Im Bett liest sie Ricarda Huch

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Inge Anna

Mitglied
Im Bett liest sie Ricarda Huch

Im Bett liest sie Ricarda Huch
und auf dem "Häuschen" Zeitung;
im Winter schützt sie mit 'nem Tuch
vor Frost die Wasserleitung.

Der Lumpen ist noch Handarbeit,
aus abgewetzten Tagen,
war einstmals ihr Benimm-dich-Kleid -
sie hat's nie gern getragen.

An ihrem Garderobenschrank
hängt eine Gürtelschnalle;
sie hält das Ding stets blitzeblank -
drauf steht: Ihr könnt' mich alle...

Im Hausflur hegt sie ein Skelett,
seit nunmehr dreißig Jahren -
sie nennt es "Graf von Steifenbrett" -
kippt auf sein Wohl 'nen Klaren.

Graf Steifenbrett bewahrt die Ruh',
ist ja gewohnt zu schweigen;
die Alte schraubt das Fläschchen zu
und lässt die Fahne steigen.

Die Uhr an ihrem Handgelenk
verlor den großen Zeiger -
die Zwiebel war das Brautgeschenk
von Bratsch, dem Kirmesgeiger.

Drei Wochen bratschte er mit ihr,
dann stahl er sich von hinnen;
sie leerte dreizehn Humpen Bier
und ließ ihn Land gewinnen.

Ein Regenschirm aus Deuselbach -
schon hier und da verbogen -
kam von April ihr unters Dach,
der bei ihr eingezogen.

April versprach ihr viel zu viel -
sie hat ihn schnell entlassen;
es kam September bald ins Spiel -
ein Hans in allen Gassen.

Der schwallte ihr den Kittel voll,
dass ihr die Nerven rissen;
doch schenkte er ihr, ohne Groll,
zum Abschied Nadelkissen.

Sie gönnt sich noch 'nen Doppelschluck
auf Steifenbrett, den Treuen -
dann gibt sie sich 'nen großen Ruck -
zum Hühnerfutter-Streuen.​
 
H

Harald

Gast
Liebe Inge Anna!

Mir scheint, der alte Steifenbrett
hängt noch an ihrem Kittel,
wie er ihr nachblickt, sorglich, nett,
ein Hausmoralhauptbüttel?

Wer weiß, ob seiner Steifheit Glanz
nicht ihr zu danken wäre,
die ihm dereinst im Jungfernkranz
gab die intimste Ehre?!​


Ja, bitte - der Eine malt sich sowas aus, der Andre bildet sich´s wieder ein.

Liebe Grüße
Harald
 

Inge Anna

Mitglied
Graf Steifenbrett

Lieber Harald,
ich hatte als Kind immer große Angst vor dem Skelett, das in unserer Schulbücherei stand. Man bestrafte mich mal wegen einer Missetat damit, mich 2 Stunden in Gesellschaft dieses Knochenmanns zittern zu lassen. Ich hab's überlebt und bei diesen Zeilen musste ich an den Vorfall denken.
Ich danke für den - so locker aus dem Stehgreif - gereimten Kommentar. Liebe Grüße nach Salzburg kommen von
Inge Anna
 
K

Klopfstock

Gast
Liebe Inge Anna,
auf Deine Fantasie sollte man wirklich "die Fahne steigen lassen", was ich heute Abend auch tun werde mit einem
Gläschen Henkel nass;):D
Diese alte Jungfer ist mir nämlich sehr sympathisch -
ich liebe die vielen humorvollen Feinheiten in diesem
Gedicht, ich kann sie aber nicht alle zitieren, sonst
müßte ich das ganze Gedicht nochmal schreiben;)
Alleine der Reim "Richarda Huch auf Tuch" ist schon lesenswert. Aber man ist ja von Dir Gutes gewohnt, ganz besonders in Richtung Reim und humorvollen Inhalt, deswegen
wird es jetzt auch keinen wundern, wenn ich sage:
Das Werk ist ausgezeichnet und ich habe nichts zu meckern;)

