Herr K. und das Tissue-Komplott

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Rumpelsstilzchen

Foren-Redakteur
Teammitglied
Herr K. hatte den letzten Artikel gelesen und ordnete die Zeitung sorgfältig nach Seitenfolge, ehe er sie sauber gefaltet am Tischrand ausrichtete. Dann trank er den verbliebenen Rest Morgenkaffee und schob den Stuhl zurück, um den Tisch abzuräumen.
Das benutzte Geschirr wusch Herr K. sofort ab und verstaute es in den Schränken, denn er hasste nichts mehr, als abends in eine unaufgeräumte Küche zu kommen.

Außerdem hatte das Recken und Beugen nach Ober- und Unterschränken den vorteilhaften Effekt, dass seine Peristaltik angeregt wurde. Ein prüfender Rundblick in der aufgeräumten Küche, der auf der Uhr endete, bevor er ins Bad ging.
Er lag gut in der Zeit und da der Verkehrsbericht auch keine besonderen Behinderungen gemeldet hatte, standen ihm üppige dreißig Minuten für seine Darmentleerung und die restliche Morgentoilette zur Verfügung.

Die meisten seiner Kollegen erledigten ihre Geschäfte während der bezahlten Arbeitszeit, wie ihm seine Nase unmissverständlich mitteilte, wenn ihn der Morgenkaffee in der Frühstückspause auf die Abteilungstoilette trieb.
Herr K. verachtete solche Schmarotzer.
Sie betrogen die Allgemeinheit um wertvolle Mannstunden, schissen buchstäblich auf ihren Diensteid! Er fand es erstaunlich, dass es hierüber keinerlei statistisches Material zu geben schien, wo sein Amt doch sonst alles erfasste. Schließlich ging es hier um Millionen an Steuergeldern, die in die Kanalisation gespült wurden. Manchmal, wenn er nach der halben Flasche Wein, die er sich Freitags beim Abendessen gönnte, von seinem baldigen Aufstieg zum stellvertretenden Abteilungsleiter träumte, spielte er mit dem Gedanken, eine Erfassung der Toilettenaufenthalte vorzuschlagen.
Nicht personalisiert selbstverständlich, schließlich gab es Datenschutz.
Er hatte schon alles genau überlegt: Man müsste lediglich die Türknebel gegen solche mit Zählwerk und Zeiterfassung austauschen. Technisch kein Problem. Er war überzeugt, dass diese Investition sich in kürzester Zeit amortisieren würde, wenn die aus den Daten gewonnenen Erkenntnisse in konsequente Dienstvorschriften umgesetzt würden.
Bisher hatte er es allerdings noch nicht gewagt, diesen Vorschlag in der wöchentlichen Dienstbesprechung zu unterbreiten, denn möglicherweise existierte bereits eine solche Statistik, ohne dass er davon wusste. Seine diskreten Nachforschungen waren zwar ergebnislos geblieben, aber wusste er, ob nicht bereits hochbrisantes Material zu diesem Thema im Giftschrank eines Ministerialdirektors lag? Politisch inopportun und totgeschwiegen? Er wäre erledigt.

Nachdem Herr K. mit runtergelassenen Hosen auf der Toilettenbrille Platz genommen hatte, hielt er seinen Anus noch eine Weile geschlossen. Die bewusste Kontrolle seines Schließmuskels im Kampf gegen den drängenden Darminhalt bestätigte ihm jeden Morgen seine Selbstbeherrschung, auf die er mit Recht stolz war, wie er fand.
Niemals würde er sich so gehen lassen, wie Frau Rebstein aus der EDV, die auf der Weihnachtsfeier den ganzen Flur voll gekotzt hatte! Aber bei so einer Schlampe konnte man wohl nichts anderes erwarten. Er mochte nicht wissen, wie viel Zeit die auf der Damentoilette verbrachte.

Schließlich gab er nach und schloss andächtig die Augen, während sich sein Darm entleerte. Ganz von allein und ohne Drücken, denn Herr K. achtete auf ballaststoffreiche Ernährung. Er blieb noch eine Weile sitzen und genoss die angenehme Leere.
Früher hatte er dabei immer Zeitung gelesen, bis er eines Tages zwangsweise verzichten musste, weil starker Schneefall die pünktliche Auslieferung verhindert hatte. Zum ersten Mal seit seiner Kindheit hatte er dem Vorgang seine volle Aufmerksamkeit geschenkt und überrascht festgestellt, wie die Konzentration auf das Wesentliche die unverdaulichen Schlacken in seinem Gemüt zusammen mit dem Kot abführte.
Ziellos streiften Herrn K.s Blicke umher, blieben an der leeren Papprolle im Papierhalter hängen. Natürlich war das kein Problem, denn ihm gegenüber an der Wand gelehnt stand ein voller Zehnerpack mit Tissue-Papier. Seine Nachlässigkeit ärgerte ihn trotzdem. Eigentlich hatte er gestern nach dem Einkauf eine neue Rolle einhängen und den Vorratspack in den Abstellschrank räumen wollen. Dann hatte Frau Kohlscheidt von drüber geklingelt. Natürlich brauchte sie wieder was, konnte die sich ihren Einkauf eigentlich nicht aufschreiben?
Plötzlich stutzte er.

