Im Cafe am Markt

Breimann

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Im Cafe am Markt
Von Eduard Breimann
Feuchtwarme Luft, angereichert mit dem Duft von Kaffee und Tabak, schlug ihm in der Eingangstür entgegen. Gabeln und Löffel klimperten und klirrten, Tassen und Untertassen schlugen die hohen, Kaffe- und Teekannen die tiefen Töne. Über allem lag ein undurchdringliches Gemurmel, ergänzt um helle Lachspritzer und kantiges Hüsteln.
Die schweren Kronleuchter färbten die Szene gelblich; mit schwarzem Holz getäfelte Wände schluckten das sparsame Licht gierig; es blieb gemütlich dämmrig in dem großen Raum mit seinen dunklen Möbeln. Daran änderten auch die zwei hohe Fenster nichts, die den Blick auf die bunten Marktstände gestatteten; sie versteckten sich hinter wuchtigen, großzügig gerafften Vorhängen
Jeder Tisch im Marktcafe war besetzt, es gab kaum Platz für die weibliche Bedienung, die sich zwischen weit abgestellten Stühlen durchquetschte. Auf ihren hochgesteckten Haaren thronten weiße Spitzenhäubchen und ihre gestärkten, steifen - und ganz sicher schneeweißen - Schürzen, waren mit gedrechselten Schleifen gebunden, die bei jeder Bewegung raschelten. Mit hochgereckten Armen balancierten sie verzierte Tabletts, vollgepackt mit altertümlichen Kaffee- und Teekannen, Tassen und Kuchentellern.
Der Neuangekommene hängte seinen langen Mantel an die völlig überladene Garderobe, warf den Hut lässig auf die Ablage und steuerte auf seinen Platz zu.
Sein Platz! - Das war der zweite Tisch neben der langen Theke - und dort der Stuhl an der Wand. Von diesem mit Bedacht ausgewählten Platz konnte er das Cafe überblicken, hatte den Zeitungsständer griffbereit neben sich und die bunte Kuchenauswahl vor Augen. Das hier war sein zweites Zuhause – wenn man den Hörsaal der Uni nicht mitrechnete.
Sein Tisch war besetzt! Kein Irrtum möglich; ein kräftig gebauter junger Mann, in einem leuchtendorangefarbenen Hemd mit weißem Kragen, hockte aufgeplustert auf seinem Stuhl. Er musterte ihn ärgerlich, während er sich grüßend durch die Reihen schlängelte. Man beachtete ihn, nickte freundlich, hob grüßend den Kaffeelöffel oder winkte leicht mit der Hand. Aber er musste ständig zu seinem Tisch blicken, den Fremden analysieren.
Den dicken Kopf des Stuhlbesetzers zierte ein zwei Millimeter kurzer Haarschnitt; über den runden, blassblauen Augen waren die Brauen je mit drei silberfarbenen Kügelchen gepierct; in den Ohren baumelten dicke, goldfarbene, riesige Ringe.
Er spürte einen leichten Ärger über Frau Holgers, die Besitzerin; sie hätte ihm den Platz frei halten müssen. Er kam immer zur gleichen Zeit – täglich. Dann fiel ihm ein, dass heute ein ungewöhnlicher Andrang war, und er verbuchte es unter „Ausnahmesituation“, „Wird nicht wieder vorkommen“ und „Kann ja mal passieren“.
Dann wollte er sich einen anderen Platz suchen. Er blickte schnell noch einmal durch die Reihen, aber da war nichts, nicht ein freier Platz. Er resignierte, seufzte leicht und ging entschlossen auf seinen Tisch zu.
„Gestatten sie?“
Der junge Mann sah ihn verdrießlich an, blickte der Reihe nach die drei freien Stühle an, dachte nach, lehnte sich dann zurück, und zeigte gönnerhaft auf den Stuhl gegenüber.
„Nimm den hier, Alter. Aber nur, bis meine Verabredung kommt. Dann musste dir leider einen anderen Platz suchen. Wir wollen ungestört sein!“
