Ins Stammbuch

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Walther

Mitglied
Ins Stammbuch


Vergleich Dich nicht mit freien Vögeln,
Die Weiten, Nähen, Fernen segeln.
Vergleich Dich nicht mit festem Stein,
Mit Staub hast Du viel mehr gemein.

Auch greife nicht nach Himmelsternen,
Weil diese immer sich entfernen.
Und greife nicht nach schnellem Geld,
Weil dieses doch zu Nichts zerfällt.

Begreife, Du wirst schneller enden,
Versuche, Dich nicht zu verschwenden.
Begreife Dich als Deine Chance,
Versuch und wahr die Contenance.

Begleiche alle Lieb mit Liebe,
Damit davon das Beste bliebe.
Berechne niemals Wort für Wort,
Weil Frieden mehr ist als kein Tort.
 
P

Prosaiker

Gast
Dazu ein Jägermeister - ein bisschen Glückseligkeit - und ab ins Stammbuch damit!

Grüße,
Prosa.
 
H

HFleiss

Gast
Walther, ich will dir wirklich nicht zu nahetreten, ich kenne auch dein Alter nicht - aber wenn ich von diesem Gedicht auf dein Alter schließen würde, müsste ich glauben, du bist 200 Jahre alt und würdest deinen Nachkommen mit diesem Gedicht ein paar schwererrungene Lebensweisheiten auf den Weg mitgeben. Technisch ist es meiner Ansicht nach völlig in Ordnung - aber der pompöse Zeigefinger, weltbeglückend.
Nein, Walther, das ist es nicht. Meiner Ansicht nach.

Viele liebe Grüße
Hanna
 

JoteS

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo Walter

Ein Stück weit muss ich mich Hannas Meinung anschliessen. Ist sauber gereimt, klingt aber sehr altväterlich und ein wenig bemüht. Bemüht? Ja, denn mit folgenden, in meinen Augen fragwürdigen, Formulierungen habe ich Mühe:

Die Weiten, Nähen, Fernen segeln.

--> Das mit den Nähen ist höchst konstruiert und wirkt nicht elegant sondern gekünstelt.

Begreife, Du wirst schneller enden,

--> Schneller als wer oder was?

Begreife Dich als Deine Chance,

--> Das ist, mit Verlaub, Unsinn. Das Leben soll er/sie als Chance begreifen. Sich selbst? Unmöglich.

Versuch und wahr die Contenance

--> Versuche was? Hier fehlt mir, wie schon beim "schnelleren Ende" ein handfester Bezug.

"Tort"

--> Leider ein Wort aus der hintersten Ecke der Mottenkiste. Schön aber allzu angestaubt.

Auch, und dieser Meinung bin ich selten, sollte dieses Gedicht wegen seines gleichförmigen "Litanei-Stils" und des schurgerade erhobenen Zeigefingers mindestens doppelt so lang sein.

Gruss

Jürgen
 
H

HFleiss

Gast
Dieses Gedicht ist vor allem stockkonservativ. Warum soll sich einer nicht mit den freien Vögeln vergleichen? Damit er strammsteht, auf den Vorgesetzten hört und tut, was ihm gesagt wird, den eigenen Kopf ausschaltet - das ist Denken, wie es die Obrigkeit gern hat, einem freien Menschen aber unwürdig ist. Und so geht es weiter durch das Gedicht: dass der Mensch Staub ist. Nein, er ist kein Staub, er ist ein Mensch! Warum nicht nach "Himmelssternen" (wo sonst gibt es Sterne?) greifen? Das heißt doch: Schuster, bleib bei deinen Leisten! Und so weiter und so weiter. Das habe ich gemeint, ganz abgesehen von der doch recht altertümelnden Form. Schreib das einem jungen Menschen ins "Stammbuch" (was soll das sein? Poesiealbum?), und wenn er sich dran hält, erzieht man sich den feigsten Mucker. Das ist strammstes Obrigkeitsdenken. Und deshalb vor allem halte ich dieses Gedicht für sehr schlecht.

Hanna
 

Walther

Mitglied
Hallo JoteS, hallo Hannah,

in der Tat ist das ein "schlechtes" Gedicht, aber formal eine technisch gute Komposition. Allerdings sollte man mir nachsehen, daß man es mit einer deutlichen Prise Ironie lesen sollte.

Es ist in der Tat provokant, einen solchen Text unkommentiert einzustellen und abzuwarten, was die Reaktionen sind.

Liebe Grüße

W.
 
H

HFleiss

Gast
Walther, dass es sich um Ironie handelt, ist an keiner Silbe zu erkennen. Es gibt einen im Literarischen festgelegten Grundsatz: Schreib nicht ironisch, wenn der Text nicht eindeutig als Satire oder Ironie erkennbar ist. Du kannst den Vorgang der Ironie im Leser nicht beeinflussen, er wird immer 1:1 lesen. In diesem Fall bin ich aber der Meinung, dass der Text durchaus ernst gemeint ist, denn er passt allzugut in den Kontext des allgemeinen Trends zum gesellschaftlichen Rückschritt ins 19. Jahrhundert. Was aber die technische Seite angeht (ich bin da nicht so formal), so hat dir Jote ja geschrieben, wo es hakt.

Liebe Grüße
Hanna
 

Walther

Mitglied
Hallo Hannah,

mit meiner Bemerkung wollte ich nicht aussagen, daß dies ein gelungener Text ist. Daß er nicht das gewünschte Ziel erreicht hat, kann ich aus den Anmerkungen erkennen.

Deren Zusammenfassung lautet: War wohl nix. Gut, das erkenne ich an. Passiert und richtet einen wieder ein, damit die Bäume nicht in den Himmel wachsen.

Daraus zu schließen, wir seien auf dem Rückweg ins 19. Jahrhundert - und ich sei ein Verfechter dieses Wegs -, halte ich, ehrlich gesagt, für etwas zu weit gegriffen. Ich will nicht verhehlen, daß nicht alles, was wir heute "erreicht" haben, wirklich überzeugt. Das aber gilt für jedes Zeitalter.

Aus den Fehlern Schlüsse zu ziehen, das zeichnete den Menschen bisher aus. Einiges ist wirklich kritisch zu hinterfragen.

Zu diesen Fragen gehört auch, wie weit die Erhebung das Individuums zur alleinigen Richtschnur des Handelns gehen kann. Ebenso ist zu fragen, ob die Menschheit - ohne Vereinbarung über Grundwerte - mit ihrer Freiheit gut umgeht, wenigstens in den Ländern, die diese Freiheit des Entscheidens ermöglichen.

Zweifel sind übrigens immer erlaubt und Skepsis durchaus angebracht. Gerade die Demokratie baut auf dem Grundsatz der Skepsis auf: Im Zweifel hat die Mehrheit recht; Ausnahme: der Katalog der Menschenrechte, der nie zur Disposition steht.

In diesem Sinne nehme ich die berechtigten kritischen Anmerkungen entgegen, frei nach dem Grundsatz: Wer austeilt, muß auch einstecken können. Diesmal war das Einstecken dran.

Es grüßt dankend die Runde

der W.
 



 
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