Im Wald

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Raniero

Textablader
Im Wald

Genauso hatte ich es mir vorgestellt, in meinen kühnsten Alpträumen.
Jetzt waren wir schon seit vier Stunden unterwegs, meine bessere Hälfte und ich, in einem dichten Waldgelände, mit einer Gruppe ‚Gleichgesinnter‘, um diesen Wald zu erforschen, und ich sah im wahrsten Sinne des Wortes keinen solchen mehr vor lauter Grünzeug. Meine Füße schmerzten wahnsinnig, und darüber hinaus hatte mich ein unbändiger Durst erfasst, der nach meiner Vorstellung nur noch in einer großen Waldschenke gestillt werden konnte. Doch es war weit und breit, soweit man davon in diesem Unterholz sprechen konnte, in dem wir uns bewegten, eine solche Schenke nicht zu sehen. Auch konnte man bei mir nicht von Gleichgesinntem im Sinne eines Naturfreundes sprechen, was die anderen Teilnehmer der Gruppe, meine Frau eingeschlossen, zweifelsohne waren.
Ich hatte nur teilgenommen, bei diesem unseligen Ge-Wald Marsch, weil mir mein Weib damit, kaum, dass der Winter sein Haupt zur Neige gelegt hatte, in den Ohren lag: „Dann kommst du endlich einmal raus, aus der Bude, und vom Computer weg! Die frische Luft wird deiner Gesundheit gut tun, deiner und meiner auch. Wie sagt man so schön: Frische Luft ist der beste Viruskiller!“
Ich war mir gar nicht bewusst, dass mein Computer einen Virus hatte, hielt mich aber mit einer Bemerkung diesbezüglich zurück.
Stattdessen versuchte ich, dem Wunsch meiner Frau nach Wald etwas entgegenzusetzen, indem ich darauf hinwies, dass nicht alle Waldspaziergänge nur von Freude und Frohsinn geprägt waren, man denke nur an die Begleitumstände von Hänsel und Gretel oder beispielsweise Dornröschen, und zum Weiteren machte ich sie darauf aufmerksam, dass es sehr leicht möglich war, sich in einem Wald zu verlaufen, wo doch ein Baum wie der andere aussah, doch sie ließ all diese Einwände nicht gelten.
„Es handelt sich um eine geführte Wanderung. Ein Förster begleitet uns, und wir bewegen uns nur auf Waldlehrpfaden.“
Ich blickte meine bessere Hälfte erstaunt an; erstaunt und ungläubig.
Was hatte man darunter zu verstehen? Waldlehrpfade? Geführte Wanderung?
Ich war der Meinung, dass ich bereits genug gelernt hatte, in früheren Zeiten; was sollte mir da ein Wald noch beibringen? Und führen lassen wollte ich mich auch nicht unbedingt, schon gar nicht von fremden Förstern.
Meine Frau brachte Geduld auf und erklärte es mir:
„Eine geführte Wanderung, mein lieber Mann, ist eine Wanderung, die von einem Kundigen geleitet wird, wie ein Stadtrundgang, so was kennst du doch, nicht wahr?“
Ich vermied es, auf die ironisch gedachte Frage einzugehen, und hörte weiter zu.
„Und dieser Kundige, bei unserem Spaziergang, ist der zuständige Revierförster, Herr Hackenbart. Er erklärt uns alles, alle Fragen zu Flora und auch zur Fauna des Waldes.“
Nun hatte sie bereits von unserem Spaziergang gesprochen, obwohl ich mich noch gar nicht entschlossen hatte, mitzumachen, doch auch dieses Mal enthielt ich mich einer Bemerkung.
„Damit einem das“, fuhr meine Angetraute fort - jetzt war sie in ihrem Element -
„was der Fachmann uns erläutert hat, besser im Bewusstsein bleibt, wandern wir auf sogenannten Lehrpfaden. An diesen Wegen stehen eine Unmenge an Hinweistafeln, auf denen die gesamte Vegetation des Waldes vermerkt ist. Das ist genau das Richtige für dich, du Städter, der nicht einmal einen Baum von einem Strauch unterscheiden kann!“
Ich gab mich geschlagen, denn sie hatte Recht.
Einen Baum von einem Strauch zu unterscheiden, das bekam ich wohl noch hin, da hatte sie gewiss übertrieben, meine Herzallerliebste, aber das war es denn auch, mit meinen botanischen Fähigkeiten.
Ich sah zwar immer noch nicht so recht ein, warum man, um frische Luft zu schnappen und die Natur zu genießen, dafür durch einen Wald jagen müsse, wenn man dieses ebenso gut auf einem Balkon oder im Garten tun könne, aber um des lieben Friedens willen sagte ich zu, den Wald mit ihr zu erforschen; mit ihr, dem Förster Hackenbart und den anderen Waldfreunden.

