In der Sockenkiste

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Fallanda

Mitglied
In der Sockenkiste

Jeder weiß, was Socken sind und jeder besitzt welche bei sich Zuhause. Es gibt sie in vielen verschiedenen Arten und Formen. Zum Beispiel gibt es bunte Socken und einfarbige, lange und kurze, wollige und seidene und so weiter.
Aber egal wie sie aussehen, eines haben alle gemeinsam. Immer zwei gleicher Art und Form gehören zusammen. Schließlich müssen sie auch auf genau zwei Füße passen und dabei möglichst gleich aussehen. Denn es sieht komisch aus, wenn der eine Fuß etwa einen bunten Kniestrumpf trägt und der andere vielleicht ein rosa Söckchen. Das passt nun wirklich nicht zusammen.
Aus diesem Grund nützen Socken nur als Paar etwas. Sobald eine von beiden verloren oder kaputt gegangen ist, hat die andere Socke ebenfalls ausgedient und kommt weg. Denn nur ganz selten wird eine Socke geflickt oder mit einer ähnlichen kombiniert, die auch alleine ist.
Da das aber wirklich nur in wenigen Fällen vorkommt, passt jede einzelne Socke gut auf, dass ihre jeweilige Partnersocke niemals verloren geht.

So auch bei Familie Müller. Nur im Gegensatz zu den meisten anderen Familien werden die Socken bei Müllers aber nicht paarweise in einer Schublade oder im Kleiderschrank aufbewahrt, sondern verstreut in eine Kiste gepackt.
Deswegen ist die Aufregung unter den Socken immer groß, wenn sie aus der Wäsche kommen und ihren Partner erst einmal suchen müssen. Denn so spaßig auch der Waschgang selbst ist, so nervenaufreibend ist eben darauf die Angst, den Partner verloren zu haben. Und es ist ja allgemein bekannt, dass die meisten Socken während der Wäsche irgendwie auf geheimnisvolle Art und Weise verschwinden und hinterher so manche nur noch einzeln heraus kommt.

Als bei Müllers vor wenigen Tagen wieder großer Waschtag gewesen war, hatten sich die meisten gebrauchten Socken auf das Erlebnis in der Waschtrommel gefreut. Sie machten sich noch keine Sorgen, dass sie oder ihr Partner vielleicht rätselhaft verschwinden könnten. Dazu war später noch genug Zeit. Zuerst stand einfach nur der riesengroße Spaß während der Wäsche an.

Nur die kleinen Söckchen mit dem blauen Ringelmuster waren ganz besonders aufgeregt und sorgten sich bereits. Es war noch nicht lange her gewesen, dass sie von Mutter Müller für die kleine Tochter aus dem Regal im Kaufhaus mitgenommen wurden. Daher waren sie auch erst ein einziges Mal getragen und schmutzig geworden. Jetzt stand ihr erster Waschgang bevor und sie waren ein wenig ängstlich.
„Ihr braucht euch doch keine Sorgen zu machen. Es ist lange her, dass die Letzte von uns verloren gegangen ist“, versuchte eine weiße Baumwollsocke zu beruhigen.
„Geniest einfach die Fahrt und freut euch, dass ihr bald wieder sauber seid“, ermutigte auch der bunte Herr Kniestrumpf, der schon lange bei Müllers war und viel Erfahrung damit hatte.
Die Söckchen lächelten zaghaft und entspannten sich ein wenig. Immerhin waren sie froh, bald wieder frisch und sauber zu sein. Die letzten drei Tage im Wäschesack waren nämlich wirklich anstrengend gewesen. Es hatte so unangenehm gerochen, dass sich alle Socken so klein wie möglich zusammengerollt hatten, dass nicht noch zusätzlich zum Eigenen der Dreck und Gestank der anderen auf sie abfärbte. Zudem waren in dem Wäschesack all die anderen Kleidungsstücke sehr unfreundlich zu den Socken und beschimpften sie regelmäßig. Ohne Socken wäre es angeblich viel erträglicher im Wäschesack und würde nicht so stinken, jammerten diese immer wieder.
Die Söckchen hatten davon eingeschüchtert zwischen zwei Schlüpfern ausgehaart. Die Beschwerden konnten sie überhaupt nicht verstehen, denn gegen die Schlüpfer neben sich, konnten sie beim besten Willen nicht anstinken. Aber sie waren ja noch neu und hatten nicht gewagt, sich gegen die Anschuldigungen zu wehren.

Nun lagen die Söckchen mit gemischten Gefühlen zwischen Freude und Angst in der Wäschetrommel und hofften, dass es schnell vorbei sein würde. Als die Trommel geschlossen wurde und langsam begann, sich zu drehen, versprach Schwestersöckchen noch schnell seinem Brudersöckchen, ihn im Auge zu behalten. Und auch Brudersöckchen versprach darauf, genau aufzupassen, wohin es Schwestersöckchen verschlagen würde.
Und dann ging es richtig los.

