Im Wald

HannaHummel

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Der kleine pinkfarbene Wagen schlängelte sich langsam über die einsame Landstraße. Sie fuhr diesen Weg zweimal im Jahr, wenn sie ihre Tante besuchte die vor 5 Jahren in diese Abgeschiedenheit zog. Das letzte Auto hatte vor mehr als 30 Minuten ihren Weg gekreuzt, als ihr geliebtes Auto anfing zu stottern. Nach einem lauten Knall lief er wieder ruhig, aber nur, um am Berg den Geist endgültig aufzugeben.
„Oh toll“ maunzte Petra mit einem ahnungsvollen Blick zum Himmel ihr geliebtes Cabrio an. Immer mehr Wolken zogen auf und verdüsterten den vorhin noch kristallklaren Himmel. Die Luft kühlte sich ab und ein scharfer Wind kann auf.
Petra zog ein Jeanshemd über ihr knappes Sommertop, beim Fahren störte sie der Fahrtwind nicht, aber jetzt begann sie langsam zu frösteln. Sie fluchte lautstark über ihr Auto, den Mechaniker mit dem vollkommen überzogenen Kostenvoranschlag und über ihren geizigen Boss.
Aber vor allem fluchte sie über sich selbst. Sie war selbstkritisch genug, um einzusehen, dass sie ihren Geschmack in punkto Kleidung niemanden ankreiden konnte. Ein Kichern entfuhr ihr, als sie überlegte, was sie wohl für Kleidung trug, wenn ihr Ex oder ihre Mutter ihre Klamotten aussuchen würde. Jedenfalls keine Pumps und Minirock.
Der einsetzende Regen holte Petra auf den Boden der Tatsachen zurück. Da stand sie nun frierend auf der Landstraße rund 5 Kilometer vom nächsten Ort entfernt mit einem Cabrio, dass nicht fuhr, dafür aber ein defektes Verdeck hatte.
Während der Regen sich seinen Weg vom Nacken herunter Richtung Slip suchte, überlegte Petra, wo sie einen Unterschlupf finden würde. Rechts und links der Straße erstreckte sich dunkler Mischwald.
Ihr fiel die alte Klosterruine ein von der ihre Tante erzählt hatte und sofort schlug sie die Richtung ein, in der sie das Kloster vermutete.
Während ihre billigen Pumps quietschend in den Morast einsanken, kam ihr die Geschichte vom Pärchen in den Sinn, dass nach einer Autopanne Unterschlupf in einem alten Kloster suchte und das blanke Grauen fand. Obwohl Petra sich für sehr bodenständig hielt, konnte sie die Gedanken nicht abschütteln. Die Gänsehaut und das Zittern versuchte sie der Kälte und dem Regen zuzuschreiben. Dennoch wurden ihre Schritte langsamer, je näher sie sich dem Kloster glaubte. Ein plötzliches Rascheln ließ die junge Frau vor Schreck erstarren. Gehetzt blickte sie sich um. War dort hinter dem Baum nicht gerade etwas? Obwohl es inzwischen stark nieselte und die Temperatur um einige Grad gesunken war, lief Petra jetzt der Schweiß die Stirn herunter und vermischte sich mit dem Regen. Sie versuchte ihren Atem wieder unter Kontrolle zu bekommen.
Wie ein kleines Kind, das denkt, wenn ich nicht sehen und hören kann, kann mich auch niemand sehen und hören, hielt sich Petra die Ohren zu und blickte starr auf den Boden. Trotzig setzte sie einen Fuß vor den anderen.
Fast wäre sie gegen die massive Felswand gelaufen. Jetzt war sie gezwungen, den Blick zu heben. Mit der Hand die Augen vor Regen schützend, suchte sie die Felswand ab. Und was sie dort erblickte, lies sie erleichtert aufatmen.
Eine kleine Höhle, fast einem Spalt ähnelnd, einige Meter über ihrem Kopf. Gerettet! Ohne Kloster und gruselige Gestalten in sackartigen Kutten.
Dort oben konnten wohl kaum mehr als ein paar Vögel und Fledermäuse hausen. Vielleicht noch Spinnen und anderes Kleingetier.
Sollte wider Erwarten ein Fuchs den Weg in die Höhle gefunden haben, würde er wohl kurzfristig ausziehen müssen.
Petra kam sich lächerlich vor, als sie, die Pumps in der Hand haltend, wenig elegant versuchte, die Felswand hoch zu klettern.
Ein lauter Ratsch und ein plötzliches Kältegefühl an der Schulter ließen auf einen großen Riss im Jeanshemd schließen. „Na toll“, schimpfte sie laut fluchend, „was denn noch? Na ja, schlimmer kann es ja kaum noch kommen!“. Ihre tristen Gedanken wurden jäh unterbrochen, als sie abrutschte und sich das Knie aufschürfte.
Nach etlichen Mühen und einigen Kratzern mehr, hatte sie die Höhle erreicht. Von hier sah es viel höher aus und sie wurde das Gefühl nicht los, der Berg wäre gewachsen.
Sie wandte sich der Höhle zu, schlüpfte in ihre Pumps und begab sich ins Innere ihres Unterschlupfes. Ihre ersten Schritte schreckten ein paar Käfer auf, die sich eiligst ein Versteck suchten.
