Infiziert ... recht junger Wein

bluesnote

Mitglied
Infiziert

... recht junger Wein





...aufgewacht,
und bereit zu beißen...





> Hach! <
Immer noch schlaftrunken, aber trotzdem erschrocken erwachte der alte Burgherr.
> James. Sie! <
> Ja, Herr. < Ich wünsche wohl geruht zu haben. Nicht, das ich sie erschrecken wollte, aber... <
> Das haben sie bereits. Aber es ist nicht weiter schlimm, ich verspüre Durst. Meine Zunge klebt an meinen Gaumen, als hätt eine Schnake in meinem Mund gebrütet und dort ihre schleimige Spur hinterlassen! <
> Durst, genau darum geht’s, Herr! Unsere Vorräte neigen sich dem Ende zu. <
Der Burgherr hob die buschigen Silberbrauen, die respektierlich gepflegt über seinem faltigen Gesicht saßen.
> Das heißt, es wird Zeit für eine neue Weinprobe! <, freudig erregt rieb er seine knorrigen Hände aneinander, > dann hol die ollen Bilder runter und lad die Probanten zu einer Ausstellung! <
James ging die Einladungen versenden. Sein Chef stand auf aus dem hohen Lehnsessel und trat an eines der riesigen Fenster. Von hier aus waren herrliche Blicke auf das Dorf im Tal möglich, Autos wuselten unten auf den Strassen. Seine Burg stand unter Denkmalschutz und hatte es auch bis in diese technikorientierten Zeiten geschafft; -wie alle verdorbenen Keime-, fiel ihm ein.
Er fand, es war an der Zeit, sich wieder mal einen Spaß zu machen.

Michelle Paris atmete tief die kalte, klare Luft und blickte in den schneegrauen Himmel.
Das Dorf bekam Zuwachs in diesen Tagen, die High Society aus der halben Welt traf ein und gab sich förmlich die eigens für dies Ereignis auf Hochglanz polierte Klinke in die Hand. Eine wirklich hübsch anzusehende Pension im Ort musste einen kleinen Teil der Schönen und vor allem Reichen beherbergen. Der alte Graf rief und eine erlauchte Person wurde eingeladen zu einer Vorbesichtigung der in der Burg ausgestellten Bilder. Michelle eben.

> Haben wir alles vorbereitet, James? <
> Ja, Herr! <
> Nicht nur die Anordnung der Bilder für die Ausstellung, auch die Gerätschaften im Keller..., und der Wein, was ist mit dem Wein? <
> Eine kurze Besichtigung vorab, Herr? <
Die alten Männer grinsten sich gegenseitig an, beide steckten in neuen schwarzen Anzügen; formell, aber an Schnitt und Chic nicht zu überbieten.
James ging voraus, trotzdem sie elektrisches Licht auch in den Kellergewölben besaßen, trug er nach altem Brauch eine nach Öl riechende Funzel vor sich her. Schatten huschten über die groben, steinigen Wände bei jedem Schritt; so hektisch, als wären sie entsetzt über dies Eindringen in ihr Reich.

Als erstes inspizierten sie einen wahrlich technisch eingerichteten Raum, eine hohe, mit braunen Kunstleder bezogene Liege fiel auf zwischen den durch Kabel und durchsichtigen Schläuchen verbundenen Geräten.
James schloss die Tür, „Notfallraum“ stand auf ihrem Blatt zu lesen, sie machten sich auf und betraten ein weites Gewölbe.
> Der Wein hat eine Farbe, so samtig und dunkel wie Burgunder. <
> Ja, es ist ein recht alter Wein, Herr. Doch, es wird Zeit, das wir die Reste unseres Vorrates nehmen und ihn auffrischen, das ein neuer Grundstock entsteht. Keine Spezies will aussterben, Herr. <
> Nun, alter Wein oder nicht, viel oder wenig, dieser Stoff hat auf jeden Fall immer noch die gleiche Wirkung!< Beide hielten sich die Bäuche und lachten, die Schatten stoben auseinander und flüchteten in alle vier Ecken.

> Lass uns noch einmal die Gästeliste durchgehen, bevor unsere Testperson für den ersten Durchlauf kommt, James. <
> Wie sie wünschen, Herr! Also, da wäre außer unserer Favoritin zunächst einmal < :

Miss Phyllis und Mister Sigurd Shelton,
beide wohlgenährte Geschäftsleute und Kunstmäzene aus Amerika, Chicago genau.

Frau Carmen und Herr Wolf van Teen
aus Schevenningen, Holland. Die beiden sind ebenfalls nicht arm, kennen sogar Herrn Tausendwasser.

Fräulein Gudrun Seratas,
vielbeschäftigte Historikerin aus Portugal, ständig auf Reisen, den Künsten hinterher. Und zu guter letzt,

Herr Louis Bluetones,
lebt in Deutschland, hat in irgend einer Glückslotterie gewonnen und gibt seitdem vor, Schriftsteller zu sein.