„Also, junger Mann! Dies ist ein öffentliches Cafe – und kein Besprechungszimmer! Die Stühle sind für alle Gäste da. - Und Reservierungen hat´s hier noch nie gegeben!“
„He! Alter! Keine Aufregung! Werd ja wohl noch vertrauliche Gespräche führen dürfen! Bis mein Manager kommt, kannste sitzen – sagte ich ja. Setz dich!“
„Ich wüsste nicht, dass wir Brüderschaft getrunken hätten!“
„Haben wir nicht? Schade! - Aber das lässt sich ja noch nachholen!“,
Mit etwas gerötetem Kopf setzte sich der Mann, dem man von den straff gekämmten, ordentlich geschnittenen weißen Haaren bis zu den eleganten Lackschuhen ansah, dass er Wert auf ein gepflegtes Äußeres legte - und dass er gerade eine Bekanntschaft machte, die er freiwillig nicht anstreben würde.
„Bitte, Herr Professor! Ihr Tee und ihre fünf Kekse!“
„Danke, liebe Frau Holgers. Volles Haus heute, haben wohl viel zu tun?“
„Kann man wohl sagen, Herr Professor. Tut mir leid, - das mit ihrem Platz!“, sagte Frau Holgers und schielte den jungen Mann missbilligend an.
„He - Schwester! Was ist denn das für ein Service? Ich sitze hier seit einer halben Stunde – mindestens - und bin nicht mal gefragt worden, was ich will! Und der Alte sitzt noch nicht ganz und hat schon sein Gesöff! Was soll das, he? Gibt´s hier zwei Klassen, oder was?“
„Bitte?“, sagte Frau Holgers nur, hob dabei ihr Kinn und schaute genau drei Millimeter über den Haarspitzen des jungen Mannes die Blümchentapete an.
„Kanne Kaffee und ein Stück Kuchen, aber etwas flott“ antwortete der Gepiercte mürrisch und spielte mit der Zuckerdose.
„Den Kuchen müssen sie an der Theke aussuchen und bestellen“, entgegnete Frau Holgers schnippisch.
„Was?“, rief der junge Mann und starrte auf die Doppelschlange an der Theke. „Da soll ich mich anstellen? Ne! Ohne mich!“
Jetzt mischte sich der Professor ein, sah seinen Tischnachbarn nachsichtig an und fragte: „Wollen sie einen bestimmten Kuchen?“
„Quatsch! - Ich meine, ist mir egal!“
„Liebe Frau Holgers, seien sie doch so nett und bringen sie dem Herrn einfach ein Stück von ihrem hausgebackenen gedeckten Apfelkuchen.“
Frau Holgers nickte freundlich, sah den jungen Mann noch einmal strafend an und verschwand im Gewühl. Der Professor trank einen ersten Schluck Tee und knabberte den obersten Keks an. Dabei sah er sich im Cafe um, nickte leicht, wenn sich seine Augen mit denen eines Bekannten trafen, verharrten - bei nachdenklich gerunzelter Stirn - auf dem einen oder anderen Gesicht. Mal dachte er über den Besitzer des Gesichtes nach, mal suchte er in seiner Erinnerung nach dessen Namen.
„Sind wohl bekannt hier, was?“
„Danke!“
„Wie? Wofür?“
„Dafür, dass sie mich nicht mehr duzen.“
„Ach so! Wenn`s ihnen wichtig ist.
„Ja, ist es. Wie soll denn unsere Gemeinschaft funktionieren, wenn wir keine Achtung vor dem Anderen haben? Wie sollen wir denn sonst differenzieren zwischen Familie, Freunden und Wildfremden - oder unangenehmen Zufallsbekanntschaften?“ Dabei musterte er seinen Gegenüber von den kurzen Haarspitzen bis zur Tischkante sehr direkt.
„Wenn sie meinen! Übrigens! Waren sie länger verreist? - Im Ausland? Oder waren sie bettlägerig?“
„Wie bitte?“
„Ich will nur wissen, ob sie eine Erklärung dafür haben, dass sie mich nicht erkennen. Oder hab ich mich so verändert?“
Der junge Mann straffte seine Figur, sah den Professor heraufordernd an und zwang ihn zur sofortigen Überprüfung dieser Frage. Der wurde dunkelrot, stierte sein Gegenüber an, suchte in nebelhafter Erinnerung krampfhaft, bemühte alle Jahrgänge, die durch seine Vorlesungen gegangen waren. Dann gab er auf. Nichts wollte sich einstellen, keine Idee tauchte blitzartig auf, keine Ähnlichkeiten mit einem seiner früheren Studenten fiel ihm ein.
