Im Wald und bei Gerlinde (Sestinenvariation)

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HerbertH

Mitglied
Im Tale schwankt ganz leise eine Eiche,
vom Sturm geschüttelt knirschen morsch die Zweige,
vom Blitz geschlagen dunkelschwarz die Rinde.
Ein Kakadu besetzt kackfrech das Loch
im Stamm, das Spechtens hartes lautes Trommeln
dort hinterließ, befreit vom dicken Wurm.

Die Eiche wartet auf den nächsten Sturm,
und fragt sich, ob die Kraft auf Dauer reiche.
Den Kakadu zu sehen kommen Dommeln
und auch ein guter Mensch mit seiner Geige:
So bunt, denkt er, und denkt gleich an Gerlinde,
vom Morgentreffen noch im Stimmungshoch.

Viel bunter noch erscheint ein junger Koch,
mit viel Gestöhn besteigt er seinen Turm,
und hält dort Ausschau nach dem Angebinde,
damit ihm seine Braut nicht gleich entweiche.
Denkt er an sie, denkt er an eine Feige,
vergisst sogar, am besten Wein zu sömmeln.

Sein Chef schaut zu und möchte sich beömmeln,
er liebt die gleiche Schöne - wie sie roch!
Und denkt viel lieber an die steile Steige
und an die Stufen bis zum Liebessturm.
Als Sommelier ist jeder für ihn Leiche,
der nie die Blume roch, statt Wein Gerlinde!

Gerlinde wünscht vor allem Liebe sich. Gesinde?
Das ist ihr schnurz! Die Hochzeit laut, mit Trommeln
für Sternchen, Rockbands laute Klänge, reiche
Bescherung auf dem Gabentisch, ganz hoch
Geschenke, aufgehäuft zum Gabenturm,
als Nachtisch von den Feigen eine Steige.

Man fragt sich, ob Gerlinde nichts vergeige,
vielleicht ist sie schon schwanger von dem Kinde,
wer mag der Vater sein von ihrem Wurm?
Das fragen sich die Damen und die Dommeln.
War es der Geiger, wars der Chef, der Koch?
Nur einer ist das schnurz und zwar der Eiche.


Es fällt die Eiche, Leben geht zur Neige.
Wer kriegt Gerlinde? Alle rätseln noch.
Nun schlag die Trommeln, lieber Specht, dem Wurm.
 

HerbertH

Mitglied
Hallo Karin,

das habe ich auch zunächst gedacht. Aber nach der ersten Strophe habe ich mir die Endreime von Strophe 2 aufgeschrieben und dann die zweite Strophe geschrieben, und so weiter.

Dabei kam die vorliegende eher komische Geschichte heraus.

Also nur Mut, ich habe es auch "einfach mal probiert" :)

lG

Herbert
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo, Herbert, es ist ein sehr schönes Gedicht. Du hast es von der ursprünglichen Setinenform abgeleitet und es zugleich für heutigen Gebrauch lesbarer gemacht.

Bei der ursprünglichen Sestinenform wurde kein "echter" Reim verwendet, die Wörter am Versende wurden wiederholt und dabei permutiert. Ich habe jetzt einen Artikel dazu geschrieben.

Ich habe etwas gezögert mit der Antwort, weil ich mich erst wieder mit der Form vertraut machen und sie beschreiben wollte. http://www.leselupe.de/lw/titel-Die-Sestine-100219.htm

Dein Gedicht hat die wesentlichen Merkmale der Sestine, außer der Reimlosigkeit.
 

HerbertH

Mitglied
Sestinenvariation

Hallo Bernd,

danke erstmal für die anerkennenden Worte.

Du hast natürlich recht: Ich habe Reime statt identischer Endwörter in der Sestinenform permutiert (Wikipedia spricht hier irreführenderweise von "Reimwörtern"). Dieser feine Unterschied ist mir jetzt erst bewusst geworden. Vielleicht sollte man dann den Titel ändern, statt "Sestine" vielleicht "Sestinenvariation".

Zu meiner Entlastung kann ich nur sagen: Das war mein 1. Versuch mit einer Sestine :). Um so besser, dass es das nochmal als Schreibaufgabe geben wird.

Liebe Grüße

Herbert
 

Bernd

Foren-Redakteur
Teammitglied
Bei mir war es auch der erste Versuch (ich habe es in der Schreibwerkstatt und auch die Aufgabe schon formuliert.) Aber Deine Variante insgesamt sehr gelungen. Intuitiv hast Du auch schon eine gängiger klingende Form verwendet. Den Titel änch nach Deinen Angaben.
 

HerbertH

Mitglied
Lieber Bernd,

ja, irgendwie gefällt mir die Sestinenvariante ;). Bei einer Sestine mit identischen Endwörtern ist man natürlich eingeschränkter. Ich bezweifle, dass ich damit beim ersten Versuch eine derart schöne "Geschichte" hinbekommen hätte.

Danke für Ändern des Titels und die aufmunternden Worte.

lG

Herbert
 

MarenS

Mitglied
..schwanger von dem Kinde?...ömpf, mein Lieber!
...schwanger mit dem Kinde ...das scheint mir eher zu stimmen.

Ansonsten bin ich recht angetan.

Es grüßt die Maren
 

HerbertH

Mitglied
Im Tale schwankt ganz leise eine Eiche,
vom Sturm geschüttelt knirschen morsch die Zweige,
vom Blitz geschlagen dunkelschwarz die Rinde.
Ein Kakadu besetzt kackfrech das Loch
im Stamm, das Spechtens hartes lautes Trommeln
dort hinterließ, befreit vom dicken Wurm.

Die Eiche wartet auf den nächsten Sturm,
und fragt sich, ob die Kraft auf Dauer reiche.
Den Kakadu zu sehen kommen Dommeln
und auch ein guter Mensch mit seiner Geige:
So bunt, denkt er, und denkt gleich an Gerlinde,
vom Morgentreffen noch im Stimmungshoch.

Viel bunter noch erscheint ein junger Koch,
mit viel Gestöhn besteigt er seinen Turm,
und hält dort Ausschau nach dem Angebinde,
damit ihm seine Braut nicht gleich entweiche.
Denkt er an sie, denkt er an eine Feige,
vergisst sogar, am besten Wein zu sömmeln.

Sein Chef schaut zu und möchte sich beömmeln,
er liebt die gleiche Schöne - wie sie roch!
Und denkt viel lieber an die steile Steige
und an die Stufen bis zum Liebessturm.
Als Sommelier ist jeder für ihn Leiche,
der nie die Blume roch, statt Wein Gerlinde!

Gerlinde wünscht vor allem Liebe sich. Gesinde?
Das ist ihr schnurz! Die Hochzeit laut, mit Trommeln
für Sternchen, Rockbands laute Klänge, reiche
Bescherung auf dem Gabentisch, ganz hoch
Geschenke, aufgehäuft zum Gabenturm,
als Nachtisch von den Feigen eine Steige.

Man fragt sich, ob Gerlinde nichts vergeige,
vielleicht ist sie schon schwanger mit dem Kinde,
wer mag der Vater sein von ihrem Wurm?
Das fragen sich die Damen und die Dommeln.
War es der Geiger, wars der Chef, der Koch?
Nur einer ist das schnurz und zwar der Eiche.


Es fällt die Eiche, Leben geht zur Neige.
Wer kriegt Gerlinde? Alle rätseln noch.
Nun schlag die Trommeln, lieber Specht, dem Wurm.
 



 
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