> Haben wir je etwas von ihm gelesen? < Der Burgherr fragte.
> Nein! <
Eine sanfte Melodie ertönte. Aus Bequemlichkeit für den Gast hatte man neben der großen Eingangstür aus Eiche eine Klingel angebracht, denn der mächtige Türklopfer wog schwer.
James ging, um zu öffnen, ein kurzer Moment der Stille blieb und die nutzte der Graf, um noch einmal aus seinem Lieblingsfenster zu sehen. Zufrieden bemerkte er den Winterhimmel; -jetzt, kurz vor dem November bleibt die Sonne auch bei Tage fern-, dachte er, und, -das ist gut so!

Michelle Paris striff ihre weißen Handschuhe noch nicht ab, hielt mit einer Hand ein Glas Champagner und schob eine dieser köstlichen Pralinen in ihren Mund, die James aufmerksam auf einem bronzenen Tablett darreichte.
Bronze, und kein Silber, damit kein heller Lichtreflex vorwitzig die Düsternis der auf Bildern dargestellte Landschaft träfe, und dessen Eindruck auf den Betrachter verfälsche; wie ihr James erklärte.
Dargeboten wurde eine ortsübliche Landschaft, auf einem halben Dutzend Bildern das gleiche. Mit einem hohen Baum im Vordergrund und am rechten Rand befand sich eine Mauer, unterbrochen von einem dunklen Eingang.
> Hmm, es ist eigentlich die gleiche Landschaft, nur auf jedem Bild etwas dunkler dargestellt! < Michelle fröstelte, wenn später alle Gäste eintrafen, würde die große Halle sich aufwärmen, hoffte sie.
> Lassen sie es auf sich wirken, nachher dann werd ich ihnen Erklärungen geben. Vorab lade ich sie zu einem kleinen Imbiss ein, liebe Michelle. <
Wie auf ein Zeichen zündete der Diener einige auf Lüster verteilte Kerzen an, die einen langen, vorbereiteten Tisch erleuchteten. Michelle ließ sich führen, stutzte einen Moment, -wars nicht so, als ob Schatten wie in Panik eine Treppe hinab flüchteten?

Eingelegte Paprika, Champignons und Waldpilze, Auberginen, Krabben; alles mit Essig und Öl zubereitet. Bei den Brotecken, bestrichen mit Kräuterbutter zierte Michelle sich erst, bis man ihr versicherte, kein Knoblauch würde für Mundgeruch sorgen.
Zum Abschluss gab es ein Glas Wein, schon den ersten Schluck bereute sie schnell. Michelle wurde müde, furchtbar müde.

James hatte zu tun. Geschickt und wendig trotz seines Alters bewegte er sich in den Kellerräumen hin und her.
Sammelte Flaschen aus den Regalen, trug sie hinaus, nach einem geräuschvollen „Plopp“ trug er sie nach einer Weile wieder hinein, zufrieden verteilte er die Flaschen auf den Stellagen. Immer, wenn er die Tür mit der Aufschrift „Notfallraum“ öffnete, drang leises Piepen und Schlürfen in den Flur.
Nach seiner Arbeit im Keller ging er hinauf in die Küche, verpackte das Schächtelchen mit den diversen Drogen, insbesondere das Phänomenol in einem Schrank und erwartete die Gäste. Es wurde Zeit.

>... versuchen sie mal im Ausland ein Auto auf Kreditkarte zu bekommen, wenn es dringend gebraucht wird. Ich sage ihnen, das machen die nicht, daher stieg ich auf einen Heli um... .<
So und ähnlich gestaltete sich der Textfluss zwischen den Gästen und die Monotonie der Töne formte sich zu einem einzigen Wortstrang. Die Interessierten bewegten sich zu Kerzenschein zwischen den Bildern, die allesamt Dunkelheit ausstrahlten. Der Graf hörte seinen Gästen zu, redewendete geschickt und James gab sich eifrig, ging auch öfter in den Keller; Nachschub an Wein holen.
Diesmal wurden die Gäste nicht müde, sondern besoffen.
Und es wurde später. Und es wurde Nacht.
Besonders Louis Bluetones war dermaßen blau, das er sich eingezwängt in einem Sofa erfolglos um Fräulein Gudruns Gunst bemühte.
Er würde wohl bald in den Notfallraum müssen. Aber erst sollte er noch zahlen.

> Noch ein Glas Wein?< Aufmerksam bemühte sich jetzt auch der Graf um das Wohlergehen seines Besuches, achtete darauf, das keines der Gläser lange leer blieb.
Das Gesöff tat seine Wirkung, sehr zur Zufriedenheit des Gastgebers und seines Dieners. Sie begannen, schmutzige Lieder zu grölen, bei Tisch zu schmatzen, zu rülpsen; ja, Miss Phillys furzte, als wolle sie die Melodie zu „Trink Brüderlein Trink“ einstudieren.
Aber auch ihre Scheckbücher lockerten sich, der Graf nahm und empfahl: Kunst muss auch mit Blut bezahlt werden! Mit ihren vernebelten Sinnen gaben ihm alle recht.
Einer nach den anderen wanderte die Treppe hinunter.

