India

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Cat Moon

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diese Geschichte hab ich mal zu dem Thema "Europa 2050" geschrieben. Die Absätze haben auch hier keine Bedeutung, da Kopie aus meiner HP ;)

India

America sitzt vor ihrem Computer, als die Stimme ihrer Mutter durch den Lautsprecher schallt: „America, was möchtest du essen, mein Schatz?“

America schaltet ihr Headset ab und antwortet in das kleine Mikrophon an ihrer Bluse: „Ich habe keinen Hunger, Mom.“

Sie sieht auf den Flachbildmonitor und seufzt. Nachdem sie sich über das Headset von ihren Freunden aus dem Internet verabschiedet hat, kontrolliert sie ihre Mailbox. Keine neuen Nachrichten von Australia, Americas älterer Schwester. Australia ist letztes Jahr nach Indien gegangen. Dort soll es noch Städte geben, wo richtige Pflanzen außerhalb der Häuser wachsen sollen, die Gemüse und Obst zum Essen liefern, dort soll es echte Erde geben, die braun und schmutzig ist, und, wie hieß es noch? Ach ja: Feuer. Dieses Feuer soll wunderschön aussehen und früher einmal zum wärmen und kochen gedient haben. Statt dessen gibt es hier nur noch Heizstrahler und Hitzeplatten...

Heute will America zu Australia fahren, nach Indien. Sowieso ist Australia Americas großes Vorbild. Sie ist anders als andere Menschen aus der Stadt: Damals, als sie noch Zuhause gewohnt hat ist sie zu America ins Zimmer gekommen, wenn sie mit ihr reden wollte, sie war nicht hektisch, hatte immer Zeit und sie hat ihr aus echten, alten Büchern vorgelesen. Sie hat sogar lange für eine Pflanze gespart, als sie noch klein war. Mom hat sich sehr darüber aufgeregt.

„Mom?“, America spricht wieder in das kleine Mikrophon und ihre Mutter antwortet ihr.

„Mom, ich geh jetzt los, sonst verpass ich noch das Airshuttle.“

-„Und deine Schwester passt auf dich auf?“

„Klar Mom.“

-„Willst du nicht auf den Bus warten? Der Ozongehalt soll heute sehr hoch sein.“

„Nein, sonst verpass ich das Shuttle.“

-„Okay, Kleines. Viel Spaß und grüß deine Schwester von mir!“

„Bis dann.“

America zieht sich eine Jacke an und geht raus. Sie geht durch die Straßen mit den grauen, hohen Häusern an ihren Seiten, sieht Menschen, die ins Leere starren, in steifer Haltung hektisch durch die Stadt hetzen und die grellen Plakate mit Werbeaufschriften nicht beachten: „Äpfel für nur 10 Euro das Stück“, „Pflanzen, natürlich und künstlich. Sonderangebot: Echte Gänseblümchen für jeweils nur 15 Euro unter Planzenganzbillig.com“

Australia hat in ihren Mails geschrieben, dass Nahrung in Indien sehr billig sei und dass die Menschen miteinander reden, wenn sie sich auf der Straße begegnen. Doch America sieht nur bleiche, fremde Gesichter ohne jegliche Regung oder Anzeichen von Gedanken und Gefühlen.

Die Luft ist schwer und stinkt nach Abgasen, obwohl heute Fahrzeugfreier Tag ist, und plötzlich fällt America auf, dass sie all ihre Freunde nur aus dem Internet kennt. Gedankenverloren schlendert sie zur Shuttlestation, wo noch kaum andere Leute warten. Nach kurzer Zeit kommt das Airshuttle auch schon angeflogen. Zischend öffnet es seine Türen und America steigt vorn beim Fahrer ein um sich eine Karte zu kaufen.

„Einmal nach Indien, bitte.“

Sie legt das Geld auf die Ablage nimmt die Flugkarte von dem Roboter, der das Airshuttle steuert, entgegen. Kaum hat sich sich auf einen Platz am Fenster gesetzt und sich angeschnallt, wird sie auch schon in den Sitz gedrückt, während das Shuttle vom Boden abhebt. America schaut sich um. Alles ist so steril gehalten. Nur einige wenige Fluggäste sitzen noch herum, dösen oder blicken starr aus dem Fenster. Nach einigen Haltestellen erkennt America etwas Grünes auf der Erde. Was das wohl sein mag? Die gewohnten grauen Wolken sind es nicht...

