In The Air Tonight

Cafard

Mitglied
Der Morgen ist jung, ich fahre den üblichen Weg zur Arbeit, der Verkehr fließt angenehm ruhig, das Gefühl ist leicht, die Gedanken hängen in flüchtigen Anfängen - bis ein Lied in diese Stimmung platzt:

I can feel it coming in the air tonight, oh lord.

Die Empfindung kommt aus dem Tritt, der Sound aus dem Radio reizt mich an einem wunden Punkt.

I've been waiting for this moment, all my life, oh lord.

Warten und leben und warten.

Can you feel it coming in the air tonight, oh lord, oh lord.

Hoffen und leben und hoffen... der weitere Tag läuft ohne besondere Aufgeregtheiten, die Pflichten gestalten sich als lösbare Aufgaben, innendrin alles okay. Zu Hause ein stiller Moment, Eindrücke melden sich zurück, das Lied heutmorgen, was hat es eigentlich zu bedeuten, woran hat Collins dabei gedacht?

Ich werde neugierig, ich recherchiere, verschiedene Ansätze tauchen auf, es hält sich die Sage von einem dramatischen Ereignis, zuvor hätte Phil Collins miterlebt, wie ein Mensch ertrinkt, solche Spekulationen beziehen sich auf eine bestimmte Passage im Text:

Well, if you told me, you were drowning, I would not lend a hand.

Plausibler klingt die Überlegung, es handele sich dabei um eine bildhafte Beschreibung des inneren Loslassens während der Trennung von seiner damaligen Frau Andrea.

Zu meinem Erstaunen wird von einem BBC-Interview berichtet, in dem Collins den vielfältigen Interpretationen des Songs den Boden entzieht, und zwar mit der ernüchternden Aussage, "er wisse selbst nicht, wovon der Text handelt".

Ich glaube das so nicht, dafür machen sie mir zuviel Gänsehaut, das schöne Lied und die schöne Unruhe, was da kommt, im Warten, im Hoffen, im Leben... in the air tonight.
 

APO

Mitglied
Guten Morgen Cafard,

ja, "die schöne Unruhe", die beim Lesen deiner Prosaminiatur aufkommt: da muss ich doch etwas schreiben.
Ich mag die Unaufgeregtheit der Sprache. Einfache, klare, kurze Sätze, in die Protagonistin ihre Gedanken und Gefühle legt und mich mitnimmt durch ihren Tag ins Leben und Warten und Leben. Und das ist genau die Stelle im Text, die alles weit und offen lässt: Wieso ist dort Warten im Leben? Da kann ich als Leser hineinschlüpfen und mir meine eigenen Gedanken machen.
Ich erinnere mich gut an den Moment, als ich das Lied zum ersten Mal gehört habe. Verwundert war ich ob dieses für mich fast religiös anmutenden Textes. Außerdem war ich seit den späten Siebzigern Genesis-Fan und etwas verärgert über diese erste Soloplatte von Phil Collins. Aber ich weiß noch, dass mich die besondere Atmosphäre des Songs beeindruckt hat.
Die vielen Interpretationen des Songs zeigen mMn. nur, dass das Stück einen öffnenden, universellen Moment hat, indem sich viele Menschen auf unterschiedliche Weisen wiederfinden können. Seine Antwort in dem Interview ist schlau, er ist halt ein Profi, der vermutlich weiß, dass der Song größer ist als der Ursprungsgedanke des Autors. Und was macht ein Werk aus? Auch hier bei uns? Ja, klar.
Hab ich schon gesagt, dass mir dein Text gefällt? Tut er. Sehr.

Viel Spaß und Tiefe beim Leben und Warten.
Apo
 

Cafard

Mitglied
Wenn ich Post von der Außerpoetischen Opposition bekomme, geht mein Herz auf, APO schreibt so schöne Kommentare, da wird man süchtig nach, hehe. Jetzt mal ernsthaft find ich deinen Gedanken wegweisend, dass ein Lied/ bzw. Werk größer ist als der Ursprungsgedanke des Autors, nach diesem Prinzip lässt es sich in der eigenen kleinen Welt noch besser leben.

Wann bekommen wir einen neuen Text von dir?
 

APO

Mitglied
Hi nochmal,

der Gedanke ist natürlich nicht von mir, hat mir mal ein Bremer Autor eingeflüstert und wer weiß, wo der den her hatte.
Ein neues Werk? Das Lied der Malerin kommt doch gerade erst ins Laufen. Ich arbeite an einigem, habe einiges in der Schublade, aber im Moment sagt mein Bauch noch nichts Konkretes dazu.
Also schreibe ich erstmal weiter Kommis und lese so rum.

Apo
 
U

USch

Gast
Hallo Cafard,
ich schließe mich da APOs Kommentar an. Vielleicht kannst du das Erklärende literarisch noch etwas eliminieren und lebendiger gestalten.
Dein locker flockiger Schreibstil gefällt mir. Gibt´s nicht so viel hier. Und die Beschäftigung mit Songs gefällt mir auch. Mehr davon.
LG USch
 



 
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