„Entschuldigen sie! Mein Gedächtnis lässt langsam nach - eine Frage des Alters. Helfen sie mir! Wie heißen sie noch? Moment, ich hab´s! Warten sie – warten sie - ich hab´s! Wagner! Richtig? Bernd Wagner! Sie haben sich verändert, Wagner! Vorzeitig abgegangen wegen Faulheit und ständigem Fehlen! Ihre neue Frisur, - die hat mich verwirrt.“
„He? Wagner? Ich und vorzeitig abgegangen? Quatsch! Alex Bogner heiße ich! Ihre Uni oder was das ist, hab ich noch nie von Innen gesehen. Überhaupt, wenn sie Schule meinen; das ist lange her, verdammt! Äh, wie hieß die noch. Warte mal! Ach ja! Sonderschule zur Förderung Lernbehinderter! Kannste dir das vorstellen? Lernbehindert! Ich hatte bloß keine Lust, aber das schnallten die ja nicht.“
„Nein? Oh! – Und woher soll ich sie kennen, Herr – äh – Bogner?“
„Kannst ruhig Alex zu mir sagen; alle Welt nennt mich Alex. Ich bin der aus dem Glascontainer! – Na? Klickt´s jetzt?“
Die Röte im Gesicht des verduzten Professors nahm gefährlich zu. Er trank einen kräftigen Schluck des durchsichtigen Tees und steckte verwirrt den ganzen Restkeks in den Mund.
„Glascontainer? Was ist das? Nie gehört!“, sagte er, verzweifelt kauend.
„Nein? Ich fass es nicht! So ein Zufall! Mein Manager sagt immer, dass es angeblich einen Menschen geben soll, der mich nicht kennt! Und ich treffe den hier im Cafe!“, rief er und lachte grölend.
Er lachte so laut, fast brüllend, dass sich viele Augen zurechtweisend auf ihn hefteten. Aber das machte Alex nun wirklich nichts. Er blickte grinsend auf die gefurchten Gesichter.
„Wollen sie alle ein Autogramm von mir? Antanzen! Aber der Reihe nach – und nicht drängeln!“, schrie er und lachte wieder.
„Frau Holgers! Bitte zahlen!“
„Sofort - Herr Professor!“
„He! War doch nur ein Spaß! Sag auch wieder sie zu ihnen! Bleiben sie doch noch. Ist nett mit ihnen. Wie heißen sie eigentlich?“
„Äh – Glazinski, Hubert. – Professor. Doktor Glazinski.“
„Donnerwetter! Also, Hubert, wir sollten jetzt doch lieber Brüderschaft trinken - gleich, wenn mein Kaffee endlich da ist. dein Name ist mir zu kompliziert.“
Nun wäre der Professor Glazinski wirklich kein Professor geworden, wenn er nicht neugierig wäre, und wenn er nicht - immer dann, wenn er etwas nicht wusste, nicht verstand - so ein irres Kribbeln in den Beinen bekommen hätte.
„Erzählen sie doch mal vom Glascontainer, lieber – äh – Alex.“
„Hier, ihr Kaffee und der Kuchen. Zahlen sie bitte gleich“, sagte Frau Holgers, noch immer mürrisch und setzte das Tablett vor Alex ab.
„Hä? Ich hör wohl nicht richtig? Ich soll zahlen, bevor ich ihre Brühe getrunken habe? Bin ich denn ein Asi, oder was?“
„Das ist mir egal, was sie sind – oder auch nicht sind! Ich kenn sie nicht und das Haus ist brechendvoll; ich verlier sonst den Überblick.“
Murrend zog Alex seine Geldbörse raus, fummelte provozierend lange und legte dann grinsend einen Geldschein neben ihrer Hand auf den Tisch – einen frischen, glatten Tausender.
Frau Holgers runzelte die Stirn, nahm den Schein hoch, hielt ihn zum spärlich leuchtenden Kronleuchter, schüttelte den Kopf und ging zur Theke. Man sah sofort drei weibliche Köpfe tief über den Schein gebeugt, konnte dann prüfende, kritische Blicke bemerken, die wie auf Kommando, gleichzeitig zum Gesicht von Alex wanderten und dann wieder den verdächtigen Schein betrachteten.