Stirnrunzelnd griff er nach dem Paket:
10 Rollen mit je 250 Blatt feines Tissue-Papier.
Dreilagig.
34m je Rolle.
Blattgröße 14x11cm.

Etwas stimmte hier nicht.
Zahlen waren seine Welt, da machte ihm keiner was vor.
Er las noch einmal:

10 Rollen mit je 250 Blatt feines Tissue-Papier.
Dreilagig.
34m je Rolle.
Blattgröße 14x11cm.

Fieberhaft begann er zu rechnen:
Vierzehn mal zweihundertundfünfzig.
Zehn mal zweihundertundfünfzig waren zweitausendfünfhundert.
Vier mal zweihundertundfünfzig ergaben noch mal tausend.
Zusammen dreitausendfünfhundert Zentimeter.
Das waren fünfunddreißig Meter.

Zur Sicherheit wiederholte er seinen Rechengang, aber das Ergebnis war eindeutig:
35 Meter je Rolle.
Nicht 34.
Sein Pulsschlag beschleunigte sich.
Was ging hier vor?
Ein Komplott der Papierindustrie?
Noch durchschaute er die Angelegenheit nicht vollständig.

Für einen Moment überlegte er, die Blätter der Rollen zu zählen, doch ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass dafür keine Zeit blieb. Aber das würde er nachholen, beschloss Herr K. und riss mit einem entschlossenen Ruck die Verpackung auf. Während er sich den Hintern abwischte, stellte er im Geist schon die Parameter zusammen, die zu überprüfen waren.

Blattzahl natürlich.
Einzelne Blattgröße.
Gesamtlänge auf der Rolle.

Natürlich konnte er sich bei seiner Untersuchung nicht auf eine Rolle beschränken, für eine qualifizierte Aussage waren Dutzende, wenn nicht Hunderte erforderlich.

Als er sich die Hände wusch, fiel ihm ein Punkt ein, der die Messungen erheblich erschweren würde: Luftfeuchtigkeit, beziehungsweise Feuchtigkeit überhaupt. Papier war hygroskopisch, wie er leidvoll immer wieder erfahren musste, wenn die Putzfrau den Tisch nicht richtig trocken gewischt hatte, bevor sie die Unterlagen zurück räumte. Regelmäßig waren die Dokumente wellig verformt, weil sich das Papier gedehnt hatte.

„Es wird nicht einfach werden, konstante Messbedingungen zu schaffen“, sagte er zu seinem Spiegelbild und bleckte die Zähne, um zu kontrollieren ob seiner Zahnbürste ein Speiserest entgangen war.

Diese unübersichtlichen Rollenanfänge und -enden, bei denen man nie genau wusste, wo ein Blatt aufhört und das nächste beginnt, waren ein weiterer Unschärfefaktor, den es zu berücksichtigen galt.

Herr K. zog sich den Mantel über, sah noch einmal nach, ob alle Lampen und Geräte ausgeschaltet waren, dann nahm er seine Tasche und verließ die Wohnung.

Als er die Tür hinter sich zu zog, war er sicher, auch dafür eine Lösung zu finden, aber jetzt hatten zunächst seine Dienstpflichten Vorrang.
 
D

dubidu

Gast
Schön,

liebes Rumpelsstilzchen,
ich weiß nur noch nicht, ob dein Herr K(otzbrocken) ein noch größerer Idiot ist als mein Herr A(rschloch) ist.
Gruß
gez. das dubidu
 

Gandl

Mitglied
Liebes rumpelsstilzchen,
brillant, wie nicht anders von dir zu erwarten.
Dein Blick auf den Durchschnittsbürger (der aber genau dieses "Durchschnitt" nicht gelten lassen würde, und "Bürger" auch nicht) lässt mich schuddern. Aber: habe ich auch nicht manchmal solche Anwandlungen?
Des beginnenden Wahnsinns? Aber nein, aber nein, es ist doch nur so: dass ich mich nicht verarschen lasse.
Und wir wissen doch alle: Die Industrie versuchts immer wieder.
Na, und Alle Anderen doch auch!
Deswegen: Hut ab! vor deinem Prot.
Na, und vor dir, dass du das so (dem Wahnsinn gleich) aufgeschrieben hast.
Liebe Grüße
Gandl
 



 
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