein Betteln noch drängender zu machen. Dann hörte er Stimmen und leise Schritte. Die Tür ging auf und Frau Sommerland blickte zu ihm hinunter. Er sah zu ihr auf und maunzte noch einmal zuckersüß. Sie lächelte.
„Du hattest wohl auch noch kein Abendbrot, hm?“ Dann verschwand sie auf der Treppe. Der kleine Kater wäre gern mit ihr gegangen, doch erst musste er seine Neugier befriedigen.
Da saß noch ein Mensch. Ein Mann. Er war jünger als die nette Frau und guckte ihn belustigt an.
„Du bist also der Rabauke, der die Laubhaufen auseinander nimmt.“ Der Kater starrte zurück. Dann lief er einmal durch das Zimmer, schnupperte an den Möbeln, guckte hinter jede Ecke und Ritze und kehrte schließlich zur Tür zurück. In dem Moment hörte er auch schon Frau Sommerland die Treppe hinauflaufen.
„Soso, du möchtest also ein wenig in Gesellschaft sein.“ Sie stellte ihm einen Napf mit frischem Fleisch neben das Sofa und setzt sich wieder zu dem Mann.
„Stört es dich, wenn er hier oben ist?“
„Keines Wegs. Bisher bin ich vor Tierhaarallergien verschont geblieben.“
Beide begannen in einen eckigen Kasten zu blicken. Der Tiger kümmerte sich nicht weiter darum. Jetzt musste er erst einmal essen.
Nach dem Mahl putzte er sich ein wenig. Dann beschloss er, noch ein bisschen zu bleiben. Man konnte ja nie wissen, ob diese Nacht trocken blieb. Frech sprang er mit aufs Sofa und da kein Protest erfolgte, setzte er sich zwischen die zwei Menschen und betrachtete den Kasten. Darin gab es noch mehr Menschen, die sich bewegten. Aber diese waren viel kleiner als die zwei auf dem Sofa. Sie schauten sich also andere, kleine Menschen in dem Kasten an. Zweibeiner machten wirklich seltsame Dinge.

„Ui, das war ein spannender Krimi. Danke, dass ich mitgucken durfte.“
„Danke für die Suppe. Die hat echt gut getan“
„Sie steht unten auf dem Herd, falls du noch Appetit hast.“
„Morgen vielleicht. Für heute bin ich satt.“
„Das ist schön.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Ach, Michael?“ Er blickte auf. „Könntest du morgen den Wetterhahn ölen? Vorausgesetzt es regnet nicht. Sein Gequietsche wird langsam anstrengend.“
„Na dann, werde ich ihm mal zu Leibe rücken.“
„Vielen Dank. Ich werde jetzt nach unten gehen und mich hinlegen. Und den kleinen Rabauken hier, nehme ich mit.“
Frau Sommerland schnappte sich die leeren Schüsseln und den kleinen orangen Kater, lächelte Micheal noch einmal zu und verschwand in der Tür. Der Kater begann ungeduldig zu strampeln. Sie setzte ihn vor der Treppe ab und lief hinunter in die Küche.
„So, abwaschen kann ich auch morgen.“ Schlurfend ging sie ins Bad. Dann zog sie ihr Nachthemd an. Dabei folgten ihr vier kleine Pfötchen auf Schritt und Tritt. Bärbel ließ die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt breit auf und legte sich ins Bett. Kaum hatte sie sich zugedeckt, spürte sie etwas in ihrem Bett herum tapsen. Sie drehte sich um und erkannte im Dunkeln den kleinen Tiger.
„Na gut, ausnahmsweise. Aber in Zukunft möchte ich mein Bett für mich allein haben.“ Er schnurrte genüsslich, als sie ihn am Hals kraulte.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dich ansprechen soll…Hast du überhaupt einen Namen?“
Der Kater schnurrte nur mit geschlossenen Augen.
„Dann musst du den ertragen, den ich für dich aussuche.“
Als hätte er sie verstanden, öffnete er die Augen und blickte sie fordernd an. Als wollte er sagen: „Na los! Was hast du dir ausgedacht?“ Bärbel überlegte kurz.
„Oskar.“ Der Kater sah sie immer noch unverwandt an.
„Ab jetzt heißt du Oskar.“ Oskar schloss wieder die Augen und reckte seinen Hals.
„Na, zumindest scheinst du damit leben zu können.“ Sie kraulte ihn noch ein wenig und schlief dann ein.

Rauschen. Fast als wäre man am Meer. Es dämmerte gerade erst, als Oskar aufwachte. Er gähnte und streckte sich. Dann lief er zum Fenster, schlüpfte hinter den Vorhang und sprang auf das niedrige Fensterbrett. Hinter der Scheibe erwartete ihn der gleiche Anblick wie am Abend zuvor. Graue Wolken und ein flimmernder Schleier aus Regen, der unablässig zur Erde viel. Wo kam nur all das Wasser her? Und womit zum Teufel hatte Oskar so ein Hundewetter verdient? Er ärgerte sich. Wieder ein Tag weniger, an dem er draußen nach Lust und Laune herumspazieren und neue Gärten entdecken konnte. Es würde ein langweiliger Tag werden… Missmutig sprang er wieder auf den Boden. Die alte Frau schlief noch. Sie schnarchte ein bisschen. Wieso schnarchen Menschen? Und Hunde genauso? Es gab schon merkwürdige Dinge auf der Welt. Oskar kam der Gedanke, dass er doch, wenn er schon nicht raus konnte, das Haus noch ein wenig genauer erkunden sollte. Beschwingt trabte er ins Wohnzimmer. Alfred schlief. Nicht weiter interessant. Da er dieses Zimmer schon recht gut kannte, huschte er gleich hinauf in den zweiten Stock. Das Zimmer von gestern Abend war verschlossen. Doch es gab noch eine weitere Tür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Oskar lehnte sich mit den Vorderpfoten gegen das Holz. Der Spalt wurde breiter und schnell huschte er hinein. Der Boden war kalt und aus platten, glatten Steinen. Ein paar blaue weiche Rasenflecken lagen herum. In dem Raum gab es drei weiße Näpfe.
Einer stand auf einem Bein und hatte oben einen Deckel. Darin floss Wasser, das hatte Oskar schon oft in anderen Häusern gesehen. Die Menschen setzten sich drauf. Manchmal nahmen sie sogar das große knisternde Blatt, das in den kleinen Kästen an den Gartenzäunen steckte, mit. Irgendwann standen sie wieder auf, taten etwas, das Oskar bisher nicht definieren konnte, und dann floss laut rauschend Wasser in dem Napf.
Ein weiterer Napf hing an der Wand. Auch darin floss hin und wieder Wasser. Meistens, wenn die Menschen von dem ersten Napf aufgestanden waren. Manchmal auch nicht.
Der dritte Napf war der größte. Er war fast so groß wie ein Bett. Und auch hier war ab und zu Wasser drin. Die Menschen legten sich hinein und dann hing immer dieser stechende Geruch in der Luft. Und, wenn kleine Menschen darin waren, schwammen oft weiße Wolken auf dem Wasser. Es gab auch einen Gartenschlauch, aus dem Regen kam. Zweibeiner schienen Wasser in Näpfen zu lieben. Aber Wasser vom Himmel mochten auch sie nicht. Mehr gab es nicht in dem weißen Raum. Oskar sprang auf den Deckel des einbeinigen Napfes. Darüber hing ein weißer Kasten. Neugierig stellte er sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfo-ten darauf. Er schien fest zu sein. Oskar sprang hinauf. Dabei gab der Kasten an einer Stelle unter seiner linken Vorderpfote nach. Ein Tosen brach los. Erschrocken sprang der Kater hinunter auf den Boden und rannte zur Tür hinaus.

Bärbel schälte sich aus der Bettdecke, zog flauschige Pantoffeln über und machte sich im Bad startklar für den Tag. Auf dem Weg zur Haustür lief ihr Oskar zwischen die Beine.
„Da steckst du, kleiner Teufel.“ Schnell gab sie ihm etwas zu essen, damit er Ruhe gab. Dann machte sie sich in Gummistiefeln und mit Regenschirm auf zum Bäcker. Frische Brötchen für einen guten Start in den Tag mussten schon sein. Im Garten erschrak sie. „Himmel, Arsch und Zwirn! Ich hab die Wäsche gestern ganz vergessen…“ Sie seufzte. „Die kann ich nachher gleich nochmal waschen.“
Letztendlich brachte sie nicht nur Brötchen, sondern auch noch Apfelkuchen und Brot mit. Sie richtete ein umfangreiches Frühstück her und schon bald lockte der Geruch Michael aus dem Bett.
„Guten Morgen, setz sich. Möchtest du auch ein Ei?“
„Ja, gern.“ Micheal goss sich Milch in seinen Kaffee. „Das Wetter ist noch nicht viel besser geworden?“
„Nein…es gießt in Strömen. Ich hoffe, bis heute Abend ist es vorbei.“
„Hast du etwas vor?“
„Ein kleiner Spieleabend mit meinen Freundinnen.“ Bärbel schnitt zwei Brötchen auf.
„Oh, das freut mich. Du gehst viel zu selten unter Leute.“
„Da hast du Recht. Ich weiß auch nicht. Irgendwie findet sich die Zeit nicht.“ Sie lächelte. „Für euch junge Leute klingt das sicher merkwürdig.“
„Ach was. Ist mir auch schon passiert.“ Sie kicherten.
„Wenn es trockener geworden ist, sehe ich mal nach dem Hahn.“
„Vielen Dank, Michael. Gehst du heute Abend wieder zum Stammtisch?“
„Ja.“
„Nimm dir bloß einen Schirm mit!“
Nach dem Frühstück holte Bärbel die Wäsche von draußen, wusch sie noch einmal und hing sie dann im Haus auf. Den Rest des Tages ließ sie ruhig angehen. Bis zum Nachmittag las sie und kraulte Oskar, der sich sofort, nachdem sie sich hingesetzt hatte, auf ihren Schoß gesprungen war. Dann gönnte sie sich und Michael eine Schüssel Suppe und buk einen Kuchen mit den ersten Birnen aus ihrem Garten. Gegen sechs Uhr machte sie sich mit Kuchen und Kartoffelschnaps auf den Weg zu Ingrid. Sie kam sich ein bisschen vor wie Rotkäppchen und musste lachen. Aber bei Rotkäppchen hatte es nicht geregnet, oder?

Es war dunkel. Nach dem Frau Sommerland das Haus verlassen hatte, war Oskar nach oben gelaufen und hatte an der Tür gekratzt. Micheal hatte ihm aufgemacht und ihn auf seinem Schoß sitzen lassen, während er in den flimmernden Kasten sah. Doch nach einer Weile war auch er gegangen. Nun war Oskar allein in dem Haus. Allein mit Alfred. Allein mit einem Hund. Das hätte er sich nie träumen lassen. Noch dazu mit einem so langweiligen Hund. Man konnte ihn nicht einmal ärgern. Der Regen klopfte unablässig gegen die Scheiben. Dem kleinen Tiger wurde klar, dass er wohl noch eine ganze Weile in diesem Haus gefangen sein würde. Er ging hinüber zu Alfred und stupste ihn mit der Pfote in die Seite. Der Bluthund rührte sich nicht. Oskar sprang auf seinen Rücken und kletterte ihm bis auf die Stirn. Alfred schlief gnadenlos weiter. Herrje…neben dem Schnarchsack konnte der Blitz einschlagen und er würde es nicht merken. Mit dem war wirklich nichts anzufangen. Dann entdeckte der kleine Kater eine Tüte neben dem Sessel. Was da wohl drin war? Neugierig steckte er die Nase hinein. Er stieß gegen etwas Weiches und zuckte zurück. Nanu? Vorsichtig steckte er eine Pfote in die Tüte und versuchte das Weiche Etwas heraus zu schubsen. Es war rund und rollte nach einem Hieb mit der Pfote fast von allein auf den Teppich. Ein Wollknäul! Herrlich! Oskar stürzte sich darauf. Er hielt es zwischen den Vorderbeinen eingeklemmt und biss fröhlich hinein. Im nächsten Moment gab er es wieder frei und verpasste dem Knäul einen kräftigen Tritt. Ein Faden löste sich und hinterließ eine bunte Spur, als der Wollball unter dem Sessel hindurch hinüber zur Küchenecke rollte. Oskar wetzte hinterher, gab der Kugel neuen Schwung und jagte sie in jede beliebige Richtung. Dabei ließ er sie keinen Moment aus den Augen. Er tobte mit ihr über den Boden, unter dem Esstisch hindurch, hinüber ins Wohnzimmer und wieder zurück. Bald merkte er, dass das Knäul immer kleiner wurde. Das machte ihn wütend und er biss noch heftiger hinein. Doch schließlich fielen auch die letzten Windungen des Wollfadens auseinander. Schade…nun war der Spaß vorbei. Oskar war enttäuscht. Trotzig sah er sich nach einer neuen Beschäftigung um. Er bemerkte, dass die Wolle kreuz und quer zwischen Küche und Wohnzimmer gespannt war, wie ein Spinnennetz. Tja, Wollknäul, es hat Spaß gemacht mit dir, aber auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende. Ein bisschen schlecht gelaunt huschte er die Treppe hinauf und in den Raum mit den weißen Näpfen. Er lief zu dem größten hinten in der Ecke und machte einen Satz hinein. Der weiße Rand war genauso kalt wie der Boden. Wie konnten die Zweibeiner sich hier stundenlang hineinlegen? Er entdeckte im Dunkeln etwas Glänzendes am gegenüber-liegenden Rand. Das musste er sich unbedingt genauer ansehen. Übermütig streckte er sich hinauf und berührte dabei mit der Schnauze den Hebel des Wasserhahns. Warmes Wasser lief ihm übers Gesicht und in die Nase. Pfui, pfui, pfui. Panisch und verärgert sprang der kleine Tiger aus dem Napf. Tropfend warf er dem Hahn noch einen bösen Blick zu, schüttelte sich und verließ schleunigst das Bad. Igitt! Was sollte das denn?

„Möchte noch jemand einen Schluck Tee zu seinem Schnaps?“, fragte Ingrid kichernd. Bärbel überlegte kurz. „Na gut, aber nur noch einen. Sonst lacht Michael mich wieder aus.“
„Ich nehme auch noch einen“, sagte Magda und schob ihre Tasse über den Tisch. „Noch eine Runde?“
„Nur, wenn du noch ein Stück von meinem Kuchen nimmst.“
„Haha, das lasse ich mir nicht zweimal sagen.“
„Oh, oh, ist auch noch eins für mich übrig?“
„Natürlich, Ingrid! Bedien dich“, forderte Bärbel auf und teilte die Karten aus. „Aber du müsstest noch einmal Zimt und Zucker nachfüllen.“
„Na, wenn es weiter nichts ist.“
„Ich fahre nächste Woche übrigens für zwei Wochen ans Meer für eine Kur“, erzählte Magda.
„Wegen deiner Nebenhöhlen?“, erkundigte sich Ingrid und füllte den Wasserkocher auf.
„Ja, genau. Mein Arzt empfiehlt mir das ja schon lange, aber irgendwie bin ich einfach nicht dazu gekommen.“ Ingrid und Bärbel nickten wohl wissend.
„Könntet ihr beide vielleicht Walter ein bisschen unter die Arme greifen? Mit seinem Knie fallen ihm die Einkaufstouren zunehmend schwerer. Besonders, wenn Getränke nötig sind.“
„Selbstverständlich. Ich könnte Micheal auch vorbeischicken.“
„Ach, das ist lieb von dir, Bärbel. Hoffentlich raube ich dem jungen Mann nicht seine ganze Zeit.“
„Ach iwo. Ich sag ihm nachher gleich Bescheid. Wer jung ist, kann ruhig mal anpacken.“
„Schreibst du uns eine Karte?“, wollte Ingrid wissen, hängte ein Teesieb Earl Grey in die Kanne und stellte sie neben dem Wasserkocher ab.
„Ich schreibe euch auch zwei“, grinste Magda. „Ich bin schon so aufgeregt. An meine letzte Reise kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Hoffentlich vergesse ich nichts.“
„Ach, das schaffst du schon. Schreib dir vorher eine Liste, das macht meine Tochter immer, wenn sie mit den Kindern zu mir kommt.“
„Das ist eine gute Idee.“
„So, Tee ist fertig, es kann losgeh’n!“, rief Ingrid und goss jedem eine Tasse ein. „Ich hole nur noch schnell Zimt und Zucker.
„Gib uns dieses Mal aber wenigstens eine Chance“, jammerte Bärbel.
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Draußen war es dunkel. Nur das orange Licht der Straßenlaternen schien durch die Wohnzimmerfenster und in das Schlafzimmer. In der Küche fiel Oskars Blick auf eine Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Vor Neugier vergaß er sein nasses Fell und schob sich drängelnd durch den Spalt. Er stand am Anfang einer steinernen Treppe, die nach unten führte. Es war stockdunkel und kühl. Der Geruch von Erde und kaltem Stein lag in der Luft. Achtsam kletterte der Tiger die Stufen hinab. Er konnte schemenhaft Körbe und Kisten ausmachen. Interessiert schnupperte er sich durch die Stapel. Wieder nur Grünzeug…Immer das gleiche. Ein Rascheln kam aus einer Ecke. Ein Mäuschen huschte durch den Raum. Lautlos beobachtete Oskar es. Der kleine Nager verschwand, schnell wie er gekommen war, hinter einem Sack Kartoffeln. Dahin konnte der Kater ihr nicht folgen, da der Sack zwischen anderem Gemüse regelrecht eingeklemmt war. Oskar versuchte es dennoch und machte sich daran seine kleine Pfote in die schmalen Spalte neben dem Sack zu schieben. Er wühlte und bohrte mit der Nase, aber es half nichts. Das sah er widerwillig ein. Deshalb legte er sich mit etwas Abstand auf die Lauer. Doch Oskar war trotz allem noch ein junger, ungeduldiger Kater. Schon nach kurzer Zeit dachte er ans Aufgeben. Ihm würden noch viele Mäuse über den Weg laufen. Im nächsten Augenblick hörte er wieder das Rascheln und eine kleine lange Nase kam zum Vorschein. Als sich eine gute Gelegenheit bot, schnappte er sich das Mäuschen. Er hatte es gerade mit dem Maul eingefangen, als er die Haustür hörte. Vielleicht war Frau Sommerland zurück! Oder Michael! Mit der noch lebenden Maus im Maul trabte er die Treppe wieder hinauf in die Küche. Doch es war weder Frau Sommerland, noch Michael, die da durch die Tür traten. Im Flur stand ein fremder Mann mit einem Licht in der Hand. Er roch nach Rauch und Regen.

Ingrid, du hast ja schon wieder gewonnen!“, lachte Bärbel.
„Entschuldigt, meine Lieben, aber heute habe ich wohl einfach ein Glückliches Händchen beim Rommé.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Magda, „wenn das mit Skat auch so gut klappt, kannst du die Männer am Stammtisch einmal so richtig beeindrucken.“
„Ach, ich kann doch gar kein\' Skat. Wie wäre es mit Bridge?“
„Eine gute Idee“, sagte Bärbel begeistert. „Ich hab ewig kein Bridge mehr gespielt!“ Es klingelte an der Tür. Die drei Frauen blickten verwundert in den Flur.
„Nanu?“, wunderte sich Ingrid, „Wer kann das denn jetzt noch sein?“
„Vielleichte hat Heinrich vorhin seinen Schlüssel vergessen“, überlegte Bärbel.
„Wäre nicht das erste Mal“, kicherte Ingrid und ging zur Haustür. Als sie öffnete, stand ein triefnasser Mann vor ihr. Er hob die Kapuze etwas hoch und sah Ingrid fragend an. Hinter ihm kam Heinrich schlurfend den Weg entlang.
„Ach, Michael! Jetzt erkenn ich Sie erst. Entschuldigung. Kommt rein, kommt rein. Wieso seid ihr denn schon zurück? War heut nichts los bei euch?“ Die beiden Männer drängten sich in den Flur und zogen ihre tropfenden Regenjacken und Schuhe aus.
„Heinrich, such doch bitte ein paar Schlappen für Michael raus, ich setz für euch noch schnell Tee auf.“
„Ein Grog würde es auch tun“, grinste Michael viel sagend. Ingrid lächelte keck und ging zurück zu ihren Mädels.
„Bei den Männern ist schon Feierabend“, verkündete sie der staunenden Runde.
„Ach nee“, sagte Bärbel, „Und der Michael will mich wohl abholen?“ Michael war soeben durch die Tür getreten und setzte sich an den Tisch.
„Wir wollten uns eigentlich noch eurer Runde anschließen. Walter war müde und wir haben ihn noch nach Haus gebracht.“
„Oh, das ist nett“, bedankte sich Magda.
„Ihr habt Glück, es ist sogar noch Kuchen übrig.“
„Der Gute mit den Birnen aus dem Garten?“, fragte Heinrich interessiert.
„Genau.“
„Und was treibt ihr sonst so?“
„Wir wollten grad mit Bridge anfangen, aber dafür sind wir jetzt wohl zu viele“, meinte Ingrid.
„Rommé?“, fragte Michael. Die Frauen prusteten.
„Könnt ihr gut verlieren?“, fragte Bärbel.
„Zwei mal Grog für die Herren“, kündigte Ingrid an und stellte zwei Tassen auf den Tisch.
„Ach, Ingrid, wenn du schon dabei bist…“, begann Magda.
„Kommt sofort.“

Oskar stand wie versteinert in der Kellertür. Wer war diese Type? Und was zum Mauseloch wollte er hier? Er hatte ihn noch nie gesehen und glaubte auch nicht, dass er hier etwas verloren hatte. Die Type stand fast ebenso regungslos da. Geräuschvoll zog der Mann die Nase hoch.
„Dann woll’n wir mal.“ Seine Stimme war rau und klang nach grober Baumrinde. Er trug einen dichten Bart und robuste Kleidung. Unter schnaufen steckte er den Lichtstrahl in die Innentasche seiner Jacke. Darüber war Oskar sehr froh. Einmal blind gewesen zu sein reichte ihm für ein Katzenleben. Der Fremde blickte sich suchend um. Dabei entdeckte er den kleinen Tiger.
„Wen haben wir denn da?“ Er ging in die Hocke und streckte eine Hand aus. Was wollte der denn? Oskar war empört. Er war doch kein dummer Hund, der sich mit so etwas locken ließ. Feindselig krümmte er den Rücken zu einem Buckel, stellte sein feuriges Fell auf und fauchte mit funkelnden Augen. Die Maus fiel aus seinem Maul und flüchtete in wilder Panik, aber erleichtert, dass sie noch eine Chance bekam, davon. Oskar fluchte. Diese Zweibeiner konnten einem wirklich alles verderben. Schön, dieses Spiel konnte er mitspielen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er dem Eindringling entgegen.