„Jetzt sind es schon zwei“, seufzte der Professor lächelnd.
„Zwei was?“, fragte Alex, der die Begutachtung seines Geldscheins schadenfroh beobachtet hatte, irritiert.
„Zwei, die sie nicht kennen! Noch eine, die offensichtlich - wie ich - nicht weiß, was ein Glascontainer ist.“
„Ach so! Also,...“, murmelte Alex, den Mund voller Kuchen, „das ist so: Sechs Leute hocken drei Monate in diesem Container, pennen und essen da wie zu Hause. Der Container hat oben und rundherum Glaswände, und auf jeder Seite sind drei Kameras; - und am Tag stehen so um die hundert Menschen da und glotzen in den Container.“
„Ja, - mein Gott! Was machen sechs Leute drei Monate in diesem Dings – äh – Container, vor allen Leuten?“
„Das, was sie sonst auch machen: Essen, Trinken, Flirten, Streiten, Schlafen, aufs Klo gehen, Duschen, Fernsehen, Bumsen, Grapschen, Arschlöcher verhauen, Witze machen und – mehr fällt mir gerade nicht ein. Genügt das für´s Erste?“
„Moment mal! Sie wollen sagen, das machen sechs Menschen drei Monate lang mit? Sind die aus dem Knast auf Freigang? Oder – entschuldigen sie - kommen die aus der Heilanstalt? Wer macht so was?“
„Ich! - Zum Beispiel ich! Drei Jungen, alle - außer mir - bescheuerte Typen. Drei Mädchen, davon zwei saublöde Tussis und eine geile Frau.“
„Warum? Warum macht ein erwachsener Mensch – es sind doch alles Erwachsene? – so einen Irrsinn?“
„Mensch, Professorchen! Um zu gewinnen! - Wegen der Scheine! Wegen der, – Moment, wo ist mein Tausender? – wegen der Bekanntheit natürlich auch. Lohnt sich, sag ich dir, Professorchen.“
„Und wer gewinnt? Gibt es da Spielregeln?“
„Spielregeln? Klar doch! Du musst die Sau sein! Du musst die anderen vor die Wand laufen, bescheuert aussehen lassen. Die Zuschauer sagen: eh, der ist cool, der ist klasse, den lassen wir noch drin, der macht eine geile Show!“
„Und? Wie weit sind sie gekommen?“
„Ja, hast du´s noch nicht begriffen? Ich bin der Liebling der Nation! Ich war die größte Sau! Ich hab sie alle an die Wand genagelt! Ich bin übrig geblieben – ich hab gewonnnen, Professorchen!“, rief Alex und schaute sich beifallheischend im Cafe um.
„Ach du meine Güte! - Sagen sie lieber Hubert zu mir, das ist ja lächerlich. Ich meine, diese ganze Geschichte ist lächerlich! Wer zahlt denn für so einen Mist?“
„Also, das weiß doch jeder, lieber – äh – Hubert. Die Werbefirmen zahlen dafür! – Wegen der vielen Zuschauer!“
„Wie viele, ich meine, weiß man, wie viele Leute sich das ansehen?“
„Na, so ungefähr acht bis 10 Millionen - jeden Tag.“
„Nein!“
„Doch! Das ist unser Leben! Das ist cool! Das ist Sache! Das ist angesagt! Das ist In! Das ist sexy und geil! Das ist wahres Leben – alles andere ist doch tote Scheiße.“
Langsam trank der Professor einen Schluck kalten Tee, sah seinen Nachbarn nachdenklich an, schüttelte dann den ergrauten Kopf.
„Entschuldigung, aber ihr seid arme Geister – ihr und eure Zuschauer. Wann haben sie, Alex, ihr letztes Buch gelesen?“
„Ich? Ein Buch gelesen? Willst mich auf den Arm nehmen, Pro – äh – Hubert? Mensch, wozu? Das ist doch alles alte Kacke, das sind Märchen für Kinder! Das Leben spielt nicht auf Papier, sondern da wo ich bin! Guck mal hier!“
Alex zog seine riesige Geldbörse wieder aus der Tasche, braunes Leder mit einem langen Seitenfach und mächtig aufgeplustert. Aus dem Seitenfach zog er einen dicken Stapel Tausender und knallte ihn auf die Tischplatte.
