In der Bibliothek

4,00 Stern(e) 1 Stimme

Astrid

Mitglied
In der Bibliothek
„Wenn dich das nächste Mal ein Mann anguckt, schaust du nicht weg“ riet mir Karin.
Ich hatte ihr von einem Nachmittag in der Bibliothek erzählt. Zwei, dreimal in der Woche war ich dort zu finden. Es gab neuerdings ein Lese-Café und der Kaffee war ganz gut und dann saß ich dort, blätterte in Zeitschriften, denen man über ihre Titel „Kein Ausleihexemplar“ aufgedruckt hatte. Manchmal schnappte ich mir eine der Neuerscheinungen und las, wartete auf den Moment, in dem es mich packen würde oder eben nicht.
Oft schrieb ich. Eines Tages hatte ich das für mich entdeckt; weil die Stille in der Wohnung zu laut geworden war, zog es mich zu den Menschen und zu den Büchern und ich legte mein Schreibzeug neben den Pappbecher süßen Kaffees.
Es begann stets auf die gleiche Weise. Während ich las, schlichen sich die ersten Worte in meinen Kopf, schlüpften aus den Seiten, wo sie zwischen den Zeilen auf mich gewartet hatten. Dann hob ich noch einmal den Becher an die Lippen, verbrannte mich, achtete nicht mehr darauf, stellte ihn irgendwo ab und nahm den Stift.

In diesen besagten frühen Nachmittagsstunden klappte das nicht. Aus der Stille geflüchtet, empfand ich es hier nun als zu laut. Lärmende Kinder und die Frauen hinter dem Tresen unterhielten sich ununterbrochen, wahrscheinlich hatten sie Langeweile, denn die Kindergruppe wurde auf der oberen Etage betreut und die Eingangstür zur Bibliothek stand die meiste Zeit still, der Schwung an Lesern würde später erst kommen. Nur solche verlorenen Seelen wie ich und ein paar zeitungslesende Männer waren da.
„Im Baumarkt kann man Männer kennen lernen“ hatte mir eine andere Freundin erzählt. Aber was sollte ich in einem Baumarkt?
Ich war ja schließlich auch nicht hier, um Anschluss zu finden.

In einer Zeitschrift hatte ich letztens was übers Schreiben gefunden, über Tagebuchnotizen, aus denen auch Geschichten entstehen können, und was man tun konnte, wenn es gerade nicht so klappte mit eben diesem, dem Schreiben. Sie hatten dort einen Tagebuchschreiber interviewt, der sah ganz nett aus auf dem Foto.
Ich habe mir die Anschrift der Redaktion notiert.

Obwohl ich den Beitrag bereits kannte, las ich ihn noch mal, wartete auf ein mögliches Angestecktwerden. Vergeblich.

Die gelangweilten Frauen hinter dem Tresen hatten per Automatik sämtliche Fenster neben dem Lese-Café angeklappt, einzeln ließen sie sich wohl nicht öffnen. Auf jeden Fall begann ich zu frieren und von draußen drang Baumlärm herein.
Ich schrieb schwerwiegende Sätze in mein Tagebuch, in welches ich mir angewöhnt hatte, auch Beobachtungen und Ideen zu notieren: „15.2.2007. Bin wieder in der Biblio, doch irgendwie stört mich heute alles, zu laut, zu kalt und am Nebentisch sitzt ein Mann und schaut rüber zu mir. Ist das nicht krank? Ich kam hierher, weil ich aus der häuslichen Einsamkeit flüchten wollte und bin dabei schon wieder auf der Flucht. Der Kaffee ist heute auch nicht gut. Ich haue wieder ab.“

Obwohl der vom Nebentisch eigentlich ganz nett aussah.
„Aus dir soll einer schlau werden“ hatte Karin nur gesagt.

Zwei Tage später aber sollte alles ganz anders werden. Ein Samstag, ich betrat bereits am Vormittag den weiträumigen Büchersaal und spürte, wie mich ein Gefühl von Angekommensein empfing. Ich grüßte, klemmte mir zwei Neuerscheinungen unter den Arm, nahm meinen Platz ein, diesmal nicht an dem Tisch mit nur zwei Stühlen daran, sondern an dem großen runden.
Ein Autor hatte über seine Erlebnisse bei Lesereisen Tagebuch geführt und daraus nun ein Buch gemacht. Ganz schön clever. Vielleicht sollte ich mal eines schreiben über Geschichten in der Bibliothek…

So las ich und schrieb ein bisschen, schaute und lächelte den vorbeilaufenden Lesern zu, eigenartigerweise waren es wirklich nur männliche.

Ihn sah ihn mehrmals. Er lief an meinem Tisch vorbei, sah herüber, blieb vor einem Zeitschriftenregal stehen, blätterte, ging weiter, kam wieder ein paar Schritte zurück in meine Richtung, schaute mich an. Ich konnte seinen Blick nicht deuten, war er interessiert oder, ich sah an mir herunter, ob ich irgendetwas an mir hatte, aber es war alles wie immer.
Er sah gut aus, war groß, doch immer, wenn ich mich entschlossen hatte, ihn anzulächeln, sah er gerade wieder weg.
War es ein Spiel? Ein Spiel, welches ich verlernt hatte, zu spielen?

Ich hatte keine Lust mehr, stopfte mein Schreibzeug in den Rucksack, erhob mich, um meinen Mantel anzuziehen, als er lächelnd auf mich zutrat.
In Gedanken hörte ich mich schon die Freundin belehren, dass man nicht unbedingt in den Baumarkt müsse –
da sprach er mich an.

„Das ist aber schön“ sagte er.
Ich erwiderte sein Lächeln. Kannte ich ihn oder verwechselte er mich mit jemandem?

„Dann kann ich ja wieder auf meinen Stammplatz.“

Meine Mundwinkel versuchten, das Lächeln festzuhalten.
An diesem Tisch standen mindestens acht Stühle!
Hastig nahm ich den Mantel, drückte ihn gegen meine Brust, als hätte ich das Bedürfnis, mich vor irgendetwas schützen, dann nuschelte ich „viel Spaß noch“ und verließ schuldbewusst die Bibliothek.

Am Abend schickte ich eine Mail an die Zeitschrift, mit ein paar Zeilen an den Tagebuchschreiber. Vielleicht würde er ja antworten.
 



 
Oben Unten