Michael und Bärbel waren auf dem Weg nach Hause. Als der Kuchen und der Kartoffelschnaps sich dem Ende geneigt hatten, machte die Runde diesen Umstand zum Anlass, um getrennter Wege zu gehen. Ein paar Ecken waren sie noch mit Magda zusammen gegangen, bis sie in unterschiedliche Richtungen mussten. Die Regenwolken lichteten sich allmälig und einige Sterne kamen zum Vorschein.
„Ach, das war ein schöner Abend“, seufzte Bärbel.
„Schön, dass es dir gefallen hat. Ihr könntet das ruhig öfter machen. Bei dir ist doch genug Platz und mich stört es nicht, wenn es etwas später wird.“
„Das stimmt. Aber alte Leute haben immer so viel zu tun.“ Sie lachten.
„Ich werde dich hin und wieder daran erinnern, auch einmal etwas anderes zu tun zu haben.“ Gemeinsam stapften sie durch die Pfützen und das raschelnde Laub. Michael blickte gen Himmel.
„Vielleicht kann ich mir morgen endlich mal deinen Hahn angucken.“

Mit ausgefahrenen Krallen landete Oskar auf dem Knie des Mannes, der es nicht rechtzeitig geschafft hatte aus der Hocke hochzuschnellen. Flink kletterte der Kater hinauf zur Schulter und holte mit der Pfote aus. Er erwischte den Fremden an der rechten Wange und hinterließ drei tiefrote Streifen. Dem Mann war es inzwischen gelungen, sich aufzurichten und er griff nun nach dem Fellknäul, das sich schmerzhaft in seine Schulter krallte. Oskar wurde mehr schlecht als recht im Nacken gepackt. Die Hand wollte gerade zum Wurf ausholen und Oskar machte sich schon auf einen unkontrollierten Flug gefasst, als der Vollbärtige den Halt verlor und rücklings auf den Boden knallte. Dabei ließ er den Kater los, der geschickt auf den Pfoten landete und sich in einen sicheren Abstand begab. Er guckte sich um und erkannte die Ursache der Wendung. Ein reflektierender spiegel-glatter Teppich hatte sich von der Treppe aus auf dem Boden ausgebreitet. Oskar blickte die Treppe hinauf. Beim Anblick des leise plätschernden Wasserfalls, erinnerte er sich an seinen Ausflug in den Raum der Näpfe. Hups. Aber immerhin hatte es geholfen. Auf dem rutschigen Laminat war der Einbrecher ausgerutscht, als er Schwung holen wollte.
„…kleines Biest….“ Auweia! Jetzt aber nichts wie weg. Unter Stöhnen und Ächzen rappelte sich der Mann erneut auf und machte Anstalten, den Tiger wieder einzufangen. Doch der war schneller und schlüpfte zwischen Stuhlbeinen hindurch. Während er das Treppengeländer hinaufkletterte, um möglichst wenig Kontakt mit dem Wasser zu bekommen, hörte er hinter sich wieder einen gewaltigen Rumms. Neugierig drehte er sich um. Der Einbrecher hatte sich in den kreuz und quer zwischen den Möbeln gespannten Wollfäden verheddert und lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Ja, ein bisschen Chaos kann hilfreich sein. Oskar hielt die Gelegenheit für günstig, um einen neuen Angriff zu starten. In dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzte, hörte er ein dumpfes Schnaufen. Ein Schatten kam aus dem dunklen Wohnzimmer heran getrottet und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rücken des Bärtigen plumpsen. Alfred! Sogar große, träge Hunde konnten hilfreich sein. Wer hätte das gedacht? Zufrieden lief der kleine Tiger hinüber. Der Mann versuchte den Kopf zu heben und zu begreifen, was in den letzten Augenblicken geschehen war, doch als er Oskar mit erhobener Pfote vor sich sah, legte er seinen Kopf schnell wieder ab und schloss die Augen.

Als Frau Sommerland und Michael durch die Tür traten und das Licht einschalteten, wussten sie erst gar nicht recht, was sie mit dem Bild anfangen sollten, das sich ihnen bot. Mitten zwischen Küchenecke und Wohnzimmer lag ein Mann, den sie nicht kannten. Auf ihm lag Alfred schwer wie ein Sack Getreide und drumherum stolzierte ein kleiner oranger Kater mit aufgestelltem Schwanz hin und her. Stühle lagen daneben, der Sessel aus dem Wohnzimmer und der Küchentisch hatten ihre Plätze verlassen und rote Wolle durchzog die Szenerie, die von der spiegelnden Wasseroberfläche abgerundet wurde. Nur langsam gewannen sie eine Vorstellung von den Ereignissen und riefen die Polizei. Der Mann wurde wegen Hausfriedensbruch und Einbruch festgenommen. Er hinterließ eine halbe Nacht Wischarbeit und zwei nasse Fellballen, die für ihre Heldentat ununterbrochen Aufmerksamkeit einforderten, in dem sie beim Aufräumen im Weg herumstanden. Bärbel und Michael wischten Eimer um Eimer Wasser zusammen. Das Laminat war aufgequollen und musste demnächst ausgetauscht werden. Die Treppe hatte es zum Glück gut überstanden. Das Wasser musste von oben gekommen sein; sie fanden einen laufenden Wasserhahn und eine randvolle Badewanne. Nachdem das Gröbste getan war, bekamen Alfred und Oskar ein extra leckeres Mitternachtsmahl. Bärbel und Michael gönnten sich noch einen Teller Suppe und heiße Milch mit Honig. Völlig ausgelaugt saßen sie bei Michael auf dem Sofa.
„Es ist mir völlig schleierhaft, wie die beiden es geschafft haben, das Haus unter Wasser zu setzen“, murmelte Bärbel.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, kommentierte Michael.
 
Liebe Leser,

1. ACHTUNG!!! Dieser Beitrag ist etwas länger. Überlegt euch also, wieviel Zeit ihr gerade in der Tasche habt :)
2. Ich bin ein absoluter Frischling bei der Leselupe. Der folgende Text war meine erste beendete Kurzgeschichte. Mittlerweile komme ich leider immer seltener zum Schreiben, dennoch hätte ich gern einmal Resonanz zu meinen Ideen.



Es war ein sonniger Herbstmorgen. Am Himmel zogen einige weiße, bauschige Wölkchen dahin, der Wind wehte sanft durch die roten und gelben Blätter der Ahornbäume, die zu beiden Seiten entlang der Straßen standen. Hin und wieder segelte ein Blatt wiegend zu Boden.
Es war ein Samstagmorgen. Kinder sammelten begeistert lachend die bunten Blätter, Kastanien und Eicheln auf. Die Eltern schlenderten gemächlich hinter ihnen her und staunten über all die Dinge, die ihre Kleinen heran trugen. Über den Baumwipfeln des Parks stiegen zahllose bunte Drachen in den blauen Himmel hinauf.
In vielen Gärten blühten die letzten Blumen. Die Sonnenblumen im Garten von Frau Sommerland waren schon verblüht und eine Scharr singender Vögelchen pickte sich eifrig die schmackhaften Kerne heraus. Auf der Wiese rund um das Haus lag das Laub schon zu dicken Haufen zusammengeharkt. Frau Sommerland harkte es immer in windstille Ecken, damit die Igel, die schon jetzt schnüffelnd durch ihren Garten wackelten, einen Unterschlupf für den Winter hatten. Hinter dem Haus reiften Blumenkohl, Stangenbohnen, Fenchel, Salat, Karotten, Kürbisse, Zwiebeln, Kartoffeln und Spinat in ordentlich angelegten Beeten; bald mussten sie geerntet werden.
Das Haus war klein und mit blaulackierten Brettern verkleidet. Die Fensterläden in beiden Stockwerken, das Geländer der Veranda an der Vorderseite und die Giebelverzierung waren weiß gestrichen. Oben auf dem roten Dach stand ein kleiner Fähnchenmast, an dem sich leuchtend bunte Bänder im Wind kräuselten und dem Wetterhahn, der sich leise quietschend in der Brise schaukelte,am Schnabel kitzelten.
„Ach, den wollte ich doch schon letzte Woche ölen“, seufzte Bärbel Sommerland. Mit einem zweifelnden Blick hinauf zu dem Blechhahn widmete sie sich wieder ihrer frisch gewaschenen Wäsche. Sie war wie gewöhnlich schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen, sie konnte einfach nicht länger schlafen. Dafür legte sie am frühen Nachmittag oft einen kleinen Mittagsschlaf ein.
Das Haus hatte ihrem Mann, Erwin, gehört, doch dieser war zu ihrer großen Trauer schon sehr jung verstorben. Die beiden Kinder – ein Junge und ein Mädchen – hatte sie fortan allein großgezogen. Irgendwann zogen sie aus, um zu studieren und die Welt kennenzulernen und mittlerweile hatten sie ihre eigenen Familien – leider in anderen Orten. In den Schulferien, kamen sie oft zu Besuch. Ihre Tochter Miriam schickte ihr häufig Briefe mit neuen Fotos der Enkelkinder und selbstgemalten Bilder für die Oma. Die Bilder hängte sie sich dann in den Flur und die Fotos rahmte sie ein und stellte sie in die Schrankwand im Wohnzimmer zu ihrem Erwin. Ihr Sohn Thomas war eher schreibfaul, rief sie aber dafür regelmäßig an. Hin und wieder schickte auch er ihr etwas von seinen Kindern.
Geheiratet hatte Bärbel nicht wieder; keiner konnte ihr ihren Erwin ersetzen. Unter diesen Umständen wollte sie lieber gar keinen haben. Einige Jahre lebte sie allein in dem Haus, dann begann sie, ihr Reich im Erdgeschoss einzurichten. Die zweite Etage wollte sie für Gäste herrichten. Dort gab es ein Bad, mit Dusche und Wanne, und ein großes Zimmer mit einem kleinen Balkon, der zur hinteren Seite des Hauses hinausragte. Seit sie vor ein paar Jahren in Rente gegangen war, vermietete sie die obere Etage an Urlauber oder Studenten, die für ein Praktikum einige Wochen im Ort waren. So gab es ein kleines Taschengeld zu ihrer bescheidenen Rente und sie war nicht die ganze Zeit allein.
Zurzeit wohnte dort ein junger Mann, der nach seinen Worten eine Auszeit brauchte. Er fühlte sich in seinem Beruf – Zimmermann - nicht mehr wohl und wollte durch einen Tapetenwechsel neue Energie sammeln. Fast jeden Tag machte er einen langen Spaziergang und half ab und zu als Bote der Apotheke aus. Außerdem und hatte sich zu dem Stammtisch im Brauhaus gesellt, den er regelmäßig besuchte. Er hieß Michael und wohnte mittlerweile schon seit drei Monaten bei Bärbel. Er war nett und half ihr gern im Garten oder, wenn es etwas zu reparieren gab. Vielleicht konnte er ihr auch helfen den Hahn zu ölen? Frau Sommerland fuhr sich etwas erschöpft durch ihr kurzes, weißes Haar. Dann nahm sie den Wäschekorb unter den Arm und ging über die Wiese hinein ins Haus. Sie stellte den Korb zurück ins Bad, ging in die Küche und setzte sich einen Kaffe auf. Sie mochte ihn türkisch mit ein bisschen Zimt und Kardamom.
„Miauu!“ Ein kleiner orange getigerter Kater schmiegte sich unvermittelt um ihre Beine.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Bärbel und beugte sich zu dem Tiger hinunter. Als sie ihn hinterm Ohr kraulte, fing er an zu schnurren und strich penetrant maunzend um sie herum.
"Wenn du Hunger hast, ist dir mein Haus also gut genug. Na, nun warte doch mal, ich mach ja schon.“ Sie ging zum Kühlschrank und holte ein Stück rohe Hühnerbrust heraus, die in kleine Stücke schnitt und ihm alles in einen Napflegte. Gierig schlang der Kater die Fleischbrocken.
Inzwischen, nahm sie sich ihren Kaffee und setzte sich im Wohnzimmer auf ihren Lesesessel, um eine kleine Pause einzulegen. Zwar war sie für ihr Alter noch recht rüstig, doch immerhin auch keine fünfzig mehr.
„Miau?“ Sie blickte zu dem Kater zu ihren Füßen.
„Noch nicht satt?“
„Miau.“
Mit einem Satz sprang er auf ihren Schoß.
„Ach nee…allzu lange habe ich aber nicht Zeit. Die Erntezeit beginnt.“ Der Kater blickte sie erwartungsvoll an und fing an, auf ihrem Schoß im Kreis herumzutapsen, bevor er sich schließlich zu einem Knäul zusammenrollte. Bärbel streichelte ihn und er begann wieder, mit geschlossenen Augen zu schnurren.
„Du bist mir schon einer…“ Der kleine getigerte besuchte sie seit einigen Wochen immer wieder. Er war noch jung und verspielt und zerfledderte ihr ständig die Laubhaufen im Garten. Schon nach seinem zweiten Besuch im Sommer hatte Bärbel eine Katzenklappe in ihre Haustür einbauen lassen, damit er bei schlechtem Wetter ins Haus konnte, wenn sie nicht da war oder ihn nicht an der Tür kratzen hörte. Woher er kam wusste sie nicht genau. Die meisten Leute im Ort ließen ihre Katzen frei herum laufen. So kam es, dass sie sich selbst aussuchten, wo sie Unterschlupf suchten und etwas zu essen verlangten.
Als Frau Sommerland ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schlief der Kater noch tief und fest.
„Tja, mein kleiner, das tut mir jetzt Leid, aber ich muss wieder an die Arbeit.“ Sie nahm ihn behutsam unter dem Bauch und setzt ihn auf den Teppich. Beleidigt stolzierte er zur Klappe hinaus. Bärbel folgte ihm durch die Tür und ging zu ihrem kleinen Schuppen direkt neben den Beeten. Vom Kater war weit und breit nichts mehr zu sehen. In dem Schuppen bewahrte sie alles auf, was sie für die Gartenarbeit brauchte. Sie zog sich ihre Gartenschürze an und tauschte ihre Schuhe gegen Gartenschlappen. Mit einem Korb und einem Taschenmesser bewaffnet ging sie zwischen den Beeten entlang und begutachtete das Gemüse. Der Salat, Blumenkohl, Möhren, Bohnen und Zwiebeln waren reif genug. Alles andere würde sie noch ein, zwei Wochen stehen lassen. Während sie das Gemüse einammelte, trottete Alfred - ein Hubertus-Hund, besser als Bluthund bekann - zu ihr. Er war zwar ein Riese von einem Viech, wie es für seine rasse nun einmal üblich war, aber auf Grund seines schon sehr hohen Alters ruhig und schläfrig geworden. Er bewegte sich nicht mehr viel. Sein Alter war ihm förmlich an der Nasenspitze anzusehen, denn seine Schnauze war im Vergleich zu seinem sonst tiefbraunen Fell über die Jahre grau geworden. Mit seinen langen schwarzen Schlappohren machte er immer einen eher vertrottelten Eindruck. Bärbel hatte ihn als jungen Hund von einem Nachbarn gekauft, um nach dem Auszug ihrer Kinder Gesellschaft und Bewegung zu haben.
Alfred schnupperte an dem gefüllten Korb und stupste Bärbel anschließend mit seiner nassen Schnauze am Arm.
„Na, du Faulpelz? Hat dich die Sonne aus deinem Versteck gelockt?“ Sie kraulte ihm den Kopf. Er war heute Morgen mit ihr zusammen aufgestanden, hatte sich dann aber nach dem gewohnten Spaziergang schnell im Garten unter einen Strauch plumpsen lassen und gedöst. Sonst schlief er auf seiner Decke im Wohnzimmer.
Er gab ein leises, dumpfes Bellen von sich und wich ihr nicht mehr von der Seite bis sie mit der Erntearbeit fertig war.
Zurück im Haus stellte Bärbel die beiden gesammelten Körbe auf dem Küchentisch ab und begann, die Ernte zu sortieren. Sie wollte gleich eine Gemüsecreme-suppe kochen, einen Teil einfrieren und den Rest im Keller unterbringen, wo es noch länger frisch bleiben würde. Als sie die Kellertreppe, die direkt von der Küche abging wieder herauf kam, hatte sich Alfred auf dem Küchenfußboden lang gemacht. Sie seufzte, stieg über ihn hinweg und legte in ihr Küchenradio eine CD mit irischer Volksmusik ein.
Am Abend sollte es regnen und bei so einem ungemütlichen Wetter, braucht man eine stärkende Suppe im Haus. Bärbel nahm den Topf vom Herd und blickte auf die Uhr.
„Schon gleich fünf“, murmelte sie. Sie nahm die Leine, die an der Tür zum Flur an einem Haken hing, befestigte sie an Alfreds Halsband und zerrte ihn hinaus an die frische Luft. Alfred versuchte sich sein Gewicht zu Nutze zu machen und blieb einfach stehen, doch dann musste er einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Sein Frauchen war fest entschlossen, ihn noch einmal zu einem Spaziergang zu bewegen. Draußen dämmerte es. Allmählig türmten sich dunkelgraue Regenwolken auf und der Wind wurde stärker.
„Nur eine kleine Runde“, sagte Bärbel in aufmunterndem Ton an Alfred gewandt. Sie zog sich ihre Mütze noch weiter über die Ohren und marschierte los. Ein kleines Stück die Straße entlang, an der Post vorbei Richtung Park. Sie lief zügig und der träge Alfred musste sich Mühe geben mit ihr mitzuhalten. Als sie um eine Hausecke, die mit wildem Wein überwuchert war, bogen, blies ihnen eine kräftige Böe entgegen. Bärbel kniff die Augen zusammen, um durch die herumwirbelnden Blätter sehen zu können. Alfred ging dicht hinter ihr, um etwas Schutz vor dem Wind zu haben. Ein paar Schritte weiter gingen die Laternen an. Ihr orangenes Licht ließ alles herum gemütlich und warm erscheinen, doch der kalte Wind und die dunklen Wolken machten es so gar nicht angenehm. Plötzlich ging ein Wolkenbruch los. Als hätte jemand eine Schleuse geöffnet, prasselte es vom Himmel herab, sodass Bärbel und Alfred im Nu pitschnass waren. „Herrgott!“, brüllte Bärbel durch den Lärm. Kurzum beschloss sie, nicht bis zurück nach Hause zu laufen. Stattdessen huschte sie ins nächst beste offene Lokal. Sobald die Tür hinter ihr zugegangen war, waren auch der Lärm und die Kälte verschwunden. Sie zog ihre Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. „Mensch, Bärbel!“, ertönte eine Stimme, „Dich hat‘s ja genau erwischt.“ Bärbel drehte sich um. „Ingrid! Ach, du auch hier? Ja, ich wollte eigentlich nur noch eine kurze Runde drehen und dann…“
„Komm, setz dich zu uns, Magda ist auch da.“
„Zu gern.“
Während Bärbel ihrer Freundin an den Tisch folgte, gab sie der Bedienung ein Zeichen. Bei ihrem spontanen Entschluss, durch die nächste Tür zu treten, war Bärbel mit Alfred in einer gemütlichen Kneipe gelandet. Auf dem Boden lag dunkles Parkett und die Wände und der Tresen waren mit Eiche vertäfelt. An den Wänden hingen vereinzelt aquarelle Landschaftsbilder. Es gab Lampen die angenehmes, indirektes Licht verströmten und urige Sitzecken, auf deren Lehnen einige Pflanzen standen.
„Herzlich willkommen“, begrüßte eine Kellnerin Bärbel lächelnd. „Sie wollen sicher etwas Warmes trinken.“
„Ja. Hätten Sie vielleicht eine heiße Schokolade für mich?“
„Selbstverständlich. Darf es noch etwas sein?“
„Danke, für mich nicht, später vielleicht. Aber wären Sie so nett, meinem Alfred eine Schüssel Wasser zu bringen?“ Dabei deutete sie auf den tropfenden Alfred, der sich brav neben sein Frauchen an eine Heizung gelegt hatte. Zum Glück war sein Fell sehr kurz, sonst hätte er schon in einer Pfütze gelegen. Die Kellnerin nickte freundlich.
„Und bei Ihnen, meine Damen?“ Damit wendete sie sich an Magda und Ingrid. Diese bestellten eine Runde Grog.
„Hab dich nicht so, Bärbel“, sagte Magda, „Wir laden dich auf eine Runde ein.“
„Außerdem wärmt so ein richtig guter Grog ordentlich durch“, fügte Ingrid hinzu und brachte damit das überzeugende Argument.
„Was macht der Garten?“, erkundigte sich Magda.
„Ich kann nicht klagen. Es ist zwar immer wieder ein Haufen Arbeit, aber es lohnt sich. Erst vorhin habe ich noch eine Gemüsecremesuppe gemacht.“
„Mmmmh, aus dem eigenen Garten schmeckt‘s gleich ganz anders, nicht wahr?“, bemerkte Ingrid.
„Und dein Untermieter?“, warf Magda ein. So unterhielten sich die drei älteren Damen noch eine geraume Zeit. Sie bestellten noch eine zweite Runde Grog und ein paar belegte Brote, da sie wegen des Regens das Abendbrot zu Hause verpasst hatten.
„Sagt mal, habt ihr nicht auch mal wieder Lust, einen Spieleabend zu machen?“, fragte Ingrid.
„Ach, das ist eine tolle Idee“, jauchzte Bärbel. „Ist es denn zu glauben? Da wohnen wir in derselben Stadt, gar nicht weit auseinander und trotzdem treffen wir uns viel zu selten.“
„Verflixt noch eins!“, pflichtete Magda bei.
„Wie wäre es morgen Abend bei mir?“, schlug Ingrid vor. „Heinrich geht sowieso zum Skat, da haben wir das Haus für uns.“
„Also, ich bin dabei“, sagte Magda.
„Ich auch. Ich bring noch die letzte Flasche selbstgebrannten Kartoffelschnaps vom letzten Jahr mit“, zwinkerte Bärbel. Das fand großen Anklang und weil es aufgehört hatte zu regnen, machten sie sich gemeinsam auf den Nachhauseweg. Wasser floss in breiten Strömen in die Gullys.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, dachte Bärbel.