Zuerst hatten die Söckchen noch Angst und beobachteten ganz genau, wohin ihr Partner geschleudert wurde. Aber umso schneller die Trommel sie umher wirbelte und umso mehr Wasser eingepumpt wurde, desto größer war das Kribbeln zwischen den Maschen und desto schöner das Gefühl, den ganzen Dreck und Gestank loszuwerden.
Die Trommel rumpelte und das Wasser spritze. Die Söckchen begannen, an der Fahrt immer mehr Gefallen zu finden und jauchzten mit den anderen Socken vor Freude. Es war wie eine schnelle Achterbahnfahrt und sie genossen den Nervenkitzel. Dabei waren plötzlich all ihre Sorgen vergessen und keine von beiden achtete noch auf ihren Partner.

Als die Waschmaschine stoppte, waren alle Socken glücklich, aber auch erschöpft. Mutter Müller holte sie heraus und hängte sie auf lange Leinen, wo sie sich eine Weile ausruhen konnten.
Brüdersöckchen war noch ein wenig schwindelig von der Fahrt und nur langsam kam es ihm in den Sinn, dass es Schwestersöckchen völlig aus den Augen verloren hatte. Entkräftet drehte es sich an seiner Klammer und suchte die Reihen der mittlerweile schlafenden Socken nach Schwestersöckchen ab. Aber es war nicht zu sehen.
„Schwestersöckchen! Wo bist du?“, rief es verzweifelt.
„Pssst!“, raunte sofort eine schwarze Wollsocke ärgerlich. „Wir schlafen hier!“
Brüdersöckchen verstummte verlegen und überlegte. Noch keine andere Socke hatte ihren Partner gesucht. Vielleicht war es wirklich besser, erst einmal zu schlafen und dann mit neuen Kräften zu suchen. Denn es erkannte, wie müde es selbst war. So beruhigte sich Brudersöckchen zunächst wieder und schlief sogleich ein.
Erst in der Sockenkiste wachte es mit großem Schreck wieder auf.

Die anderen Socken waren alle schon wach und suchten aufgeregt nach ihren Partnern. Es war ein wildes Treiben und alle riefen und robbten in der Kiste durcheinander. Manche Socken, die sich schon gefunden hatten, umschlangen sich glücklich und berichteten sich voller Eifer, wie sie die Waschtrommelfahrt erlebt und wie viel Spaß sie gehabt hatten. Andere Socken aber schauten noch unglücklich drein und suchten. Dabei halfen die Socken, die dieses Mal nicht mitgefahren waren, fleißig mit und vermittelten unter den noch Suchenden.

Brudersöckchen schaute sich erst genau um und als es Schwestersöckchen nicht sah, rief es nach ihr. Aber es war keine Antwort zu hören und weiterhin nichts zu sehen.
„Habt ihr mein Schwestersöckchen gesehen?“, fragte es zwei blaue Sportsocken, die sich gerade erst gefunden hatten und angeregt unterhielten.
„Jetzt nicht, Kleines! Siehst du nicht, dass wir beschäftigt sind?“, zischten sie ihn an und drehten sich weg.
„Hast du vielleicht mein Schwestersöckchen gesehen?“, wand es sich darauf schüchtern an Frau Kniestrumpf, die sich neben ihm entrollte hatte und nun nach oben reckte, um über die anderen Socken hinweg nach Herrn Kniestrumpf Ausschau zu halten.
„Nein“, sagte sie selbst voller Sorge. „Du Herrn Kniestrumpf?“
„Leider nicht. Aber wenn du mein Schwestersöckchen siehst, sagst…?“
„Frau Kniestrumpf!“, rief ein Füßling dazwischen. „Hier hinten in der Ecke liegt Herr Kniestrumpf!“
„Oh, wunderbar!“, rief Frau Kniestrumpf überglücklich aus und robbte sofort zu der angewiesenen Ecke.
„…du es mir dann bitte?“, murmelte Brudersöckchen traurig zu Ende.
Alle Socken waren so miteinander beschäftigt, dass keiner Zeit hatte, ihm zu helfen. Er war noch viel zu neu in der Sockenkiste, dass es sich nicht traute, lauter auf sich aufmerksam zu machen. Sein schüchternes Rufen wurde kaum gehört und weil es auch so klein war, wurde es gar nicht wirklich von den anderen wahr genommen.

„Schwestersöckchen! Bist du hier irgendwo? Bitte melde dich!“, rief es leise immer wieder, während es zwischen den anderen Socken hin und her robbte. Es suchte wirklich überall. Es durchquerte die gesamte Kiste, durchsuchte jede Ecke, aber Schwestersöckchen blieb verschwunden.

