ICH GEH INS WASSER!

Schwimmbad, Ende August, Sonne, 32 Grad im Schatten, ich auch. Mein Freibadbesuch dient weniger der Flucht vor der Hitze als der Suche nach Anonymität in der Masse. In Badehosen sind alle gleich und ich hoffentlich noch ein Stück gleicher. Die gestrigen Katastrophenereignisse auf der Hochzeit meines besten Freundes machen diesen Wunsch nach Unsichtbarkeit in mir verständlich. Aber von vorne:

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Mein bester Freund ist Bruno Schmidt, welcher mich kürzlich als seinen Trauzeugen zwangsrekrutiert hatte und gestern Mittag hieß es angetreten im Standesamt Mitte.
Die toscastinkende Großtantenschaft ist vollzählig zum Vollzug erschienen. Die Sonne verrichtet ihr Tagwerk mit Übereifer und brennt sich gnadenlos in den Betonsteinbelag des Vorplatzes. Der Parfumterror potenziert sich durch die Sonneneinwirkung und treibt mich in den einzig verfügbaren Schattenfetzen weit und breit, den die im Wind flatternde Stadtwappenfahne spendet. Immerhin Wind! Dummerweise lässt dieser den Aufenthaltsort des Fahnenschattens lustig hin und her wechseln und ich meinen auch, was auf die Zuschauer meines unfreiwilligen Tanzes etwas verstörend wirken muss.

Was mach ich hier eigentlich? Die aller erste Bürgerpflicht von besten Freunden ist das Ledigbleiben. Am besten freilich gänzlich solo, aber ich will ja mal nicht päpstlicher sein als der Benedict. Heiraten ist jedoch der finale Genickschuss für jede Männerfreundschaft. Die „Glückliche“ kannte ich bis gestern nur aus zwei mehr feucht als fröhlichen Stammkneipenbesuchen, zu denen sie Bruno mitschleppte. Wenn es eine Maßskala für Amusement gibt, dann steht ganz oben Kneipensaufen mit dem besten Kumpel und am anderen Ende Kneipensaufen mit dem besten Kumpel und dessen Freundin. Vor allem dann, wenn die Freundin Britta heißt und den ganzen Abend an einer einzigen „A-Schorle“ rumnuckelt. „Britta“ klingt nach Ökobessermensch, unrasierten Beinen und politisch korrektem Amerikahass, obwohl man selbstredend „Freunde in den Staaten“ hat. Amerikahass -die einzige Form des Rassismus neben dem Hass aufs eigene Volk, der unter den Brittas dieser Welt salonfähig ist. Ok, ich gebe zu, dass sie eigentlich ziemlich gut aussieht und ihre weltanschauliche Sicht ist mir auch eher unbekannt, aber was soll’s? Sie sieht gut aus und ich weiß nix von ihr. Ist das schon ein Grund sie gleich zu heiraten? Wenn sie sooo toll wäre, wie Bruno nicht müde wird zu beteuern, um seinen Schritt ins „Profilager“ zu rechtfertigen, hätte ich mir das auch mit 100 Pils im Kopp gemerkt.

Bruno vermeidet peinlichst die Vokabeln Heirat, Ehe und Hochzeit, zumindest was seine eigene angeht. Hier hört man nur was vom erwähnten „Wechsel ins Profilager“, vom „Abschluss der Vertragsverhandlungen“ oder vom „Ligaaufstieg“. Nick Hornby hat mit Hilfe des Fußballs sein ganzes Leben erklärt, aber was zu weit geht, geht zu weit. Durch stakkatohaftes Ins-Ohr-Brüllen der Zauberformel „LEBENSLANGE eheliche Bindung“ versuche ich ihm klar zu machen, dass eine Frau, die A-Schorle statt Apfelsaftschorle sagt, nichts für ihn geschweige denn für die Ehe ist, auch wenn sie tausendmal klasse aussieht. Bruno kriegt immer die Klasseaussehfrauen, was daran liegen mag, dass er dem jungen Richard Gere nicht unähnlich sieht. Mit ihm weggehen hieß immer nur die zweitbestaussehende Frau abbekommen. Aber immerhin. Die Zweitbestaussehendste nach den Mädchen, die sich für Bruno interessierten waren immer noch ziemlich hübsche Dinger. Und das soll jetzt alles vorbei sein?


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So nun Steh ich hier und blas Trübsal vorm Trausaal. Es ist acht vor. Um 11 wird vollstreckt. Die Gesellschaft hat die Sonneglut mit dem Sixtiesstyle des Standesamtflurs getauscht. 4711 mischt sich mit den Ausdünstungen des alten Linoleumbelags. Keine gut Melange in Anbetracht der Tatsache, dass der Restalkohol in mir seinen Tribut verlangt. Gestern war Junggesellenabschied. Aus Gründen des Anstands, will ich es hierbei belassen: sponsored bei Aspirin! Mir ist schlecht, was ich aber beim Versuch meine Kreislaufbeschwerden zu ignorieren zum Glück meist erfolgreich verdränge. Was ist, wenn ich in den Trausaal kotze oder ohnmächtig werde oder beides und dann an meinem Erbrochenen ersticke, weil aus nachvollziehbarem Grund sich kein Freiwilliger für die Mund-zu-mund-beatmung findet? Ach, was soll‘s? Nicht ich sollte hier panisch werden, sondern Bruno, der just in dem Moment mit Britta erscheint.