Als Bärbel zu Hause ankam, sah sie im Obergeschoss Licht brennen. Michael war also schon da. Sie ging hinein und gab Alfred sein verspätetes Abendbrot. Dann ging sie hinauf zu Michael und klopfte an.
„Herein?“ Michael saß auf dem kleinen Sofa und guckte Fern.
„Guten Abend, Michael.“
„Guten Abend, Bärbel. Bist du in den Regen gekommen?“
„Das kannst du laut sagen. Aber ich habe mich dann schnell in einer Kneipe versteckt.“
„Soso“, sagte Michael grinsend. „Da gab‘s dann wohl ein paar Gläschen Grog, hm?“
„Auweia“, Bärbel hielt sich die Hand vor den Mund. Dann flüsterte sie vertraulich: „ist es so schlimm?“ Michael musste lachen: „Ach was. Ich bin wohl nur ein bisschen neidisch.“
„Willst du auch was zum Aufwärmen? Ich hab bestimmt auch noch einen Rum da. Suppe habe ich heute auch gemacht und, wenn du magst, hole ich dir eine Wärmflasche.“
„Ach, nur keine Umstände.“
„Doch, doch, doch, ich hole dir jetzt eine Schüssel Suppe.“
Er zuckte resignierend mit den Achseln, während die alte Dame nach unten huschte. Sie schöpfte etwas Suppe aus dem großen in einen kleineren Topf und machte die Herdplatte an. Alfred lag schon wieder im Wohnzimmer auf seiner Decke unter dem Fenster. Sie wollte gerade zwei große Schüsseln aus dem Schrank neben dem Fenster holen, da hörte sie ein Geräusch von draußen.
„Hallo?“
Niemand antwortete. Sie beugte sich zum Fenster und sah hinaus. Im nächsten Moment leuchtete sie ein grelles Licht an. Sie kniff die Augen zu und wich zurück in die Küche. Als sie die Augen wieder öffnete, war das Licht verschwunden. Sie war ganz aufgeregt. Der Schreck saß ihr noch in allen Gliedern. Hektisch versuchte sie sich wieder auf die Suppe zu konzentrieren.
„Merkwürdig“, murmelte sie. Schnell zog sie die Gardinen zu; auch die im Wohnzimmer. Dann füllte sie die Suppe in die beiden Schüsseln, schnitt noch zwei Scheiben Brot ab und ging zurück nach oben.
„Michael? Erwartest du noch Besuch?“, fragte sie und reichte ihm eine Schüssel.
„Nein, wieso?“
„Ach, nur so. Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Sicher.“ Er rutsche ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen.
„Was guckst du dir denn an?“, fragte sie neugierig.
„Einen Krimi.“
„Uh, ist er gut?“
„Ich weiß nicht, er hat gerade erst angefangen. Ich weiß auch gar nicht genau worum es geht. Eigentlich wollte ich noch gar nicht hier sein, aber bei dem Wetter…Mannomann.“
„Das kannst du laut sagen…hoffentlich hält es nicht so lange an.“ Suppe löffelnd sahen sie sich gemeinsam dem Krimi an.

Scheußliches Wetter. Der kleine Kater wollte sich gerade ein leckeres Abendbrot bei der lustigen, netten Frau abholen, als er vom Regen überrascht wurde. Wasser an sich war ja schon schlimm, aber wenn es von oben kam, war es am schlimmsten. Dann konnte man sich nämlich nicht mehr frei bewegen ohne sich sein Fell zu ruinieren. Also hatte er sich im Park, wo er gerade herum stromerte, unter eine Bank gekauert und abgewartet. Eine Ewigkeit hatte es gedauert bis es aufhörte und er wieder hervorkommen konnte. Furchtbar langweilig war es gewesen, denn es gab nichts zum Spielen. Das heißt, am Anfang hatte er sich mit einer Eichel die Zeit vertreiben können, aber diese war ihm schon bald ungeschickter Weise davon gerollt. Er hätte sie sich wieder holen können, doch dazu hätte er in diese Abart von Wetter laufen müssen, und bevor er das tat, langweilte er sich lieber. Kurz bevor er vor Langeweile beinahe gestorben wäre, wurde es von oben her trockener. Länger hätte er es auch nicht ausgehalten. Schnurstracks hatte er sich auf den Weg zu der Frau mit dem bunten Haus gemacht. Jetzt bog er gerade in die Straße ein, drückte sich zwischen zwei Zaunlatten hindurch und war mit einem Satz auf der Veranda. Stapf. Stapf. Der kleine Tiger horchte auf. Nanu? Da war noch jemand im Garten? Schnell stolzierte er zum Rand der Veranda, sodass er um die Hausecke gucken konnte. Ein Lichtstrahl tanzte über die schwarze Wiese auf ihn zu. Dahinter lief eine dunkle, schemenhafte Gestalt. Bei jedem ihrer Schritte gab es ein schmatzendes Geräusch. An der regelmäßig hin und her schwenkenden Bewegung des Lichts konnte der Kater erkennen, dass offenbar nach etwas gesucht wurde. Wonach konnte er sich allerdings nicht vorstellen. Gemüse war reichlich uninteressante und nasse Wäsche erst recht.
Plötzlich sah er nur noch weiß. Der Blödi hielt ihm das Licht genau ins Gesicht.
„Miaauuu!“, er fauchte wütend, machte auf dem Absatz kehrt und wetzte zur Tür. Immer noch halbblind hechtete er durch die Katzenklappe. Drinnen fuhr er sich ein paar Mal mit der Pfote über das Gesicht und putzte sich seine dreckverschmierten Pfoten. Dann schlenderte er ins Wohnzimmer. Er war etwas verwundert, dass schon alles dunkel war. Ein muffiger Geruch stieg ihm in die Nase. Heilige Hühnerbrust, was war denn das? Im selben Moment erklang ein leises Schnarchen. Der kleine Kater sah genauer hin und erkannte Alfred. Er war erleichtert. Nur der alte, faule Hund. Auf noch einen komischen Zweibeiner hatte er auch wirklich keine Lust gehabt. Doch wo war nur die alte Frau? Er setzte sich neben den Hund und sah sich aufmerksam um. Der Spalt unter der Schlafzimmertür war schwarz. Schlief sie etwa schon? In der Küche war es genauso dunkel und es roch nach irgendetwas zum Essen. Da fiel sein Blick auf die Treppe. Flink lief er sie hinauf. Hier oben war er noch nicht gewesen. Bisher kam er nur zum Fressen oder für kleine Mittagsschläfchen im Wohnzimmer. Wenn das Wetter ab jetzt öfter so schlecht werden würde, würde er jedoch vielleicht auch längere Aufenthalte in diesem Haus unternehmen. Unter einer der Türen im oberen Stockwerk drang Licht hervor. Schnell lief er hinüber und ließ sein niedlichstes Maunzen hören. Als keine Reaktion kam, widerholte er es und kratzte ungeduldig an der Tür, um sein Betteln noch drängender zu machen. Dann hörte er Stimmen und leise Schritte. Die Tür ging auf und Frau Sommerland blickte zu ihm hinunter. Er sah zu ihr auf und maunzte noch einmal zuckersüß. Sie lächelte.
„Du hattest wohl auch noch kein Abendbrot, hm?“ Dann verschwand sie auf der Treppe. Der kleine Kater wäre gern mit ihr gegangen, doch erst musste er seine Neugier befriedigen.
Da saß noch ein Mensch. Ein Mann. Er war jünger als die nette Frau und guckte ihn belustigt an.
„Du bist also der Rabauke, der die Laubhaufen auseinander nimmt.“ Der Kater starrte zurück. Dann lief er einmal durch das Zimmer, schnupperte an den Möbeln, guckte hinter jede Ecke und Ritze und kehrte schließlich zur Tür zurück. In dem Moment hörte er auch schon Frau Sommerland die Treppe hinauflaufen.
„Soso, du möchtest also ein wenig in Gesellschaft sein.“ Sie stellte ihm einen Napf mit frischem Fleisch neben das Sofa und setzt sich wieder zu dem Mann.
„Stört es dich, wenn er hier oben ist?“
„Keines Wegs. Bisher bin ich vor Tierhaarallergien verschont geblieben.“
Beide begannen in einen eckigen Kasten zu blicken. Der Tiger kümmerte sich nicht weiter darum. Jetzt musste er erst einmal essen.
Nach dem Mahl putzte er sich ein wenig. Dann beschloss er, noch ein bisschen zu bleiben. Man konnte ja nie wissen, ob diese Nacht trocken blieb. Frech sprang er mit aufs Sofa und da kein Protest erfolgte, setzte er sich zwischen die zwei Menschen und betrachtete den Kasten. Darin gab es noch mehr Menschen, die sich bewegten. Aber diese waren viel kleiner als die zwei auf dem Sofa. Sie schauten sich also andere, kleine Menschen in dem Kasten an. Zweibeiner machten wirklich seltsame Dinge.

„Ui, das war ein spannender Krimi. Danke, dass ich mitgucken durfte.“
„Danke für die Suppe. Die hat echt gut getan“
„Sie steht unten auf dem Herd, falls du noch Appetit hast.“
„Morgen vielleicht. Für heute bin ich satt.“
„Das ist schön.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Ach, Michael?“ Er blickte auf. „Könntest du morgen den Wetterhahn ölen? Vorausgesetzt es regnet nicht. Sein Gequietsche wird langsam anstrengend.“
„Na dann, werde ich ihm mal zu Leibe rücken.“
„Vielen Dank. Ich werde jetzt nach unten gehen und mich hinlegen. Und den kleinen Rabauken hier, nehme ich mit.“
Frau Sommerland schnappte sich die leeren Schüsseln und den kleinen orangen Kater, lächelte Micheal noch einmal zu und verschwand in der Tür. Der Kater begann ungeduldig zu strampeln. Sie setzte ihn vor der Treppe ab und lief hinunter in die Küche.
„So, abwaschen kann ich auch morgen.“ Schlurfend ging sie ins Bad. Dann zog sie ihr Nachthemd an. Dabei folgten ihr vier kleine Pfötchen auf Schritt und Tritt. Bärbel ließ die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt breit auf und legte sich ins Bett. Kaum hatte sie sich zugedeckt, spürte sie etwas in ihrem Bett herum tapsen. Sie drehte sich um und erkannte im Dunkeln den kleinen Tiger.
„Na gut, ausnahmsweise. Aber in Zukunft möchte ich mein Bett für mich allein haben.“ Er schnurrte genüsslich, als sie ihn am Hals kraulte.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dich ansprechen soll…Hast du überhaupt einen Namen?“
Der Kater schnurrte nur mit geschlossenen Augen.
„Dann musst du den ertragen, den ich für dich aussuche.“
Als hätte er sie verstanden, öffnete er die Augen und blickte sie fordernd an. Als wollte er sagen: „Na los! Was hast du dir ausgedacht?“ Bärbel überlegte kurz.
„Oskar.“ Der Kater sah sie immer noch unverwandt an.
„Ab jetzt heißt du Oskar.“ Oskar schloss wieder die Augen und reckte seinen Hals.
„Na, zumindest scheinst du damit leben zu können.“ Sie kraulte ihn noch ein wenig und schlief dann ein.

Rauschen. Fast als wäre man am Meer. Es dämmerte gerade erst, als Oskar aufwachte. Er gähnte und streckte sich. Dann lief er zum Fenster, schlüpfte hinter den Vorhang und sprang auf das niedrige Fensterbrett. Hinter der Scheibe erwartete ihn der gleiche Anblick wie am Abend zuvor. Graue Wolken und ein flimmernder Schleier aus Regen, der unablässig zur Erde viel. Wo kam nur all das Wasser her? Und womit zum Teufel hatte Oskar so ein Hundewetter verdient? Er ärgerte sich. Wieder ein Tag weniger, an dem er draußen nach Lust und Laune herumspazieren und neue Gärten entdecken konnte. Es würde ein langweiliger Tag werden… Missmutig sprang er wieder auf den Boden. Die alte Frau schlief noch. Sie schnarchte ein bisschen. Wieso schnarchen Menschen? Und Hunde genauso? Es gab schon merkwürdige Dinge auf der Welt. Oskar kam der Gedanke, dass er doch, wenn er schon nicht raus konnte, das Haus noch ein wenig genauer erkunden sollte. Beschwingt trabte er ins Wohnzimmer. Alfred schlief. Nicht weiter interessant. Da er dieses Zimmer schon recht gut kannte, huschte er gleich hinauf in den zweiten Stock. Das Zimmer von gestern Abend war verschlossen. Doch es gab noch eine weitere Tür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Oskar lehnte sich mit den Vorderpfoten gegen das Holz. Der Spalt wurde breiter und schnell huschte er hinein. Der Boden war kalt und aus platten, glatten Steinen. Ein paar blaue weiche Rasenflecken lagen herum. In dem Raum gab es drei weiße Näpfe.
Einer stand auf einem Bein und hatte oben einen Deckel. Darin floss Wasser, das hatte Oskar schon oft in anderen Häusern gesehen. Die Menschen setzten sich drauf. Manchmal nahmen sie sogar das große knisternde Blatt, das in den kleinen Kästen an den Gartenzäunen steckte, mit. Irgendwann standen sie wieder auf, taten etwas, das Oskar bisher nicht definieren konnte, und dann floss laut rauschend Wasser in dem Napf.
Ein weiterer Napf hing an der Wand. Auch darin floss hin und wieder Wasser. Meistens, wenn die Menschen von dem ersten Napf aufgestanden waren. Manchmal auch nicht.
Der dritte Napf war der größte. Er war fast so groß wie ein Bett. Und auch hier war ab und zu Wasser drin. Die Menschen legten sich hinein und dann hing immer dieser stechende Geruch in der Luft. Und, wenn kleine Menschen darin waren, schwammen oft weiße Wolken auf dem Wasser. Es gab auch einen Gartenschlauch, aus dem Regen kam. Zweibeiner schienen Wasser in Näpfen zu lieben. Aber Wasser vom Himmel mochten auch sie nicht. Mehr gab es nicht in dem weißen Raum. Oskar sprang auf den Deckel des einbeinigen Napfes. Darüber hing ein weißer Kasten. Neugierig stellte er sich auf die Hinterbeine und legte die Vorderpfo-ten darauf. Er schien fest zu sein. Oskar sprang hinauf. Dabei gab der Kasten an einer Stelle unter seiner linken Vorderpfote nach. Ein Tosen brach los. Erschrocken sprang der Kater hinunter auf den Boden und rannte zur Tür hinaus.

Bärbel schälte sich aus der Bettdecke, zog flauschige Pantoffeln über und machte sich im Bad startklar für den Tag. Auf dem Weg zur Haustür lief ihr Oskar zwischen die Beine.
„Da steckst du, kleiner Teufel.“ Schnell gab sie ihm etwas zu essen, damit er Ruhe gab. Dann machte sie sich in Gummistiefeln und mit Regenschirm auf zum Bäcker. Frische Brötchen für einen guten Start in den Tag mussten schon sein. Im Garten erschrak sie. „Himmel, Arsch und Zwirn! Ich hab die Wäsche gestern ganz vergessen…“ Sie seufzte. „Die kann ich nachher gleich nochmal waschen.“
Letztendlich brachte sie nicht nur Brötchen, sondern auch noch Apfelkuchen und Brot mit. Sie richtete ein umfangreiches Frühstück her und schon bald lockte der Geruch Michael aus dem Bett.
„Guten Morgen, setz sich. Möchtest du auch ein Ei?“
„Ja, gern.“ Micheal goss sich Milch in seinen Kaffee. „Das Wetter ist noch nicht viel besser geworden?“
„Nein…es gießt in Strömen. Ich hoffe, bis heute Abend ist es vorbei.“
„Hast du etwas vor?“
„Ein kleiner Spieleabend mit meinen Freundinnen.“ Bärbel schnitt zwei Brötchen auf.
„Oh, das freut mich. Du gehst viel zu selten unter Leute.“
„Da hast du Recht. Ich weiß auch nicht. Irgendwie findet sich die Zeit nicht.“ Sie lächelte. „Für euch junge Leute klingt das sicher merkwürdig.“
„Ach was. Ist mir auch schon passiert.“ Sie kicherten.
„Wenn es trockener geworden ist, sehe ich mal nach dem Hahn.“
„Vielen Dank, Michael. Gehst du heute Abend wieder zum Stammtisch?“
„Ja.“
„Nimm dir bloß einen Schirm mit!“
Nach dem Frühstück holte Bärbel die Wäsche von draußen, wusch sie noch einmal und hing sie dann im Haus auf. Den Rest des Tages ließ sie ruhig angehen. Bis zum Nachmittag las sie und kraulte Oskar, der sich sofort, nachdem sie sich hingesetzt hatte, auf ihren Schoß gesprungen war. Dann gönnte sie sich und Michael eine Schüssel Suppe und buk einen Kuchen mit den ersten Birnen aus ihrem Garten. Gegen sechs Uhr machte sie sich mit Kuchen und Kartoffelschnaps auf den Weg zu Ingrid. Sie kam sich ein bisschen vor wie Rotkäppchen und musste lachen. Aber bei Rotkäppchen hatte es nicht geregnet, oder?

Es war dunkel. Nach dem Frau Sommerland das Haus verlassen hatte, war Oskar nach oben gelaufen und hatte an der Tür gekratzt. Micheal hatte ihm aufgemacht und ihn auf seinem Schoß sitzen lassen, während er in den flimmernden Kasten sah. Doch nach einer Weile war auch er gegangen. Nun war Oskar allein in dem Haus. Allein mit Alfred. Allein mit einem Hund. Das hätte er sich nie träumen lassen. Noch dazu mit einem so langweiligen Hund. Man konnte ihn nicht einmal ärgern. Der Regen klopfte unablässig gegen die Scheiben. Dem kleinen Tiger wurde klar, dass er wohl noch eine ganze Weile in diesem Haus gefangen sein würde. Er ging hinüber zu Alfred und stupste ihn mit der Pfote in die Seite. Der Bluthund rührte sich nicht. Oskar sprang auf seinen Rücken und kletterte ihm bis auf die Stirn. Alfred schlief gnadenlos weiter. Herrje…neben dem Schnarchsack konnte der Blitz einschlagen und er würde es nicht merken. Mit dem war wirklich nichts anzufangen. Dann entdeckte der kleine Kater eine Tüte neben dem Sessel. Was da wohl drin war? Neugierig steckte er die Nase hinein. Er stieß gegen etwas Weiches und zuckte zurück. Nanu? Vorsichtig steckte er eine Pfote in die Tüte und versuchte das Weiche Etwas heraus zu schubsen. Es war rund und rollte nach einem Hieb mit der Pfote fast von allein auf den Teppich. Ein Wollknäul! Herrlich! Oskar stürzte sich darauf. Er hielt es zwischen den Vorderbeinen eingeklemmt und biss fröhlich hinein. Im nächsten Moment gab er es wieder frei und verpasste dem Knäul einen kräftigen Tritt. Ein Faden löste sich und hinterließ eine bunte Spur, als der Wollball unter dem Sessel hindurch hinüber zur Küchenecke rollte. Oskar wetzte hinterher, gab der Kugel neuen Schwung und jagte sie in jede beliebige Richtung. Dabei ließ er sie keinen Moment aus den Augen. Er tobte mit ihr über den Boden, unter dem Esstisch hindurch, hinüber ins Wohnzimmer und wieder zurück. Bald merkte er, dass das Knäul immer kleiner wurde. Das machte ihn wütend und er biss noch heftiger hinein. Doch schließlich fielen auch die letzten Windungen des Wollfadens auseinander. Schade…nun war der Spaß vorbei. Oskar war enttäuscht. Trotzig sah er sich nach einer neuen Beschäftigung um. Er bemerkte, dass die Wolle kreuz und quer zwischen Küche und Wohnzimmer gespannt war, wie ein Spinnennetz. Tja, Wollknäul, es hat Spaß gemacht mit dir, aber auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende. Ein bisschen schlecht gelaunt huschte er die Treppe hinauf und in den Raum mit den weißen Näpfen. Er lief zu dem größten hinten in der Ecke und machte einen Satz hinein. Der weiße Rand war genauso kalt wie der Boden. Wie konnten die Zweibeiner sich hier stundenlang hineinlegen? Er entdeckte im Dunkeln etwas Glänzendes am gegenüber-liegenden Rand. Das musste er sich unbedingt genauer ansehen. Übermütig streckte er sich hinauf und berührte dabei mit der Schnauze den Hebel des Wasserhahns. Warmes Wasser lief ihm übers Gesicht und in die Nase. Pfui, pfui, pfui. Panisch und verärgert sprang der kleine Tiger aus dem Napf. Tropfend warf er dem Hahn noch einen bösen Blick zu, schüttelte sich und verließ schleunigst das Bad. Igitt! Was sollte das denn?