Wir trafen zur verabredeten Zeit am Waldesrand, dem vereinbarten Treffpunkt, ein.
Zu meinem Erstaunen fanden wir dort nicht nur einen, sondern gleich dreizehn Förster vor, zumindest ließ es das Outfit der versammelten Damen, drei an der Zahl, und Herren, insgesamt zehn, vermuten. Alle trugen Wald- und fast sogar waidgerechte Kleidung, vom grünen Filzhut über Kniebundhosen bis zu den groben Wanderschuhen. Aus der Gruppe der zehn Herren war der Originalförster, dieser Sachkundige, der die Gruppe leiten sollte, nur daran zu erkennen, dass ein Hund an ihm hochbellte; ansonsten unterschied er sich äußerlich nicht von den anderen Männern. Die drei Damen machten trotz ihrer grasgrünen Gewänder einen schnuckeligen Eindruck, und ich versuchte gleich, sie mir insgeheim ohne ihre Waldrüstungen vorzustellen. Wir selbst jedoch, mein Weib und ich, kamen uns aufgrund des Mangels an forscher Kleidung ein wenig deplaziert vor; wir trugen normale Freizeitkleidung, mehr in Richtung blau statt in grün, und leichte Sportschuhe, nun ja, es war schließlich unser erster organisierter Waldspaziergang.
Der richtige Förster, Herr Hackenbart, ein forscher Mann mittleren Alters, stellte zuerst sich und dann seinen Hund vor, anschließend erklärte er in groben Zügen den Ablauf der geplanten Waldwanderung. Vielleicht tat er das nur für uns beide, denn die anderen Hobbyförster blickten während seiner Ausführungen relativ gelangweilt drein; offensichtlich war es für sie nicht das erste Mal.

