Hot Pants

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Bursch

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"Der Flurfunk war ja deutlich genug letzte Woche", äußert Finanzvorstand Justus grinsend beim lockeren abendlchen Beisammensein während unseres letzten Abteilungsleiter-Meetings. Und setzt in Richtung unseres Verkaufsleiters Frenzen nach: "Genaues weiß ich nicht. Aber wollte da ein junger Kollege die Welt vor Unmoral bewahren? Beziehungsweise wenigstens die Fachwelt?"
"So ungefähr", bestätigt Frenzen kleinlaut.
"Ich frage mich", wirft Personalleiter Kremer ein, "was halbnackte Gogo-Girls auf einer reinen Fachmesse zu suchen haben?"
"Na", kontert Justus, "dann waren Sie wohl noch nie auf einer Cebit? Da gibt es Tabledance, so gut wie nackt, Herr Kollege. Selbst erlebt."
"Auf einer Publikums-Krawallveranstaltung, okay. Aber auf einer Fachmesse für Elektronik und Software, ich bitt' Sie. Ausschließlich Ingenieure, Techniker, Betriebswirte."
"Ach! Sind die nicht aus Fleisch und Blut? Aber vielleicht erzählt unser Verkaufsleiter mal, was wirklich passiert ist? Sie waren ja wohl nicht nur dabei, Kollege, sondern regelrecht beteiligt am Geschehen. Heißt es."
"War ich. Ja. Es ist so: dieser sogenannte Software-Dienstleister stand in den vergangenen Jahren in einer anderen Halle. Nicht, dass seine Methoden nicht allgemein aufgefallen wären. Das ist ja auch seine Absicht, sich richtig dick in Szene zu setzen. Ich gehe andererseits Wetten ein, wenn man die Besucher fragte, an was sie sich denn erinnerten bezogen auf seinen Stand, welche Produkte er denn anbiete, hätten acht von zehn ein Problem."
Allgemeines Gelächter im Kreis der Abteilungsleiter.
"Alles Amerikanerinnen?" will Justus wissen. "Weiße und farbige?"
"Ja. Vier an der Zahl. Der Stand diesmal uns direkt gegenüber, jenseits des Gangs. Gute zehn Meter lang, dürre Ausstattung, ein paar Plakate. Unerheblich. Die Show waren die vier in den Hot Pants."
"Schlicht auf Sex gebrasselt, das Ganze", mokiert sich Kremer. "Gehe ich von aus. Reine Provokation. So gut wie nackt, oder?"
"Sagen wir mal, so eng und drall wie möglich. Den ganzen Messetag vor ihrem Stand auf- und abwandelnd, die Besucher animierend, scherzend, lachend, Prospekte verteilend. Knappste Tops zu den Höschen, die weibliche Anatomie en detail. Außerdem beugten sie sich immer wieder bewusst tief hinab zu ihren Prospektstapeln, drehten den Besuchern das Hinterteil zu, es war dreist."
"Man spürt Ihnen die Erregung noch an", lästert Justus.
"Ach, du sagst dir, zwei Stunden Gewöhnung, dann siehst du das alles nicht mehr. Galt leider nur für mich selbst. Meine drei jüngeren Mitarbeiter waren da anders."
"Verständlich", äußert Justus. "Schade."
"Was?"
"Dass man's nicht an sich selbst testen konnte."
"Danke sehr", gibt Frenzen zurück. "Aber im Ernst. Ich habe natürlich beim Veranstalter gefragt, ob wir jetzt jedes Jahr damit rechnen müssten ...? Antwort: erstmal nur im laufenden. Nächstes Jahr sehe man weiter. Die Methode des Mitbewerbers sei schließlich nicht verboten. Etc."
"Leider wahr", sagt Kremer. "Wie verhielten sich denn Ihre jungen Kollegen?"
"Die zwei Mittzwanziger hatten ihre helle Freude. Machten ansonsten ihre Arbeit. Anders Thomas. Schätze ihn sehr, ausgezeichneter Berater, 32 Jahre jung, vor kurzem zum zweiten Mal Vater geworden. Ja, zugegeben, ein Strenger. Der fand das alles abscheulich. War die ersten beiden Tage auch kaum bei der Sache, kannte ich gar nicht an ihm. Abends beim Essen verzog er keine Miene, wenn die Jüngeren scherzten und alberten und den Akzent der vier Damen ebenso imitierten wie ihre aufreizenden Gesten. Ich machte mir Sorgen um meinen Thomas."
"Offenbar zu Recht", überlegt Justus.
"Ja. Am dritten Messetag kommt er mit einem besonders blassen Gesicht auf den Stand. Es herrschte bereits reichlich Andrang, ich steckte in einem ersten Beratungsgespräch, Thomas dito. Da sehe ich im Augenwinkel, wie er seinen Kunden mitten in der Beratung verlässt und sich wie ferngesteuert langsam auf die Damen gegenüber zubewegt. Eine von ihnen bückte sich gerade wieder einmal provozierend tief hinab zu ihren Prospekten, da steht Thomas auch schon hinter ihr und holt in aller Ruhe mit seiner Rechten so weit aus, dass alles auf eine cool durchgezogene Attacke hindeutete. Ich weiß gar nicht, wie ich es geschafft habe, in Gedankenschnelle hinter ihm zu stehen und seinen Arm mitten im Zuschlagen zu fassen. Seine kraftvolle Bewegung riss mich zur Seite, ich prallte gegen eine der farbigen Gogos."
"Tat's weh?" wollte Justus, nach wie vor zynisch gestimmt, wissen.
"Nein, Herr Kollege, ihre Brüste waren weich wie Schaumstoff. Weniger schön war der Aufschrei, der folgte. Hysterisch, die Girls, aggressiv. Auch ihr Chef war umgehend zur Stelle. Ob wir verrückt geworden seien? Das werde ein Nachspiel haben, das sei ja wohl klar. Etc."
"Hatte es?" fragt Kremer.
"Bislang nicht. Unter anderem, weil ich Thomas auf der Stelle und lautstark zur Rede stellte. Ihm klar machte, dass er seinen Koffer zu packen und umgehend abzureisen habe. Ein Vorgehen, das die Herrschaften gegenüber für's ertse ruhig stellte."
"Immerhin", lobt Kremer.
"War nur ein halber Erfolg, Kollegen. Die vier in den Hot Pants machten sich für die verbleibenden anderthalb Tage einen besonderen Spaß daraus, nun erst recht loszulegen mit ihren Talenten. Mehrmals tauchten sie direkt auf unserem Stand auf und zogen oben blank. Im Wettbewerb quasi. Was sollten wir machen? Oder sie lockten Besucher von unserem Stand weg zu ihrem. Vernünftiges Arbeiten war kaum noch möglich."
"Unverschämt!" entfährt es unserem Personalchef. "Geschäftsschädigend. Abscheulich alles. Einfach sittenwidrig."
"Nun lassen Sie mal die Sitte, Herr Kollege", will der Finanzvorstand Recht behalten. Machen Sie sich nichts vor, auch Ihre reine Fachwelt lässt sich packen mit solchen Methoden. Vielleicht sollten wir unsererseits auch mal in dieser Weise...?"
"Prost, Kollegen!" wünscht Frenzen allseits. "Bin für Themenwechsel."
 



 
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