Langsam, nach zwei Stunden Flugzeit, fliegt das Shuttle auf den Boden zu und eine mechanische Stimme kommt aus einem Lautsprecher: „Endstation, Indien. Bitte verlassen sie das Shuttle. Vielen Dank dass sie mir AirCom geflogen sind.“

America steht auf und verlasst das Shuttle. Als sie auf die Straße tritt, kommt es ihr vor, als strahlte man ihr mit einem warmen Reinigungskopf ins Gesicht. Die Luft ist eigenartig... Ja, sie riecht so komisch und scheint so sauber. Als America sich wiederfindet, entdeckt sie zwischen einigen komischen Leuten ein bekanntes Gesicht: Australia! America fällt ihrer Schwester um den Hals.

„Hallo, Kleines!“ Australia nimmt sie in den Arm.

-„Australia, ich hab dich ja so vermisst!“

„Ich dich auch. Wie geht es Mom?“

-„Gut, ich soll dich von ihr grüßen.“

„Und wie war der Flug?“

-„Etwas lang.“

„Hast du gewusst, dass man früher mehr als zehn Stunden von Europa nach Indien geflogen ist?“

-„Ehrlich?“ America ist erstaunt.

„Ja, aber jetzt gehen wir erstmal nach Hause. Wie ist dein erster Eindruck?“

Zum ersten Mal blickt America sich richtig um: Alles ist so anders. Da sind überall diese Grünen Lappen, die von Holzstämmen hängen. Wahrscheinlich waren das die grünen Punkte, die ihr im Shuttle aufgefallen sind? Der Boden, auf dem sie laufen ist braun und pudrig. Sie bückt sich und befühlt ihn mit den Fingern.

„Das ist Erde“, sagt Australia.

-„Erde“, wiederholt America glücklich und lässt das Zeug durch ihre Finger rieseln.

„Ja. Sag mal, ist dir nicht zu warm in deinen Ozonklamotten?“

Jetzt bemerkt auch America, wie ihr langsam warm wird, doch die Eindrücke sind zu aufregend, dass sie lange daran denken kann: Sie fühlt sich beobachtet. Flüchtig blickt sie sich um und bleibt an dem Blick eines Mädchens hängen. Sie hat eine fast schwarze Haut und trägt so etwas komisches, flatterndes um ihre Beine. Sie hat keine Schuhe an und ihre Arme sind entblößt. Sie lächelt. America fühlt sich komisch. Australia, die ihr Unbehagen bemerkt hat, beruhigt sie: „Sie will dir nichts tun. Lächel sie nur an, hier sind die Menschen viel offener als in Europa.“

Zögernd lächelt America das Mädchen an und folgt Australia auf eine kleine Seitenstraße. Schon von weitem kann America etwas rauschen hören und sieht sich nervös um.

„Was hast du?“, fragt Ihre Schwester.

-„Ich glaube, wir sollten uns beeilen, es hört sich an wie ein Atomroboter.“

Australia horcht angestrengt, dann muss sie lachen: „Ach du meinst dieses Rauschen?“

Verwundert über die Stimmung ihrer Schwester nickt America.

„Ach, Schwesterchen, das ist das Meer.“

-„Das Meer?“

„Ja, ich habe dir doch davon erzählt.“

-„Du meinst das salzige Wasser, in dem Fische schwimmen?“

„Ja, genau das. Aber das Meer gibt es doch in Europa auch...?“

-„Wo das denn?“

„Ach ja, es heißt ja dort Das Moor.“

Mittlerweile sind sie am Strand angekommen und America blickt staunend auf das Wasser. Der salzige, starke Wind ist ihr neu und sie beschirmt ihre Augen mit der Hand.

-„Das Moor war einmal so wie dieses Meer?“

„Ja, das ist schon länger her. Ich habe in Geschichtsbüchern davon gelesen.“

-„Was ist passiert?“

„Wir selbst, die Menschen, haben es kaputt gemacht“, knurrt Australia. „Aber lass uns nicht darüber reden. Komm schon mit ins Haus, du musst etwas essen!“

Australia zieht ihre Schwester in ein kleines Häuschen.

„So, hier bin ich Zuhause.“

Amerika blickt sich um: Ein kleiner Raum, schlicht möbliert mit Pflanzen überall und großen, offenen Fenstern. Im Raum sind noch drei Türen, aus denen das Rauschen das Meeres und ein angenehmer, kühler Wind in die Stube dringt.

„Gefällt es dir?“

-„Ja, es ist so... anders.“

„Ich weiß. Ich musste mich auch erst an alles gewöhnen, aber ich liebe es hier!“

-„Das Mädchen gerade... Was hatte sie da an?“

„Oh, das war ein Kleid. Hier ist es zu warm, sich vollkommen anzuziehen. Schließlich ist die Luft hier auch viel sauberer. Warte, ich hol dir was anderes zum anziehen.“

Australia verschwindet und kommt mit einem Kleid für America zurück: „Zieh das an! Es müsste dir passen. Ich bin gleich wieder zurück.“

America kommt sich komisch vor, in dem Stoff, den Australia ihr bereitgelegt hat, doch es ist ein angenehmes Gefühl. Als Australia zurückkommt, trägt sie ein Tablett mit Gläsern, einer Glaskaraffe mit einer bunten Flüssigkeit und runden Dingern auf einem Teller herein. Sie mustert America zufrieden. Nickend stellt sie das Tablett auf den Boden, während sie sich im Schneidersitz davor setzt: „Ja, passt doch. Setz dich her zu mir, Schwesterchen!“ Sie wartet, bis America sich ihr gegenüber auf den Boden gesetzt hat, bevor sie ein Glas mit der Flüssigkeit aus der Karaffe füllt.