Petra traute sich nur soweit in die Dunkelheit, wie für einen trockenen Zwischenhalt notwendig war. Mit dem Fuß startete sie einen halbherzigen Versuch, ein Stück des Bodens von Unrat und Steinen zu befreien. Ein kräftiges Pusten sollte den Rest beseitigen, bevor sie sich mit dem Rücken am kalten Fels niederließ.
Nach ein paar Minuten ging ihr Atem wieder gleichmäßig und sie begann, sich zu entspannen.
Sie dachte an ein duftendes, warmes Wannenbad mit leiser Musik. Vielleicht noch eine Tiefkühlpizza. Mit Spinat und einer Extraportion Gorgonzola. Und dazu ein großes Glas Rotwein. Der von Luigi, der machte so ein warmes Kribbeln im Bauch.
Das gleichmäßige Rauschen des Regens lullte sie in ihre Traumwelt ein. Petra fielen die Augen zu und sie glitt in einen leichten Tagtraum.
Durch ein schrilles Pfeifen wurde dieser Traum schlagartig beendet. Petra fühlte ihre Härchen auf den Armen und im Nacken aufrecht stehen. Das Pfeifen ging in ein jammervolles Quietschen über. Unwillkürlich sah sie sich in der Schule mit Fingernägeln über die Tafel kratzen. Abrupt riss das Quietschen ab. Stille lag in der Luft, nur durchrissen vom Prasseln des Regens.
Aus der Ferne schwang ein schleifendes Geräusch herüber, als würde jemand ein großes schweres Etwas über den regenfeuchten Boden zerren. Ab und zu wurde dieses Geräusch durch andere zerstörerisch und schmatzend wirkende Laute abgelöst.
Sie schluckte und versuchte die Bilder von kinderfressenden Riesentrollen in braunen Kutten aus ihrem Kopf zu verbannen. Sie presste sich die geballte Hand auf den Mund, um den Schrei zu ersticken, bevor dieser für das Unbekannte da draußen hörbar wurde.
Petra wollte nicht wissen, was dort im Wald vor sich ging, hoffte jedoch, dass sie nicht entdeckt wurde. Angstvoll presste sie sich gegen die Felswand und schob sich, wie sie hoffte lautlos, in die Höhle hinein. Ihr Herz klopfte so dröhnend, dass sie meinte, jeder im Wald müsste es hören.
Das Schleifen und Zerren wurde lauter und deutlicher, die Abstände zwischen Schleifen und Schmatzen immer kürzer.
Petras Atem ging stoßweise, sie zitterte und schwitzte vor Angst gleichzeitig. Sie drückte sich auf den Boden und kaute auf ihrer Unterlippe, damit nicht ein verräterisches Schluchzen ihren Lippen entwischte. Ihre Hände krallten sich in den Boden, als die Geräusche sich mit lauter werdendem Schnaufen vermischten.
Petra hörte das Krachen der Bäume, dumpf schlugen die Stämme auf den Boden auf.
Obwohl beide Hände Petras Augen verdeckten, nötigte sie ein innerer Zwang, zwischen den gespreizten Fingern hindurch einen Blick in den Wald zu werfen.
Was sie dort erblickte, ließ Petras Blut gefrieren, die Augen weit aufgerissen, verspürte sie den Drang sich zu übergeben. Sie presste die Hand auf den Mund und stützte sich mit der anderen Hand an der Felswand ab.
Ein Rudel großer, kraftstrotzender Hunde zerrte mit ihren Mäulern ein riesiges blutendes Fellbündel durch den Wald. Nach ein paar Metern blieben sie nach Luft schnappend stehen. Einige Hunde liefen zur Seite ihres Opfers und vergruben ihre riesigen Mäuler in die blutige Seite und begannen schmatzend zu saugen. So gestärkt, zogen sie das verletzte, winselnde Tier weiter.
Einem inneren Zwang folgend schob sich Petra näher an die Felskante, die Hände vorsichtig über den Boden gleitend, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren.
So am Höhleneingang kauernd, bemühte sie sich, mehr von dieser armen Kreatur zu sehen.
Die Hunde waren fast bis an den Felsen herangekommen, als Petra das ganze Ausmaß des vermeintlichen Opfers sah.
Was die Hunde zogen, war nicht nur irgendein riesiges Tier, es war ein kolossaler Hund. Noch größer als das Rudel, das ihn zog. Die Hunde, die sich abwechselnd an dem großen Hund stärkten, tranken nicht etwa Blut, nein sie saugten Milch aus den überdimensionalen Zitzen ihrer Mutter.
Das Rudel bestand ausschließlich aus Welpen, die versuchten ihre verletzte Mutter in Sicherheit zu bringen.
Petra lehnte sich zitternd zurück und wusste nicht, ob das eben Gesehene sie beruhigen oder ängstigen sollte. Sie wartete ab, bis auch die letzten Geräusche verstummt waren, dann zog sie sich in die Höhle zurück. Sie kauerte sich erschöpft an die Felswand und lauschte angestrengt.
Nur das Prasseln des Regens war zu hören. Langsam glitt sie in einen tiefen, erholsamen Schlaf.
Nicht ahnend, dass sie beobachtet wurde.....
 



 
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