„Hier! Zähl mal, Hubert. Oder rate! Na? – Das sind Sechsundvierzigtausend Märker! Na, was sagst du? Ungefähr mein Monatsverdienst für Werbung!“
„Werbung? Wofür? Etwa für Ohrringe?“
„Quatsch, Mann! Spaghetti! Spaghetti sind der Renner! Draußen am Markt, da hängt ein Riesenposter mit mir und den langen Nudeln. Ich steigere den Umsatz, sagt mein Manager.“
„Essen sie denn Spaghetti? Was sagen sie denn den Leuten auf dem Plakat?“
„Ich fresse das Zeug doch nicht! Ist doch out! Ne, muss ich ja nicht. Und sagen tue ich auch nix. Ich saug so ein Bündel in mich rein, hängen zwanzig Zentimeter weit raus. Sieht irre aus, sag ich dir. Dabei muss ich nur glücklich aussehen.“
„Na, das wird ihnen nicht schwergefallen sein! Und dafür gibt es soviel Geld?“
„Na, klar! Und gleich, wenn mein Manager kommt, unterschreibe ich einen Vertrag, der mir das Zehnfache bringt. Für Klopapier! Braucht doch jeder, oder? So geht´s, wenn man berühmt ist!“
„Müssen sie dabei auf der Toilette sitzen – und es gebrauchen?“
„Weiß nicht, ist mir auch egal!“
„Aber man tut doch nicht alles für Geld!“
„Nicht? Ich schon. Was kriegst du im Monat? Wie lange haste dafür Bücher lesen müssen? Wie viel Spaß haste jeden Tag? Wie viele Frauen kannste jeden Tag umlegen? Wie viele Stunden kannste täglich abtanzen? – Oder, musste vom Morgen bis zum Abend schuften? Musste um Gehaltserhöhung betteln? Haste auch einen Manager, der dir alles abnimmt, außer Arsch abputzen? Dein langweiliges Leben möchte ich nicht haben! Ne, nicht für alles Geld der Welt.““
„Vielleicht - nein wahrscheinlich - ist es mein Problem, dass ich ihre Lebensauffassung und ihre Wertvorstellung nicht verstehe. Vielleicht ist es aber auch eines Tages ihr Problem, dass sie meine Werte und Ideen nicht mal ansatzweise begreifen! Mein Vertrag läuft übrigens lebenslang! Nach meiner Pensionierung kommen meine Scheine automatisch jeden Monat! Bis zum Tag, an dem ich zufrieden die Augen zumache. Und sie? Wie lange, glauben sie, werden sie ihre Scheine noch bekommen? Ein Jahr? Drei Jahre? Fünf? Und dann? Gehen sie dann zum Arbeitsamt?“
„Hör auf, alter Staubfresser und Langweiler! Ich bin erst am Anfang! Es geht steil hoch! Das Beste kommt doch erst noch: Schauspieler, Sänger, Fernsehmoderator – oder wie der heißt. Egal; ich mach alles!“
„Und sie können das auch alles? Das ist ihr Lebensplan?“
„Mensch, Professorchen! Leute wie mich suchen die; ich bestimme, was Sache ist! Ich sag´s dir noch einmal: Das Leben spielt nicht da, wo du bist! Das Leben ist da!“, rief er und zeigte nach Draußen, durch die geöffnete Eingangstür.
Und genau in diesem Augenblick kam ein Mädchen durch eben diese Tür. Sie zog alle – mindestens die männlichen – Blicke auf sich; sie war groß, schlank und bildhübsch. Ihr blonder Pferdeschwanz wippte, in der schlanken Taille trug sie eine braune, dünne Mappe.
Ihr schmales, fein geschnittenes Gesicht mit der zierlichen Nase und den großen Augen, drehte sich langsam; sie suchte offensichtlich ein bestimmtes Gesicht. Dann zog ein Lächeln auf und sie schlängelte sich geschickt, kapriziös, durch die engen Reihen. Alex hatte bei ihrem Anblick automatisch seine Haltung gestrafft, blitzschnell die Scheine in die Börse gesteckt, und legte ein Strahlen auf´s Gesicht, das geübt und einstudiert wirkte.
Das Mädchen steuerte auf Alex zu. Kurz bevor es den Tisch erreichte, sprang er auf, stieß dabei so kräftig vor die Tischkante, dass sein Kaffee weit auf den Tisch schwappte und zog mit einer Hand eine Autogrammkarte heraus.