Wow! Ein wirklich schönes Paar. Er cool, wie immer, sie schön, wie nie. Langsam verstehe ich ihn. Keine affigen Brautleuteklamotten aus den einschlägigen Themen-Modeläden, sondern zeitlose Eleganz. Ein unschätzbarer Vorteil, da man sich so das Kichern der zukünftigen Kinder über die Hochzeitsfotos erspart. Der Standesbeamte bittet zum Vollzug. Mein Kopf dreht sich immer wilder. Ich bin Statist in einem surrealen osteuropäischen Kurzfilm mit spanischem Untertitel. Keine Ahnung was hier eigentlich passiert, geschweige denn meine Pflichten sind. Den gestrigen Vorbereitungstermin musste ich leider faulheitsbedingt schwänzen. „Ja und Amen“ werd ich wohl irgendwann sagen müssen –nur wann? Oder musste ich etwa die Ringe mitbringen? Das hat mir keiner gesagt. Hilfe!

Kurz vor dem Kollaps, bemerke ich unruhiges Tuscheln neben mir. Britta rüttelt nervös an Brunos Ärmel und flüstert ihm verstört kurze Sätze ins Ohr. Sie wirkt, wie ein angeschossens Reh. Zumindest so, wie ich mir ein angeschossenes Reh vorstelle. Ich versuche etwas aufzuschnappen, da ich mir sicher bin, dass ich der Grund für die entstandene Nervosität bin. Sie scheint schon auf den Standesbeamten und die Gäste überzuschlagen. Das Hintergrundsgemurmel wird unüberhörbar lauter. Wortfetzen Brittas dringen an mein Ohr:"... Notbremse... es ist noch nicht zu spät... kann dich nicht heiraten...tut mir so leid...verzeih... schluchz“ Oh-oh, ganz großes Hollywood-Kino. Godcha, der erste Korb für Bruno in seinem Leben und dann gleich so ein Kaventsmann! Und ich bin völlig unschuldig. Alles scheint sich zum Guten zu wenden.


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Bruno schaut ihr gefasst in die Augen. Keine Verzweiflung, kein Entsetzen bei ihm, nur Verständnis und Liebe. Wie? Was? Keine Szene, Ohrfeigen, Beleidigungen, Brautstraußumdieohrenschlagen? Er lächelt sie nur aufmunternd an. So erwachsen habe ich ihn noch nie gesehen. Ein Alles-wird-gut-Lächeln, dann steht er auf, schaut sie beim Umdrehen noch einmal an und spricht zu den Gästen: „Hallo Leute. Also so wie’s aussieht...äh... Nun, wir haben uns soeben spontan entschieden, dass die Ehe für uns...“ In diesem Moment zieht Britta ihn wieder zurück zu sich, gibt ihm einen tränenreichen Kuss und sagt „Danke! Danke, dass du „wir“ gesagt hast und dass es „unserer“ Entschluss war. Du hast mich nicht zur Schuldigen gemacht, sondern bis zum Schluss an uns geglaubt. Kannst du dir vorstellen, mich vielleicht doch zu heiraten. Ich weiß jetzt, dass ich genau dieses „wir“ will!“

– Düüd-düddeldüüd-düddeldüüd- ertönt in mir noch die Verlorene-Wetten-dass-Wette-Melodie, da setzt der Standesbeamte schon an mit seiner „Willst du, Bruno Schmidt die hier anwesende Britta ...“
„NEIN WILL ER NICHT der Bruno Schmidt!“ schreie ich in die das Trauzimmer. Totenstille! In diesem Moment wird mir für eine ewige Sekunde klar, dass ich eigentlich nicht Bruno zurück will, sondern Britta haben will. Dann werde ich ohnmächtig.


4
Als ich wach werde schau ich in die Taschenlampe eines Notarztes. Er schickt mich mit Kreislauftabletten nach Hause. Das Taxi ist bereits da. Ich bin der letzte hier im Amt. Der Rest ist schon zum Feiern weitergezogen. Bruno hab ich mich seit dem nicht getraut anzurufen. Offensichtlich hat sich spontan ein nüchternerer Ersatz für meine Zeugentätigkeit gefunden. Ich werd ihn fragen gelegentlich –so in ein, zwei Jahren, wenn Gras über alles gewachsen ist. Jetzt lieg ich hier im Waldschwimmbad, schau durch die Blätter in den stahlblauen Himmel, habe Sehnsucht nach Britta und hab nicht den blassesten Schimmer, wies weitergehen soll.

Es ist heiß. Viel zu heiß. Ich geh ins Wasser.
 



 
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