„Möchte noch jemand einen Schluck Tee zu seinem Schnaps?“, fragte Ingrid kichernd. Bärbel überlegte kurz. „Na gut, aber nur noch einen. Sonst lacht Michael mich wieder aus.“
„Ich nehme auch noch einen“, sagte Magda und schob ihre Tasse über den Tisch. „Noch eine Runde?“
„Nur, wenn du noch ein Stück von meinem Kuchen nimmst.“
„Haha, das lasse ich mir nicht zweimal sagen.“
„Oh, oh, ist auch noch eins für mich übrig?“
„Natürlich, Ingrid! Bedien dich“, forderte Bärbel auf und teilte die Karten aus. „Aber du müsstest noch einmal Zimt und Zucker nachfüllen.“
„Na, wenn es weiter nichts ist.“
„Ich fahre nächste Woche übrigens für zwei Wochen ans Meer für eine Kur“, erzählte Magda.
„Wegen deiner Nebenhöhlen?“, erkundigte sich Ingrid und füllte den Wasserkocher auf.
„Ja, genau. Mein Arzt empfiehlt mir das ja schon lange, aber irgendwie bin ich einfach nicht dazu gekommen.“ Ingrid und Bärbel nickten wohl wissend.
„Könntet ihr beide vielleicht Walter ein bisschen unter die Arme greifen? Mit seinem Knie fallen ihm die Einkaufstouren zunehmend schwerer. Besonders, wenn Getränke nötig sind.“
„Selbstverständlich. Ich könnte Micheal auch vorbeischicken.“
„Ach, das ist lieb von dir, Bärbel. Hoffentlich raube ich dem jungen Mann nicht seine ganze Zeit.“
„Ach iwo. Ich sag ihm nachher gleich Bescheid. Wer jung ist, kann ruhig mal anpacken.“
„Schreibst du uns eine Karte?“, wollte Ingrid wissen, hängte ein Teesieb Earl Grey in die Kanne und stellte sie neben dem Wasserkocher ab.
„Ich schreibe euch auch zwei“, grinste Magda. „Ich bin schon so aufgeregt. An meine letzte Reise kann ich mich gar nicht mehr erinnern. Hoffentlich vergesse ich nichts.“
„Ach, das schaffst du schon. Schreib dir vorher eine Liste, das macht meine Tochter immer, wenn sie mit den Kindern zu mir kommt.“
„Das ist eine gute Idee.“
„So, Tee ist fertig, es kann losgeh’n!“, rief Ingrid und goss jedem eine Tasse ein. „Ich hole nur noch schnell Zimt und Zucker.
„Gib uns dieses Mal aber wenigstens eine Chance“, jammerte Bärbel.
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Draußen war es dunkel. Nur das orange Licht der Straßenlaternen schien durch die Wohnzimmerfenster und in das Schlafzimmer. In der Küche fiel Oskars Blick auf eine Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Vor Neugier vergaß er sein nasses Fell und schob sich drängelnd durch den Spalt. Er stand am Anfang einer steinernen Treppe, die nach unten führte. Es war stockdunkel und kühl. Der Geruch von Erde und kaltem Stein lag in der Luft. Achtsam kletterte der Tiger die Stufen hinab. Er konnte schemenhaft Körbe und Kisten ausmachen. Interessiert schnupperte er sich durch die Stapel. Wieder nur Grünzeug…Immer das gleiche. Ein Rascheln kam aus einer Ecke. Ein Mäuschen huschte durch den Raum. Lautlos beobachtete Oskar es. Der kleine Nager verschwand, schnell wie er gekommen war, hinter einem Sack Kartoffeln. Dahin konnte der Kater ihr nicht folgen, da der Sack zwischen anderem Gemüse regelrecht eingeklemmt war. Oskar versuchte es dennoch und machte sich daran seine kleine Pfote in die schmalen Spalte neben dem Sack zu schieben. Er wühlte und bohrte mit der Nase, aber es half nichts. Das sah er widerwillig ein. Deshalb legte er sich mit etwas Abstand auf die Lauer. Doch Oskar war trotz allem noch ein junger, ungeduldiger Kater. Schon nach kurzer Zeit dachte er ans Aufgeben. Ihm würden noch viele Mäuse über den Weg laufen. Im nächsten Augenblick hörte er wieder das Rascheln und eine kleine lange Nase kam zum Vorschein. Als sich eine gute Gelegenheit bot, schnappte er sich das Mäuschen. Er hatte es gerade mit dem Maul eingefangen, als er die Haustür hörte. Vielleicht war Frau Sommerland zurück! Oder Michael! Mit der noch lebenden Maus im Maul trabte er die Treppe wieder hinauf in die Küche. Doch es war weder Frau Sommerland, noch Michael, die da durch die Tür traten. Im Flur stand ein fremder Mann mit einem Licht in der Hand. Er roch nach Rauch und Regen.

Ingrid, du hast ja schon wieder gewonnen!“, lachte Bärbel.
„Entschuldigt, meine Lieben, aber heute habe ich wohl einfach ein Glückliches Händchen beim Rommé.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Magda, „wenn das mit Skat auch so gut klappt, kannst du die Männer am Stammtisch einmal so richtig beeindrucken.“
„Ach, ich kann doch gar kein\' Skat. Wie wäre es mit Bridge?“
„Eine gute Idee“, sagte Bärbel begeistert. „Ich hab ewig kein Bridge mehr gespielt!“ Es klingelte an der Tür. Die drei Frauen blickten verwundert in den Flur.
„Nanu?“, wunderte sich Ingrid, „Wer kann das denn jetzt noch sein?“
„Vielleichte hat Heinrich vorhin seinen Schlüssel vergessen“, überlegte Bärbel.
„Wäre nicht das erste Mal“, kicherte Ingrid und ging zur Haustür. Als sie öffnete, stand ein triefnasser Mann vor ihr. Er hob die Kapuze etwas hoch und sah Ingrid fragend an. Hinter ihm kam Heinrich schlurfend den Weg entlang.
„Ach, Michael! Jetzt erkenn ich Sie erst. Entschuldigung. Kommt rein, kommt rein. Wieso seid ihr denn schon zurück? War heut nichts los bei euch?“ Die beiden Männer drängten sich in den Flur und zogen ihre tropfenden Regenjacken und Schuhe aus.
„Heinrich, such doch bitte ein paar Schlappen für Michael raus, ich setz für euch noch schnell Tee auf.“
„Ein Grog würde es auch tun“, grinste Michael viel sagend. Ingrid lächelte keck und ging zurück zu ihren Mädels.
„Bei den Männern ist schon Feierabend“, verkündete sie der staunenden Runde.
„Ach nee“, sagte Bärbel, „Und der Michael will mich wohl abholen?“ Michael war soeben durch die Tür getreten und setzte sich an den Tisch.
„Wir wollten uns eigentlich noch eurer Runde anschließen. Walter war müde und wir haben ihn noch nach Haus gebracht.“
„Oh, das ist nett“, bedankte sich Magda.
„Ihr habt Glück, es ist sogar noch Kuchen übrig.“
„Der Gute mit den Birnen aus dem Garten?“, fragte Heinrich interessiert.
„Genau.“
„Und was treibt ihr sonst so?“
„Wir wollten grad mit Bridge anfangen, aber dafür sind wir jetzt wohl zu viele“, meinte Ingrid.
„Rommé?“, fragte Michael. Die Frauen prusteten.
„Könnt ihr gut verlieren?“, fragte Bärbel.
„Zwei mal Grog für die Herren“, kündigte Ingrid an und stellte zwei Tassen auf den Tisch.
„Ach, Ingrid, wenn du schon dabei bist…“, begann Magda.
„Kommt sofort.“

Oskar stand wie versteinert in der Kellertür. Wer war diese Type? Und was zum Mauseloch wollte er hier? Er hatte ihn noch nie gesehen und glaubte auch nicht, dass er hier etwas verloren hatte. Die Type stand fast ebenso regungslos da. Geräuschvoll zog der Mann die Nase hoch.
„Dann woll’n wir mal.“ Seine Stimme war rau und klang nach grober Baumrinde. Er trug einen dichten Bart und robuste Kleidung. Unter schnaufen steckte er den Lichtstrahl in die Innentasche seiner Jacke. Darüber war Oskar sehr froh. Einmal blind gewesen zu sein reichte ihm für ein Katzenleben. Der Fremde blickte sich suchend um. Dabei entdeckte er den kleinen Tiger.
„Wen haben wir denn da?“ Er ging in die Hocke und streckte eine Hand aus. Was wollte der denn? Oskar war empört. Er war doch kein dummer Hund, der sich mit so etwas locken ließ. Feindselig krümmte er den Rücken zu einem Buckel, stellte sein feuriges Fell auf und fauchte mit funkelnden Augen. Die Maus fiel aus seinem Maul und flüchtete in wilder Panik, aber erleichtert, dass sie noch eine Chance bekam, davon. Oskar fluchte. Diese Zweibeiner konnten einem wirklich alles verderben. Schön, dieses Spiel konnte er mitspielen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er dem Eindringling entgegen.

Michael und Bärbel waren auf dem Weg nach Hause. Als der Kuchen und der Kartoffelschnaps sich dem Ende geneigt hatten, machte die Runde diesen Umstand zum Anlass, um getrennter Wege zu gehen. Ein paar Ecken waren sie noch mit Magda zusammen gegangen, bis sie in unterschiedliche Richtungen mussten. Die Regenwolken lichteten sich allmälig und einige Sterne kamen zum Vorschein.
„Ach, das war ein schöner Abend“, seufzte Bärbel.
„Schön, dass es dir gefallen hat. Ihr könntet das ruhig öfter machen. Bei dir ist doch genug Platz und mich stört es nicht, wenn es etwas später wird.“
„Das stimmt. Aber alte Leute haben immer so viel zu tun.“ Sie lachten.
„Ich werde dich hin und wieder daran erinnern, auch einmal etwas anderes zu tun zu haben.“ Gemeinsam stapften sie durch die Pfützen und das raschelnde Laub. Michael blickte gen Himmel.
„Vielleicht kann ich mir morgen endlich mal deinen Hahn angucken.“

Mit ausgefahrenen Krallen landete Oskar auf dem Knie des Mannes, der es nicht rechtzeitig geschafft hatte aus der Hocke hochzuschnellen. Flink kletterte der Kater hinauf zur Schulter und holte mit der Pfote aus. Er erwischte den Fremden an der rechten Wange und hinterließ drei tiefrote Streifen. Dem Mann war es inzwischen gelungen, sich aufzurichten und er griff nun nach dem Fellknäul, das sich schmerzhaft in seine Schulter krallte. Oskar wurde mehr schlecht als recht im Nacken gepackt. Die Hand wollte gerade zum Wurf ausholen und Oskar machte sich schon auf einen unkontrollierten Flug gefasst, als der Vollbärtige den Halt verlor und rücklings auf den Boden knallte. Dabei ließ er den Kater los, der geschickt auf den Pfoten landete und sich in einen sicheren Abstand begab. Er guckte sich um und erkannte die Ursache der Wendung. Ein reflektierender spiegel-glatter Teppich hatte sich von der Treppe aus auf dem Boden ausgebreitet. Oskar blickte die Treppe hinauf. Beim Anblick des leise plätschernden Wasserfalls, erinnerte er sich an seinen Ausflug in den Raum der Näpfe. Hups. Aber immerhin hatte es geholfen. Auf dem rutschigen Laminat war der Einbrecher ausgerutscht, als er Schwung holen wollte.
„…kleines Biest….“ Auweia! Jetzt aber nichts wie weg. Unter Stöhnen und Ächzen rappelte sich der Mann erneut auf und machte Anstalten, den Tiger wieder einzufangen. Doch der war schneller und schlüpfte zwischen Stuhlbeinen hindurch. Während er das Treppengeländer hinaufkletterte, um möglichst wenig Kontakt mit dem Wasser zu bekommen, hörte er hinter sich wieder einen gewaltigen Rumms. Neugierig drehte er sich um. Der Einbrecher hatte sich in den kreuz und quer zwischen den Möbeln gespannten Wollfäden verheddert und lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Ja, ein bisschen Chaos kann hilfreich sein. Oskar hielt die Gelegenheit für günstig, um einen neuen Angriff zu starten. In dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzte, hörte er ein dumpfes Schnaufen. Ein Schatten kam aus dem dunklen Wohnzimmer heran getrottet und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rücken des Bärtigen plumpsen. Alfred! Sogar große, träge Hunde konnten hilfreich sein. Wer hätte das gedacht? Zufrieden lief der kleine Tiger hinüber. Der Mann versuchte den Kopf zu heben und zu begreifen, was in den letzten Augenblicken geschehen war, doch als er Oskar mit erhobener Pfote vor sich sah, legte er seinen Kopf schnell wieder ab und schloss die Augen.

Als Frau Sommerland und Michael durch die Tür traten und das Licht einschalteten, wussten sie erst gar nicht recht, was sie mit dem Bild anfangen sollten, das sich ihnen bot. Mitten zwischen Küchenecke und Wohnzimmer lag ein Mann, den sie nicht kannten. Auf ihm lag Alfred schwer wie ein Sack Getreide und drumherum stolzierte ein kleiner oranger Kater mit aufgestelltem Schwanz hin und her. Stühle lagen daneben, der Sessel aus dem Wohnzimmer und der Küchentisch hatten ihre Plätze verlassen und rote Wolle durchzog die Szenerie, die von der spiegelnden Wasseroberfläche abgerundet wurde. Nur langsam gewannen sie eine Vorstellung von den Ereignissen und riefen die Polizei. Der Mann wurde wegen Hausfriedensbruch und Einbruch festgenommen. Er hinterließ eine halbe Nacht Wischarbeit und zwei nasse Fellballen, die für ihre Heldentat ununterbrochen Aufmerksamkeit einforderten, in dem sie beim Aufräumen im Weg herumstanden. Bärbel und Michael wischten Eimer um Eimer Wasser zusammen. Das Laminat war aufgequollen und musste demnächst ausgetauscht werden. Die Treppe hatte es zum Glück gut überstanden. Das Wasser musste von oben gekommen sein; sie fanden einen laufenden Wasserhahn und eine randvolle Badewanne. Nachdem das Gröbste getan war, bekamen Alfred und Oskar ein extra leckeres Mitternachtsmahl. Bärbel und Michael gönnten sich noch einen Teller Suppe und heiße Milch mit Honig. Völlig ausgelaugt saßen sie bei Michael auf dem Sofa.
„Es ist mir völlig schleierhaft, wie die beiden es geschafft haben, das Haus unter Wasser zu setzen“, murmelte Bärbel.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, kommentierte Michael.
 
Liebe Leser,

1. ACHTUNG!!! Dieser Beitrag ist etwas länger. Überlegt euch also, wieviel Zeit ihr gerade in der Tasche habt :)
2. Ich bin ein absoluter Frischling bei der Leselupe. Der folgende Text war meine erste beendete Kurzgeschichte. Mittlerweile komme ich leider immer seltener zum Schreiben, dennoch hätte ich gern einmal Resonanz zu meinen Ideen.



Es war ein sonniger Herbstmorgen. Am Himmel zogen einige weiße, bauschige Wölkchen dahin, der Wind wehte sanft durch die roten und gelben Blätter der Ahornbäume, die zu beiden Seiten entlang der Straßen standen, hin und wieder segelte ein Blatt wiegend zu Boden. Es war ein Samstagmorgen. Kinder sammelten begeistert lachend die bunten Blätter, Kastanien und Eicheln auf. Ihre Eltern schlenderten gemächlich hinter ihnen her und staunten über all die Dinge, die ihre Kleinen heran trugen. Über den Baumwipfeln des Parks stiegen zahllose bunte Drachen in den blauen Himmel hinauf. In vielen Gärten blühten die letzten Blumen, doch die Sonnenblumen im Garten von Frau Sommerland waren schon verblüht und eine Scharr singender Vögelchen pickte sich eifrig die schmackhaften Kerne heraus. Auf der Wiese rund um das Haus lag das Laub schon zu dicken Haufen zusammengeharkt. Frau Sommerland harkte es immer in windstille Ecken, damit die Igel, die schon jetzt schnüffelnd durch ihren Garten wackelten, einen Unterschlupf für den Winter hatten. Hinter dem Haus reiften Blumenkohl, Stangenbohnen, Fenchel, Salat, Karotten, Kürbisse, Zwiebeln, Kartoffeln und Spinat in ordentlich angelegten Beeten, bald mussten sie geerntet werden.
Das Haus selbst war klein und mit blaulackierten Brettern verkleidet, wodurch die weiß gestrichenen Fensterläden in beiden Stockwerken, das Geländer der Veranda an der Vorderseite und die Giebelverzierung zu leuchten schienen. Oben auf dem roten Dach stand ein kleiner Fähnchenmast, an dem sich leuchtend bunte Bänder im Wind kräuselten und dem Wetterhahn, der sich leise quietschend in der Brise schaukelte, am Schnabel kitzelten.
„Ach, den wollte ich doch schon letzte Woche ölen“, seufzte Bärbel Sommerland. Mit einem zweifelnden Blick hinauf zu dem Blechhahn widmete sie sich wieder ihrer frisch gewaschenen Wäsche. Sie war wie gewöhnlich schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen, sie konnte einfach nicht länger schlafen.
Das Haus hatte ihrem Mann, Erwin, gehört, doch dieser war zu ihrer großen Trauer schon sehr jung verstorben. Die beiden Kinder hatte sie fortan allein großgezogen bis sie auszogen, um zu studieren und die Welt kennenzulernen und mittlerweile hatten sie ihre eigenen Familien. In den Schulferien, kamen sie oft zu Besuch. Ihre Tochter Miriam schickte ihr häufig Briefe mit neuen Fotos der Enkelkinder und selbstgemalten Bilder für die Oma, die sie sie sich dann in den Flur hängte. Die Fotos rahmte sie ein und stellte sie in die Schrankwand im Wohnzimmer - zu ihrem Erwin. Ihr Sohn Thomas war eher schreibfaul, rief sie aber dafür regelmäßig an.
Geheiratet hatte Bärbel nicht wieder. Keiner konnte ihr ihren Erwin ersetzen, unter diesen Umständen wollte sie lieber gar keinen haben.
Einige Jahre lebte sie allein in dem Haus, dann begann sie, ihr Reich im Erdgeschoss einzurichten, die zweite Etage mit Wannenbad und einem großen Zimmer mit Balkon zur hinteren Seite des Hauses, hatte sie für Gäste hergerichtet. Seit sie vor ein paar Jahren in Rente gegangen war, vermietete sie die obere Etage an Urlauber oder Studenten, die für ein Praktikum einige Wochen im Ort waren. So gab es ein kleines Taschengeld zu ihrer bescheidenen Rente und sie war nicht die ganze Zeit allein.
Zurzeit wohnte dort ein junger Mann, der ,nach seinen Worten, eine Auszeit brauchte. Er fühlte sich in seinem Beruf als Einzelhandelskaufmann nicht mehr wohl und wollte durch einen Tapetenwechsel neue Energie sammeln. Er hieß Michael und wohnte mittlerweile schon seit drei Monaten bei Bärbel. Stets freundlich und aufmerksam, half ihr gern im Garten oder, wenn es etwas zu reparieren gab. Vielleicht konnte er ihr auch helfen den Hahn zu ölen? Ab und an half er auch als Bote der Apotheke aus und hatte sich seit Neuestem zu dem Stammtisch im Brauhaus gesellt.
Frau Sommerland fuhr sich etwas erschöpft durch ihr kurzes, weißes Haar. Dann klemmte sie sich den Wäschekorb unter den Arm und ging über die Wiese, hinein ins Haus und setzte sich einen Kaffe auf, sie mochte ihn türkisch mit ein bisschen Zimt und Kardamom.
„Miauu!“ Ein kleiner orange getigerter Kater schmiegte sich unvermittelt an ihre Beine.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Bärbel und beugte sich zu dem Tiger hinunter. Als sie ihn hinterm Ohr kraulte, fing er an zu schnurren und strich penetrant maunzend um sie herum.
"Wenn du Hunger hast, ist dir mein Haus also gut genug. Na, nun warte doch mal, ich mach ja schon.“ Sie ging zum Kühlschrank und holte ein Stück rohe Hühnerbrust heraus, die sie in kleine Stücke schnitt und ihm in einen Napf legte. Gierig schlang der Kater die Fleischbrocken hinunter.
Inzwischen nahm Bärbel sich ihren Kaffee und setzte sich im Wohnzimmer auf ihren Lesesessel, um eine kleine Pause einzulegen. Zwar war sie für ihr Alter noch recht rüstig, doch immerhin auch keine fünfzig mehr.
„Miau?“ Sie blickte zu ihren Füßen hinab.
„Noch nicht satt?“
„Miau.“
Mit einem Satz sprang er auf ihren Schoß.
„Ach nee … allzu lange habe ich aber nicht Zeit. Die Erntezeit beginnt.“ Der Kater blickte sie erwartungsvoll an und begann, auf ihrem Schoß im Kreis herumzutapsen, bevor er sich schließlich zu einem Knäul zusammenrollte. Bärbel streichelte ihn und er begann wieder, mit geschlossenen Augen zu schnurren.
„Du bist mir schon einer…“ Der kleine Getigerte besuchte sie seit einigen Wochen immer wieder. Er war noch jung und verspielt und zerfledderte ihr ständig die Laubhaufen. Schon nach seinem zweiten Besuch im Sommer hatte Bärbel eine Katzenklappe in ihre Haustür einbauen lassen, damit er bei schlechtem Wetter ins Haus konnte, wenn sie nicht da war oder ihn nicht an der Tür kratzen hörte. Woher er kam wusste sie nicht genau, die meisten Leute im Ort ließen ihre Katzen frei herum laufen.
Als Frau Sommerland ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schlief der Kater noch tief und fest.
„Tja, mein kleiner, das tut mir jetzt Leid, aber ich muss wieder an die Arbeit.“ Sie nahm ihn behutsam unter dem Bauch und setzt ihn auf den Teppich. Beleidigt stolzierte er zur Klappe hinaus. Bärbel folgte ihm durch die Tür und ging zu ihrem kleinen Schuppen direkt neben den Beeten. Vom Kater war weit und breit nichts mehr zu sehen. Sie zog sich ihre Gartenschürze an und tauschte ihre Schuhe gegen Schlappen. Mit zwei Körben und einem Taschenmesser bewaffnet ging sie zwischen den Beeten entlang und begutachtete das Gemüse. Der Salat, Blumenkohl, die Möhren, Bohnen und Zwiebeln waren reif genug, alles andere würde sie noch ein, zwei Wochen stehen lassen. Während sie gebückt durch Beete und Stauden stapfte, trottete Alfred - ein Hubertus-Hund - zu ihr. Er war zwar ein Riese von einem Viech, aber mit den Jahren gemütlich geworden und bewegte sich nicht mehr viel. Sein Alter war ihm förmlich an der Nasenspitze anzusehen, denn seine Schnauze war im Vergleich zu seinem sonst tiefbraunen Fell inzwischen grau geworden. Mit seinen langen schwarzen Schlappohren machte er immer einen eher vertrottelten Eindruck. Bärbel hatte ihn als jungen Hund von einem Nachbarn gekauft, um nach dem Auszug ihrer Kinder Gesellschaft und Bewegung zu haben.
Alfred schnupperte an den Körben und stupste Bärbel mit seiner nassen Schnauze am Arm.
„Na, du Faulpelz? Hat dich die Sonne aus deinem Versteck gelockt?“ Sie kraulte ihm den Kopf. Er gab ein leises, dumpfes Bellen von sich und wich ihr nicht mehr von der Seite bis sie mit der Erntearbeit fertig war.
Zurück im Haus stellte Bärbel die Körbe auf dem Küchentisch ab und begann, die Ernte zu sortieren. Sie wollte gleich eine Gemüsecreme-suppe kochen, einen Teil einfrieren und den Rest im Keller unterbringen, wo es noch länger frisch bleiben würde. Alfred machte sich indess auf dem Küchenfußboden lang. Seufzend stieg sein Frauchen über ihn hinweg und legte eine CD mit irischer Volksmusik in ihr Küchenradio ein. Am Abend sollte es regnen und bei so einem ungemütlichen Wetter, braucht man eine stärkende Suppe im Haus. Endlich nahm Bärbel den Topf vom Herd und blickte auf die Uhr.
„Schon gleich fünf“, murmelte sie. Sie nahm die Leine, die an der Tür zum Flur an einem Haken hing, befestigte sie an Alfreds Halsband und zerrte ihn hinaus an die frische Luft. Der betagte Rüde versuchte, sich sein Gewicht zu Nutze zu machen und blieb einfach stehen, doch dann musste er einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Sein Frauchen war fest entschlossen, ihn noch einmal zu einem Spaziergang zu bewegen.
Draußen dämmerte es. Allmählig türmten sich dunkelgraue Regenwolken auf und der Wind wurde stärker.
„Nur eine kleine Runde“, sagte Bärbel in aufmunterndem Ton an den Hund gewandt. Sie zog sich ihre Mütze noch weiter über die Ohren und marschierte los. Ein kleines Stück die Straße entlang, an der Post vorbei Richtung Park. Sie schritt für reine alte Dame verblüffend zügig voran und der träge Alfred musste sich Mühe geben, mit ihr mitzuhalten. Als sie um eine Hausecke bogen, die mit wildem Wein überwuchert war, blies ihnen eine kräftige Böe entgegen. Bärbel kniff die Augen zusammen, um durch die herumwirbelnden Blätter sehen zu können. Alfred ging dicht hinter ihr, um etwas Schutz vor dem Wind zu haben. Plötzlich gingen die Laternen an und ihr orangenes Licht ließ alles herum gemütlich und warm erscheinen, doch der kalte Wind und die dunklen Wolken machten es so gar nicht angenehm. Nur Augenblicke später ging ein Wolkenbruch los! Als hätte jemand eine Schleuse geöffnet, prasselte es dichte Wasserschnüre vom Himmel herab, sodass Bärbel und Alfred im Nu pitschnass waren.
„Herrgott!“, brüllte Bärbel durch den Lärm. Kurzum beschloss sie, nicht bis zurück nach Hause zu laufen, stattdessen huschte sie ins nächstbeste offene Lokal. Sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war, waren auch der Lärm und die Kälte verschwunden. Frau Sommerland hängte ihre Jacke an die Garderobe und Alfred schüttelte sich einmal herzhaft, sodass überall um sie herum dunkle Flecken auf dem Boden glänzten.
„Mensch, Bärbel!“, ertönte eine Stimme, „Dich hat‘s wohl genau erwischt?“ Bärbel drehte sich um.
„Ingrid! Ach, du auch hier? Ja, ich wollte eigentlich nur noch eine kurze Runde drehen und dann…“
„Komm, setz dich zu uns! Magda ist auch da.“
„Zu gern.“
Während Bärbel ihrer Freundin an den Tisch folgte, gab sie der Bedienung ein Zeichen. Bei ihrem spontanen Entschluss, durch die nächste Tür zu treten, war Bärbel mit Alfred in einer gemütlichen Kneipe gelandet. Auf dem Boden lag dunkles Parkett, der Tresen waren mit Eiche vertäfelt und an den Wänden hingen vereinzelt aquarelle Landschaftsbilder. Es gab Lampen die indirektes Licht verströmten und urige Sitzecken, die Platz für gesellige Runden boten.
„Herzlich willkommen“, begrüßte eine Kellnerin Bärbel lächelnd. „Sie wollen sicher etwas Warmes trinken?“
„Ja. Hätten Sie vielleicht eine heiße Schokolade für mich?“
„Selbstverständlich. Darf es noch etwas sein?“
„Danke, für mich nicht, später vielleicht. Aber wären Sie so nett, meinem Alfred eine Schüssel Wasser zu bringen?“ Dabei deutete sie auf den nassen Alfred, der sich brav neben sein Frauchen an eine Heizung gelegt hatte. Die Kellnerin nickte freundlich.
„Und bei Ihnen, meine Damen?“ Damit wendete sie sich an Magda und Ingrid. Diese bestellten einen Krug Grog.
„Hab dich nicht so, Bärbel“, sagte Magda, „Wir laden dich auf eine Runde ein.“
„Außerdem wärmt so ein richtig guter Grog ordentlich durch“, fügte Ingrid hinzu und brachte damit das überzeugende Argument.
„Was macht der Garten?“, erkundigte sich Magda.
„Ich kann nicht klagen. Es ist zwar immer wieder ein Haufen Arbeit, aber es lohnt sich. Erst vorhin habe ich noch eine Gemüsecremesuppe gemacht.“
„Mmmmh, aus dem eigenen Garten schmeckt‘s gleich ganz anders, nicht wahr?“, bemerkte Ingrid.
„Und dein Untermieter?“, warf Magda ein. So unterhielten sich die drei älteren Damen noch eine geraume Zeit. Sie bestellten noch eine zweite Runde und ein paar belegte Brote, da sie wegen des Regens das Abendbrot zu Hause verpasst hatten.
„Sagt mal, habt ihr nicht auch mal wieder Lust, einen Spieleabend zu machen?“, fragte Ingrid.
„Ach, das ist eine tolle Idee“, jauchzte Bärbel. „Ist es denn zu glauben? Da wohnen wir in derselben Stadt, gar nicht weit von einander und trotzdem treffen wir uns viel zu selten.“
„Verflixt noch eins!“, pflichtete Magda bei.
„Wie wäre es morgen Abend bei mir?“, schlug Ingrid vor. „Heinrich geht sowieso zum Skat, da haben wir das Haus für uns.“
„Also, ich bin dabei“, sagte Magda.
„Ich auch. Ich bring noch die letzte Flasche selbstgebrannten Schnaps vom letzten Jahr mit“, zwinkerte Bärbel. Das fand großen Anklang und weil sich das Wetter beruhigt hatte, machten sie sich gemeinsam auf den Nachhauseweg. Wasser floss in breiten Strömen in die Gullys und ließ die Straßen verschwommen glitzern.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, dachte Bärbel.