„Hallo, Kleine!“, gurgelte er und deutete weltmännisch, gönnerhaft, auf einen der zwei freien Plätze.
„Hallo, Paps! Prima, dass du noch da bist! Ich hab einen Hunger! Kann ich einen Kuchen haben? Hast du Mom schon gesehen?“
Sie küsste den Professor auf den Mund und drückte ihn lange. Dann setzte sie sich, ohne auch nur einen Blick auf den jungen Mann geworfen zu haben, der sie fassungslos anstarrte. Sie legte ihre Mappe auf den freien Stuhl und fasste die Hand des Professors.
„Paps! Du glaubst es nicht! ich hab die Zwischenprüfung mit Auszeichnung gemacht! Hätte für zwei gereicht, meinte Professor Kleiber – und du weißt ja, wie genau der ist. Toll, was?“
„Und ob, mein Schatz! Herzlichen Glückwunsch! Weiß Mom das schon?“
„Ach wo! Ich weiß ja, dass du um diese Zeit immer hier bist, ich musste es dir zuerst sagen!“
Er beugte sich vor, küsste seine Tochter ganz leicht auf die Stirn und sah dann hoch. Da stand Alex immer noch, etwas rot im dicken Gesicht und blickte sich sichernd um. Die Autogrammkarte mit seinem Konterfei hielt er noch immer gedankenlos in der ausgestreckten Hand.
„Was hältst du davon, wenn wir am Samstag – als Belohnung – eine riesige Party veranstalten? Du lädst ein, wen du willst und nur Mom und mich dazu? – Höchstens noch den Kleiber!“
„Klasse! Damit hab ich schon gerechnet. Ich hab meine ganze Bande schon einfach mal eingeladen!“, rief sie lachend und glücklich.
„Hier ist ihr Geld, junger Mann“, sagte Frau Holgers säuerlich und blätterte ihm das Wechselgeld pfenniggenau auf den Tisch, zählte ihm dabei die Hunderter zweifach vor.
„Hallo, Susi! Schön, dass du mal wieder Zeit hast. Unseren Hausmacher-Kuchen? Und ein Kännchen, wie üblich?“
Susi nickte mit wippendem Pferdeschwanz und lehnte sich zurück.
„Ach Paps! Ist es nicht schön? Ich bin glücklich!“ Dann erst fiel ihr Blick auf den jungen Mann. Sie musterte ihn ohne Regung vom Kopf bis zur blinkenden Gürtelschnalle, beugte sich zu ihrem Vater und flüsterte in sein Ohr: „Wer ist das denn, Paps? Warum steht der da so blöde rum? Kennst du den Typ?“
„Nein, nein, mein Schatz. Der ist rein zufällig hier. Aber - warte mal! – Vielleicht kennst du ihn? Sag mal, Kleines, kennst du eine Sendung im Fernsehen, die was mit Glascontainern zu tun hat? Damit beschäftigt sich dieser junge Mann.“
„Ach so! - Glascontainer? Nein – doch - warte mal! Dafür werben die immer in der Sendung Löwenzahn! Ich war mal ein Marmeladenglas, sagen die, und dann siehst du ein schickes Bierglas. Klar, Paps! Sammelbehälter für den Glasmüll meinst du! Kennst du doch auch! So einer steht in unserer Straße. - Ach so! - Dann ist der bei der Müllabfuhr, ich verstehe!“
Sie schaute Alex, der sich fassungslos auf seinen Stuhl plumpsen ließ, kurz an. „Eine wichtige, schöne Arbeit. Macht´s Spaß?“
Dann drehte sie sich wieder ihrem Vater zu und stöhnte: „Mensch Paps, habe ich einen Hunger; - das dauert aber heute lange.“
Der Professor lehnte sich zurück und sah den jungen Mann lächelnd an.
„Drei! Jetzt sind es schon drei, Alexchen!“
Dann lachte er laut, schallend und andauernd. Er musste sich mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen wischen, und als er die verdutzten Gesichter seiner Tochter und des Lieblings der Nation sah, prustete er erneut los.
„Das ist das Schöne an diesem Cafe – man weiß nie, wen man trifft und was man erleben wird!“
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
hallo,

