In der Stadt

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pink_orange

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In der Stadt

Ihre Zähne zerteilten mit einem knackenden Geräusch die Kaffeebohne. Kleine, bittere, trockene Stücken, Fremdkörper in ihrem Mund. Der aromatische, typische Geschmack, der mehr dem Geruch von frisch aufgebrühten Kaffee ähnelte, als dem eigentlichen Geschmack der Flüssigkeit, verbreitete sich rasch in ihrem Mund- und Rachenraum.

Mit jedem Atemzug gewann das herbe Kaffeearoma an Stärke und nach und nach entfalteten sich die einzelnen Nuancen. Aufs Neue, jede Kaubewegung zerkleinerte die Bohne immer weiter. Nach dem Schlucken blieb das Gefühl von kleinen, holzigen Hindernissen auf ihrer Zunge zurück und das Eigentliche.

Vor Jahren, am Küchentisch von Oma Schell, da war es da. Dieses Gefühl von Vertrautheit, Gemütlichkeit, von Heimat. Oma Schell beherrschte die Kunst des Kaffeebrühens wie sie es nie wieder erlebt hat. Nicht ausschließlich der Geschmack war entscheidend, sondern die Zeremonie, das Erlebnis der Herstellung stand im Mittelpunkt. Selbstverständlich, auch das Geschäft, wo der Kaffe gekauft wurde und um was für eine Mischung es sich handelte war von Interesse. Gerlinde Schell kannte sich schließlich aus. Wie fein der Kaffee gemahlen sein musste, damit sich im Handfilter das optimale Aroma entfalten konnte, betonte sie stets und wachte argwöhnisch darüber, das ihr Wunsch nach der Fein- beziehungsweise der Grobheit des Mahlgutes mit ihrem Wunsch übereinstimmte. Die Damen bei Tschibo erfüllten ihre Bitte meist mit gelangweilter Routine. Hin und wieder wechselte Oma Schell die Sorte. Zuhause untersuchte sie, die Kennerin penibel das wertvolle Gut. Am Wochenende, wenn Oma Schell dann Besuch empfing, äußerte sie sich über die Vor- und Nachteile des Neulings, der sich noch zu bewähren hatte.

Ellas Finger spielten mit der zweiten Kaffeebohne, die sie kurz zuvor aus ihrer Manteltasche herausgefischt hatte. Da war sie, eine weitere Verheißung. Mit der Zungenspitze betastete Ella die Bohne. Besonders die etwas unregelmäßige Spalte, die eine Seite einer Kaffeebohne praktisch in zwei Bereiche teilt, hatte es ihr angetan. Später schob sie das kleine rundliche Etwas von links nach rechts und von rechts nach links in ihre Bachentaschen. Immer wieder zögerte sie. Vor dem Genuss musste sie schnell noch das lästige Bezahlen an der Kasse erledigen. Wieder steckte sie die Finger in ihre Manteltasche und wühlte zwischen zwei gebrauchten Taschentüchern, einigen Büroklammern, sowie einem Lippenpflegestift und einer weiteren Kaffeebohne einen zerknitterten 5 Euroschein hervor. Ihr Einkauf bestand lediglich aus einer Stange Vollkorntoast und zwei Packungen Zahnpflegekaugummis. Draußen war die Luft eisig und wirkte wunderbar erfrischend. Die Kälte brachte Klarheit in ihre Gedanken. Schnell zerkaute sie die geröstete, schwarzbraune Frucht des Kaffeestrauches. Jetzt nahm sie die belebende Wirkung war. Schon das Bittere schärfte ihren Verstand. Zügig ging Ella in Richtung U-Bahnstation, in der Hoffnung dem Berufsverkehr ein Schnippchen zu schlagen, schließlich war es erst 15.30 Uhr und da konnte sie doch noch hoffen einen Sitzplatz zu ergattern, um die nächsten 6 Haltestellen in Ruhe zu überlegen. Bis zuhause war ihr auch ganz bestimmt ein gutes Argument eingefallen, warum sich nicht mit Joachim am Wochenende zu seinen Eltern fahren wollte. Das sie die Beiden absolut nicht ausstehen konnte, wollte sie ihm nicht anvertrauen.

Wie von allein war sie da, die dritte Kaffeebohne. Ellas Faust umschloss sie ganz fest. Dann atmete sie tief durch und stellte sich vor wieder blitzschnell in den Jutesack zu fassen, für einen kurzen Moment die vielen, vielen, knusprigbraunen, glatten Bohnen zu spüren und einige in ihrer Manteltasche verschwinden zu lassen. Gott sei Dank.
 

Zefira

Mitglied
Hallo, pink orange,

willkommen in der Lupe. Ein sehr schöner, sinnlicher Text ist das. Und endlich wieder mal eine "richtige" Kurzgeschichte in diesem Forum :rolleyes:

Ich würde noch ein wenig mehr verdichten:


Ihre Zähne zerteilten mit einem knackenden Geräusch die Kaffeebohne. Kleine, bittere, trockene [red] Stücke[/red], Fremdkörper in ihrem Mund. Der aromatische [strike]typische[/strike] Geschmack, der mehr dem Geruch von frisch aufgebrühten Kaffee ähnelte, als dem eigentlichen Geschmack der Flüssigkeit, verbreitete sich rasch in ihrem Mund- und Rachenraum.

