How bizarr!(?)

Pinky

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Nicht gänzlich ein normaler Nachmittag war es, an dem es sich zutrug, daß ich an diesem Tag mich im Café befand. Nicht öfter als dreimal hatte mir der Kellner den lauwarmen Kaffee auch diesmal über die Hosen gegossen, aber dafür hat er mir Zucker statt Salz für die trübe Brühe gereicht. Es war ein etwas lauteres Geräusch, das meine Aufmerksamkeit erregte, doch lediglich deshalb, weil es sich vom gleichmäßig eintönigen Brummen des Alltagsverkehrs merklich abhob. Ich richtete meinen Blick auf die gegenüberliegende Straßenseite, konnte jedoch nur eine junge hübsche Frau beim Auskleiden im Badezimmer entdecken, weshalb ich meinen Blick um mehrere Stockwerke senkte, da ich nicht vermutete, daß von ihr das Geräusch stammte. Ich erkannte gleich beim ersten Blick den Tumult, der sich unten auf der Straße ansammelte. Ein Konzertflügel war aus dem achtundfünfzigsten Stock und auf einen vorübergehenden Passanten gefallen. Er saß noch immer aufrecht da und ich konnte seinen Kopf zwischen den Trümmern hervorragen sehen, die Augen sonderbar verdreht wie man es aus Zeichentrickfilmen kannte. Eine ganze Reihe Klaviertasten ragten aus seinem Mund hervor und man fühlte sich fast versucht, eine kleine Melodei darauf zu spielen. Ein anderer Passant gab dieser Versuchung nach, wurde jedoch von einigen übrigen Rumstehenden aus Gründen der Pietät weggezogen. Man diskutierte, ob man nicht zumindest die Polizei rufen sollte - die Rettung, so war man sich einig, wäre hier unangebracht gewesen -, doch einer der Passanten wies darauf hin, daß dafür wohl die allgemein gültige Blaulichtsteuer fällig werden würde und warf im gleichen Atemzug die Frage auf, wer diese denn bezahlen sollte. Natürlich erklärte sich keiner dazu bereit, woraufhin der Aufwerfer auch noch hinzufügte, er habe außerdem keine Autobahnvignette auf seinem Auto. Erst als man ihm klar machte, daß sie sich hier ja gar nicht auf einer Autobahn befanden und er außerdem zu Fuß hier war, ließ er sich erweichen und gab nach. Die Blaulichsteuer, so einigte man sich, wollte man mittels einer Kollekte bei den Feuerwehrmännern aufbringen, die man im Zuge des ohnehin nötigen Telefonats auch gleich informieren würde. Damit zeigten sich alle einverstanden und man tat, wie geheißen. Ich erwartete interessiert die Ankunft der Polizei und währenddessen kam es zu einem kurzen, lokal sehr begrenztem Schauer, der es fertigbrachte, auf der Zahntastenklaviatur den Flohwalzer zu spielen. Noch erstaunlicher war aber, daß man ihn auch recht gut vernehmen konnte und ein Passant seine Partnerin zum Tanzen aufforderte. Die Polizei kam schließlich in einem türkisfarbenen 57er Chevy, wodurch auch gleich die Blaulichtsteuer entfiel, weil der Wagen ja überhaupt kein Blaulicht hatte. Ein dickbäuchiger, weißhaariger Polizist ohne Uniform entstieg dem Gefährt, der, meines Wissens, nicht nur schon im Ruhestand sondern sogar schon tot war. Aber er klärte dieses Mißverständnis sofort auf, indem er feststellte, er sei eigentlich sein Bruder. Die Leute gaben sich damit zu Frieden und versuchten, dem Beamten den Sachverhalt klarzumachen. Da dieser jedoch keinerlei Interesse daran zeigte, gaben sie es schließlich auf und erkundigten sich, wie es denn der werten Gattin ging. Nachdem nach halbstündiger Diskussion aufgeklärt war, daß der gute Mann gar nicht verheiratet war, kam eine junge Mutter mit Kinderwagen vorüber. In Anbetracht der Theorie der vorbeugenden Verbrechensbekämpfung zog der Ununiformierte seine Dienstwaffe und schoß zwei, drei Mal in den Kinderwagen. Nachdem er jedoch nicht ganz sicher war, schoß er noch ein viertes Mal, da auch aus dem Jungen sicherlich einmal ein Drogendealer oder Mädchenhändler geworden wäre. Schon einmal deswegen, weil es kein Junge sondern ein Mädchen gewesen war. Nach solcherlei Erklärung stieg der aufgeklärte Polizist unter allgemeinem Jubel zurück in seinen Wagen und verließ, rauschenden Beifall hinter sich zurücklassend, in seinem dachlosen Chevy die Szenerie, nicht ohne erst noch eine alten Mann mit dem Kühlergrill niederzustoßen, um ihm so noch seine gerechte Strafe zukommen zu lassen, denn niemand war vollkommen unschuldig, was ich persönlich allerdings dann doch etwas zu dick aufgetragen fand. Die ebenso in vorbeugender und nachtragender Verbrechensbekämpfung aufgeklärten Passanten befanden dies allerdings nichts so und lösten sich nacheinander auf, bis nur noch der Konzertflügelgetroffene sitzend und stierend zurückblieb. Ein halbzahmer Affe mit Zirkusjäckchen und rotem Mützchen humpelte nach einigen Minuten heran und spielte Beethoven auf der Tastatur, bis jemand eine Tuba auf ihn warf. Ich für meinen Teil trank meinen Kaffee aus und ließ wie immer zu wenig Geld auf dem Tisch zurück. Was ich aber am sonderbarsten fand, war, daß ich in keinem Moment dieser Tragödien hilfreich und heroisch eingeschritten war. Ich schüttelte etwas fassungslos den Kopf und ging nach Hause, um mich aufzuhängen.
 

jon

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9 Punkte für diesen Text, der wunderbar spiegelt, wie hirnrissig es in der Welt manchmal /oft / meistens zugeht. Leider wird's durch Aufhängen (sich und/oder andere) nicht besser. Ich fürchte sogar, selbst wenn man bis auf zwei Menschen alle aufhängt, wird der eine noch Dinge tun, die der andere hirnrissig findet. Und das ist der Punkt, wo ich
A) das Schreiben schätze – wer in meinen Geschichten so hirnrissig agiert, kriegt (im Gegensatz zur Realität) irgendwann seine Strafe.
B) zum bekennenden Egozentriker werde – es ist gar nicht möglich, „die Welt“ vor der Hirnrissigkeit zu schützen/retten: Also versuch ich wenigstens, mich davor zu schützen (ich will mich nämlich nicht aufhängen) und ignoriere solche Sachen, wenn auch oft genug kopfschüttelnd. Andererseits weiß ich zu schätzen, wenn ein anderer meine (aus seiner Sicht) Hirnrissigkeiten nicht ständig besserzureden versucht.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
re

ich habe den eindruck, mich in einem sehr gut und flüssig beschriebenen albtraum zu befinden. häng dich nicht auf, das sieht so bammlig aus und man streckt allen leuten die zunge raus! man liest sich. lg
 



 
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