Dir ein schönes Wochenende
und ganz liebe Grüße
Irene ;)
 

Inge Anna

Mitglied
Ricarda Huch

Liebe Irene,
eine Arbeitskollegin ist ganz begeistert von ihren Werken. Ich habe noch nix von ihr gelesen. Da besteht wohl Nachholbedarf... So sie noch unter den Lebenden weilt, haben ihr Sicher heute ganz leise die Öhrchen geklungen. Dass Dir die Verslein gefallen, freut mich und gibt neuen Schwung.
Lass Dir den Nassen munden! Danke und liebe Grüße schickt Dir
Inge Anna
 

Vera-Lena

Mitglied
Marotten

Liebe Inge Anna,

deine Protagonistin wird sehr lebendig beim Lesen mit all ihren hilflosen Marotten und ihrer Einsamkeit, die ab und zu auf sehr unangenehme Weise unterbrochen wurde.
In diesem Text steckt eigentlich mindestens eine Erzählung drin. Du hast ja schon gesagt, woher Dir der Herr von Steifenbrett eingefallen ist, aber auch ohne Deine Gedankenverbindung finde ich die Einführung dieser Figur sehr aussagestark.

Liebe Grüße an Dich:) von Vera-Lena
 

Inge Anna

Mitglied
Graf von Steifenbrett

Liebe Vera-Lena,
ja, mitunter kann einem sogar das Vorhandensein eines Skeletts über einsame Stunden hinweghelfen. Übrigens - dieser Tage habe ich mir bei meiner Leihbücherei in Leipzig ein Werk besagter Ricarda huch bestellt; Titel: "Der letzte Sommer". Mal sehen, was da auf mich zurollt.
Ich danke Dir sehr für Deinen wertvollen Antwortkommentar, wünsche noch einen schönen Tagesverlauf und grüße Dich herzlich
Inge Anna
 

Udogi-Sela

Mitglied
Das ist ja ne Alte!

Das Gedicht habe ich mehrfach hintereinander gelesen; es wurde jedes Mal besser!

Als Mann müsste man regelrecht Angst vor so einer eigenwilligen, schrulligen Alten kriegen, die nicht gerne ein Benimm-dich-Kleid trägt, „Ihr könnt mich alle“ für jedermann sichtbar zur Schau stellt, ein Skelett im Hausflur hegt, bei dem man sich fragt, um wen es sich wohl handelt, bzw. gehandelt hat, weil sie auf sein Wohl und keine Widerworte erwartend (täglich?) einen Klaren trinkt.
Mit ihren Liebhabern geht sich auch nicht zimperlich um:
Nach dreizehn Humpen Bier! verjagt sie den Bratschisten, entlässt schnell einen, der viel verspricht, aber wohl nichts halten kann und verjagt einen dauerquatschenden Hans Dampf in allen Gassen.
Da trinkt sie doch lieber noch einen auf den Schweigenden im Flur und bleibt mit den Hühnern allein.

Ich habe übrigens auch noch nie was von Ricarda Huch, bzw. HUUHCH gelesen.
Im Gedicht wäre der Humor wohl noch „schwärzer“ geworden, wenn die Protagonistin im Bett Zeitung und auf dem Klo Ricarda Huch gelesen hätte. Aber dann hätte natürlich der Reim nicht mehr gepasst.

Nach längerer Abstinenz von der Leselupe (ich war im Urlaub), kommt ein Inge-Anna Gedicht ziemlich gut!

Herzliche Grüsse
Udo
 

Inge Anna

Mitglied
Schrullen

Hallo Udo,
erst mal danke für diesen herrlich-ausführlichen Kommentar zu meinen Verslein. Ja, in der Tat, der alten habe ich ein ganzes Arsenal "allerlliebster" Schrullen aufgepackt. Ob wohl die gute Ricarda Huch aus Himmelshöhen gnädig zu mir herabgelächelt hat? Wer weiß...
Liebe Grüße schickt Dir aus dem Saarland
Inge Anna
 



 
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