Mit jedem Atemzug gewann das herbe Kaffeearoma an Stärke und nach und nach entfalteten sich die einzelnen Nuancen. [strike]Aufs Neue,[/strike] jede Kaubewegung zerkleinerte die Bohne [strike]immer[/strike] weiter. Nach dem Schlucken blieb das Gefühl von kleinen, holzigen Hindernissen auf ihrer Zunge zurück und das Eigentliche.

Vor Jahren, am Küchentisch von Oma Schell, [strike]da[/strike] war es da. Dieses Gefühl von Vertrautheit, Gemütlichkeit, von Heimat. Oma Schell beherrschte die Kunst des Kaffeebrühens wie sie es nie wieder erlebt hat. Nicht ausschließlich der Geschmack war entscheidend, sondern die Zeremonie, das Erlebnis der Herstellung stand im Mittelpunkt. [strike]Selbstverständlich[/strike], auch das Geschäft, wo der [red]Kaffee[/red] gekauft wurde und um was für eine Mischung es sich handelte war von Interesse. Gerlinde Schell kannte sich schließlich aus. Wie fein der Kaffee gemahlen sein musste, damit sich im Handfilter das optimale Aroma entfalten konnte, betonte sie stets und wachte argwöhnisch darüber, [red]dass[/red] [blue]die Fein- beziehungsweise der Grobheit des Mahlgutes ihrem Wunsch entsprach[/blue]. Die Damen bei [red]Tchibo[/red] erfüllten ihre Bitte meist mit gelangweilter Routine. Hin und wieder wechselte Oma Schell die Sorte. Zuhause untersuchte sie, die Kennerin penibel das wertvolle Gut. Am Wochenende, wenn Oma Schell [strike]dann[/strike] Besuch empfing, äußerte sie sich über die Vor- und Nachteile des Neulings, der sich noch zu bewähren hatte.

Ellas Finger spielten mit der zweiten Kaffeebohne, die sie kurz zuvor aus ihrer Manteltasche herausgefischt hatte. Da war sie, eine weitere Verheißung. Mit der Zungenspitze betastete Ella die Bohne. Besonders die etwas unregelmäßige Spalte, die eine Seite einer Kaffeebohne [strike]praktisch[/strike] in zwei Bereiche teilt, hatte es ihr angetan. Später schob sie das kleine rundliche Etwas von links nach rechts und von rechts nach links in ihre Bachentaschen. Immer wieder zögerte sie. Vor dem Genuss musste sie schnell noch das lästige Bezahlen an der Kasse erledigen. Wieder steckte sie die Finger in ihre Manteltasche und wühlte zwischen zwei gebrauchten Taschentüchern, einigen Büroklammern, [strike]sowie[/strike] einem Lippenpflegestift und einer weiteren Kaffeebohne einen zerknitterten [red]5-Euro-Schein[/red] hervor. Ihr Einkauf bestand lediglich aus einer Stange Vollkorntoast und zwei Packungen Zahnpflegekaugummis. Draußen war die Luft eisig und wirkte wunderbar erfrischend. Die Kälte brachte Klarheit in ihre Gedanken. Schnell zerkaute sie die geröstete, schwarzbraune Frucht des Kaffeestrauches. Jetzt nahm sie die belebende Wirkung [red]wahr[/red]. [strike]Schon[/strike] das Bittere schärfte ihren Verstand. Zügig ging Ella in Richtung U-Bahnstation, in der Hoffnung dem Berufsverkehr ein Schnippchen zu schlagen, schließlich war es erst 15.30 Uhr und da konnte sie doch noch hoffen einen Sitzplatz zu ergattern, um die nächsten 6 Haltestellen in Ruhe zu überlegen. (Schiefe Formulierung, sie überlegt doch nicht die Haltestellen – sie überlegt während der Fahrt! Die Anzahl der Haltestellen ist ja wohl auch nicht wichtig, also würde ich einfach setzen: „um während der Heimfahrt in Ruhe zu überlegen.“) Bis zuhause war ihr auch ganz bestimmt ein gutes Argument eingefallen, warum sich nicht mit Joachim am Wochenende zu seinen Eltern fahren wollte. [red]Dass [/red]sie die Beiden [strike]absolut[/strike] nicht ausstehen konnte, wollte sie ihm nicht anvertrauen.

Wie von allein war sie da, die dritte Kaffeebohne. Ellas Faust umschloss sie ganz fest. Dann atmete sie tief durch und stellte sich vor wieder blitzschnell in den Jutesack zu fassen, für einen [strike]kurzen[/strike] Moment die vielen, vielen, knusprigbraunen, glatten Bohnen zu spüren und einige in ihrer Manteltasche verschwinden zu lassen. Gott sei Dank.
 

pink_orange

Mitglied
Liebe Zefira,

vielen Dank für die konstruktive Kritik. Deine Verbesserungsvorschläge werde ich mir zu Herzen nehmen.

Viele Grüße von pink_orange
 



 
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