„Trink das!“, sagt sie. „Das ist Ein Fruchtsaft, der frisch gepresst ist. Und das hier“, sie zeigt auf die runden, braungelben Teile auf dem Teller, „sind Kekse. Ich habe sie selbst gemacht. Ich hoffe, sie schmecken dir.“

Vorsichtig nippt America an dem Glas. Ja, das schmeckt richtig gut. Dann probiert sie einen von den runden Dingern, die Australia Kekse genannt hat.

„Schmecken sie dir?“, fragt ihre große Schwester.

America nickt mampfend und Australia muss lachen.

„Sag mal“, fängt America an, „was waren das für grüne Lappen auf den Stämmen da draußen? Die sahen so komisch aus.“

Zuerst schaut Australia sie verständnislos an, doch dann geht ihr ein Licht auf: „Ach, du meinst die Palmen...“

-„Palmen?“

„Ja, das sind Bäume... große Pflanzen. Daran wachsen Früchte, die man Kokosnuss nennt. Sie liefert Getränke und Fruchtfleisch.“

Sie gehen raus und Australia zeigt America verschiedenste, wunderschöne Pflanzen, eigenartige Tiere, die hier frei leben und die Menschen, die winzigen Geschäfte ganz ohne Computer oder Roboter und die Sportfelder an der freien Luft und viele mehr solcher Besonderheiten.

Lange unterhalten sich America und Australia über dieses wunderbare Land und seine Sehenswürdigkeiten. America ist verwundert, wieviel Australia weiß und sie lernt, ihre Liebe für dieses Land zu teilen. Vor allem die Planzen mit den bunten Blättern, die Australia Blumen genannt hat, die es in unendlich vielen verschiedenen Farben und Formen gibt und die so herrlich duften, haben es America angetan. Schade, dass man nichts mit nach Europa mitnehmen kann. Das ist verboten, denn Krankheiten könnten eingeschleppt werden. America weiß nicht, welche Krankheiten so etwas schönes schon mit sich bringen könnte, doch so ist nun einmal das Europäische Gesetz.

Viel zu schnell geht die Sonne unter.

Es ist wunderschön, den Untergang am Meer zu beobachten und America würde am liebsten alles in ihrem Kopf festhalten, doch der Sonnenuntergang bedeutet auch Abschied. Kurz gehen die Schwestern noch in Australias Haus, damit America sich umziehen kann, dann gehen sie langsam zur Airshuttlestation.

Das Shuttle ist schon da.

Traurig umarmt America ihre Schwester: „Es war so schön! Ich wünschte, ich könnte bleiben.“

-„Ach, das wäre schön. Aber Mom braucht dich. Ich würde mich freuen, wenn du mich mal wieder besuchst.“

„Ganz bestimmt.“

Das Shuttle macht sich zum Flug bereit.

-„Sag Mom meine liebsten Grüße!“

„Das werde ich.“ Widerwillig besteigt America das Shuttle, betritt die sterile Welt, in der sie lebt. Sie setzt sich ans Fenster und sieht Australia winken. Kurz bevor das Shuttle abhebt sieht sie eine alte Frau, mit ebenso dunkler Haut wie fast alle hier, die sie anschaut. Winkend lächelt America sie an und sie lächelt mit ihrem faltigen Gesicht zurück.

Das Shuttle fliegt los und America erscheint es, als hätte sie das alles nur geträumt. Als sie am Ziel ist, steigt sie aus. Die Luft liegt schwer auf ihrer Brust und der Gestank ist unausstehlich. Sie blickt auf: Da kommt eine junge Frau auf sie zu. America lächelt sie an, doch die Frau beachtet sie nicht einmal.

Wie schön war dieses Indien doch, warum kann es nicht hier auch so sein?

America steckt ihre Hände tief in die Tasche, blickt stur auf die Straße und geht auf direktem Wege nach Hause, den Fahrstuhl hoch bis in den siebzehnten Stock, in die sterile, kalte Wohnung, in der sie mit ihrer Mutter wohnt und das Häuschen von Australia als eine eigene kleine Welt erscheinen lässt.