deine geschichte gefällt mir gut. sie ist vielleicht n bischen lang, aber man liest mit vergnügen. und sie hat was wahres - auch ich kenne etliche leute, die nie in "Big brother" reingeguckt haben. ganz lieb grüßt
 

Breimann

Mitglied
Grüße

Hallo flammarion,
ich war gerade in München und habe in einem Cafe gesessen, die Atmosphäre geschnuppert und an meine Geschichte gedacht. Das Cafe! Es ist etwas, über das man viele Geschichten schreiben kann.
Danke noch für das Lob, das ich ja inzwischen auch für andere Erzählungen bekommen habe.
Die Länge der Geschichten ist immer mein Problem! Ich mag einfach nicht auf die Beschreibung - manchemal auch nebensächlicher Details - verzichten, weil sie mir alles viel näher bringen. Die Beschreibung des Cafes könnte man weglassen, aber man verliert so viel.
Über dieses Thema muss man sich sicher noch ausführlicher - strittig meinetwegen - unterhalten.
Liebe Grüße
eduard
 
S

schwafelfasel

Gast
Bitte

-Lass die Beschreibung des Cafés bloss nicht weg. Die ist geradezu ein Paradebeispiel, wie es gelingen kann, die Atmosphäre eines Ortes einzufangen. Für mich - und ich wette, auch für andere, die sich damit eher schwer tun - sicher sehr lehrreich.

Auch den Kontrast zwischem dem Professor und dem
Ex-Containerinsassen hättest du nicht schöner hervorheben können. Aber musste er wirklich Alex heißen?


Schwafelfasel
 

Breimann

Mitglied
Alex

ja,
da sieht man mal, wie ein ungebildeter Mensch wie ich in eine Falle tappen kann. Ob du es glaubst, oder nicht, ich wusste nicht wer Alex im Zusammenhang mit Container-Fernsehen ist, da ich einfach fernsehfaul bin, gewisse Zeitschriften nicht zur Kenntnis nehme.
Als ich von Lesern in Literature.de darauf hingewiesen wurde, war ich baff. Es ist Zufall!!
Ansonsten bin ich froh über diese Stellungnahme, die wohl nicht so ganz selbstverständlich ist, wie ich aus manchen anderen Kommentaren weiß.
In dieser "Schnellschusszeit", in der "Schnellverdaungszeit" - gerade auch bei Literatur -mögen manche nicht mehr als eine Seite lesen und ermüden, wenn ihnen Figuren und Geschehen ausführlicher nahe gebracht werden.
Liebe Grüße
eduard
 



 
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