Traurig begann es zu weinen, während es um ihn herum endlich leiser wurde. Alle anderen Socken hatten sich mittlerweile gefunden und die große Aufregung unter ihnen verflog langsam. Es kehrte Ruhe ein und plötzlich wurden die Ersten auf das traurige Söckchen aufmerksam.
„Was hast du denn, kleines Söckchen?“, fragte eine edle Seidensocke fürsorglich.
„Ich kann mein Schwestersöckchen nicht finden“, schluchzte Brudersöckchen.
„Hast du denn auch alles abgesucht?“
„Ja, überall habe ich gesucht.“
Mehr Socken wurden nun auf das herzerweichende Weinen aufmerksam und umrundeten Brudersöckchen voller Mitleid.
„Bestimmt ist sie hier noch irgendwo“, wollte der Füßling trösten, der auch schon Frau Kniestrumpf geholfen hatte.
„Hört mal alle her!“, rief der Füßling dann ganz laut durch die Kiste und alle verstummten, um zu hören, was er zu sagen hatte. „Ein Söckchen mit blauem Ringelmuster wird vermisst!“
Manche Socken erschraken und machten sich große Sorgen, denn sie wussten, was das für die Partnersocke bedeutete. Aber alle begannen sofort, sich auf die Suche nach dem Schwestersöckchen zu machen.

Nach einer Weile gaben sie auf. Schwestersöckchen war nirgendwo zu finden. Sie blieb verschwunden und Brudersöckchen weinte noch mehr.
„Die armen Söckchen. Wer weiß was dem Schwestersöckchen zugestoßen ist“, rief entsetzt eine Sportsocke.
„Jetzt wird das arme Brudersöckchen bestimmt aussortiert“, fürchtete sich ein anderes kleines Söckchen und umschlang ängstlich seinen Partner.
„Es ist doch noch viel zu klein, um aussortiert zu werden!“, schluchzte nun auch die edle Seidensocke voller Sorge.

„Nana. Wer wird denn gleich mit dem Schlimmsten rechnen“, ertönte es plötzlich aus einer Ecke und eine alte abgewetzte Tennissocke, die vor langer Zeit einmal weiß gewesen war, nun aber eher gräulich aussah, robbte sich durch die Socken an Brudersöckchen heran.
Die anderen Socken machten sofort respektvoll Platz, denn die alte Tennissocke wurde von allen bewundert. Sie war die einzige Socke, die es ohne Partner geschafft hatte, nicht aussortiert zu werden. Vor vielen Monaten waren die Tennissocken noch gemeinsam mit Familie Müller im Urlaub gewesen. Aber auf dem Rückweg dann, wurden sie in unterschiedlichen Koffern voneinander getrennt und genau der Koffer, in dem der Partner der alten Tennissocke gelegen hatte, war für immer auf dem Rückflug verloren gegangen.
Damals hatte es die alte Tennissocke irgendwie mit den anderen Socken von der Reise geschafft, während der Wäsche nicht aufzufallen. Und als sie seitdem zurück in der Kiste war, hatte sie sich so gut verstecken können, dass sie niemals aussortiert worden war.

„Das ist doch kein Grund zu weinen“, sagte die alte Tennissocke sanft. „Ich kann dir helfen, nicht aussortiert zu werden. Du versteckst dich einfach mit mir zusammen.“
„Aber ich vermisse mein Schwestersöckchen so sehr“, schluchzte Brudersöckchen untröstlich, dass die anderen Socken mitlitten und sich ganz eng an ihre Partner kuschelten. Sie waren froh, nicht alleine zu sein und das gleiche Schicksal mit dem kleinen Söckchen teilen zu müssen.

Plötzlich war in der Stille der Sockenkiste ein ganz leises und dumpfes Rufen zu hören. Alle Socken drehten sich in die Richtung, voller Hoffnung es könnte das kleine Schwestersöckchen sein. Aber nichts war aus der Richtung zu sehen. Nur Herr Kniestrumpf, der in der Ecke saß und fürchterlich zerknittert aussah.
„Ihm ist übel. Hat die Wäsche wohl nicht vertragen“, sagte Frau Kniestrumpf verwundert darüber, dass nun alle ihren Partner anstarrten. Herrn Kniestrumpf schien wirklich schlecht zu sein und er stieß ein wenig auf.
Wieder ertönte das leise Rufen und diesmal war es zumindest so deutlich, dass die alte Tennissocke einen Verdacht hatte: „Herr Kniestrumpf, sitzt du vielleicht auf dem kleinen Söckchen drauf?!“
Frau Kniestrumpf erschrak entsetzt und schaute Herrn Kniestrumpf empört an, der selbst verlegen schaute und sich zur Seite wälzte.
Alle beobachteten die Stelle gespannt. Ganz besonders das Brudersöckchen, welches nun wieder Hoffnung hatte. Aber unter Herrn Kniestrumpf lag das Schwestersöckchen auch nicht.