America setzt sich an den Computer und denkt an Indien. Sie durchsucht das Internet nach Seiten über dieses Land, doch was sie findet sind nur Touristenstätte, die sich von Europa kaum unterscheiden. Gibt es dort wirklich auch Orte, die sich von diesem kaum unterscheiden? America kann es kaum glauben.

Plötzlich bebt es in Americas Zimmer und das Licht geht aus. Alles ist dunkel und unheimlich still. America springt auf und tappt blind durch ihr Zimmer zur Tür.

„Mom?“

-„Ja, mein Schatz?“

Es ist das erstemal seit langer Zeit, dass America nicht über das Mikro mit ihrer Mutter spricht.

„Mom, was ist los?“

-„Ich weiß nicht, Schatz. Das muss ein Erdbeben gewesen sein und der Strom ist ausgefallen.“

„Wie kann so etwas denn passieren?“

-„Keine Ahnung. Los, lass uns raus gehen!“

Langsam und vorsichtig tastet America sich zur Wohnungstür vor, als sie die Hand ihrer Mutter im Rücken spürt. Sie ergreift sie und Hand in Hand stolpern sie in den Hausflur. Zielstrebig gehen sie zum Fahrstuhl und treffen auf andere Menschen.

„Der Fahrstuhl funktioniert doch ohne Strom nicht“, sagt ein Mann.

Schließlich drängen sich alle zum Treppenhaus, steigen die vielen Stufen hinunter und strömen ins Freie. Es ist fast hell hier draußen, obwohl schon Nacht ist. Ein kaltes Licht am Himmel erhellt die Gesichter der Menschen. Sie alle haben ihre Starre verloren, die sie noch diesen Nachmittag wie eine Mauer um sich gebaut hatten, und ihre Gesichter strahlen nun Angst und Überraschung aus. Sie reden miteinander, umarmen sich gegenseitig und sprechen sich Mut zu.

America sieht zum Himmel auf und erkennt, dass dieses Licht, das die Dunkelheit durchschneidet, der Mond sein muss, von dem Australia oft schreibt. Er hat viele kleine Lichter, Sterne, um sich versammelt und sieht in der dunkelblauen Unendlichkeit wunderschön aus. Warum hat sie ihn nie zuvor bemerkt?

Dann spürt America den Druck der Hand ihrer Mutter und sieht ihr in die Augen: „Mom?“

-„Ja, mein Schatz?“

Die Hektik ist aus den Menschen gewichen und America ist sich sicher, dass die Stadt in diesem Augenblick diesem zauberhaften Indien etwas ähnlicher geworden sein muss. Australia würde es bestimmt gefallen.

„Mom, ich hab dich lieb.“

Und plötzlich umarmt sie ihre Mutter. Seit vielen Jahren fühlt sie sich wieder geborgen und hofft, dass der Strom niemals wiederkommt.

Dina
 

Andrea

Mitglied
Eine Geschichte, die sich sehr gut liest. Der Gegensatz des sterilen Europa und des lebendigen Indiens ist sehr gut herausgearbeitet, auch wenn mich die Namen der beiden Mädchen zu Beginn leicht irritierten – ich dachte tatsächlich bei der ersten Erwähnung von Europa „Wieso, die kommt doch aus Amerika..“ Aber man gewöhnt sich rasch dran.
Das Ende hat mich dann aber enttäuscht. Nach der schönen Gegenüberstellung kommt die platte Lehre daher: macht den Strom aus, dann wird’s idyllisch. Hm. Es hätte mir wohl besser gefallen, wenn der Ausflug etwas ausführlicher beschrieben wäre und die Geschichte mit Americas Rückkehr enden würde. Außerdem gibt es da noch einen winzigen logischen Haken: Wieso fährt ein Standardshuttle so mir nichts, dir nichts nach Indien, ausgerechnet in das Kaff von Australia? Und wieso ist es nicht pickepackevoll mit Touristen oder Leuten, die den Abend dort genießen wollen? Stimmiger wäre es, wenn America mehrfach umsteigen und durch irgendeine Zollkontrolle müßte. Die Nicht-Einfuhr der Pflanzen will ja schließlich kontrolliert sein! (Bürokraten sterben nämlich niemals aus...)
 

Cat Moon

Mitglied
Hallo Andrea,

vielen Dank für die Bewertung.
Also ich habe die Geschichte damals für einen Wettbewerb geschrieben (sie ist leider nicht angenommen worden, da ich das Mindestalter, also 18, um mitzumachen noch nicht erreicht hatte) und die Länge war daher beschränkt auf eine bestimmte Seitenzahl. Daher konnte ich nicht alles so ausschmücken.

Aber du hast recht und ich glaube, ich werde mich beizeiten mal an eine Überarbeitung des Ganzen setzen.

Gruß,
Cat
 



 
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