Ich höre das Freizeichen. Der Ton mischt sich mit dem Rauschen des Blutes, dem hämmernden Puls in meinem Ohr. Endlich das ersehnte Knacken. „Ja, hallo?“ Ich lege wieder auf. Du sollst nicht wissen, dass ich es war, die angerufen hat, ohne Sinn und Anliegen, einfach nur, um deine Stimme zu hören. Immer wieder wähle ich deine Nummer für diese zwei Worte. Manchmal warte ich ein wenig länger, bis du ein zweites Mal, schon ärgerlich, „hallo“ sagst und dann auflegst. Ich habe Angst, eines Tages sagst du meinen Namen, weil du es längst geahnt hast oder ich mich durch ein unbewusstes Seufzen verraten habe. Aber das passiert nicht. Es bleibt beim immer gleichen: „Ja, hallo?“
Seit fünf Jahren kämpfe ich mich Tag für Tag durch das Labyrinth Bahnhof Friedrichstraße. Es ist tückisch, verändert sich stündlich. Gänge werden zu Sackgassen, Treppen zu Fallgruben. Jeder Weg führt zu Zäunen oder Lattengängen – eng, klapprig, stinkend – durch die sich eilig Tausende von Menschen schieben und drücken, bis sie endlich ins Freie platzen wie Mettwurst aus der Pelle. Aufatmen kann man kaum, nirgends in dieser Stadt ist man sicher vor Gerüsten und rot-weißen Sperren.
Ich träume: Wir gehen die Schönhauser Allee entlang. Die Häuser verändern sich ständig, springen hin und her. Mein Blick versucht, ihnen zu folgen. Du hältst mich an der Hand, damit ich nicht davonfliege. Wir müssen die Straße überqueren. An einer Ampel bleiben wir stehen. Autos - ich hatte sie zuvor nicht bemerkt. Sie fahren unablässig, der Ampelmann bleibt rot. Ich kann auch nicht mehr fliegen, kann mich gar nicht mehr bewegen, bis zu den Knöcheln eingesunken stehe ich im Asphalt.
Ich gehe die Straße hinunter zu deinem Haus, läute, du öffnest. Ich stehe in deinem Zimmer. Du hast mich begrüßt und gelächelt. Ein Lächeln ohne Bedeutung, da du es jedem schenkst. Ich wage es nicht, dir in die Augen zu sehen, noch, ein Wort mit meiner wahren Stimme zu sagen, nicht mit der plätschernden, die du immer von mir hörst. Und doch genieße ich die Augenblicke, die ich bei dir sein kann. Vorsichtig, aus Augenwinkeln beobachte ich das Spiel deiner Hände, deine geschmeidigen, freien Bewegungen. Du erzählst von deinem Sohn, der gestern hier war. Er hat Probleme in der Schule, und du machst dir Sorgen. Sein Hund Paula ist bei dir und wird ein paar Tage bleiben. Ich kann immer nur nicken zu allem, was du sagst. Mein Lächeln ist verzerrt, meine Finger kalt und steif, als ich mich umdrehe, um zu beginnen...
Ich träume: Wir gehen in Großmutters Haus. Es steht aber nicht mehr in ihrem Dorf, sondern mitten auf dem Alexanderplatz. Menschen sind da, die durch die Fenster schauen. Manche halten ihre Hände an beide Seiten des Gesichts und pressen sie an die Scheiben. Es kommen immer mehr. Großmutter steht vor uns. Sie sagt etwas, doch ich kann sie nicht verstehen, es ist zu laut. Jetzt stürzt auch die Wand zur Küche ein. Zwei Handwerker fangen an, den Bauschutt in Kisten zu laden. Andere bohren und hämmern im Nebenraum. Ich schaue Großmutter fragend an. „Wir bauen um,“ sagt sie, ich lese es von ihren Lippen ab, „Du weißt doch, es ist nicht gut genug für ihn.“
Ich stelle mir vor: Ich wähle deine Nummer und bleibe diesmal nicht stumm.
- Ja, hallo?
- Ich bin’s.
- Was kann ich für dich tun?
- Ich rufe einfach nur so an.
- Das verstehe ich nicht.
- Ich wollte deine Stimme hören.
Du lachst nicht, wie ich geglaubt hatte, du legst auch nicht auf, du schweigst einfach. Das Brennen im Hals erstickt mich fast.
- Kannst du bitte etwas sagen? Irgend etwas?
Du schweigst. Ich lege auf.
Meine Kehle ist trocken, der Schrei bleibt ohne Laut. Vor meinen Augen dreht sich das Zimmer. Bücher fliegen durch den Raum, landen auf dem Bauch. Der Fernseher hat den Bildschirm zur Wand gedreht, dein Bild klebt unerreichbar an der Decke, ich muss es anstarren; könnte ich es zerreißen, verbrennen...