Sodann ging es los, in den Wald hinein, mit großen Schritten.
Der Förster Hackenbart lief vorneweg, ihm folgten unmittelbar die vier Damen einschließlich meiner besseren Hälfte, danach schritten wir Männer, zehn an der Zahl, wobei ich das Schlusslicht. bildete.
Allerdings kamen wir nicht weit.
Schon nach fünfzig Metern machten wir Halt, am ersten Schild des Pfades, welches mit lateinischen Ausdrücken nur so gespickt war.
An dieser Stelle überboten sich die männlichen Ersatzförster mit ihrem Fachwissen, dem der Botanik und dem der lateinischen Sprache.
All das, was auf dieser Tafel stand, wurde ausführlichst erklärt ,an Hand vorhandener Beispiele, und von allen Seiten beleuchtet.
Die Herren der Schöpfung, so hatte ich den Eindruck, wollten einen solchen schinden, bei den weiblichen Teilnehmern dieser Tour im Grünen.
Der Originalförster indes stand etwas abseits und ließ sie schmunzelnd gewähren.
Er hatte ja seinen Hund zum Zeitvertreib dabei, dem er weit ausholendend kleine Holzstückenchen zu Apportieren hinwarf.
Auf diese Weise setzte sich das Unternehmen Walderkenntnis fort; die Herren erklärten, die Damen verklärten ihre Mienen ob der gewaltigen Informationsflut, und der wahre Fachmann langweilte sich.
Wir arbeiteten sie regelrecht ab, diese Hinweistafeln von Flora und Fauna.
Meine Füße begannen, zu schmerzen, und dann war da noch dieser grausame Durst, diese staubtrockene Kehle....
Auf einmal fiel mir auf, an einem der unzähligen Waldschilder, an dem wir Halt machten, dass der Hauptförster Hackenberg nicht mehr da war.
Ich schaute mich ungläubig um.
Nichts zu sehen vom Förster und auch nicht von seinem Hund.
„Dieser Schuft“, dachte ich mir, „hat sich aus dem Staub gemacht. Wahrscheinlich sitzt er schon daheim im Garten und hält die Füße hoch, und ich muss leiden!“
Ärger keimte in mir hoch, doch ich konnte ihn auch verstehen, den guten Mann.
„Na ja“, gestand ich mir ein, „ich hätte wahrscheinlich das Gleiche getan, an seiner Stelle, bei einem derartigen Försterüberhang“.
Während ich den Weg zurückblickte, nahm ich plötzlich in einiger Entfernung einen Hund wahr, der auf dem Lehrpfad hin - und herwieselte.
War das nicht der Hund unseres Leitwolfes, unseres Waldführers?
Einer der Herren klärte die anderen Naturfreunde gerade über den Pflanzennamen ‚Vagus Silvae‘ auf.

Ich beschloss, mich zurückfallen zu lassen, beim weiteren Eindringen in das Waldgelände, und so ließ ich die Gruppe von dannen ziehen und trat langsam den Rückzug an, in Richtung der Stelle, wo ich den Hund erblickt hatte.
Niemandem aus der Waldgemeinschaft fiel etwas auf.
Als ich den Hund erreichte, schien dieser mir etwas mitteilen zu wollen.
Er bellte mich geräuschvoll an und schlug dann in einen seitlichen Weg ein, den ich vorher nicht beachtet hatte. Mit klopfendem Herzen folgte ich dem Hund, und nach gut dreihundert Metern lag sie vor mir, hinter einer Wegbiegung; eine Gaststätte, mitten im Wald, eine richtige Waldschenke.
Frohen Herzens betrat ich die Kneipe, in Begleitung des Försterhundes, der vor Freude mit dem Schwanz wedelte. Sein Herrchen saß an einem Tisch in der ansonsten leeren Wirtschaft; als er uns erblickte, strahlte er mit seinem Hund um die Wette.
„Hallo, auch abgeseilt“, rief er mir zu, „das war das Beste, was Sie machen konnten.“
Er lud mich ein, an seinem Tisch Platz zu nehmen, und wir genehmigten uns ein Bier in Kombination mit einem kleinen Glas weißen Schnapses, eine Zusammenstellung, die sich Waldgedeck nannte. Diesem Gedeck ließen wir ein weiteres folgen, und erneut ein weiteres, solange, bis wir plötzlich verblüfft feststellten, dass draußen gar kein Wald mehr vorhanden schien, als wir aus dem Fenster schauten.

Im gleichen Moment ging die Tür der Gaststätte auf und meine Frau betrat den Schankraum; ich muss zugeben, ich hätte sie fast nicht mehr wiedererkannt.
Sie nahm mich wortlos an die Hand und führte mich mit grimmigem Gesichtsausdruck aus der Kneipe und dem Wald hinaus.

Ich bin davon überzeugt, dass sie mich in Zukunft nicht mehr so schnell wieder hinein führen wird, in einen Wald.
 

Raniero

Textablader
Hallo anemone,

danke für's Kompliment. Freut mich, dass Dir die Story gefallen hat. Werde so weitermachen.:cool:

Gruß Raniero
 



 
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