Es war zum Fädenziehen und die Verwunderung groß unter den Socken.
„Das gibt’s doch nicht. Wo ist es denn nun?“, fragte die edle Seidensocke ungläubig.
„Ich glaub, ich weiß es“, triumphierte darauf die alte Tennissocke und robbte an Herrn Kniestrumpf heran, wo sie ganz nah an dessen Strumpfbauch hörte.
„Ich bin hier!“, hörte sie das Rufen von Schwestersöckchen und ward in ihrem Verdacht bestätigt.
„Herr Kniestrumpf hat das Schwestersöckchen verschluckt!“, rief sie aus und alle erschraken.
„Das ist aber nicht sehr nett“, sagte die edle Seidensocke erbost und Herr Kniestrumpf entschuldigte sich: „Es war ja keine Absicht gewesen. Habe ich nicht einmal bemerkt.“
„Wenigstens wissen wir jetzt, warum dir so übel ist“, freute sich Frau Kniestrumpf, dass es nichts Ernsteres war.

Vorsichtig legte sich Herr Kniestrumpf der Länge nach auf den Kistenboden und das kleine Söckchen konnte endlich aus ihm hinaus krabbeln. Es sah etwas mitgenommen aus, aber als Brudersöckchen sich überglücklich um es herum schlang, ging es ihm wieder gut.
„Da habt ihr noch einmal Glück gehabt“, sagte die edle Seidensocke mütterlich, aber erleichtert.
„Wir wollen uns auch nie wieder aus den Augen verlieren!“, versprachen sich die kleinen Söckchen und auch alle anderen versprachen, auf die Kleinen unter ihnen mehr Acht zu geben. Vor allem Herr Kniestrumpf musste versprechen, zuerst zu überprüfen, nicht ein kleineres Söckchen verschluckt zu haben.
Aber als das endlich geklärt war, konnte das Leben in der Sockenkiste seinen gewohnte Gang gehen und Brudersöckchen und Schwestersöckchen hatten viele neue Freunde gewonnen und lebten noch lange Zeit glücklich in der Sockenkiste von Familie Müller.
 
S

suzah

Gast
hallo fallanda,
ganz lustig, obwohl es mich in der art etwas an "Die Geschichte vom kleinen Küsschen" erinnert.
hauptsache, dass die kinder die geschichte nicht so witzig finden, dass sie selbst einen waschgang in der maschine versuchen wollen - so was solch ja schon vorgekommen sein.
im übrigen heißt es auch [blue]wollene[/blue] socken und nicht wollige.

liebe grüße suzah
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
ganz

entzückend.
noch ne fehlermeldung - sie haben nicht ausgehaart, sondern ausgeharrt. im ersteren fall hätten sie nämlich Haare verloren, die sie eh nicht besitzen.
lg
 
R

Rose

Gast
Hallo Fallanda,

eine sehr herzige Geschichte hast du dir einfallen lassen.

Blumige Grüße
Rose
 
Liebe Fallanda,

Geniest einfach die Fahrt und freut euch,
hier auch noch ein kleiner Tippfehler: genießt, weil das andere niesen bedeuten würde.

Also, deine Geschichte finde ich einfach herrlich. Was für eine entzückende Idee. Sie wird sicher ganz viele Kinder erfreuen. Du hast es so plastisch beschrieben mit der Waschmaschine, ich war mittendrin. :D

Liebe Sonntagsgrüße,
Estrella
 

Josi

Mitglied
Liebe Fallanda,

wo du nur deine Ideen hernimmst? Eine Geschichte die mitten aus dem Alltag einer Socke kommt, ich finde sie reizend!

Ganz liebe Grüße
von Josi
 

Fallanda

Mitglied
Hallo suzah, flammarion, Rose, Estrella und Josi (wow ;-)),

vielen lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren.

Auch für die Hinweise auf Fehler, werde sie gleich ausbessern.

@suzah: Ich hoffe doch sehr, dass kein Kind auf die Idee kommt, so einen Waschgang auszuprobieren. Das wäre wirklich Horror.

