Im Netz der Spinnenfrau

Manic Peter

Mitglied
Myrra liebte Spinnen. Und ich liebte Myrra. Ihre dunkle Aura zog mich in den Bann. Mittlerweile störten mich auch die sich von der Decke herabseilenden Insekten nicht mehr. Ich sah nur noch Myrra. Und Myrra sah in ihrer Kugel das Schicksal der Welt.
Frederick, mein bester und einziger Freund, lachte mich aus: «Wie kannst du nur mit diesem Weib zusammen sein?» Doch aus Fredericks Mund sprach der Neid. Myrra hatte ihn verlassen, vor Wochen schon. Und Neid ist bekanntlich grün wie Gift. Das Gift in seinem Herzen schmerzte mich. Trotzdem blieb Frederick mein bester Freund. Mein einziger.
Frederick lud mich in sein Wochenendhaus. Ich musste Myrra um Erlaubnis fragen, denn an den Wochenenden pflegten wir gemeinsam ihre Tiere zu zählen. Es braucht ein Wochenende, um sie alle aufzustöbern.

Fredericks Einladung machte Myrra wütend. Wenn Myrra wütend war, dann verdunkelte sich der Himmel. Wenn Myrra ihre Wut hinausschrie, zuckten die Blitze und rollten die Donner. Und Myrra war wütend. Wütender als jemals zuvor in ihrem Leben. Wenn Myrra in den nächsten Stunden nicht zu besänftigen war, dann würden die Flüsse über die Ufer treten und die Gegend verwüsten. Die Menschen bereiteten sich auf das Schlimmste vor.

Frederick sagte seine Einladung ab. Bei diesem Wetter war nicht an ein erholsames Wochenende zu denken.
«Hol die Gläser», befahl Myrra. Wir sperrten die Spinnen in alte Marmeladegläser und fütterten sie mit fetten Fliegen. Die grössten von ihnen fanden kaum Platz. Die Spinnen wurden von Tag zu Tag grösser. Es gab sie in allen Sorten, Farben und Formen, aber die Jagdspinne «cupiennius salei» mochte ich am liebsten. Jagdspinnen sind sehr schnell und nervös und neigen dazu, kurze Sprünge zu vollführen und lassen sich nur schwer wieder einfangen. Gegenüber Menschen sind sie meistens sehr friedlich, nur einmal wurde ich gebissen, was aber keine weiteren Folgen ausser einem leichten Schmerz und einer Rötung der Haut an der Bisswunde hatte.

Myrra liebte auch Kerzen. Wir holten sie vom Friedhof. Dort gab es sie in den verschiedenen Grautönen und eigenwilligen Formen. Die meisten kaum gebraucht. Myrra sagte, die Kerzen seien das letzte Licht des Lebens, der Tod sei schwarz wie Tinte. Wenn eine Kerze erlischt, erlischt irgendwo auch ein Leben.

Myrra liebte Spinnen und Kerzen. Und ich liebte Myrra.
Manchmal ging ich noch mit Frederick einen trinken, obwohl es Myrra nicht gefiel. Wir hatten viel Spass miteinander, vor allem beim Bowling. Frederick war ein ausgezeichneter Bowlingspieler. Er war sowieso ein ausgezeichneter Sportler und hatte einen gut trainierten Körper. Ich weiss nicht, aus welchem Grund Myrra ihn verlassen hatte. Wäre ich eine Frau, ich würde einen wie Frederick nicht gehen lassen. Aber so sind die Frauen nun mal, sagt Frederick. Unberechenbar. «Du bist das beste Beispiel», sagt Frederick, «warum wählt sie nur einen wie dich?».
Ich war nicht beleidigt, denn Frederick trug das Gift des Neides in sich.

Myrra liebte Spinnen und Kerzen und schwarzen Samt. Und ich liebte Myrra. Ihre Wohnung kleideten wir mit diesem Samt. Die Spinnen waren das sich ständig verändernde Muster. Das Licht der Kerzen schien dem lebendigen Getriebe den Weg über den dunklen Grund. Myrras Augen waren so dunkel wie ihre samtene Wohnung. Nur mein Herz leuchtete hell.

Frederick holte mich zum Essen ab. Er traute sich kaum mehr in Myrras Nähe. Vor der Tür blieb er unsicher stehen und druckste sich herum. Myrra wollte ihn nicht mehr in ihre Wohnung lassen. Ich gab ihr einen Kuss und verabschiedete mich. Die Nacht war schwarz und der Donner grollte von fern. Wir hofften, die Stadt würde nicht wieder von Überschwemmungen heimgesucht.
«Was findest du nur an ihr?», fragte mich Frederick. Er hatte gut reden, er war doch ihr Liebhaber gewesen. Was hatte er an ihr gefunden? «Ach, damals war Myrra noch eine andere. Voller Feuer, du verstehst, was ich meine?» Er zwinkerte mir zu, und ich verstand, was er meinte. Er fur fort: «Myrra war nicht so, wie soll ich es sagen, nicht so dunkel». Das wiederum verstand ich nicht. Das Äussere kann niemals etwas über den Seelenzustand einer Person verraten. Ihre schwarze Kleidung, der schwarze Samt, das waren doch nur Zeichen ihrer inneren Verletzlichkeit. Die Spinnen verkörperten die Sehnsucht, geliebt zu werden. Ich konnte nun verstehen, warum sie Frederick verlassen hatte. Dieser grobe Klotz hatte doch keine Ahnung, wie es um das Seelenheil dieser sensiblen Frau stand.
Frederick trank das vierte Bier und hatte das Bedürfnis, mich umzustimmen, was meine Gefühle für Myrra betrafen: «Komm, lass dich doch nicht von dieser Frau fertig machen. Die dreht doch vollkommen durch. Früher war sie fröhlich, lachte, wir gingen zusammen zur Kirmes, fuhren Achterbahn. Sieh doch, was aus ihr geworden ist! Das kann doch nicht Dein Ernst sein, mein Freund, ihr verbringt euer ganzes Leben in diesem Loch, das Du ein Zuhause nennst. Mit Ungeziefer und verschlossenen Fensterläden. Wach auf!»
Ich wachte auf. Und verstand Myrra besser denn je, was ihre Gefühle Frederick gegenüber betrafen. Frederick und ich sahen uns seither nur noch selten.