Als Bärbel mit Alfred zu Hause ankam, sah sie im Obergeschoss Licht brennen. Michael war also schon da. Sie ging hinein und gab Alfred sein verspätetes Abendbrot. Dann ging sie hinauf zu Michael und klopfte an.
„Herein?“ Michael saß auf einem kleinen Sofa und guckte Fern.
„Guten Abend, Michael.“
„Guten Abend, Bärbel. Bist du in den Regen gekommen?“
„Das kannst du laut sagen. Aber ich habe mich dann schnell in einer Kneipe versteckt.“
„Soso“, sagte Michael grinsend. „Da gab‘s dann wohl ein paar Gläschen Grog, hm?“
„Auweia“, Bärbel hielt sich verschmitzt die Hand vor den Mund. Dann flüsterte sie vertraulich: „ist es so schlimm?“ Michael musste lachen:
„Ach was. Ich bin wohl nur ein bisschen neidisch.“
„Willst du auch was zum Aufwärmen? Ich hab' bestimmt auch noch einen Rum da. Suppe habe ich heute auch gemacht und, wenn du magst, hole ich dir eine Wärmflasche.“
„Ach, nur keine Umstände.“
„Doch, doch, doch, ich hole dir jetzt eine Schüssel Suppe und was zu trinken“
Er zuckte resignierend mit den Achseln, während die alte Dame nach unten huschte. Alfred lag schon wieder im Wohnzimmer auf seiner Decke unter dem Fenster. Bärbel wollte gerade zwei große Schüsseln aus dem Schrank holen, da hörte sie ein Geräusch vor dem Küchenfenster.
„Hallo?“
Niemand antwortete. Sie beugte sich zum Fenster und sah hinaus. Im nächsten Moment leuchtete sie ein grelles Licht an. Sie kniff die Augen zu und wich zurück in die Küche. Als sie die Augen wieder öffnete, war das Licht verschwunden. Sie war ganz aufgeregt. Der Schreck saß ihr noch in allen Gliedern. Beunruhigt versuchte sie sich wieder auf die Suppe zu konzentrieren.
„Merkwürdig“, murmelte sie. Schnell zog sie die Gardinen zu; auch die im Wohnzimmer. Dann füllte sie die Suppe in die beiden Schüsseln, schnitt noch zwei dicke Scheiben Brot ab und kehrte zurück nach oben.
„Michael? Erwartest du noch Besuch?“, fragte sie und reichte ihm eine Schüssel.
„Nein, wieso?“
„Ach, nur so." Sie wollte keine Pferde scheu machen. "Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Sicher.“ Michael rutsche ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen.
„Was guckst du dir denn an?“, fragte sie neugierig.
„Einen Krimi.“
„Uh, ist er gut?“
„Ich weiß nicht, hat gerade erst angefangen. Ich weiß auch gar nicht genau, worum es geht. Eigentlich wollte ich noch gar nicht hier sein, aber bei dem Wetter … Mannomann.“
„Das kannst du laut sagen … hoffentlich hält es nicht so lange an, Sonst saufen mir die Tomaten ab.“

Scheußliches Wetter. Der kleine Kater wollte sich gerade ein leckeres Abendbrot bei der lustigen, netten Frau abholen, als er vom Regen überrascht wurde. Wasser an sich war ja schon schlimm, aber wenn es von oben kam, war es am schlimmsten. Also hatte er sich im Park, wo er gerade herumstromerte, unter eine Bank gekauert und abgewartet. Eine Ewigkeit hatte es gedauert und dunkel war es auch geworden, bis es aufhörte und er wieder hervorkommen konnte. Furchtbar langweilig war es gewesen. Am Anfang hatte er sich mit einer Eichel ganz gut die Zeit vertreiben können, aber sie war ihm schon bald davon gerollt. Er hätte sie sich wieder holen können, doch dazu hätte er in diese Abart von Wetter laufen müssen, und bevor er das tat, langweilte er sich lieber.
Kurz bevor er vor Langeweile beinahe gestorben wäre, wurde es trockener. Länger hätte er es auch nicht ausgehalten. Schnurstracks hatte er sich auf den Weg zu der Frau mit dem bunten Haus gemacht. Jetzt drückte er sich zwischen zwei Zaunlatten hindurch und war mit einem Satz auf der Veranda. Stapf. Stapf. Der kleine Tiger horchte auf. Nanu? Da war noch jemand im Garten? Neugierig lugte er um die Hausecke. Ein Lichtstrahl tanzte über die schwarze Wiese auf ihn zu, dahinter eine undeutliche Gestalt. Bei jedem ihrer Schritte gab es ein schmatzendes Geräusch.
Plötzlich sah er nur noch weiß. Der Blödi hielt ihm das Licht genau ins Gesicht.
„Miaauuu!“, er fauchte wütend, machte auf dem Absatz kehrt und wetzte zur Tür. Immer noch halbblind hechtete er durch die Katzenklappe. Drinnen fuhr er sich ein paar Mal mit der Pfote über das Gesicht und putzte sich seine dreckverschmierten Pfoten, dann schlenderte er ins Wohnzimmer. Er war etwas verwundert, dass schon alles dunkel war. Ein muffiger Geruch stieg ihm in die Nase. Heilige Hühnerbrust, was war denn das? Im selben Moment erklang ein leises Schnarchen. Der kleine Kater sah genauer hin und erkannte Alfred. Er war erleichtert, nur der alte, faule Hund. Auf noch einen komischen Zweibeiner hatte er auch wirklich keine Lust gehabt. Doch wo war nur die alte Frau? Er setzte sich neben den Hund und sah sich aufmerksam um. Der Spalt unter der Schlafzimmertür war schwarz. Schlief sie etwa schon? In der Küche war es genauso dunkel und es roch nach irgendetwas zum Essen. Da fiel sein Blick auf die Treppe. Flink lief er sie hinauf, hier oben war er noch nicht gewesen. Bisher kam er nur zum Fressen oder für kleine Mittagsschläfchen im Wohnzimmer. Wenn das Wetter ab jetzt öfter so schlecht werden würde, würde er jedoch vielleicht auch längere Aufenthalte in diesem Haus unternehmen. Unter einer der Türen im oberen Stockwerk drang Licht hervor. Schnell lief er hinüber und ließ sein niedlichstes Maunzen hören. Als keine Reaktion kam, widerholte er es und kratzte ungeduldig an der Tür, um sein Betteln noch drängender zu machen. Er hörte Stimmen und leise Schritte, die Tür ging auf und Frau Sommerland blickte zu ihm hinunter. Er sah zu ihr auf und maunzte noch einmal zuckersüß. Sie lächelte.
„Du hattest wohl auch noch kein Abendbrot, hm?“ Dann verschwand sie auf der Treppe. Der kleine Kater wäre gern mit ihr gegangen, doch erst musste er seine Neugier befriedigen.
Da saß noch ein Mensch, ein Mann, und guckte ihn belustigt an.
„Du bist also der Rabauke, der die Laubhaufen auseinander nimmt.“ Der Kater starrte zurück, lief dann einmal durch das Zimmer, schnupperte an den Möbeln, guckte hinter jede Ecke und Ritze und kehrte schließlich zur Tür zurück. In dem Moment hörte er auch schon Frau Sommerland die Treppe hinauflaufen.
„Soso, du möchtest also ein wenig in Gesellschaft sein.“ Sie stellte ihm einen Napf mit frischem Fleisch neben das Sofa und setzt sich wieder zu dem Mann.
„Stört es dich, wenn er hier oben ist?“
„Keines Wegs. Bisher bin ich vor Tierhaarallergien verschont geblieben.“
Nach dem Mahl putzte er sich ein wenig. Dann beschloss er, noch ein bisschen zu bleiben. Man konnte ja nie wissen, ob diese Nacht trocken blieb. Frech sprang er mit aufs Sofa und da kein Protest erfolgte, setzte er sich zwischen die deiden.

„Ui, das war ein spannender Krimi. Danke, dass ich mitgucken durfte.“
„Danke für die Suppe. Die hat echt gut getan“
„Sie steht unten auf dem Herd, falls du noch Appetit hast.“
„Morgen vielleicht. Für heute bin ich satt.“
„Das ist schön.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Ach, Michael?“ Er blickte auf. „Könntest du morgen den Wetterhahn ölen? Vorausgesetzt es regnet nicht. Sein Gequietsche entwickelt sich langsam zu einer echten Dauerplage.“
„Na dann, werde ich ihm mal zu Leibe rücken.“
„Vielen Dank. Ich werde jetzt nach unten gehen und mich hinlegen. Und den kleinen Rabauken hier, nehme ich mit.“
Frau Sommerland schnappte sich die leeren Schüsseln und den kleinen orangen Kater, lächelte Micheal noch einmal zu und verschwand in der Tür. Der Kater begann ungeduldig zu strampeln, also setzte sie ihn vor der Treppe ab und lief hinunter in die Küche.
Schlurfend ging sie ins Bad, zog ihr Nachthemd an und legte etwas Nachtcreme auf. Dabei folgten ihr vier kleine Pfötchen auf Schritt und Tritt. Bärbel ließ die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt breit auf und legte sich ins Bett. Kaum hatte sie sich zugedeckt, spürte sie etwas in ihrem Bett herum tapsen. Sie drehte sich um und erkannte im Dunkeln den kleinen Tiger.
„Na gut, ausnahmsweise. Aber in Zukunft möchte ich mein Bett für mich allein haben.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich dich ansprechen soll … Hast du überhaupt einen Namen?“ Der Kater schnurrte nur mit geschlossenen Augen.
„Dann musst du den ertragen, den ich für dich aussuche.“
Als hätte er sie verstanden, öffnete er die Augen und blickte sie herausfordernd an, ganz als wollte er sagen: „Na los! Welchen Namen willst du mir verpassen?“ Bärbel überlegte kurz.
„Oskar.“ Der Kater sah sie immer noch unverwandt an.
„Ab jetzt heißt du Oskar.“ Oskar schloss wieder die Augen und reckte seinen Hals.
„Na, zumindest scheinst du damit leben zu können.“

Rauschen. Fast als wäre man am Meer. Es dämmerte gerade erst, als Oskar aufwachte. Er gähnte und streckte sich. Dann lief er zum Fenster, schlüpfte hinter den Vorhang und sprang auf das niedrige Fensterbrett. Hinter der Scheibe erwartete ihn der gleiche Anblick wie am Abend zuvor. Graue Wolken und ein flimmernder Schleier aus Regen, der unablässig zur Erde fiel. Wo kam nur all das Wasser her? Und womit zum Teufel hatte er so ein Hundewetter verdient? Wieder ein Tag weniger, an dem er draußen nach Lust und Laune herumspazieren und neue Gärten entdecken konnte. Es würde ein langweiliger Tag werden … Missmutig sprang er wieder auf den Boden. Die alte Frau schlief noch, sie schnarchte ein bisschen. Wieso schnarchen Menschen? Und Hunde genauso?
Oskar kam der Gedanke, dass er doch, wenn er schon nicht raus konnte, das Haus noch ein wenig genauer erkunden sollte. Beschwingt trabte er ins Wohnzimmer, auch Alfred schlief - nicht weiter interessant. Da er dieses Zimmer schon recht gut kannte, huschte er gleich hinauf in den zweiten Stock. Das Zimmer von gestern Abend war verschlossen, doch es gab noch eine weitere Tür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Oskar lehnte sich mit den Vorderpfoten gegen das Holz, der Spalt wurde breiter und schnell huschte er hinein. Der Boden war kalt und aus platten, glatten Steinen und ein paar blaue, weiche Moosflecken wuchsen darauf.
In dem Raum gab es drei weiße Näpfe.
Einer stand auf einem Bein und hatte oben einen Deckel. Darin floss Wasser, das hatte Oskar schon oft in anderen Häusern gesehen. Die Menschen setzten sich drauf. Manchmal nahmen sie sogar das große knisternde Blatt, das in den kleinen Kästen an den Gartenzäunen steckte, mit. Irgendwann standen sie wieder auf, taten etwas, das Oskar bisher nicht definieren konnte, und dann floss laut rauschend Wasser in dem Napf.
Ein weiterer Napf hing an der Wand, auch darin floss hin und wieder Wasser. Meistens, wenn die Menschen von dem ersten Napf aufgestanden waren, manchmal auch nicht.
Der dritte Napf war der größte, er war fast so groß wie ein Bett und auch hier war ab und zu Wasser drin. Die Menschen legten sich hinein, dann hing immer dieser stechende Geruch in der Luft und, wenn kleine Menschen darin waren, schwammen oft weiße Wolken auf dem Wasser. Es gab auch einen Gartenschlauch, aus dem Regen kam. Zweibeiner schienen Wasser in Näpfen zu lieben, aber Wasser vom Himmel mochten auch sie nicht.
Oskar sprang auf den Deckel des einbeinigen Napfes. Darüber hing ein weißer Kasten. Neugierig stellte er sich auf die Hinterbeine und sprang hinauf. Dabei gab der Kasten an einer Stelle unter seiner linken Vorderpfote nach. Ein Tosen brach los. Erschrocken sprang der Kater hinunter auf den Boden und rannte zur Tür hinaus.

Bärbel schälte sich aus der Bettdecke, zog flauschige Pantoffeln über und machte sich im Bad startklar für den Tag. Auf dem Weg zur Haustür lief ihr Oskar zwischen die Beine.
„Da steckst du, kleiner Teufel.“ Schnell gab sie ihm etwas zu essen, damit er Ruhe gab. Dann machte sie sich in Gummistiefeln und mit Regenschirm auf zum Bäcker. Frische Brötchen für einen guten Start in den Tag mussten schon sein. Im Garten erschrak sie.
„Himmel, Arsch und Zwirn! Ich hab die Wäsche gestern ganz vergessen …“ Sie seufzte schwermütig. „Die kann ich nachher gleich nochmal waschen.“
Letztendlich brachte sie nicht nur Brötchen, sondern auch noch Croissants und ein neues Brot mit. Sie richtete ein umfangreiches Frühstück her und schon bald lockte der Geruch Michael aus dem Bett.
„Guten Morgen, setz sich. Möchtest du auch ein Ei?“
„Ja, gern.“ Micheal goss sich Milch in seinen Kaffee. „Das Wetter ist noch nicht viel besser geworden?“
„Nein … es gießt in Strömen. Ich hoffe, bis heute Abend ist es vorbei.“
„Hast du etwas vor?“
„Ein kleiner Spieleabend mit meinen Freundinnen.“ Bärbel schnitt zwei Brötchen auf.
„Oh, das freut mich. Du gehst viel zu selten unter Leute.“
„Da hast du Recht. Ich weiß auch nicht, irgendwie findet sich die Zeit nicht.“ Sie lächelte. „Für euch junge Leute klingt das sicher merkwürdig.“
„Ach was. Ist mir auch schon passiert.“ Beide kicherten.
„Wenn es trockener geworden ist, sehe ich mal nach dem Hahn.“
„Vielen Dank, Michael, aber pass bloß auf! Diese Schiefer sind schweineglatt, wenn sie nass sind. Warte lieber auf einen trockenen Tag, so dringend ist es nicht. Gehst du heute Abend wieder zum Stammtisch?“
„Ja.“
„Nimm dir bloß einen Schirm mit!“
Nach dem Frühstück holte Bärbel die Wäsche von draußen, wusch sie noch einmal und hing sie dann im Haus auf. Den Rest des Tages ließ sie ruhig angehen, bis zum Nachmittag las sie. Dann gönnte sie sich und Michael eine Schüssel Suppe und buk einen Kuchen mit den ersten Birnen aus ihrem Garten. Gegen sechs Uhr machte sie sich mit Kuchen und Schnaps auf den Weg zu Ingrid. Sie kam sich ein bisschen vor wie Rotkäppchen und musste lachen bei dem Gedanken.