@Josi: Habe selber so ne Sockenkiste. Nur, dass sich bei mir keine paarweise zusammensuchen. Eigentlich ziemlich unverschämt von meinen Socken. ;-)

An euch alle
viele liebe Grüße
Fallanda

PS: Hat mit der Antwort ein wenig länger gedauert, hatte massive Internetprobleme. Im Sekundentakt war es mal da und mal nicht. *nerv*
 

Fallanda

Mitglied
In der Sockenkiste

Jeder weiß, was Socken sind und jeder besitzt welche bei sich Zuhause. Es gibt sie in vielen verschiedenen Arten und Formen. Zum Beispiel gibt es bunte Socken und einfarbige, lange und kurze, wollene und seidene und so weiter.
Aber egal wie sie aussehen, eines haben alle gemeinsam. Immer zwei gleicher Art und Form gehören zusammen. Schließlich müssen sie auch auf genau zwei Füße passen und dabei möglichst gleich aussehen. Denn es sieht komisch aus, wenn der eine Fuß etwa einen bunten Kniestrumpf trägt und der andere vielleicht ein rosa Söckchen. Das passt nun wirklich nicht zusammen.
Aus diesem Grund nützen Socken nur als Paar etwas. Sobald eine von beiden verloren oder kaputt gegangen ist, hat die andere Socke ebenfalls ausgedient und kommt weg. Denn nur ganz selten wird eine Socke geflickt oder mit einer ähnlichen kombiniert, die auch alleine ist.
Da das aber wirklich nur in wenigen Fällen vorkommt, passt jede einzelne Socke gut auf, dass ihre jeweilige Partnersocke niemals verloren geht.

So auch bei Familie Müller. Nur im Gegensatz zu den meisten anderen Familien werden die Socken bei Müllers aber nicht paarweise in einer Schublade oder im Kleiderschrank aufbewahrt, sondern verstreut in eine Kiste gepackt.
Deswegen ist die Aufregung unter den Socken immer groß, wenn sie aus der Wäsche kommen und ihren Partner erst einmal suchen müssen. Denn so spaßig auch der Waschgang selbst ist, so nervenaufreibend ist eben darauf die Angst, den Partner verloren zu haben. Und es ist ja allgemein bekannt, dass die meisten Socken während der Wäsche irgendwie auf geheimnisvolle Art und Weise verschwinden und hinterher so manche nur noch einzeln heraus kommt.

Als bei Müllers vor wenigen Tagen wieder großer Waschtag gewesen war, hatten sich die meisten gebrauchten Socken auf das Erlebnis in der Waschtrommel gefreut. Sie machten sich noch keine Sorgen, dass sie oder ihr Partner vielleicht rätselhaft verschwinden könnten. Dazu war später noch genug Zeit. Zuerst stand einfach nur der riesengroße Spaß während der Wäsche an.

Nur die kleinen Söckchen mit dem blauen Ringelmuster waren ganz besonders aufgeregt und sorgten sich bereits. Es war noch nicht lange her gewesen, dass sie von Mutter Müller für die kleine Tochter aus dem Regal im Kaufhaus mitgenommen wurden. Daher waren sie auch erst ein einziges Mal getragen und schmutzig geworden. Jetzt stand ihr erster Waschgang bevor und sie waren ein wenig ängstlich.
„Ihr braucht euch doch keine Sorgen zu machen. Es ist lange her, dass die Letzte von uns verloren gegangen ist“, versuchte eine weiße Baumwollsocke zu beruhigen.
„Genießt einfach die Fahrt und freut euch, dass ihr bald wieder sauber seid“, ermutigte auch der bunte Herr Kniestrumpf, der schon lange bei Müllers war und viel Erfahrung damit hatte.
Die Söckchen lächelten zaghaft und entspannten sich ein wenig. Immerhin waren sie froh, bald wieder frisch und sauber zu sein. Die letzten drei Tage im Wäschesack waren nämlich wirklich anstrengend gewesen. Es hatte so unangenehm gerochen, dass sich alle Socken so klein wie möglich zusammengerollt hatten, dass nicht noch zusätzlich zum Eigenen der Dreck und Gestank der anderen auf sie abfärbte. Zudem waren in dem Wäschesack all die anderen Kleidungsstücke sehr unfreundlich zu den Socken und beschimpften sie regelmäßig. Ohne Socken wäre es angeblich viel erträglicher im Wäschesack und würde nicht so stinken, jammerten diese immer wieder.
Die Söckchen hatten davon eingeschüchtert zwischen zwei Schlüpfern ausgeharrt. Die Beschwerden konnten sie überhaupt nicht verstehen, denn gegen die Schlüpfer neben sich, konnten sie beim besten Willen nicht anstinken. Aber sie waren ja noch neu und hatten nicht gewagt, sich gegen die Anschuldigungen zu wehren.

Nun lagen die Söckchen mit gemischten Gefühlen zwischen Freude und Angst in der Wäschetrommel und hofften, dass es schnell vorbei sein würde. Als die Trommel geschlossen wurde und langsam begann, sich zu drehen, versprach Schwestersöckchen noch schnell seinem Brudersöckchen, ihn im Auge zu behalten. Und auch Brudersöckchen versprach darauf, genau aufzupassen, wohin es Schwestersöckchen verschlagen würde.
Und dann ging es richtig los.

