Herribert Schlingenreif's Vernissage

othello

Mitglied
Herribert Schlingenreif’s Vernissage

„Herribert, was für eine wunderbare Idee, Deine Vernissage mit einem Tanz in den Mai zu verbinden (Küsschen rechts, Küsschen links)und vielen Dank für Deine Einladung."
Ich lasse mich von diesen beiden, mir vollkommen unbekannten Damen ablutschen und schaue auf den Rest der sogenannten geladenen Gäste. Alle stehen lachend, mit einem Champagnerkelch in der Hand vor meinen neuen Bildern aber keiner setzt sich damit wirklich auseinander. Hätte ich Spiegel an die Wände genagelt dann wäre das Echo besser gewesen. Zumindest bei den Damen.
Wie sie mich ankotzt, diese Hamburger Schickeria!
Diese Fassaden auf zwei Beinen, die vom wahren Leben, bzw. Überleben keine Ahnung haben und so tun, als würden sie die Welt bewegen. Mir bleibt nichts anderes übrig, ich muss sie einladen. Nur so habe ich die Chance, ab und zu mal eines meiner Werke zu veräußern. Äußerst ungern, sei bemerkt, denn es kaufen nur die Mitgebrachten, die Geladenen haben schon ein Gemälde von mir im Keller stehen.
Ich stelle mich hinter die große Palme auf meinem Dachgarten und sehe auf die Stadt hinunter. Vor mir tanzen die vielen Lichter des Hafens, die sich in der Elbe spiegeln. In solchen Momenten schöpfe ich Kraft, das alles zu ertragen. Ich werde ausgehalten, wie ein Gigolo.
Von meiner Kunst könnte ich mir dieses Atelier samt Wohnung und Terrasse über den Dächern Hamburgs nicht leisten.
Diese schwatzenden Dumpfbacken neben mir, DIE zahlen die Miete. Dafür mache ich alle drei Monate einen Kunstevent auf dem man sich trifft, vor allem aber sieht. Die Ladys in Gucci oder Dior, auf den Gürtelschnalle glänzen die Buchstaben D&G für Dolce & Gabbiana, die aber eher für doof und geil stehen sollten. Die Herren in ihren Boss Hemden, wild gestikulierend weil sie ihrem Vis-a-vis den Aktienfall erklären. Ich fühle mich angeödet, gleichzeitig aber aufgefordert einen Akzent zu setzen und komme hinter meiner Dachpalme hervor, schreite aufrecht zu dem überladenen Buffet-Tisch. Man lächelt mir zu, ich höre „Herribert, komm doch mal hier hin“ und „Herribert, setze Dich zu uns!“ Widerlich, ich möchte es nicht hören und da kommt es über mich. Ich beuge mich vor und versenke mein Haupt in dem riesigen Gefäß mit der Maibowle. Wunderbar, um mich herum schwimmen Früchte, ein leichtes Erdbeeraroma wird wahrgenommen und außer einem Rauschen, dringt kein Ton in meinen Gehörgang. Ich mache den Mund auf und koste dieses süße Nass. Schluck für Schluck. Mehr und immer mehr. An ein Aufhören ist nicht zu denken.
„Herribert, was soll das, lass diese Albernheiten.“
Ah, der Mäzen spricht zu mir.
Mein Gesicht ruht auf den zermatschten Erdbeeren. Ich richte mich auf und schaue in die Visagen der Gesellschaft. Fassungslos und mit leicht geöffnetem Mund starren sie mich an. Von irgendwo her ist ein hysterisches Kichern zu vernehmen.
Sie wissen nicht, ob sie es als Peinlichkeit oder als Provokation einstufen sollen. Blitzlichter flammen vor meinen Augen auf. Für die Presse ist das natürlich ein gefundenes Fressen.
„Herr Schlingenreif, warum haben Sie das getan“, fragen mich die einzelnen, angeschleppten Reporter dieser mediengeilen Meute.
„Sehen Sie sich doch um, meine lieben Schreiber, um diese Gäste ertragen zu können war es erforderlich und jetzt entschuldigen Sie mich bitte“.
Danach verschwinde ich, lächelnd und zufrieden entledige ich mich meiner Kleidung und gehe unter die Dusche. Der warme Wasserstrahl beflügelt mich, er inszeniert in meinem Hirn eine Farbenexplosion.
Inspiriert hülle ich den feuchten, nackten Körper in einen Malermantel und eile in mein Atelier.
Erleichtert fühle ich mich, Fröhlichkeit schleicht sich ein, ein Glücksgefühl – wie schon lange nicht mehr gespürt.

Nur eine neue Wohnung – die werde ich mir bald suchen müssen.
 



 
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