Es war dunkel, nach dem Frau Sommerland das Haus verlassen hatte. Deshalb war Oskar nach oben gelaufen und hatte an der Tür gekratzt. Micheal hatte ihm geöffnet und ihn auf seinem Schoß sitzen lassen, während er in einen flimmernden Kasten sah, doch nach einer Weile war auch er gegangen.
Nun war Oskar allein in dem Haus. Allein mit Alfred. Allein mit einem Hund. Noch dazu mit einem so langweiligen Hund, man konnte ihn nicht einmal richtig ärgern. Das hätte er sich nie träumen lassen! Der Regen klopfte unablässig gegen die Scheiben. Dem kleinen Tiger wurde klar, dass er wohl noch eine ganze Weile in diesem Haus gefangen sein würde. Er ging hinüber zu Alfred und stupste ihn mit der Pfote in die Seite, einen Versuch konnte er ruhig wagen. Doch der Bluthund rührte sich nicht, er grunzte nur verhalten. Oskar sprang auf seinen Rücken und kletterte ihm bis auf die Stirn. Alfred schlief gnadenlos weiter. Herrje … neben dem Schnarchsack konnte der Blitz einschlagen und er würde es nicht merken. Mit dem war wirklich nichts anzufangen.
Nun entdeckte der kleine Kater eine Tüte neben dem Sessel. Was da wohl drin war? Neugierig steckte er die Nase hinein. Er stieß gegen etwas Weiches und zuckte zurück. Nanu? Vorsichtig steckte er eine Pfote in die Tüte und versuchte, das Weiche Etwas heraus zu schubsen. Es war rund und rollte nach einem Hieb mit der Pfote fast von allein auf den Teppich. Ein Wollknäul! Herrlich! Oskar stürzte sich darauf, hielt es zwischen den Vorderbeinen eingeklemmt und biss fröhlich hinein. Im nächsten Moment gab er es wieder frei und verpasste dem Knäul einen kräftigen Tritt. Ein Faden löste sich und hinterließ eine bunte Spur, als der Wollball unter dem Sessel hindurch hinüber zur Küchenecke rollte. Oskar wetzte hinterher, gab der Kugel neuen Schwung und jagte sie in jede beliebige Richtung, dabei ließ er sie keinen Moment aus den Augen. Er tobte mit ihr über den Boden, unter dem Esstisch hindurch, hinüber ins Wohnzimmer und wieder zurück. Bald merkte er, dass das Knäul immer kleiner wurde. Das machte ihn wütend und er biss noch heftiger hinein, doch schließlich fielen auch die letzten Windungen des Wollfadens auseinander. Schade … nun war der Spaß vorbei, Oskar war enttäuscht.
Trotzig sah er sich nach einer neuen Beschäftigung um. Er bemerkte, dass die Wolle kreuz und quer zwischen Küche und Wohnzimmer gespannt war, wie ein Spinnennetz. Tja, Wollknäul, es hat Spaß gemacht mit dir, aber auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende. Ein bisschen schlecht gelaunt huschte er die Treppe hinauf und in den Raum mit den weißen Näpfen. Er lief zu dem größten hinten in der Ecke und sprang mit einem Satz hinein. Der weiße Rand war genauso kalt wie der Boden. Wie konnten die Zweibeiner sich hier stundenlang hineinlegen? Er entdeckte im Dunkeln etwas Glänzendes am gegenüberliegenden Rand; das musste er sich unbedingt genauer ansehen. Übermütig streckte er sich hinauf und berührte dabei mit der Schnauze den Hebel des Wasserhahns. Warmes Wasser lief ihm übers Gesicht und in die Nase. Pfui, pfui, pfui. Panisch und verärgert zugleich sprang der kleine Tiger hinaus. Tropfend warf er dem Hahn noch einen bösen Blick zu, schüttelte sich und verkrümelte sich schleunigst in den Flur. Igitt! Was sollte das denn?

„Möchte noch jemand einen Schluck Tee zu seinem Schnaps?“, fragte Ingrid kieck. Bärbel überlegte kurz.
„Na gut, aber nur noch einen. Sonst lacht Michael mich wieder aus.“
„Ich nehme auch noch einen“, sagte Magda und schob ihre Tasse über den Tisch. „Noch eine Runde?“
„Nur, wenn du noch ein Stück von meinem Kuchen nimmst.“
„Haha, das lasse ich mir nicht zweimal sagen.“
„Oh, oh, ist auch noch eins für mich übrig?“
„Natürlich, Ingrid! Bedien dich“, forderte Bärbel auf und teilte die Karten aus. „Aber du müsstest noch einmal Zimt und Zucker nachfüllen.“
„Na, wenn es weiter nichts ist.“
„Ich fahre nächste Woche übrigens für zwei Wochen ans Meer für eine Kur“, erzählte Magda.
„Wegen deiner Nebenhöhlen?“, erkundigte sich Ingrid und füllte den Wasserkocher auf.
„Ja, genau. Mein Arzt empfiehlt mir das ja schon lange, aber irgendwie bin ich einfach nicht dazu gekommen.“ Ingrid und Bärbel nickten wohl wissend.
„Könntet ihr beide vielleicht Walter ein bisschen unter die Arme greifen? Mit seinem Knie fallen ihm die Einkaufstouren zunehmend schwerer, besonders, wenn Getränke nötig sind, aber von selbst fragt der doch nicht.“
„Selbstverständlich. Ich könnte Micheal auch vorbeischicken.“
„Ach, das ist lieb von dir, Bärbel. Hoffentlich raube ich dem jungen Mann nicht seine ganze Zeit.“
„Ach, iwo. Ich sag ihm nachher gleich Bescheid. Wer jung ist, kann ruhig mal anpacken.“
„Schreibst du uns eine Karte?“, wollte Ingrid wissen, hängte ein Teesieb mit Earl Grey in die Kanne und stellte sie neben dem Wasserkocher ab.
„Ich schreibe euch auch zwei“, grinste Magda. „Ich bin schon so aufgeregt. An meine letzte Reise kann ich mich gar nicht mehr richig erinnern. Hoffentlich vergesse ich nichts.“
„Ach, das schaffst du schon. Schreib dir vorher eine Liste, das macht meine Tochter immer, wenn sie mit den Kindern zu mir kommt.“
„Das ist eine gute Idee.“
„So, Tee ist fertig, es kann losgeh’n!“, rief Ingrid und goss jedem eine Tasse ein. „Ich hole nur noch schnell Zimt und Zucker.
„Gib uns dieses Mal aber wenigstens eine Chance“, jammerte Bärbel.
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Draußen war es dunkel, nur das orange Licht der Straßenlaternen schien durch die Wohnzimmerfenster und in das Schlafzimmer. In der Küche fiel Oskars Blick auf eine Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Vor Neugier vergaß er sein nasses Fell und schob sich drängelnd durch den Spalt. Er stand am Anfang einer steinernen Treppe, die nach unten führte, dort war stockdunkel und kühl. Der Geruch von Erde und kaltem Stein lag in der Luft. Achtsam kletterte der Tiger die Stufen hinab. Er konnte schemenhaft Körbe und Kisten ausmachen. Interessiert schnupperte er sich durch die Stapel. Wieder nur Grünzeug … Immer das gleiche.
Ein Rascheln kam aus einer Ecke und ein Mäuschen huschte durch den Raum. Lautlos beobachtete Oskar es. Der kleine Nager verschwand, schnell wie er gekommen war, hinter einem Sack. Dahin konnte der Kater ihr nicht folgen. Oskar versuchte es dennoch und machte sich daran, seine kleine Pfote in die schmalen Spalte neben dem Sack zu schieben. Er wühlte und drängte mit der Nase hinein, aber es half nichts, das sah er widerwillig ein. Deshalb legte er sich mit etwas Abstand auf die Lauer, doch Oskar war noch ein sehr junger, ungeduldiger Jäger. Schon nach kurzer Zeit dachte er ans Aufgeben, hm würden noch viele Mäuse über den Weg laufen.
Im nächsten Augenblick hörte er wieder das Rascheln und eine kleine lange Nase kam zum Vorschein. Als sich eine gute Gelegenheit bot, schnappte er sich das Mäuschen. Er hatte es gerade mit dem Maul eingefangen, als er die Haustür hörte. Vielleicht war Frau Sommerland zurück! Oder Michael! Mit der noch lebenden Maus im Maul trabte er die Treppe wieder hinauf in die Küche. Doch es war weder Frau Sommerland, noch Michael, der da durch die Tür trat, im Flur stand ein fremder Mann mit einem Licht in der Hand. Er roch nach Rauch und Regen.

Ingrid, du hast ja schon wieder gewonnen!“, beschwerte sich Bärbel.
„Entschuldigt, meine Lieben, aber heute habe ich wohl einfach ein glückliches Händchen beim Rommé.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Magda, „wenn das mit Skat auch so gut klappt, kannst du die Männer am Stammtisch einmal so richtig aufmischen.“
„Ach, ich kann doch gar kein' Skat. Wie wäre es mit Bridge?“
„Eine gute Idee“, sagte Bärbel begeistert. „Ich hab ewig kein Bridge mehr gespielt!“ Es klingelte an der Tür und die drei Frauen blickten verwundert in den Flur.
„Nanu?“, wunderte sich Ingrid, „Wer kann das denn jetzt noch sein?“
„Vielleichte hat Heinrich vorhin seinen Schlüssel vergessen“, überlegte Bärbel.
„Wäre nicht das erste Mal“, feixte Ingrid und ging zur Haustür. Als sie öffnete, stand ein triefnasser Mann vor ihr. Er hob die Kapuze etwas hoch und sah Ingrid fragend an, inter ihm kam Heinrich schlurfend den Weg entlang.
„Ach, Michael! Jetzt erkenn ich Sie erst. Entschuldigung. Kommt rein, kommt rein. Wieso seid ihr denn schon zurück? War heut nichts los bei euch?“ Die beiden Männer drängten sich in den Flur und zogen ihre tropfenden Regenjacken und Schuhe aus.
„Heinrich, such doch bitte ein paar Schlappen für Michael raus, ich setz für euch noch schnell Tee auf.“
„Ein Grog würde es auch tun“, grinste Michael viel sagend. Ingrid lächelte keck und ging zurück zu ihren Mädels.
„Bei den Männern ist schon Feierabend“, verkündete sie der staunenden Runde.
„Ach nee“, sagte Bärbel, „Und der Michael will mich wohl aus dem Kinderparadies abholen?“ Michael war soeben durch die Tür getreten und setzte sich an den Tisch.
„Wir wollten uns eigentlich eurer Runde noch ein wenig anschließen. Walter war müde und wir haben ihn noch nach Haus gebracht.“
„Oh, das ist nett“, bedankte sich Magda.
„Ihr habt Glück, es ist sogar noch Kuchen übrig.“
„Der Gute mit den Birnen aus dem Garten?“, fragte Heinrich interessiert.
„Genau.“
„Und was treibt ihr sonst so?“
„Wir wollten grad mit Bridge anfangen, aber dafür sind wir jetzt wohl zu viele“, meinte Ingrid.
„Rommé?“, fragte Michael. Die Frauen prusteten.
„Könnt ihr gut verlieren?“, fragte Bärbel.
„Zwei mal Grog für die Herren“, kündigte Ingrid an und stellte zwei Tassen auf den Tisch.
„Ach, Ingrid, wenn du schon dabei bist…“, begann Magda.
„Kommt sofort.“

Oskar stand wie versteinert in der Kellertür. Wer war diese Type? Und was zum Mauseloch wollte er hier? Er hatte ihn noch nie gesehen oder gerochen und glaubte auch nicht, dass er hier etwas verloren hatte. Die Type stand fast ebenso regungslos da. Geräuschvoll zog der Mann die Nase hoch.
„Dann woll’n wir mal.“ Seine Stimme war rau und klang nach grober Baumrinde, er trug einen dichten Bart und robuste Kleidung. Unter schnaufen steckte er den Lichtstrahl in die Innentasche seiner Jacke. Darüber war Oskar sehr froh. Einmal blind gewesen zu sein reichte ihm für ein Katzenleben. Der Fremde blickte sich suchend um, dabei entdeckte er den kleinen Tiger.
„Wen haben wir denn da?“ Er ging in die Hocke und streckte eine Hand aus. Was wollte der denn? Oskar war empört, er war doch kein dummer Hund, der sich mit so etwas locken ließ. Feindselig bog er den Rücken zu einem Buckel, stellte sein feuriges Fell auf und fauchte mit funkelnden Augen. Die Maus fiel aus seinem Maul und flüchtete in wilder Panik, aber erleichtert, dass sie noch eine Chance bekam, davon. Oskar fluchte. Diese Zweibeiner konnten einem wirklich alles verderben. Schön, dieses Spiel konnte er mitspielen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er dem Eindringling entgegen.

Michael und Bärbel waren auf dem Weg nach Hause. Als der Kuchen und der Schnaps zur Neige gegangen waren, machte die Runde diesen Umstand zum Anlass, um getrennter Wege zu gehen. Ein paar Ecken waren sie noch mit Magda zusammen gegangen, bis sie in unterschiedliche Richtungen mussten. Die Regenwolken lichteten sich allmälig und einige Sterne kamen zum Vorschein.
„Ach, das war ein schöner Abend“, seufzte Bärbel.
„Schön, dass es dir gefallen hat. Ihr könntet das ruhig öfter machen. Bei dir ist doch genug Platz und mich stört es nicht, wenn es etwas später wird.“
„Das stimmt. Aber alte Leute haben immer so viel zu tun.“ Sie lachten.
„Ich werde dich hin und wieder daran erinnern, auch einmal etwas anderes zu tun zu haben.“ Gemeinsam stapften sie durch die Pfützen und das raschelnde Laub. Michael blickte gen Himmel.
„Vielleicht kann ich mir morgen endlich mal deinen Hahn angucken.“

Mit ausgefahrenen Krallen landete Oskar auf dem Knie des Mannes, der es nicht rechtzeitig geschafft hatte aus der Hocke hochzuschnellen. Flink kletterte der Kater hinauf zur Schulter und holte mit der Pfote aus. Er erwischte den Fremden an der rechten Wange und hinterließ drei tiefrote Streifen. Der griff nach dem Fellknäul, das sich schmerzhaft in seine Schulter krallte, und Oskar wurde mehr schlecht als recht im Nacken gepackt. Die Hand wollte gerade zum Wurf aushole - Oskar machte sich schon auf einen unkontrollierten Flug gefasst - als der Vollbärtige den Halt verlor und rücklings auf den Boden knallte. Dabei ließ er den Kater los, der geschickt auf den Pfoten landete und sich in einen sicheren Abstand begab.
Er guckte sich um und erkannte die Ursache der Wendung. Ein reflektierender spiegelglatter Teppich hatte sich von der Treppe aus auf dem Boden ausgebreitet. Oskar blickte die Treppe hinauf. Beim Anblick des leise plätschernden Wasserfalls, erinnerte er sich an seinen Ausflug in den Raum der Näpfe. Hups. Aber immerhin hatte es geholfen: auf dem rutschigen Laminat war der Einbrecher prompt ausgerutscht, als er Schwung holen wollte.
„…kleines Biest….“ Auweia! Jetzt aber nichts wie weg. Unter Stöhnen und Ächzen rappelte sich der Mann auf und machte Anstalten, den Tiger wieder einzufangen, doch der war schneller und schlüpfte zwischen Stuhlbeinen hindurch.
Während er das Treppengeländer hinaufkletterte, um möglichst wenig Kontakt mit dem Wasser zu bekommen, hörte er hinter sich wieder einen gewaltigen Rumms. Neugierig drehte er sich um.
Der Einbrecher hatte sich in den kreuz und quer zwischen den Möbeln gespannten Wollfäden verheddert und lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Ja, ein bisschen Chaos kann hilfreich sein. Oskar hielt die Gelegenheit für günstig, um einen neuen Angriff zu starten und in dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzte, hörte er ein erneutes, dumpfes Schnaufen. Ein Schatten kam aus dem dunklen Wohnzimmer heran getrottet und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rücken des Bärtigen plumpsen. Alfred! Sogar große, träge Hunde konnten hilfreich sein. Wer hätte das gedacht? Zufrieden lief der kleine Tiger hinüber. Der Mann versuchte den Kopf zu heben und zu begreifen, was in den letzten Augenblicken geschehen war, doch als er Oskar mit erhobener Pfote vor sich sah, legte er seinen Kopf schnell wieder ab und schloss kapitulierend die Augen.

Als Frau Sommerland und Michael durch die Tür traten und das Licht einschalteten, wussten sie erst gar nicht recht, was sie mit dem Bild anfangen sollten, das sich ihnen dort bot. Mitten zwischen Küchenecke und Wohnzimmer lag ein Mann, den sie nicht kannten, begraben unter Alfred, der schwer wie ein Sack Getreide auf seinem Rücken lag und drumherum stolzierte patschend ein kleiner oranger Kater mit aufgestelltem Schwanz hin und her. Stühle lagen daneben, der Sessel aus dem Wohnzimmer und der Küchentisch hatten ihre Plätze verlassen und waren auf einander zugeglitten wie ein Tanzpaar. Rote Wolle durchzog die Szenerie, die von der spiegelnden Wasseroberfläche abgerundet wurde.
Nur langsam gewannen sie eine Vorstellung von den Ereignissen und riefen die Polizei. Der Mann wurde wegen Hausfriedensbruch und Einbruch festgenommen. Er hinterließ eine halbe Nacht Wischarbeit und zwei nasse Fellballen, die für ihre Heldentat ununterbrochen Aufmerksamkeit einforderten, in dem sie beim Aufräumen im Weg herumstanden. Bärbel und Michael wischten Eimer um Eimer Wasser zusammen. Das Laminat war aufgequollen und musste demnächst unbedingt ausgetauscht werden. Die Treppe hatte es zum Glück ganz gut überstanden. Das Wasser musste von oben gekommen sein; sie fanden einen laufenden Wasserhahn und eine randvolle Badewanne. Nachdem das Gröbste getan war, bekamen Alfred und Oskar ein extra leckeres Mitternachtsmahl. Bärbel und Michael gönnten sich noch einen Teller Suppe und heiße Milch mit Honig. Völlig ausgelaugt saßen sie bei Michael auf dem Sofa.
„Es ist mir völlig schleierhaft, wie die beiden es geschafft haben, das Haus unter Wasser zu setzen“, murmelte Bärbel.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, kommentierte Michael.
 
Liebe Leser,

1. ACHTUNG!!! Dieser Beitrag ist etwas länger. Überlegt euch also, wieviel Zeit ihr gerade in der Tasche habt :)
2. Ich bin ein absoluter Frischling bei der Leselupe. Der folgende Text war meine erste beendete Kurzgeschichte. Mittlerweile komme ich leider immer seltener zum Schreiben, dennoch hätte ich gern einmal Resonanz zu meinen Ideen.