Ich habe deine Nummer aus meinem Adressbuch gestrichen. Sie ist noch in meinem Kopf, zu oft habe ich sie gewählt. Ich kann nur hoffen, dass ich sie irgendwann vergessen werde.
Seit fünf Jahren kämpfe ich mich Tag für Tag durch das Labyrinth Bahnhof Friedrichstraße. Es ist tückisch, verändert sich stündlich. Gänge werden zu Sackgassen, Treppen zu Fallgruben. Jeder Weg führt zu Zäunen oder Lattengängen – eng, klapprig, stinkend – durch die sich eilig Tausende von Menschen schieben und drücken, bis sie endlich ins Freie platzen wie Mettwurst aus der Pelle. Aufatmen kann man kaum, nirgends in dieser Stadt ist man sicher vor Gerüsten und rot-weißen Sperren.
Ich träume: Wir gehen die Schönhauser Allee entlang. Die Häuser verändern sich ständig, springen hin und her. Mein Blick versucht, ihnen zu folgen. Du hältst mich an der Hand, damit ich nicht davonfliege. Wir müssen die Straße überqueren. An einer Ampel bleiben wir stehen. Autos - ich hatte sie zuvor nicht bemerkt. Sie fahren unablässig, der Ampelmann bleibt rot. Ich kann auch nicht mehr fliegen, kann mich gar nicht mehr bewegen, bis zu den Knöcheln eingesunken stehe ich im Asphalt.
Ich gehe die Straße hinunter zu deinem Haus, läute, du öffnest. Ich stehe in deinem Zimmer. Du hast mich begrüßt und gelächelt. Ein Lächeln ohne Bedeutung, da du es jedem schenkst. Ich wage es nicht, dir in die Augen zu sehen, noch, ein Wort mit meiner wahren Stimme zu sagen, nicht mit der plätschernden, die du immer von mir hörst. Und doch genieße ich die Augenblicke, die ich bei dir sein kann. Vorsichtig, aus Augenwinkeln beobachte ich das Spiel deiner Hände, deine geschmeidigen, freien Bewegungen. Du erzählst von deinem Sohn, der gestern hier war. Er hat Probleme in der Schule, und du machst dir Sorgen. Sein Hund Paula ist bei dir und wird ein paar Tage bleiben. Ich kann immer nur nicken zu allem, was du sagst. Mein Lächeln ist verzerrt, meine Finger kalt und steif, als ich mich umdrehe, um zu beginnen...
Streicheln
Die schwarze Hündin
Streicht von deinem Schoß
Zu meinem
Sie schmiegt sich an
Nimmt meinen Duft wahr
Und vertraut
Schwänzelnd stellt sie sich
Zwischen dich und mich
Du bemerkst es nicht
Die schwarze Hündin
Streicht von deinem Schoß
Zu meinem
Sie schmiegt sich an
Nimmt meinen Duft wahr
Und vertraut
Schwänzelnd stellt sie sich
Zwischen dich und mich
Du bemerkst es nicht
Ich träume: Wir gehen in Großmutters Haus. Es steht aber nicht mehr in ihrem Dorf, sondern mitten auf dem Alexanderplatz. Menschen sind da, die durch die Fenster schauen. Manche halten ihre Hände an beide Seiten des Gesichts und pressen sie an die Scheiben. Es kommen immer mehr. Großmutter steht vor uns. Sie sagt etwas, doch ich kann sie nicht verstehen, es ist zu laut. Jetzt stürzt auch die Wand zur Küche ein. Zwei Handwerker fangen an, den Bauschutt in Kisten zu laden. Andere bohren und hämmern im Nebenraum. Ich schaue Großmutter fragend an. „Wir bauen um,“ sagt sie, ich lese es von ihren Lippen ab, „Du weißt doch, es ist nicht gut genug für ihn.“
Ich stelle mir vor: Ich wähle deine Nummer und bleibe diesmal nicht stumm.
- Ja, hallo?
- Ich bin’s.
- Was kann ich für dich tun?
- Ich rufe einfach nur so an.
- Das verstehe ich nicht.
- Ich wollte deine Stimme hören.
Du lachst nicht, wie ich geglaubt hatte, du legst auch nicht auf, du schweigst einfach. Das Brennen im Hals erstickt mich fast.
- Kannst du bitte etwas sagen? Irgend etwas?
Du schweigst. Ich lege auf.
Meine Kehle ist trocken, der Schrei bleibt ohne Laut. Vor meinen Augen dreht sich das Zimmer. Bücher fliegen durch den Raum, landen auf dem Bauch. Der Fernseher hat den Bildschirm zur Wand gedreht, dein Bild klebt unerreichbar an der Decke, ich muss es anstarren; könnte ich es zerreißen, verbrennen...
Ich habe deine Nummer aus meinem Adressbuch gestrichen. Sie ist noch in meinem Kopf, zu oft habe ich sie gewählt. Ich kann nur hoffen, dass ich sie irgendwann vergessen werde.