Zuerst hatten die Söckchen noch Angst und beobachteten ganz genau, wohin ihr Partner geschleudert wurde. Aber umso schneller die Trommel sie umher wirbelte und umso mehr Wasser eingepumpt wurde, desto größer war das Kribbeln zwischen den Maschen und desto schöner das Gefühl, den ganzen Dreck und Gestank loszuwerden.
Die Trommel rumpelte und das Wasser spritze. Die Söckchen begannen, an der Fahrt immer mehr Gefallen zu finden und jauchzten mit den anderen Socken vor Freude. Es war wie eine schnelle Achterbahnfahrt und sie genossen den Nervenkitzel. Dabei waren plötzlich all ihre Sorgen vergessen und keine von beiden achtete noch auf ihren Partner.

Als die Waschmaschine stoppte, waren alle Socken glücklich, aber auch erschöpft. Mutter Müller holte sie heraus und hängte sie auf lange Leinen, wo sie sich eine Weile ausruhen konnten.
Brüdersöckchen war noch ein wenig schwindelig von der Fahrt und nur langsam kam es ihm in den Sinn, dass es Schwestersöckchen völlig aus den Augen verloren hatte. Entkräftet drehte es sich an seiner Klammer und suchte die Reihen der mittlerweile schlafenden Socken nach Schwestersöckchen ab. Aber es war nicht zu sehen.
„Schwestersöckchen! Wo bist du?“, rief es verzweifelt.
„Pssst!“, raunte sofort eine schwarze Wollsocke ärgerlich. „Wir schlafen hier!“
Brüdersöckchen verstummte verlegen und überlegte. Noch keine andere Socke hatte ihren Partner gesucht. Vielleicht war es wirklich besser, erst einmal zu schlafen und dann mit neuen Kräften zu suchen. Denn es erkannte, wie müde es selbst war. So beruhigte sich Brudersöckchen zunächst wieder und schlief sogleich ein.
Erst in der Sockenkiste wachte es mit großem Schreck wieder auf.

Die anderen Socken waren alle schon wach und suchten aufgeregt nach ihren Partnern. Es war ein wildes Treiben und alle riefen und robbten in der Kiste durcheinander. Manche Socken, die sich schon gefunden hatten, umschlangen sich glücklich und berichteten sich voller Eifer, wie sie die Waschtrommelfahrt erlebt und wie viel Spaß sie gehabt hatten. Andere Socken aber schauten noch unglücklich drein und suchten. Dabei halfen die Socken, die dieses Mal nicht mitgefahren waren, fleißig mit und vermittelten unter den noch Suchenden.

Brudersöckchen schaute sich erst genau um und als es Schwestersöckchen nicht sah, rief es nach ihr. Aber es war keine Antwort zu hören und weiterhin nichts zu sehen.
„Habt ihr mein Schwestersöckchen gesehen?“, fragte es zwei blaue Sportsocken, die sich gerade erst gefunden hatten und angeregt unterhielten.
„Jetzt nicht, Kleines! Siehst du nicht, dass wir beschäftigt sind?“, zischten sie ihn an und drehten sich weg.
„Hast du vielleicht mein Schwestersöckchen gesehen?“, wand es sich darauf schüchtern an Frau Kniestrumpf, die sich neben ihm entrollte hatte und nun nach oben reckte, um über die anderen Socken hinweg nach Herrn Kniestrumpf Ausschau zu halten.
„Nein“, sagte sie selbst voller Sorge. „Du Herrn Kniestrumpf?“
„Leider nicht. Aber wenn du mein Schwestersöckchen siehst, sagst…?“
„Frau Kniestrumpf!“, rief ein Füßling dazwischen. „Hier hinten in der Ecke liegt Herr Kniestrumpf!“
„Oh, wunderbar!“, rief Frau Kniestrumpf überglücklich aus und robbte sofort zu der angewiesenen Ecke.
„…du es mir dann bitte?“, murmelte Brudersöckchen traurig zu Ende.
Alle Socken waren so miteinander beschäftigt, dass keiner Zeit hatte, ihm zu helfen. Er war noch viel zu neu in der Sockenkiste, dass es sich nicht traute, lauter auf sich aufmerksam zu machen. Sein schüchternes Rufen wurde kaum gehört und weil es auch so klein war, wurde es gar nicht wirklich von den anderen wahr genommen.

„Schwestersöckchen! Bist du hier irgendwo? Bitte melde dich!“, rief es leise immer wieder, während es zwischen den anderen Socken hin und her robbte. Es suchte wirklich überall. Es durchquerte die gesamte Kiste, durchsuchte jede Ecke, aber Schwestersöckchen blieb verschwunden.