Es war ein sonniger Herbstmorgen. Am Himmel zogen einige weiße, bauschige Wölkchen dahin, der Wind wehte sanft durch die roten und gelben Blätter der Ahornbäume, die zu beiden Seiten entlang der Straßen standen, hin und wieder segelte ein Blatt wiegend zu Boden. Es war ein Samstagmorgen. Kinder sammelten begeistert lachend die bunten Blätter, Kastanien und Eicheln auf. Ihre Eltern schlenderten gemächlich hinter ihnen her und staunten über all die Dinge, die ihre Kleinen heran trugen. Über den Baumwipfeln des Parks stiegen zahllose bunte Drachen in den blauen Himmel hinauf. In vielen Gärten blühten die letzten Blumen, doch die Sonnenblumen im Garten von Frau Sommerland waren schon verblüht und eine Scharr singender Vögelchen pickte sich eifrig die schmackhaften Kerne heraus. Auf der Wiese rund um das Haus lag das Laub schon zu dicken Haufen zusammengeharkt. Frau Sommerland harkte es immer in windstille Ecken, damit die Igel, die schon jetzt schnüffelnd durch ihren Garten wackelten, einen Unterschlupf für den Winter hatten. Hinter dem Haus reiften Blumenkohl, Stangenbohnen, Fenchel, Salat, Karotten, Kürbisse, Zwiebeln, Kartoffeln und Spinat in ordentlich angelegten Beeten, bald mussten sie geerntet werden.
Das Haus selbst war klein und mit blaulackierten Brettern verkleidet, wodurch die weiß gestrichenen Fensterläden in beiden Stockwerken, das Geländer der Veranda an der Vorderseite und die Giebelverzierung zu leuchten schienen. Oben auf dem roten Dach stand ein kleiner Fähnchenmast, an dem sich leuchtend bunte Bänder im Wind kräuselten und dem Wetterhahn, der sich leise quietschend in der Brise schaukelte, am Schnabel kitzelten.
„Ach, den wollte ich doch schon letzte Woche ölen“, seufzte Bärbel Sommerland. Mit einem zweifelnden Blick hinauf zu dem Blechhahn widmete sie sich wieder ihrer frisch gewaschenen Wäsche. Sie war wie gewöhnlich schon seit dem frühen Morgen auf den Beinen, sie konnte einfach nicht länger schlafen.
Das Haus hatte ihrem Mann, Erwin, gehört, doch dieser war zu ihrer großen Trauer schon sehr jung verstorben. Die beiden Kinder hatte sie fortan allein großgezogen bis sie auszogen, um zu studieren und die Welt kennenzulernen und mittlerweile hatten sie ihre eigenen Familien. In den Schulferien, kamen sie oft zu Besuch. Ihre Tochter Miriam schickte ihr häufig Briefe mit neuen Fotos der Enkelkinder und selbstgemalten Bilder für die Oma, die sie sie sich dann in den Flur hängte. Die Fotos rahmte sie ein und stellte sie in die Schrankwand im Wohnzimmer - zu ihrem Erwin. Ihr Sohn Thomas war eher schreibfaul, rief sie aber dafür regelmäßig an.
Geheiratet hatte Bärbel nicht wieder. Keiner konnte ihr ihren Erwin ersetzen, unter diesen Umständen wollte sie lieber gar keinen haben.
Einige Jahre lebte sie allein in dem Haus, dann begann sie, ihr Reich im Erdgeschoss einzurichten, die zweite Etage mit Wannenbad und einem großen Zimmer mit Balkon zur hinteren Seite des Hauses, hatte sie für Gäste hergerichtet. Seit sie vor ein paar Jahren in Rente gegangen war, vermietete sie die obere Etage an Urlauber oder Studenten, die für ein Praktikum einige Wochen im Ort waren. So gab es ein kleines Taschengeld zu ihrer bescheidenen Rente und sie war nicht die ganze Zeit allein.
Zurzeit wohnte dort ein junger Mann, der ,nach seinen Worten, eine Auszeit brauchte. Er fühlte sich in seinem Beruf als Einzelhandelskaufmann nicht mehr wohl und wollte durch einen Tapetenwechsel neue Energie sammeln. Er hieß Michael und wohnte mittlerweile schon seit drei Monaten bei Bärbel. Stets freundlich und aufmerksam, half ihr gern im Garten oder, wenn es etwas zu reparieren gab. Vielleicht konnte er ihr auch helfen den Hahn zu ölen? Ab und an half er auch als Bote der Apotheke aus und hatte sich seit Neuestem zu dem Stammtisch im Brauhaus gesellt.
Frau Sommerland fuhr sich etwas erschöpft durch ihr kurzes, weißes Haar. Dann klemmte sie sich den Wäschekorb unter den Arm und ging über die Wiese, hinein ins Haus und setzte sich einen Kaffe auf, sie mochte ihn türkisch mit ein bisschen Zimt und Kardamom.
„Miauu!“ Ein kleiner orange getigerter Kater schmiegte sich unvermittelt an ihre Beine.
„Na, wen haben wir denn da?“, fragte Bärbel und beugte sich zu dem Tiger hinunter. Als sie ihn hinterm Ohr kraulte, fing er an zu schnurren und strich penetrant maunzend um sie herum.
"Wenn du Hunger hast, ist dir mein Haus also gut genug. Na, nun warte doch mal, ich mach ja schon.“ Sie ging zum Kühlschrank und holte ein Stück rohe Hühnerbrust heraus, die sie in kleine Stücke schnitt und ihm in einen Napf legte. Gierig schlang der Kater die Fleischbrocken hinunter.
Inzwischen nahm Bärbel sich ihren Kaffee und setzte sich im Wohnzimmer auf ihren Lesesessel, um eine kleine Pause einzulegen. Zwar war sie für ihr Alter noch recht rüstig, doch immerhin auch keine fünfzig mehr.
„Miau?“ Sie blickte zu ihren Füßen hinab.
„Noch nicht satt?“
„Miau.“
Mit einem Satz sprang er auf ihren Schoß.
„Ach nee … allzu lange habe ich aber nicht Zeit. Die Erntezeit beginnt.“ Der Kater blickte sie erwartungsvoll an und begann, auf ihrem Schoß im Kreis herumzutapsen, bevor er sich schließlich zu einem Knäul zusammenrollte. Bärbel streichelte ihn und er begann wieder, mit geschlossenen Augen zu schnurren.
„Du bist mir schon einer…“ Der kleine Getigerte besuchte sie seit einigen Wochen immer wieder. Er war noch jung und verspielt und zerfledderte ihr ständig die Laubhaufen. Schon nach seinem zweiten Besuch im Sommer hatte Bärbel eine Katzenklappe in ihre Haustür einbauen lassen, damit er bei schlechtem Wetter ins Haus konnte, wenn sie nicht da war oder ihn nicht an der Tür kratzen hörte. Woher er kam wusste sie nicht genau, die meisten Leute im Ort ließen ihre Katzen frei herum laufen.
Als Frau Sommerland ihren Kaffee ausgetrunken hatte, schlief der Kater noch tief und fest.
„Tja, mein kleiner, das tut mir jetzt Leid, aber ich muss wieder an die Arbeit.“ Sie nahm ihn behutsam unter dem Bauch und setzt ihn auf den Teppich. Beleidigt stolzierte er zur Klappe hinaus. Bärbel folgte ihm durch die Tür und ging zu ihrem kleinen Schuppen direkt neben den Beeten. Vom Kater war weit und breit nichts mehr zu sehen. Sie zog sich ihre Gartenschürze an und tauschte ihre Schuhe gegen Schlappen. Mit zwei Körben und einem Taschenmesser bewaffnet ging sie zwischen den Beeten entlang und begutachtete das Gemüse. Der Salat, Blumenkohl, die Möhren, Bohnen und Zwiebeln waren reif genug, alles andere würde sie noch ein, zwei Wochen stehen lassen. Während sie gebückt durch Beete und Stauden stapfte, trottete Alfred - ein Hubertus-Hund - zu ihr. Er war zwar ein Riese von einem Viech, aber mit den Jahren gemütlich geworden und bewegte sich nicht mehr viel. Sein Alter war ihm förmlich an der Nasenspitze anzusehen, denn seine Schnauze war im Vergleich zu seinem sonst tiefbraunen Fell inzwischen grau geworden. Mit seinen langen schwarzen Schlappohren machte er immer einen eher vertrottelten Eindruck. Bärbel hatte ihn als jungen Hund von einem Nachbarn gekauft, um nach dem Auszug ihrer Kinder Gesellschaft und Bewegung zu haben.
Alfred schnupperte an den Körben und stupste Bärbel mit seiner nassen Schnauze am Arm.
„Na, du Faulpelz? Hat dich die Sonne aus deinem Versteck gelockt?“ Sie kraulte ihm den Kopf. Er gab ein leises, dumpfes Bellen von sich und wich ihr nicht mehr von der Seite bis sie mit der Erntearbeit fertig war.
Zurück im Haus stellte Bärbel die Körbe auf dem Küchentisch ab und begann, die Ernte zu sortieren. Sie wollte gleich eine Gemüsecreme-suppe kochen, einen Teil einfrieren und den Rest im Keller unterbringen, wo es noch länger frisch bleiben würde. Alfred machte sich indess auf dem Küchenfußboden lang. Seufzend stieg sein Frauchen über ihn hinweg und legte eine CD mit irischer Volksmusik in ihr Küchenradio ein. Am Abend sollte es regnen und bei so einem ungemütlichen Wetter, braucht man eine stärkende Suppe im Haus. Endlich nahm Bärbel den Topf vom Herd und blickte auf die Uhr.
„Schon gleich fünf“, murmelte sie. Sie nahm die Leine, die an der Tür zum Flur an einem Haken hing, befestigte sie an Alfreds Halsband und zerrte ihn hinaus an die frische Luft. Der betagte Rüde versuchte, sich sein Gewicht zu Nutze zu machen und blieb einfach stehen, doch dann musste er einsehen, dass es keinen Zweck hatte. Sein Frauchen war fest entschlossen, ihn noch einmal zu einem Spaziergang zu bewegen.
Draußen dämmerte es. Allmählig türmten sich dunkelgraue Regenwolken auf und der Wind wurde stärker.
„Nur eine kleine Runde“, sagte Bärbel in aufmunterndem Ton an den Hund gewandt. Sie zog sich ihre Mütze noch weiter über die Ohren und marschierte los. Ein kleines Stück die Straße entlang, an der Post vorbei Richtung Park. Sie schritt für reine alte Dame verblüffend zügig voran und der träge Alfred musste sich Mühe geben, mit ihr mitzuhalten. Als sie um eine Hausecke bogen, die mit wildem Wein überwuchert war, blies ihnen eine kräftige Böe entgegen. Bärbel kniff die Augen zusammen, um durch die herumwirbelnden Blätter sehen zu können. Alfred ging dicht hinter ihr, um etwas Schutz vor dem Wind zu haben. Plötzlich gingen die Laternen an und ihr orangenes Licht ließ alles herum gemütlich und warm erscheinen, doch der kalte Wind und die dunklen Wolken machten es so gar nicht angenehm. Nur Augenblicke später ging ein Wolkenbruch los! Als hätte jemand eine Schleuse geöffnet, prasselte es dichte Wasserschnüre vom Himmel herab, sodass Bärbel und Alfred im Nu pitschnass waren.
„Herrgott!“, brüllte Bärbel durch den Lärm. Kurzum beschloss sie, nicht bis zurück nach Hause zu laufen, stattdessen huschte sie ins nächstbeste offene Lokal. Sobald die Tür hinter den beiden ins Schloss gefallen war, waren auch der Lärm und die Kälte verschwunden. Frau Sommerland hängte ihre Jacke an die Garderobe und Alfred schüttelte sich einmal herzhaft, sodass überall um sie herum dunkle Flecken auf dem Boden glänzten.
„Mensch, Bärbel!“, ertönte eine Stimme, „Dich hat‘s wohl genau erwischt?“ Bärbel drehte sich um.
„Ingrid! Ach, du auch hier? Ja, ich wollte eigentlich nur noch eine kurze Runde drehen und dann…“
„Komm, setz dich zu uns! Magda ist auch da.“
„Zu gern.“
Während Bärbel ihrer Freundin an den Tisch folgte, gab sie der Bedienung ein Zeichen. Bei ihrem spontanen Entschluss, durch die nächste Tür zu treten, war Bärbel mit Alfred in einer gemütlichen Kneipe gelandet. Auf dem Boden lag dunkles Parkett, der Tresen waren mit Eiche vertäfelt und an den Wänden hingen vereinzelt aquarelle Landschaftsbilder. Es gab Lampen die indirektes Licht verströmten und urige Sitzecken, die Platz für gesellige Runden boten.
„Herzlich willkommen“, begrüßte eine Kellnerin Bärbel lächelnd. „Sie wollen sicher etwas Warmes trinken?“
„Ja. Hätten Sie vielleicht eine heiße Schokolade für mich?“
„Selbstverständlich. Darf es noch etwas sein?“
„Danke, für mich nicht, später vielleicht. Aber wären Sie so nett, meinem Alfred eine Schüssel Wasser zu bringen?“ Dabei deutete sie auf den nassen Alfred, der sich brav neben sein Frauchen an eine Heizung gelegt hatte. Die Kellnerin nickte freundlich.
„Und bei Ihnen, meine Damen?“ Damit wendete sie sich an Magda und Ingrid. Diese bestellten einen Krug Grog.
„Hab dich nicht so, Bärbel“, sagte Magda, „Wir laden dich auf eine Runde ein.“
„Außerdem wärmt so ein richtig guter Grog ordentlich durch“, fügte Ingrid hinzu und brachte damit das überzeugende Argument.
„Was macht der Garten?“, erkundigte sich Magda.
„Ich kann nicht klagen. Es ist zwar immer wieder ein Haufen Arbeit, aber es lohnt sich. Erst vorhin habe ich noch eine Gemüsecremesuppe gemacht.“
„Mmmmh, aus dem eigenen Garten schmeckt‘s gleich ganz anders, nicht wahr?“, bemerkte Ingrid.
„Und dein Untermieter?“, warf Magda ein. So unterhielten sich die drei älteren Damen noch eine geraume Zeit. Sie bestellten noch eine zweite Runde und ein paar belegte Brote, da sie wegen des Regens das Abendbrot zu Hause verpasst hatten.
„Sagt mal, habt ihr nicht auch mal wieder Lust, einen Spieleabend zu machen?“, fragte Ingrid.
„Ach, das ist eine tolle Idee“, jauchzte Bärbel. „Ist es denn zu glauben? Da wohnen wir in derselben Stadt, gar nicht weit von einander und trotzdem treffen wir uns viel zu selten.“
„Verflixt noch eins!“, pflichtete Magda bei.
„Wie wäre es morgen Abend bei mir?“, schlug Ingrid vor. „Heinrich geht sowieso zum Skat, da haben wir das Haus für uns.“
„Also, ich bin dabei“, sagte Magda.
„Ich auch. Ich bring noch die letzte Flasche selbstgebrannten Schnaps vom letzten Jahr mit“, zwinkerte Bärbel. Das fand großen Anklang und weil sich das Wetter beruhigt hatte, machten sie sich gemeinsam auf den Nachhauseweg. Wasser floss in breiten Strömen in die Gullys und ließ die Straßen verschwommen glitzern.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, dachte Bärbel.

Als Bärbel mit Alfred zu Hause ankam, sah sie im Obergeschoss Licht brennen. Michael war also schon da. Sie ging hinein und gab Alfred sein verspätetes Abendbrot. Dann ging sie hinauf zu Michael und klopfte an.
„Herein?“ Michael saß auf einem kleinen Sofa und guckte Fern.
„Guten Abend, Michael.“
„Guten Abend, Bärbel. Bist du in den Regen gekommen?“
„Das kannst du laut sagen. Aber ich habe mich dann schnell in einer Kneipe versteckt.“
„Soso“, sagte Michael grinsend. „Da gab‘s dann wohl ein paar Gläschen Grog, hm?“
„Auweia“, Bärbel hielt sich verschmitzt die Hand vor den Mund. Dann flüsterte sie vertraulich: „ist es so schlimm?“ Michael musste lachen:
„Ach was. Ich bin wohl nur ein bisschen neidisch.“
„Willst du auch was zum Aufwärmen? Ich hab' bestimmt auch noch einen Rum da. Suppe habe ich heute auch gemacht und, wenn du magst, hole ich dir eine Wärmflasche.“
„Ach, nur keine Umstände.“
„Doch, doch, doch, ich hole dir jetzt eine Schüssel Suppe und was zu trinken“
Er zuckte resignierend mit den Achseln, während die alte Dame nach unten huschte. Alfred lag schon wieder im Wohnzimmer auf seiner Decke unter dem Fenster. Bärbel wollte gerade zwei große Schüsseln aus dem Schrank holen, da hörte sie ein Geräusch vor dem Küchenfenster.
„Hallo?“
Niemand antwortete. Sie beugte sich zum Fenster und sah hinaus. Im nächsten Moment leuchtete sie ein grelles Licht an. Sie kniff die Augen zu und wich zurück in die Küche. Als sie die Augen wieder öffnete, war das Licht verschwunden. Sie war ganz aufgeregt. Der Schreck saß ihr noch in allen Gliedern. Beunruhigt versuchte sie sich wieder auf die Suppe zu konzentrieren.
„Merkwürdig“, murmelte sie. Schnell zog sie die Gardinen zu; auch die im Wohnzimmer. Dann füllte sie die Suppe in die beiden Schüsseln, schnitt noch zwei dicke Scheiben Brot ab und kehrte zurück nach oben.
„Michael? Erwartest du noch Besuch?“, fragte sie und reichte ihm eine Schüssel.
„Nein, wieso?“
„Ach, nur so." Sie wollte keine Pferde scheu machen. "Darf ich dir Gesellschaft leisten?“
„Sicher.“ Michael rutsche ein wenig zur Seite, um ihr Platz zu machen.
„Was guckst du dir denn an?“, fragte sie neugierig.
„Einen Krimi.“
„Uh, ist er gut?“
„Ich weiß nicht, hat gerade erst angefangen. Ich weiß auch gar nicht genau, worum es geht. Eigentlich wollte ich noch gar nicht hier sein, aber bei dem Wetter … Mannomann.“
„Das kannst du laut sagen … hoffentlich hält es nicht so lange an, Sonst saufen mir die Tomaten ab.“

Scheußliches Wetter. Der kleine Kater wollte sich gerade ein leckeres Abendbrot bei der lustigen, netten Frau abholen, als er vom Regen überrascht wurde. Wasser an sich war ja schon schlimm, aber wenn es von oben kam, war es am schlimmsten. Also hatte er sich im Park, wo er gerade herumstromerte, unter eine Bank gekauert und abgewartet. Eine Ewigkeit hatte es gedauert und dunkel war es auch geworden, bis es aufhörte und er wieder hervorkommen konnte. Furchtbar langweilig war es gewesen. Am Anfang hatte er sich mit einer Eichel ganz gut die Zeit vertreiben können, aber sie war ihm schon bald davon gerollt. Er hätte sie sich wieder holen können, doch dazu hätte er in diese Abart von Wetter laufen müssen, und bevor er das tat, langweilte er sich lieber.
Kurz bevor er vor Langeweile beinahe gestorben wäre, wurde es trockener. Länger hätte er es auch nicht ausgehalten. Schnurstracks hatte er sich auf den Weg zu der Frau mit dem bunten Haus gemacht. Jetzt drückte er sich zwischen zwei Zaunlatten hindurch und war mit einem Satz auf der Veranda. Stapf. Stapf. Der kleine Tiger horchte auf. Nanu? Da war noch jemand im Garten? Neugierig lugte er um die Hausecke. Ein Lichtstrahl tanzte über die schwarze Wiese auf ihn zu, dahinter eine undeutliche Gestalt. Bei jedem ihrer Schritte gab es ein schmatzendes Geräusch.
Plötzlich sah er nur noch weiß. Der Blödi hielt ihm das Licht genau ins Gesicht.
„Miaauuu!“, er fauchte wütend, machte auf dem Absatz kehrt und wetzte zur Tür. Immer noch halbblind hechtete er durch die Katzenklappe. Drinnen fuhr er sich ein paar Mal mit der Pfote über das Gesicht und putzte sich seine dreckverschmierten Pfoten, dann schlenderte er ins Wohnzimmer. Er war etwas verwundert, dass schon alles dunkel war. Ein muffiger Geruch stieg ihm in die Nase. Heilige Hühnerbrust, was war denn das? Im selben Moment erklang ein leises Schnarchen. Der kleine Kater sah genauer hin und erkannte Alfred. Er war erleichtert, nur der alte, faule Hund. Auf noch einen komischen Zweibeiner hatte er auch wirklich keine Lust gehabt. Doch wo war nur die alte Frau? Er setzte sich neben den Hund und sah sich aufmerksam um. Der Spalt unter der Schlafzimmertür war schwarz. Schlief sie etwa schon? In der Küche war es genauso dunkel und es roch nach irgendetwas zum Essen. Da fiel sein Blick auf die Treppe. Flink lief er sie hinauf, hier oben war er noch nicht gewesen. Bisher kam er nur zum Fressen oder für kleine Mittagsschläfchen im Wohnzimmer. Wenn das Wetter ab jetzt öfter so schlecht werden würde, würde er jedoch vielleicht auch längere Aufenthalte in diesem Haus unternehmen. Unter einer der Türen im oberen Stockwerk drang Licht hervor. Schnell lief er hinüber und ließ sein niedlichstes Maunzen hören. Als keine Reaktion kam, widerholte er es und kratzte ungeduldig an der Tür, um sein Betteln noch drängender zu machen. Er hörte Stimmen und leise Schritte, die Tür ging auf und Frau Sommerland blickte zu ihm hinunter. Er sah zu ihr auf und maunzte noch einmal zuckersüß. Sie lächelte.
„Du hattest wohl auch noch kein Abendbrot, hm?“ Dann verschwand sie auf der Treppe. Der kleine Kater wäre gern mit ihr gegangen, doch erst musste er seine Neugier befriedigen.
Da saß noch ein Mensch, ein Mann, und guckte ihn belustigt an.
„Du bist also der Rabauke, der die Laubhaufen auseinander nimmt.“ Der Kater starrte zurück, lief dann einmal durch das Zimmer, schnupperte an den Möbeln, guckte hinter jede Ecke und Ritze und kehrte schließlich zur Tür zurück. In dem Moment hörte er auch schon Frau Sommerland die Treppe hinauflaufen.
„Soso, du möchtest also ein wenig in Gesellschaft sein.“ Sie stellte ihm einen Napf mit frischem Fleisch neben das Sofa und setzt sich wieder zu dem Mann.
„Stört es dich, wenn er hier oben ist?“
„Keines Wegs. Bisher bin ich vor Tierhaarallergien verschont geblieben.“
Nach dem Mahl putzte er sich ein wenig. Dann beschloss er, noch ein bisschen zu bleiben. Man konnte ja nie wissen, ob diese Nacht trocken blieb. Frech sprang er mit aufs Sofa und da kein Protest erfolgte, setzte er sich zwischen die deiden.

„Ui, das war ein spannender Krimi. Danke, dass ich mitgucken durfte.“
„Danke für die Suppe. Die hat echt gut getan“
„Sie steht unten auf dem Herd, falls du noch Appetit hast.“
„Morgen vielleicht. Für heute bin ich satt.“
„Das ist schön.“ Sie wandte sich zum Gehen. „Ach, Michael?“ Er blickte auf. „Könntest du morgen den Wetterhahn ölen? Vorausgesetzt es regnet nicht. Sein Gequietsche entwickelt sich langsam zu einer echten Dauerplage.“
„Na dann, werde ich ihm mal zu Leibe rücken.“
„Vielen Dank. Ich werde jetzt nach unten gehen und mich hinlegen. Und den kleinen Rabauken hier, nehme ich mit.“
Frau Sommerland schnappte sich die leeren Schüsseln und den kleinen orangen Kater, lächelte Micheal noch einmal zu und verschwand in der Tür. Der Kater begann ungeduldig zu strampeln, also setzte sie ihn vor der Treppe ab und lief hinunter in die Küche.
Schlurfend ging sie ins Bad, zog ihr Nachthemd an und legte etwas Nachtcreme auf. Dabei folgten ihr vier kleine Pfötchen auf Schritt und Tritt. Bärbel ließ die Tür zum Wohnzimmer einen Spalt breit auf und legte sich ins Bett. Kaum hatte sie sich zugedeckt, spürte sie etwas in ihrem Bett herum tapsen. Sie drehte sich um und erkannte im Dunkeln den kleinen Tiger.
„Na gut, ausnahmsweise. Aber in Zukunft möchte ich mein Bett für mich allein haben.“
„Ich weiß gar nicht, wie ich dich ansprechen soll … Hast du überhaupt einen Namen?“ Der Kater schnurrte nur mit geschlossenen Augen.
„Dann musst du den ertragen, den ich für dich aussuche.“
Als hätte er sie verstanden, öffnete er die Augen und blickte sie herausfordernd an, ganz als wollte er sagen: „Na los! Welchen Namen willst du mir verpassen?“ Bärbel überlegte kurz.
„Oskar.“ Der Kater sah sie immer noch unverwandt an.
„Ab jetzt heißt du Oskar.“ Oskar schloss wieder die Augen und reckte seinen Hals.
„Na, zumindest scheinst du damit leben zu können.“

Rauschen. Fast als wäre man am Meer. Es dämmerte gerade erst, als Oskar aufwachte. Er gähnte und streckte sich. Dann lief er zum Fenster, schlüpfte hinter den Vorhang und sprang auf das niedrige Fensterbrett. Hinter der Scheibe erwartete ihn der gleiche Anblick wie am Abend zuvor. Graue Wolken und ein flimmernder Schleier aus Regen, der unablässig zur Erde fiel. Wo kam nur all das Wasser her? Und womit zum Teufel hatte er so ein Hundewetter verdient? Wieder ein Tag weniger, an dem er draußen nach Lust und Laune herumspazieren und neue Gärten entdecken konnte. Es würde ein langweiliger Tag werden … Missmutig sprang er wieder auf den Boden. Die alte Frau schlief noch, sie schnarchte ein bisschen. Wieso schnarchen Menschen? Und Hunde genauso?
Oskar kam der Gedanke, dass er doch, wenn er schon nicht raus konnte, das Haus noch ein wenig genauer erkunden sollte. Beschwingt trabte er ins Wohnzimmer, auch Alfred schlief - nicht weiter interessant. Da er dieses Zimmer schon recht gut kannte, huschte er gleich hinauf in den zweiten Stock. Das Zimmer von gestern Abend war verschlossen, doch es gab noch eine weitere Tür. Sie stand einen winzigen Spalt offen. Oskar lehnte sich mit den Vorderpfoten gegen das Holz, der Spalt wurde breiter und schnell huschte er hinein. Der Boden war kalt und aus platten, glatten Steinen und ein paar blaue, weiche Moosflecken wuchsen darauf.
In dem Raum gab es drei weiße Näpfe.
Einer stand auf einem Bein und hatte oben einen Deckel. Darin floss Wasser, das hatte Oskar schon oft in anderen Häusern gesehen. Die Menschen setzten sich drauf. Manchmal nahmen sie sogar das große knisternde Blatt, das in den kleinen Kästen an den Gartenzäunen steckte, mit. Irgendwann standen sie wieder auf, taten etwas, das Oskar bisher nicht definieren konnte, und dann floss laut rauschend Wasser in dem Napf.
Ein weiterer Napf hing an der Wand, auch darin floss hin und wieder Wasser. Meistens, wenn die Menschen von dem ersten Napf aufgestanden waren, manchmal auch nicht.
Der dritte Napf war der größte, er war fast so groß wie ein Bett und auch hier war ab und zu Wasser drin. Die Menschen legten sich hinein, dann hing immer dieser stechende Geruch in der Luft und, wenn kleine Menschen darin waren, schwammen oft weiße Wolken auf dem Wasser. Es gab auch einen Gartenschlauch, aus dem Regen kam. Zweibeiner schienen Wasser in Näpfen zu lieben, aber Wasser vom Himmel mochten auch sie nicht.
Oskar sprang auf den Deckel des einbeinigen Napfes. Darüber hing ein weißer Kasten. Neugierig stellte er sich auf die Hinterbeine und sprang hinauf. Dabei gab der Kasten an einer Stelle unter seiner linken Vorderpfote nach. Ein Tosen brach los. Erschrocken sprang der Kater hinunter auf den Boden und rannte zur Tür hinaus.

