Holzwurmliebe

gnoebel

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Es war einmal ein kleiner Holzwurm namens Paul. Paul lebte zusammen mit dem Eichhörnchen Norbert in einer Art Wohngemeinschaft in einer Buche. Diese wiederum stand in einem Wäldchen in der Nähe von Bielefeld.
Norbert wohnte in der Dachgeschoßwohnung, also in der Krone des Baumes, denn von dort hatte er die beste Aussicht auf die Umgebung. Paul fand das ganz praktisch, denn er selber hatte Höhenangst und darum lebte er weiter unten in einer Höhle im Baumstamm. Die hatte er damals persönlich angelegt. Früher hatte er auf einem Schiff gewohnt und dort die Masten angefressen, aber irgendwann fühlte er einfach, daß er alt werde und langsam seßhaft werden könnte.

Eines Tages dann, es war ein sonniger Dienstag morgen, der Tau glitzerte noch auf der Wiese, das Sonnenlicht brach sich romantisch in den Tropfen und malte kleine Regenbögen auf die Grashalme, ein Laubfrosch quakte den Mond an, merkte, daß der Mond an diesem Morgen gar nicht am Himmel zu sehen war, sprang ein wenig beschämt in einen Teich, ärgerte einige Wasserflöhe, fühlte sich ein wenig besser, setzte sich auf ein Seerosenblatt und verfiel in einen sanften Mittagsschlaf, wobei er die frühe Stunde mit Absicht ignorierte.
An diesem Morgen also schlug Norbert Alarm. Er hatte einen Holzwurm gesehen, der langsam und gemächlich über die nahegelegene Wiese trottete. Er sagte seinem Freund Bescheid und als der diesen offensichtlich weiblichen Wurm sah, war er sofort Feuer und Flamme. Schnell wie der Blitz rannte er in seinen Bau, kämmte sich die Haare, putzte die Zähne, zog sich eine frische Unterhose an, bemerkte, daß er all diese Sachen als Holzwurm gar nicht hatte, legte sie deswegen wieder in die Schublade zurück, verließ seine Höhle und nagte in die Baumrinde ein großes Herz.

Es war sehr schönes Herz, mit zwei Höckern oben und einer Spitze unten. Es hatte alles, was ein richtiges Herz ausmachte, dachte Paul und aus der Perspektive eines Holzwurmes war das auch durchaus richtig. Jedoch beachtete der andere Holzwurm dieses Meisterwerk moderner Holzwurm-Liebes-Lyrik nicht, sondern schlenderte stattdessen einfach an dem Baum vorbei. Paul sprang vom Baum, landete in einem Hundehaufen, putzte sich notdürftig mittels eines Löwenzahnblattes, pflückte einen Strauß Blumen (in Wirklichkeit hob er einfach ein paar herumliegende Löwenzahnschirmchen vom Boden auf und band sie zusammen), und folgte seiner Angebeteten.

„Hallo, ich bin der Paul...“ sagte er, als er ihr endlich, ein wenig außer Atem zwar, aber so glücklich, wie selten zuvor in seinem Leben, gegenüberstand, und ihr in die strahlend blauen Augen blickte.
„Ich bin die Uschi.“ antwortete Uschi ein wenig pikiert angesichts des dreckigen Paul, dessen Katzenwäsche vorhin nicht allzuviel gebracht hatte.
„Ich... Ich habe dir... Blumen gepflückt...“
„Oh, das ist aber nett von dir, danke... Paul...“ Sie wurde rot und versuchte, Pauls Blicken auszuweichen. Unschlüssig und ein wenig schüchtern spielte sie mit den Löwenzahnschirmchen in ihren Händen, nicht sicher, wie sie reagieren sollte, denn eigentlich war er ja ganz niedlich.
„Weißt du, ich habe dich vorhin auf der Wiese gesehen und...“ begann Paul.
„Ja...?“
„Und da habe ich...“
„Raus damit.“
„Ich... ich... es ist zu kitschig, du würdest lachen.“
„Ich lache grundsätzlich nicht über Holzwürmer.“
„Puh, da bin ich aber froh, weil ich bin einer.“
„Ja, ich auch.“ Das ermutigte Paul, denn zumindest seine Kenntnisse in der Wurmanatomie hatten nicht nachgelassen, im Gegensatz zu seiner normalen Selbstsicherheit.
„Na gut, also ich habe dir was gebastelt.“ sagte er ein wenig nervös.
„Ein Schaukelpferd? Das wollte ich schon immer haben!“
„Bitte? Nein... nein, das weniger... dreh dich einfach mal um.“ Sie tat es und fiel in Ohnmacht.

Vor ihnen stand Norbert. „Du hast mir ein stinkendes Eichhörnchen gebastelt?“ fauchte Uschi Paul an, als sie wieder zu sich kam.
„Was? Ach du meinst Norbert! Nein, den nicht, hinter ihm...“ er drehte den Kopf in Richtung ihrer alten Buche und sah... nichts. Na gut, er sah nicht wirklich nichts. Eigentlich war der Baum komplett vorhanden, die Blätter, die Äste, die Rinde, alles war da, nur irgendwie in der falschen Reihenfolge.
„Was ist mit unserem Baum passiert?“ fragte er Norbert, der, wie er jetzt erst feststellte, ziemlich verärgert dreinblickte.
„Dein blödes Herz hat dem Baum den Rest gegeben. Der war so morsch und ist dann zusammengebrochen! Wir sind quasi Obdachlos.“
„Oh verdammt! Meine Unterhosen.“
„Du hast Unterhosen? Du bist ein Holzwurm.“
„Ja, komisch nicht.“ antwortete Paul lakonisch.
„Und was machen wir jetzt?“
„Wir?“ Paul war ein wenig überrascht, diese Frag ausgerechnet aus Uschis Mund zu hören.
„Ja, jetzt wo wir beide ein Liebespaar sind, müssen wir doch irgendwo wohnen. Schon wegen der Kinder.“
„Kinder?“
„Ja ich will ganz viele und einen kleinen Garten mit einem Zaun und Blumen und im Badezimmer möchte ich ein Duftbäumchen damit es da immer nach Zitrone duftet und das Eichhörnchen kann dann auf unsere Kinder aufpassen wenn wir zusammen die Teppiche aussuchen natürlich muß es sich vorher waschen und dann will ich noch...“ sagte sie, aber dann merkte sie, daß Norbert und Paul zwischenzeitlich die Flucht ergriffen hatten und schlich langsam von dannen.

...

Seitdem sind viele Tage vergangen, viele Hähne haben den Morgen begrüßt, viele Wölfe und ein Frosch haben den Mond angebellt und noch mehr Eintagsfliegengenerationen verließen unsere Erde. An jenem Tag also fanden Norbert und Paul endlich ein neues Zuhause. Seitdem leben sie glücklich und zufrieden in einer Dachskommune unter der Erde.
Uschi hingegen fand doch noch ihren Traumprinzen. Es war ein Floh, der auf einem Pferd lebte. Und immer, wenn sie einen Baum umstürzen hörte, dachte sie an den kleinen, dreckigen Holzwurm, und dann zerdrückte sie manchmal eine winzige Träne in ihrem Auge.
 



 
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