Myrra liebte Kerzen und Spinnen und schwarzen Samt. Und ich liebte Myrra. Myrra liebte auch mich, nehme ich an. Ich kann das nicht beurteilen, weil ich noch nie vorher die Liebe einer Frau empfangen habe. Aber wenn nicht Liebe, was soll es denn sonst gewesen sein? Würde sie mich sonst sie berühren lassen? Mich mit meinen Händen ihren Körper ertasten? Kaum würde ich ihr so nahe sein, wenn sie nicht Liebe empfunden hätte. Sie sagte ihn nie, diesen Satz, den ich andauernd hauchte: «Ich liebe Dich» kam nie über ihre Lippen. Aber Myrra war keine Frau wie jede andere, von der man es erwartet hätte. Darum gehe ich davon aus, dass sie mich geliebt hat. Bestimmt waren unsere Seelen näher beieinander, als das bei diesem dumben Klotz Frederick der Fall gewesen sein mochte. Wir zündeten Kerzen an, die von einem frischen Grab stammten und summten ihre Lieblingsmelodie. Diese Melodie mochten auch all Spinnen, denn sie krochen näher heran, um Myrra und mich besser hören zu können. So waren wir eine grosse Familie, ich und Myrra und die zwar gezählten und doch unzähligen Spinnen, die wir noch nicht einglasen konnten und die sich von anderem ernährten, als von unseren fetten Fliegen, die wir erfolgreich züchteten.

Frederick lud mich zu sich nach Hause ein. Ich nahm die Einladung an. Ich hatte mich vorher lange mit Myrra unterhalten. So blieb, als ich unsere Wohnung verliess, der Himmel frei von Wolken und das Unwetter hielt sich fern.
«Sei gegrüsst, Freund!» Mit diesen Worten empfing mich Frederick. Ich nickte und überreichte ihm die Flasche Wein als Einladungsgeschenk. «Oh, einen edlen Tropfen hast du ausgesucht. Gibt es was zu feiern?». Es gab durchaus etwas zu feiern, aber den Grund verschwieg ich ihm.
Frederick führte mich in sein Wohnzimmer. «Du bist allein?», fragte ich vorsichtshalber. «Natürlich bin ich allein. Caroline habe ich heute morgen vor die Tür gesetzt!». Er lachte sein schamloses Junggesellenlachen. Casanovalachen. Valentinolachen. Frederick öffnete die Flasche Wein, die ich ihm mitgebracht hatte und schenkte uns ein.
«Und?», fragte er, obwohl er die Antwort kannte, «bist du noch mit Myrra zusammen?»
Ich schwenkte nachdenklich das bauchige Glas, ehe ich antwortete: «Ja, und wir sind glücklich».
«Das ich nicht lache!» Und er lachte: «Ha, ha, ha», betonte jede Silbe. Widerlich. War er schon betrunken, bevor ich kam? Brüderlich, väterlich, freundschaftlich legte er mir den Arm um die Schultern: «Mein lieber, Freund, siehst du denn nicht, dass Myrra dich ausnutzt? Sie verwindet es nicht, dass ich sie verlassen habe. Und so versucht sie, sich an mir zu rächen, indem sie mir den besten Freund stiehlt».
Ich war trotzdem erstaunt und im ersten Moment zu keiner Handlung fähig. Obwohl mir Myrra alles vorhergesagt hatte, alles, war Frederick mir hätte erklären können, waren diese Worte wie ein Schlag in die Magengrube. So also musste eine Freundschaft enden, im Unverständnis und im Unwissen um die wahrhaftigen Geheimnisse des Lebens, unserer Existenz.
Frederick nahm einen Schluck Wein und schien im ersten Moment überrascht. Er stammelte noch einige unverständliche Worte, bevor das Gift wirkte und meinen ehemals besten und einzigen Freund innerhalb von Sekunden tötete. Genau, wie Myrra es mir prophezeit hatte.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
also,

ich finde das eher gruselig als humorig. eine geschichte, die sehr schwer zu bewerten ist, nach meiner ansicht. und vielleicht könntest du die geschichte stärker gliedern, des besseren leseflusses wegen. ganz lieb grüßt
 

Manic Peter

Mitglied
Hallo flammarion

Danke für Deine Bemerkungen. Den Text habe ich mit Absätzen ein wenig gegliedert. Die sind bei der Übernahme rausgeflogen. Nein, unter "Humor" passt der Text vielleicht nicht, unter "Horror" aber vermutlich noch weniger. Ist ja nicht so ernst gemeint - deshalb habe ich "Satire" gewählt.
Herzlicher Gruss
MP
 



 
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