Bärbel schälte sich aus der Bettdecke, zog flauschige Pantoffeln über und machte sich im Bad startklar für den Tag. Auf dem Weg zur Haustür lief ihr Oskar zwischen die Beine.
„Da steckst du, kleiner Teufel.“ Schnell gab sie ihm etwas zu essen, damit er Ruhe gab. Dann machte sie sich in Gummistiefeln und mit Regenschirm auf zum Bäcker. Frische Brötchen für einen guten Start in den Tag mussten schon sein. Im Garten erschrak sie.
„Himmel, Arsch und Zwirn! Ich hab die Wäsche gestern ganz vergessen …“ Sie seufzte schwermütig. „Die kann ich nachher gleich nochmal waschen.“
Letztendlich brachte sie nicht nur Brötchen, sondern auch noch Croissants und ein neues Brot mit. Sie richtete ein umfangreiches Frühstück her und schon bald lockte der Geruch Michael aus dem Bett.
„Guten Morgen, setz sich. Möchtest du auch ein Ei?“
„Ja, gern.“ Micheal goss sich Milch in seinen Kaffee. „Das Wetter ist noch nicht viel besser geworden?“
„Nein … es gießt in Strömen. Ich hoffe, bis heute Abend ist es vorbei.“
„Hast du etwas vor?“
„Ein kleiner Spieleabend mit meinen Freundinnen.“ Bärbel schnitt zwei Brötchen auf.
„Oh, das freut mich. Du gehst viel zu selten unter Leute.“
„Da hast du Recht. Ich weiß auch nicht, irgendwie findet sich die Zeit nicht.“ Sie lächelte. „Für euch junge Leute klingt das sicher merkwürdig.“
„Ach was. Ist mir auch schon passiert.“ Beide kicherten.
„Wenn es trockener geworden ist, sehe ich mal nach dem Hahn.“
„Vielen Dank, Michael, aber pass bloß auf! Diese Schiefer sind schweineglatt, wenn sie nass sind. Warte lieber auf einen trockenen Tag, so dringend ist es nicht. Gehst du heute Abend wieder zum Stammtisch?“
„Ja.“
„Nimm dir bloß einen Schirm mit!“
Nach dem Frühstück holte Bärbel die Wäsche von draußen, wusch sie noch einmal und hing sie dann im Haus auf. Den Rest des Tages ließ sie ruhig angehen, bis zum Nachmittag las sie. Dann gönnte sie sich und Michael eine Schüssel Suppe und buk einen Kuchen mit den ersten Birnen aus ihrem Garten. Gegen sechs Uhr machte sie sich mit Kuchen und Schnaps auf den Weg zu Ingrid. Sie kam sich ein bisschen vor wie Rotkäppchen und musste lachen bei dem Gedanken.

Es war dunkel, nach dem Frau Sommerland das Haus verlassen hatte. Deshalb war Oskar nach oben gelaufen und hatte an der Tür gekratzt. Micheal hatte ihm geöffnet und ihn auf seinem Schoß sitzen lassen, während er in einen flimmernden Kasten sah, doch nach einer Weile war auch er gegangen.
Nun war Oskar allein in dem Haus. Allein mit Alfred. Allein mit einem Hund. Noch dazu mit einem so langweiligen Hund, man konnte ihn nicht einmal richtig ärgern. Das hätte er sich nie träumen lassen! Der Regen klopfte unablässig gegen die Scheiben. Dem kleinen Tiger wurde klar, dass er wohl noch eine ganze Weile in diesem Haus gefangen sein würde. Er ging hinüber zu Alfred und stupste ihn mit der Pfote in die Seite, einen Versuch konnte er ruhig wagen. Doch der Bluthund rührte sich nicht, er grunzte nur verhalten. Oskar sprang auf seinen Rücken und kletterte ihm bis auf die Stirn. Alfred schlief gnadenlos weiter. Herrje … neben dem Schnarchsack konnte der Blitz einschlagen und er würde es nicht merken. Mit dem war wirklich nichts anzufangen.
Nun entdeckte der kleine Kater eine Tüte neben dem Sessel. Was da wohl drin war? Neugierig steckte er die Nase hinein. Er stieß gegen etwas Weiches und zuckte zurück. Nanu? Vorsichtig steckte er eine Pfote in die Tüte und versuchte, das Weiche Etwas heraus zu schubsen. Es war rund und rollte nach einem Hieb mit der Pfote fast von allein auf den Teppich. Ein Wollknäul! Herrlich! Oskar stürzte sich darauf, hielt es zwischen den Vorderbeinen eingeklemmt und biss fröhlich hinein. Im nächsten Moment gab er es wieder frei und verpasste dem Knäul einen kräftigen Tritt. Ein Faden löste sich und hinterließ eine bunte Spur, als der Wollball unter dem Sessel hindurch hinüber zur Küchenecke rollte. Oskar wetzte hinterher, gab der Kugel neuen Schwung und jagte sie in jede beliebige Richtung, dabei ließ er sie keinen Moment aus den Augen. Er tobte mit ihr über den Boden, unter dem Esstisch hindurch, hinüber ins Wohnzimmer und wieder zurück. Bald merkte er, dass das Knäul immer kleiner wurde. Das machte ihn wütend und er biss noch heftiger hinein, doch schließlich fielen auch die letzten Windungen des Wollfadens auseinander. Schade … nun war der Spaß vorbei, Oskar war enttäuscht.
Trotzig sah er sich nach einer neuen Beschäftigung um. Er bemerkte, dass die Wolle kreuz und quer zwischen Küche und Wohnzimmer gespannt war, wie ein Spinnennetz. Tja, Wollknäul, es hat Spaß gemacht mit dir, aber auch der schönste Spaß hat einmal ein Ende. Ein bisschen schlecht gelaunt huschte er die Treppe hinauf und in den Raum mit den weißen Näpfen. Er lief zu dem größten hinten in der Ecke und sprang mit einem Satz hinein. Der weiße Rand war genauso kalt wie der Boden. Wie konnten die Zweibeiner sich hier stundenlang hineinlegen? Er entdeckte im Dunkeln etwas Glänzendes am gegenüberliegenden Rand; das musste er sich unbedingt genauer ansehen. Übermütig streckte er sich hinauf und berührte dabei mit der Schnauze den Hebel des Wasserhahns. Warmes Wasser lief ihm übers Gesicht und in die Nase. Pfui, pfui, pfui. Panisch und verärgert zugleich sprang der kleine Tiger hinaus. Tropfend warf er dem Hahn noch einen bösen Blick zu, schüttelte sich und verkrümelte sich schleunigst in den Flur. Igitt! Was sollte das denn?

„Möchte noch jemand einen Schluck Tee zu seinem Schnaps?“, fragte Ingrid kieck. Bärbel überlegte kurz.
„Na gut, aber nur noch einen. Sonst lacht Michael mich wieder aus.“
„Ich nehme auch noch einen“, sagte Magda und schob ihre Tasse über den Tisch. „Noch eine Runde?“
„Nur, wenn du noch ein Stück von meinem Kuchen nimmst.“
„Haha, das lasse ich mir nicht zweimal sagen.“
„Oh, oh, ist auch noch eins für mich übrig?“
„Natürlich, Ingrid! Bedien dich“, forderte Bärbel auf und teilte die Karten aus. „Aber du müsstest noch einmal Zimt und Zucker nachfüllen.“
„Na, wenn es weiter nichts ist.“
„Ich fahre nächste Woche übrigens für zwei Wochen ans Meer für eine Kur“, erzählte Magda.
„Wegen deiner Nebenhöhlen?“, erkundigte sich Ingrid und füllte den Wasserkocher auf.
„Ja, genau. Mein Arzt empfiehlt mir das ja schon lange, aber irgendwie bin ich einfach nicht dazu gekommen.“ Ingrid und Bärbel nickten wohl wissend.
„Könntet ihr beide vielleicht Walter ein bisschen unter die Arme greifen? Mit seinem Knie fallen ihm die Einkaufstouren zunehmend schwerer, besonders, wenn Getränke nötig sind, aber von selbst fragt der doch nicht.“
„Selbstverständlich. Ich könnte Micheal auch vorbeischicken.“
„Ach, das ist lieb von dir, Bärbel. Hoffentlich raube ich dem jungen Mann nicht seine ganze Zeit.“
„Ach, iwo. Ich sag ihm nachher gleich Bescheid. Wer jung ist, kann ruhig mal anpacken.“
„Schreibst du uns eine Karte?“, wollte Ingrid wissen, hängte ein Teesieb mit Earl Grey in die Kanne und stellte sie neben dem Wasserkocher ab.
„Ich schreibe euch auch zwei“, grinste Magda. „Ich bin schon so aufgeregt. An meine letzte Reise kann ich mich gar nicht mehr richig erinnern. Hoffentlich vergesse ich nichts.“
„Ach, das schaffst du schon. Schreib dir vorher eine Liste, das macht meine Tochter immer, wenn sie mit den Kindern zu mir kommt.“
„Das ist eine gute Idee.“
„So, Tee ist fertig, es kann losgeh’n!“, rief Ingrid und goss jedem eine Tasse ein. „Ich hole nur noch schnell Zimt und Zucker.
„Gib uns dieses Mal aber wenigstens eine Chance“, jammerte Bärbel.
„Ich werde sehen, was ich tun kann.“

Draußen war es dunkel, nur das orange Licht der Straßenlaternen schien durch die Wohnzimmerfenster und in das Schlafzimmer. In der Küche fiel Oskars Blick auf eine Tür, die ihm bisher nicht aufgefallen war. Vor Neugier vergaß er sein nasses Fell und schob sich drängelnd durch den Spalt. Er stand am Anfang einer steinernen Treppe, die nach unten führte, dort war stockdunkel und kühl. Der Geruch von Erde und kaltem Stein lag in der Luft. Achtsam kletterte der Tiger die Stufen hinab. Er konnte schemenhaft Körbe und Kisten ausmachen. Interessiert schnupperte er sich durch die Stapel. Wieder nur Grünzeug … Immer das gleiche.
Ein Rascheln kam aus einer Ecke und ein Mäuschen huschte durch den Raum. Lautlos beobachtete Oskar es. Der kleine Nager verschwand, schnell wie er gekommen war, hinter einem Sack. Dahin konnte der Kater ihr nicht folgen. Oskar versuchte es dennoch und machte sich daran, seine kleine Pfote in die schmalen Spalte neben dem Sack zu schieben. Er wühlte und drängte mit der Nase hinein, aber es half nichts, das sah er widerwillig ein. Deshalb legte er sich mit etwas Abstand auf die Lauer, doch Oskar war noch ein sehr junger, ungeduldiger Jäger. Schon nach kurzer Zeit dachte er ans Aufgeben, hm würden noch viele Mäuse über den Weg laufen.
Im nächsten Augenblick hörte er wieder das Rascheln und eine kleine lange Nase kam zum Vorschein. Als sich eine gute Gelegenheit bot, schnappte er sich das Mäuschen. Er hatte es gerade mit dem Maul eingefangen, als er die Haustür hörte. Vielleicht war Frau Sommerland zurück! Oder Michael! Mit der noch lebenden Maus im Maul trabte er die Treppe wieder hinauf in die Küche. Doch es war weder Frau Sommerland, noch Michael, der da durch die Tür trat, im Flur stand ein fremder Mann mit einem Licht in der Hand. Er roch nach Rauch und Regen.

Ingrid, du hast ja schon wieder gewonnen!“, beschwerte sich Bärbel.
„Entschuldigt, meine Lieben, aber heute habe ich wohl einfach ein glückliches Händchen beim Rommé.“
„Das kann man wohl sagen“, meinte Magda, „wenn das mit Skat auch so gut klappt, kannst du die Männer am Stammtisch einmal so richtig aufmischen.“
„Ach, ich kann doch gar kein' Skat. Wie wäre es mit Bridge?“
„Eine gute Idee“, sagte Bärbel begeistert. „Ich hab ewig kein Bridge mehr gespielt!“ Es klingelte an der Tür und die drei Frauen blickten verwundert in den Flur.
„Nanu?“, wunderte sich Ingrid, „Wer kann das denn jetzt noch sein?“
„Vielleichte hat Heinrich vorhin seinen Schlüssel vergessen“, überlegte Bärbel.
„Wäre nicht das erste Mal“, feixte Ingrid und ging zur Haustür. Als sie öffnete, stand ein triefnasser Mann vor ihr. Er hob die Kapuze etwas hoch und sah Ingrid fragend an, inter ihm kam Heinrich schlurfend den Weg entlang.
„Ach, Michael! Jetzt erkenn ich Sie erst. Entschuldigung. Kommt rein, kommt rein. Wieso seid ihr denn schon zurück? War heut nichts los bei euch?“ Die beiden Männer drängten sich in den Flur und zogen ihre tropfenden Regenjacken und Schuhe aus.
„Heinrich, such doch bitte ein paar Schlappen für Michael raus, ich setz für euch noch schnell Tee auf.“
„Ein Grog würde es auch tun“, grinste Michael viel sagend. Ingrid lächelte keck und ging zurück zu ihren Mädels.
„Bei den Männern ist schon Feierabend“, verkündete sie der staunenden Runde.
„Ach nee“, sagte Bärbel, „Und der Michael will mich wohl aus dem Kinderparadies abholen?“ Michael war soeben durch die Tür getreten und setzte sich an den Tisch.
„Wir wollten uns eigentlich eurer Runde noch ein wenig anschließen. Walter war müde und wir haben ihn noch nach Haus gebracht.“
„Oh, das ist nett“, bedankte sich Magda.
„Ihr habt Glück, es ist sogar noch Kuchen übrig.“
„Der Gute mit den Birnen aus dem Garten?“, fragte Heinrich interessiert.
„Genau.“
„Und was treibt ihr sonst so?“
„Wir wollten grad mit Bridge anfangen, aber dafür sind wir jetzt wohl zu viele“, meinte Ingrid.
„Rommé?“, fragte Michael. Die Frauen prusteten.
„Könnt ihr gut verlieren?“, fragte Bärbel.
„Zwei mal Grog für die Herren“, kündigte Ingrid an und stellte zwei Tassen auf den Tisch.
„Ach, Ingrid, wenn du schon dabei bist…“, begann Magda.
„Kommt sofort.“

Oskar stand wie versteinert in der Kellertür. Wer war diese Type? Und was zum Mauseloch wollte er hier? Er hatte ihn noch nie gesehen oder gerochen und glaubte auch nicht, dass er hier etwas verloren hatte. Die Type stand fast ebenso regungslos da. Geräuschvoll zog der Mann die Nase hoch.
„Dann woll’n wir mal.“ Seine Stimme war rau und klang nach grober Baumrinde, er trug einen dichten Bart und robuste Kleidung. Unter schnaufen steckte er den Lichtstrahl in die Innentasche seiner Jacke. Darüber war Oskar sehr froh. Einmal blind gewesen zu sein reichte ihm für ein Katzenleben. Der Fremde blickte sich suchend um, dabei entdeckte er den kleinen Tiger.
„Wen haben wir denn da?“ Er ging in die Hocke und streckte eine Hand aus. Was wollte der denn? Oskar war empört, er war doch kein dummer Hund, der sich mit so etwas locken ließ. Feindselig bog er den Rücken zu einem Buckel, stellte sein feuriges Fell auf und fauchte mit funkelnden Augen. Die Maus fiel aus seinem Maul und flüchtete in wilder Panik, aber erleichtert, dass sie noch eine Chance bekam, davon. Oskar fluchte. Diese Zweibeiner konnten einem wirklich alles verderben. Schön, dieses Spiel konnte er mitspielen. Mit einem gewaltigen Satz sprang er dem Eindringling entgegen.

Michael und Bärbel waren auf dem Weg nach Hause. Als der Kuchen und der Schnaps zur Neige gegangen waren, machte die Runde diesen Umstand zum Anlass, um getrennter Wege zu gehen. Ein paar Ecken waren sie noch mit Magda zusammen gegangen, bis sie in unterschiedliche Richtungen mussten. Die Regenwolken lichteten sich allmälig und einige Sterne kamen zum Vorschein.
„Ach, das war ein schöner Abend“, seufzte Bärbel.
„Schön, dass es dir gefallen hat. Ihr könntet das ruhig öfter machen. Bei dir ist doch genug Platz und mich stört es nicht, wenn es etwas später wird.“
„Das stimmt. Aber alte Leute haben immer so viel zu tun.“ Sie lachten.
„Ich werde dich hin und wieder daran erinnern, auch einmal etwas anderes zu tun zu haben.“ Gemeinsam stapften sie durch die Pfützen und das raschelnde Laub. Michael blickte gen Himmel.
„Vielleicht kann ich mir morgen endlich mal deinen Hahn angucken.“

Mit ausgefahrenen Krallen landete Oskar auf dem Knie des Mannes, der es nicht rechtzeitig geschafft hatte aus der Hocke hochzuschnellen. Flink kletterte der Kater hinauf zur Schulter und holte mit der Pfote aus. Er erwischte den Fremden an der rechten Wange und hinterließ drei tiefrote Streifen. Der griff nach dem Fellknäul, das sich schmerzhaft in seine Schulter krallte, und Oskar wurde mehr schlecht als recht im Nacken gepackt. Die Hand wollte gerade zum Wurf aushole - Oskar machte sich schon auf einen unkontrollierten Flug gefasst - als der Vollbärtige den Halt verlor und rücklings auf den Boden knallte. Dabei ließ er den Kater los, der geschickt auf den Pfoten landete und sich in einen sicheren Abstand begab.
Er guckte sich um und erkannte die Ursache der Wendung. Ein reflektierender spiegelglatter Teppich hatte sich von der Treppe aus auf dem Boden ausgebreitet. Oskar blickte die Treppe hinauf. Beim Anblick des leise plätschernden Wasserfalls, erinnerte er sich an seinen Ausflug in den Raum der Näpfe. Hups. Aber immerhin hatte es geholfen: auf dem rutschigen Laminat war der Einbrecher prompt ausgerutscht, als er Schwung holen wollte.
„…kleines Biest….“ Auweia! Jetzt aber nichts wie weg. Unter Stöhnen und Ächzen rappelte sich der Mann auf und machte Anstalten, den Tiger wieder einzufangen, doch der war schneller und schlüpfte zwischen Stuhlbeinen hindurch.
Während er das Treppengeländer hinaufkletterte, um möglichst wenig Kontakt mit dem Wasser zu bekommen, hörte er hinter sich wieder einen gewaltigen Rumms. Neugierig drehte er sich um.
Der Einbrecher hatte sich in den kreuz und quer zwischen den Möbeln gespannten Wollfäden verheddert und lag mit dem Gesicht auf dem Boden. Ja, ein bisschen Chaos kann hilfreich sein. Oskar hielt die Gelegenheit für günstig, um einen neuen Angriff zu starten und in dem Moment, in dem er sich in Bewegung setzte, hörte er ein erneutes, dumpfes Schnaufen. Ein Schatten kam aus dem dunklen Wohnzimmer heran getrottet und ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf den Rücken des Bärtigen plumpsen. Alfred! Sogar große, träge Hunde konnten hilfreich sein. Wer hätte das gedacht? Zufrieden lief der kleine Tiger hinüber. Der Mann versuchte den Kopf zu heben und zu begreifen, was in den letzten Augenblicken geschehen war, doch als er Oskar mit erhobener Pfote vor sich sah, legte er seinen Kopf schnell wieder ab und schloss kapitulierend die Augen.

Als Frau Sommerland und Michael durch die Tür traten und das Licht einschalteten, wussten sie erst gar nicht recht, was sie mit dem Bild anfangen sollten, das sich ihnen dort bot. Mitten zwischen Küchenecke und Wohnzimmer lag ein Mann, den sie nicht kannten, begraben unter Alfred, der schwer wie ein Sack Getreide auf seinem Rücken lag und drumherum stolzierte patschend ein kleiner oranger Kater mit aufgestelltem Schwanz hin und her. Stühle lagen daneben, der Sessel aus dem Wohnzimmer und der Küchentisch hatten ihre Plätze verlassen und waren auf einander zugeglitten wie ein Tanzpaar. Rote Wolle durchzog die Szenerie, die von der spiegelnden Wasseroberfläche abgerundet wurde.
Nur langsam gewannen sie eine Vorstellung von den Ereignissen und riefen die Polizei. Der Mann wurde wegen Hausfriedensbruch und Einbruch festgenommen. Er hinterließ eine halbe Nacht Wischarbeit und zwei nasse Fellballen, die für ihre Heldentat ununterbrochen Aufmerksamkeit einforderten, in dem sie beim Aufräumen im Weg herumstanden. Bärbel und Michael wischten Eimer um Eimer Wasser zusammen. Das Laminat war aufgequollen und musste demnächst unbedingt ausgetauscht werden. Die Treppe hatte es zum Glück ganz gut überstanden. Das Wasser musste von oben gekommen sein. Sie fanden einen laufenden Wasserhahn und eine randvolle, überlaufende Badewanne.
Nachdem das Gröbste getan war, bekamen Alfred und Oskar ein extra leckeres Nachtmahl, Bärbel und Michael gönnten sich noch einen Teller Suppe und heiße Milch mit Honig. Völlig ausgelaugt saßen sie bei Michael auf dem Sofa.
„Es ist mir völlig schleierhaft, wie die beiden es geschafft haben, das Haus unter Wasser zu setzen“, murmelte Bärbel.
„Walle! Walle! Manche Strecke…“, kommentierte Michael.
 



 
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