Traurig begann es zu weinen, während es um ihn herum endlich leiser wurde. Alle anderen Socken hatten sich mittlerweile gefunden und die große Aufregung unter ihnen verflog langsam. Es kehrte Ruhe ein und plötzlich wurden die Ersten auf das traurige Söckchen aufmerksam.
„Was hast du denn, kleines Söckchen?“, fragte eine edle Seidensocke fürsorglich.
„Ich kann mein Schwestersöckchen nicht finden“, schluchzte Brudersöckchen.
„Hast du denn auch alles abgesucht?“
„Ja, überall habe ich gesucht.“
Mehr Socken wurden nun auf das herzerweichende Weinen aufmerksam und umrundeten Brudersöckchen voller Mitleid.
„Bestimmt ist sie hier noch irgendwo“, wollte der Füßling trösten, der auch schon Frau Kniestrumpf geholfen hatte.
„Hört mal alle her!“, rief der Füßling dann ganz laut durch die Kiste und alle verstummten, um zu hören, was er zu sagen hatte. „Ein Söckchen mit blauem Ringelmuster wird vermisst!“
Manche Socken erschraken und machten sich große Sorgen, denn sie wussten, was das für die Partnersocke bedeutete. Aber alle begannen sofort, sich auf die Suche nach dem Schwestersöckchen zu machen.

Nach einer Weile gaben sie auf. Schwestersöckchen war nirgendwo zu finden. Sie blieb verschwunden und Brudersöckchen weinte noch mehr.
„Die armen Söckchen. Wer weiß was dem Schwestersöckchen zugestoßen ist“, rief entsetzt eine Sportsocke.
„Jetzt wird das arme Brudersöckchen bestimmt aussortiert“, fürchtete sich ein anderes kleines Söckchen und umschlang ängstlich seinen Partner.
„Es ist doch noch viel zu klein, um aussortiert zu werden!“, schluchzte nun auch die edle Seidensocke voller Sorge.

„Nana. Wer wird denn gleich mit dem Schlimmsten rechnen“, ertönte es plötzlich aus einer Ecke und eine alte abgewetzte Tennissocke, die vor langer Zeit einmal weiß gewesen war, nun aber eher gräulich aussah, robbte sich durch die Socken an Brudersöckchen heran.
Die anderen Socken machten sofort respektvoll Platz, denn die alte Tennissocke wurde von allen bewundert. Sie war die einzige Socke, die es ohne Partner geschafft hatte, nicht aussortiert zu werden. Vor vielen Monaten waren die Tennissocken noch gemeinsam mit Familie Müller im Urlaub gewesen. Aber auf dem Rückweg dann, wurden sie in unterschiedlichen Koffern voneinander getrennt und genau der Koffer, in dem der Partner der alten Tennissocke gelegen hatte, war für immer auf dem Rückflug verloren gegangen.
Damals hatte es die alte Tennissocke irgendwie mit den anderen Socken von der Reise geschafft, während der Wäsche nicht aufzufallen. Und als sie seitdem zurück in der Kiste war, hatte sie sich so gut verstecken können, dass sie niemals aussortiert worden war.

„Das ist doch kein Grund zu weinen“, sagte die alte Tennissocke sanft. „Ich kann dir helfen, nicht aussortiert zu werden. Du versteckst dich einfach mit mir zusammen.“
„Aber ich vermisse mein Schwestersöckchen so sehr“, schluchzte Brudersöckchen untröstlich, dass die anderen Socken mitlitten und sich ganz eng an ihre Partner kuschelten. Sie waren froh, nicht alleine zu sein und das gleiche Schicksal mit dem kleinen Söckchen teilen zu müssen.

Plötzlich war in der Stille der Sockenkiste ein ganz leises und dumpfes Rufen zu hören. Alle Socken drehten sich in die Richtung, voller Hoffnung es könnte das kleine Schwestersöckchen sein. Aber nichts war aus der Richtung zu sehen. Nur Herr Kniestrumpf, der in der Ecke saß und fürchterlich zerknittert aussah.
„Ihm ist übel. Hat die Wäsche wohl nicht vertragen“, sagte Frau Kniestrumpf verwundert darüber, dass nun alle ihren Partner anstarrten. Herrn Kniestrumpf schien wirklich schlecht zu sein und er stieß ein wenig auf.
Wieder ertönte das leise Rufen und diesmal war es zumindest so deutlich, dass die alte Tennissocke einen Verdacht hatte: „Herr Kniestrumpf, sitzt du vielleicht auf dem kleinen Söckchen drauf?!“
Frau Kniestrumpf erschrak entsetzt und schaute Herrn Kniestrumpf empört an, der selbst verlegen schaute und sich zur Seite wälzte.
Alle beobachteten die Stelle gespannt. Ganz besonders das Brudersöckchen, welches nun wieder Hoffnung hatte. Aber unter Herrn Kniestrumpf lag das Schwestersöckchen auch nicht.