Louis Bluetones stützte seine Ellenbogen ganz unfein auf den Küchentisch ab und hielt mit beiden Händen seinen schweren Kopf, für ihn war es normal, jedes Event, ganz gleich welcher Art, endete bei ihm mit einem Besäufnis; so würde er nie eine Frau betören.
Ganz anders Michelle, die junge Frau hatte Fragen, besonders klagte sie über Halsschmerzen, zwei kleine rote Punkte machten sich kurz über ihren Nacken bemerkbar.
> Was ist passiert? <
> Sie wurden plötzlich ohnmächtig, doch ihr Atem ging so ruhig, da haben wir sie schlafen lassen. Keine Bange, die nächste Ausstellung kommt bestimmt, aber einen Arzt sollten sie trotzdem bei Gelegenheit aufsuchen. < James goss Kaffee nach, heiß und schwarz, ohne Milch; dabei leckte er genüsslich mit der Zunge über seine Lippen. Der Rest der Gäste war bereits per Hubschrauber unterwegs. Für Michelle und Louis kam gleichfalls der Abschied.

> Lassen sie uns ein paar Kisten Wein beiladen. Der Kutscher nimmt sie mit ins Dorf. Dann fahren sie stilvoll hinunter! <
Michelle stand wieder in der kalten, reinen Luft. Erste Schneeflocken kitzelten ihre Nase.
> Und hier <, James drückte beiden noch jeweils zwei Flaschen in die Hände, > recht junger Wein, wohl bekomms...<
Michelle bestieg die Kutsche, Louis musste würgen.

Herr und Diener sahen ihnen nach, der Graf schlug James kameradschaftlich auf die Schulter, > na, wie haben wir das gemacht! <
> Der Keim des Verderbens ist in ihnen. Aber wie kommen die Bisspuren an den Hals der jungen Dame? <
> Als du damit beschäftigt warst, den Wein zu panschen, hab ich schnell mal persönlich nachgeimpft! <
> Alter Sauger. Das war ein Spaß! <
Beide gehen sie zurück in ihr Heim, das sie mit dem Geld der Gäste instand halten können und wo sie noch lange ihr Unwesen treiben mögen. Der alte Graf spricht zu seinem Kameraden seit ewigen Zeiten: > An der Kunst schimmert oft nur die äußere Hülle, inmitten verbirgt sich schon ein falscher Kern! <
> So, wie in unserem Wein! <
> Ja, genau so. In jedem Tropfen steckt noch ein Quentchen Virus! Und hast du ihn ausgetrunken, bist du es selbst, der infiziert; andere für immer in die Dunkelheit schickt. Das Blut nährt den verdorbenen Keim! <

So fuhren sie hinab ins Tal, ihr eigenes, verseuchtes Blut in Händen haltend, das bereit, sich in der Welt auszubreiten wie ein Elixier direkt aus der Hölle.
Sie schwiegen, ihre Geister noch nicht ganz wach. Schatten, spitz gezackt von den Baumkronen geworfen, säumten ihren Weg. Ein einsamer Eichelhäher rief nach Geselligkeit. Die zwei vorgespannten Pferde, klein, aber kräftig von Statur stampften munter mit ihren Hufen den Boden. Aus ihren braunen Fellen stieg Dampf, die blonden Mähnen flogen. Plötzlich heulten Wölfe auf.
> Wer heult so, Wölfe? < Michelle horchte auf.
Vorn an der Kutsche wurde ein Vorhang zur Seite geschoben, ein vor Kälte rot angelaufenes Gesicht schaute herein.
> Ja, Madame <, sagte der Kutscher, > hier in der Gegend gibt es eine Menge Wölfe. Sie rotten sich zusammen und singen sein Lied... <

... und das ist bluesnote’s boogie.




Im Westen. Oktober 2002
 
Als erstes inspizierten sie einen wahrlich technisch eingerichteten Raum, eine hohe, mit braunen Kunstleder bezogene Liege fiel auf zwischen den durch Kabel und durchsichtigen Schläuchen verbundenen Geräten.

Wie in dem herauskopierten Beispiel zu sehen, ist die Satzkonstruktion etwas kompliziert, nicht nur an dieser Stelle. Ist wahrscheinlich so gewollt, doch ich denke, etwas weniger wäre mehr.
 

bluesnote

Mitglied
Das der Satz zu lang wird, wusste ich bereits, als ich ihn schrieb.
Nach nochmaliger Durchsicht der Story ärgert mich viel mehr, das sie hakelig ist. Die ganzen Verwicklungen mit dem Blut und dem Wein haut einfach nicht hin.
Reim dich oder ich fress dich, da ich unbedingt etwas neues in die LL stellen wollte, handelte ich nach diesem Grundsatz.
Patricia Highsmith schreibt in ihrem Buch „Suspense“, man solle seine Texte nicht all zu sehr heiligen.
Also stampfe ich das Ganze jetzt ein. Auf zu einem neuen Versuch.
Vielen Dank für die Kritik.
 
Ich würde es nicht unbedingt einstampfen. Durch diese komplizierten Satzkonstruktionen ( auf alt gemacht ) wirkt der Text steif und hakelig, überarbeite das doch mal. Anschließend kommt dir vielleicht ein Einfall, wie du die Idee weiter ausbauen kannst.

Gruß,
Michael
 



 
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