Ich wollte nie ein Dichter sein ...

TC

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Ich wollte nie ein Dichter sein

Ich wollte nie ein Dichter sein, bin ein ungeduldiger Leser, ein Träumer, das schwache Glied dieser trügerischen Gesellschaft – ein Faulpelz wohl, nicht mehr, nicht weniger. Unverstanden und verkauft, mit Händen, viel zu groß für die schlanke, beredsame Feder, mit einem Herz, viel zu einsam, daß irgendwo hinterm Ozean aufblüht. Was also soll ich anderes tun, als Sonnenaufgänge zu schauen, traurig an Dezemberabenden Worte in den grauen Schnee zu treten und Verse zu schreiben? Ich wollte nie ein Dichter sein, doch das süße, arbeitsame Leben – den Bauch gemästet mit Hoffnung und den Kopf tief gesenkt – mißlingt stündlich und zerfließt in sinnlosen, farbenfrohen Nebeln, die aus der Entfernung betrachtet mir so fremd erscheinen, wie die Menschen, für die das Leben gemacht ist. Sie fließen als graue Armeen die Straßen hinauf, klappernd und lärmend wie ein wirkliches Heer - bis an die Zähne bewaffnet - und ihr Geschwätz erstickt die Trommel, die noch in Ihnen schlägt, während ich in Tausend Schicksalen die Liebe neu erfinde und sie ihnen zum Fraß vorwerfe. Sie werden wahre Helden, diese Stümper und ich kann nichts dagegen tun.
Was bleibt also, als zu schreiben? Mein Kopf scheint mir immer mehr ein leeres Gefäß zu sein, daß jeden Abend mit flammenden Versen und wärmender Sonne gefüllt wird – bis es überläuft, und die ganze Suppe meinen Teppich ruiniert. Von diesen Tagen bleibt nur die Erinnerung an einen Schatten, an einen Traum hinter seidenem Tuch – unkenntlich gemacht vom Wasser der Zeit und fortgespült in die Kloake unserer Gedächtnisse. Hier trifft sich das Volk und all der Dreck, der Pöbel, der im Licht keinen Platz mehr fand. Hier zündet man kleine Gedankenrevolutionen; hier wird gekämpft, geliebt, geschissen und gelacht, hier verbringen wir die Zeit auf angenehmste Weise. Es gibt blutroten Wein und allerlei Rauchzeug, es gibt glanzvolle Schönheiten und anbetungswürdige Augenblicke, die sich in die Adern fressen und Abdrücke hinterlassen. All das Pack mit faustgroßen Löchern in den Taschen, all die stinkenden Leiber, all der Müßiggang – euch erhebe ich zur Gottheit in diesem freien Land, ihr seit die wahre Wissenschaft des Lebens: zerissen und in barbarische Lumpen gehüllt habt einzig ihr die Macht, euch den grauen Heeren entgegenzustellen. Hoch die Fahnen, oh Freunde, der Tag der letzten Schlacht bricht an, laßt uns unsere Farben in die Welt brennen und mit mutigem Gesang den Teufel verehren; tausendfach schuldig sind wir längst und tausendfach süßer schmeckt das Leben in der Hölle. Hoch die Fahnen, oh Freunde, was wollt ihr vom Leben noch, verloren sind wir lange schon. Verloren im Suff, der uns betäubt, der die Schädel härtet und Stahlpanzer um die Seele schmiedet, verloren auch in Liebe und Zeit, wir durchfließen die Städte wie glühender Lavastrom, wie Lemminge dem Abgrund zu – dann laßt uns auch wie Lemminge vom mächtigsten Berg dieser Gesellschaft ins elendige Meer springen, laßt uns eintauchen ins Pack und elend werden, uns mit Kot bewerfen bis das Herz zum Halse schlägt, der bestialische Gestank die Reihen der grauen Massen aufbricht und unsere Feinde bitter besudelt.
Am Morgen nach der Schlacht tönt die Kapelle mit frohem Tanz, alles was Beine hat, kommt angekrochen und trampelt auf harten Planken den Takt, während Frauen, fett wie Schinken, mit göttlicher Leichtigkeit im Kreis wirbeln – gehalten von ledernen Männerarmen, denen die Geilheit aus jeder Pore trieft. Ein Schauspiel, bitter und albern zugleich, abstoßend, doch faszinierend. Das wilde Theater wälzt sich durch den unschuldigen Sonnenaufgang bis die Müdigkeit sie besiegt; ich bleibe zurück, schneide mir ein Loch in den Tag um mich hindurchzuzwängen, um mit Feder und Papier irgendwo diese Nacht zu verewigen in goldenen Worten, um der Kloake zu entfliehen, um nicht mit ihnen kämpfen zu müssen ...
Ich wollte nie ein Dichter sein.
Was also soll ich anderes tun, als Verse zu schreiben?
 

TC

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Hallo Bignose

verzeih mir die Jungendsünden - der Wahnsinn der Erkenntnis kommt spät, du weißt.
Und doch bin ich der Meinung, es hat Berechtigung, denn in dem Augenblick war es wichtig.
Was es natürlich nicht besser macht.

Grüße,
der gelehrige Schüler
 



 
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