Es war zum Fädenziehen und die Verwunderung groß unter den Socken.
„Das gibt’s doch nicht. Wo ist es denn nun?“, fragte die edle Seidensocke ungläubig.
„Ich glaub, ich weiß es“, triumphierte darauf die alte Tennissocke und robbte an Herrn Kniestrumpf heran, wo sie ganz nah an dessen Strumpfbauch hörte.
„Ich bin hier!“, hörte sie das Rufen von Schwestersöckchen und ward in ihrem Verdacht bestätigt.
„Herr Kniestrumpf hat das Schwestersöckchen verschluckt!“, rief sie aus und alle erschraken.
„Das ist aber nicht sehr nett“, sagte die edle Seidensocke erbost und Herr Kniestrumpf entschuldigte sich: „Es war ja keine Absicht gewesen. Habe ich nicht einmal bemerkt.“
„Wenigstens wissen wir jetzt, warum dir so übel ist“, freute sich Frau Kniestrumpf, dass es nichts Ernsteres war.

Vorsichtig legte sich Herr Kniestrumpf der Länge nach auf den Kistenboden und das kleine Söckchen konnte endlich aus ihm hinaus krabbeln. Es sah etwas mitgenommen aus, aber als Brudersöckchen sich überglücklich um es herum schlang, ging es ihm wieder gut.
„Da habt ihr noch einmal Glück gehabt“, sagte die edle Seidensocke mütterlich, aber erleichtert.
„Wir wollen uns auch nie wieder aus den Augen verlieren!“, versprachen sich die kleinen Söckchen und auch alle anderen versprachen, auf die Kleinen unter ihnen mehr Acht zu geben. Vor allem Herr Kniestrumpf musste versprechen, zuerst zu überprüfen, nicht ein kleineres Söckchen verschluckt zu haben.
Aber als das endlich geklärt war, konnte das Leben in der Sockenkiste seinen gewohnte Gang gehen und Brudersöckchen und Schwestersöckchen hatten viele neue Freunde gewonnen und lebten noch lange Zeit glücklich in der Sockenkiste von Familie Müller.
 

HelenaSofie

Mitglied
Hallo Fallanda,

mir gefällt deine Sockengeschichte. Aus Alltäglichem hast du eine herrliche Geschichte gemacht. Kleinere Kinder könnte sie sogar veranlassen, besser auf ihre Söckchen zu achten und sie ordentlich wegzuräumen.

Liebe Grüße
HelenaSofie
 

Fallanda

Mitglied
Hallo HelenaSofie,

es freut mich sehr, dass dir die Geschichte gefallt.
Wenn es tatsächlich Kinder gibt, die dann ganz besonders auf ihre Söckchen achten, wäre das extrem süß. :)

Liebe Grüße
Fallanda
 
D

Donkys Freund

Gast
Danke für diesen wirklich fantasievollen Ausflug in den Alltag. Ganz nach meinem Geschmack (und bestimmt auch vieler Kinder) Nicht nur das Thema, sondern auch die Auflösung und die Kleinigkeiten haben mich sehr erheitert. Eine wirklich außergewöhnliche Geschichte.
 

Fallanda

Mitglied
@Donkys Freund

Ich danke dir, für deinen motivierenden Kommentar und freue mich ganz besonders, dass dich die Geschichte erheitern konnte.

@Tante Oma

Auch dir lieben Dank fürs Lesen und Kommentieren. Freue mich sehr, dass es dir gefallen hat.


Viele liebe Grüße an euch beide
Fallanda
 

Joh

Mitglied
Ich bin restlos begeistert :) Originell mit Schwung und Gefühl geschrieben, einfach klasse - nicht nur für Kinder ;-)
 

Fallanda

Mitglied
Hallo Joh,
das freut mich riesig, dass dir die Geschichte so sehr gefallen hat.
Vielen Dank fürs Lesen und das begeisterte Kommentar.
Liebe Grüße
Fallanda
 

domino

Mitglied
Socken machen ja so manches mit in ihrem Leben, und das hast du mitreißend erzählt. Ganz tolle Geschichte!
Liebe Grüße
domino
 

Fallanda

Mitglied
Hallo domino,

auch an dich ein herzliches Dankeschön fürs Lesen und Kommentieren.

Viele Grüße aus dem etwas eingeschneiten Köln (das ist für Ende November so unglaublich, dass man das mal erwähnen muss *g*)

Fallanda
 



 
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