Jagdfieber

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JAGDFIEBER



Eine liebe Bekannte hatte zum Wildschweinessen eingeladen. Wie immer kam ich ein wenig zu früh. Nach und nach erschienen weitere Geladene zum Schmaus. Von Normalsterblichen unterschied sie ihr Titel, oder ein „Von“ vor ihren Zunamen. Manchmal auch beides.

Als „Frau Dr. von Zitzewitz," wurde mir die dürre ältliche Dame in einem grünen Lodenkostüm vorgestellt, die als Erste erschien. Beim seichten Händedruck klirrten ihre Armreifen leise aneinander und ihre Diamantringe ließen mich Blitze sehen.
Prof. Dr. Dr. Waldmann erschien als nächster Gast, ebenfalls in Grün gekleidet. Der betagte vollglatzige Herr der ihm folgte, wurde mir mit „Honorarkonsul Hartmann“ vorgestellt.

„Der Herr Konsul sehen unserem früheren Kohlenhändler, der uns stets zu unserer Zufriedenheit und höchstpersönlich jahrelang mit Koks beliefert hatte, erschreckend ähnlich", stellte ich bei mir fest. Er jedoch tat so, als kenne er mich nicht.

Frau Dr. Paff, hoch in den Siebzigern erschien ebenfalls grün maskiert. Als Vorletzter wurde mir Dr. Tötter vorgestellt, mit dem Hinweis: „Langjähriger Leiter des Gesundheitsamtes."

Als Letzte erschien Frau von Schnell.
„Ich bin Inge von Schnell," stellte sich die Frau selber vor. Sie war etwa so alt wie ich, um die Sechzig und von lebhaftem Temperament.
„Ich bin passionierte Jägerin, wie unsere liebe Gastgeberin und die übrigen Damen auch,“teilte sie mir gleich eloquent mit.
„Übrigens,“ erläuterte sie, „unsere Herren frönen ebenfalls diesem Sport.!“

Sport nannte sie das, das konnte ja heiter werden! Ich hörte weg, widmete mich dem Braten und leider auch zu meinem späteren Bedauern, dem Rotwein; bekam aber dennoch mit, wie Prof. Dr. Dr.Waldmann klagte:

„Ich musste mich neulich sehr mühen, das erste Wundbett zu finden und Dank meines Bellos fand ich auch das Zweite. Ich schoss. Ein Röhren und Knurren, dann Stille. Meinem Bello rief ich zu: „Tot, tot, lass ab!“ In dem Moment erschien der Herr Konsul und reichte mir ein Fichtenreis auf seinem Hut, ach, wie stolz mich das machte!“
Dr.Dr. Waldmanns feistes Gesicht, strahlte.

„Ein kapitaler Hirsch," schwärmte der kahle Kohlenkonsul.
„Die Nachsuche hat sich gelohnt. Starkes Gehörn, hoch, breit ausgelegt und prächtig vereckt!"

„Donnerwetter, welch eine Sprache", meldete sich der Spott in mir. Ich verabschiedete mich sehr bald, wurde aber von allen Seiten zur nächsten Jagd eingeladen. Vermutlich habe ich meine Zusage dem reichlichen Weingenuss zu verdanken.

Der Jagdtag kam und ich wollte nicht kneifen. Ich sollte mich bei Frau Prof. Wildermann, meiner lieben Wildschweinköchin melden. Sie saß mit Frau Dr. von Zitzewitz, Herrn Prof. Dr. Dr. Waldmann und Frau Dr. Paff bereits abfahrbereit im Geländewagen.
Für mich war kein Platz mehr frei, somit bat sie Frau von Schnell, mich zu übernehmen.
Die zeigte sich hoch entzückt. Fuhr doch kaum einmal jemand mit ihr, noch nicht einmal der Herr Konsul, der als unerschrocken galt.
Auf der Sauerlandlinie machte die Frau ihrem Namen alle Ehre.
Ich schloss die Augen und hoffte als Katholikin inbrünstig betend, bis Lüdenscheid meine bisherigen Sünden, die lässlichen jedenfalls, abzubüßen.

Frau von Schnell und ich kamen als Erste an. Ich besah mir nach dieser Höllenfahrt diese Frau und stellte fest, dass sie geschminkt war, wie eine Irokesin auf dem Kriegspfad.
Auch schien sie etwas vom „Feuerwasser“ zu halten. Sie setzte einen Flachmann an ihre Lippen, fuhr danach mit der Innenfläche ihrer rechten Hand über ihren Mund. Kussecht war der Stift jedenfalls nicht, wie ich amüsiert feststellen konnte. Kameradschaftlich hielt sie mir gleich darauf die Flasche hin.
„Danke, so früh trinke ich noch nichts,“ lehnte ich ab, weil der Flaschenhals mit Lippenstift besudelt war.
„Tut nichts zur Sache, dann trinke ich eben auf Ihr Wohl, weil Sie mir nämlich sympathisch sind!“ Erneut dankte sie nach.
„Sie mir auch,“ bestätigte ich wahrheitsgemäß, obwohl mir immer ungemütlicher wurde.

Erneut setzte sie die Flasche an den Hals und schulterte ihr Gewehr, als die anderen nach und nach eintrudelten. Alle bestens zum Morden ausgerüstet. Sogar die hochbetagte Frau Dr. Paff hatte einen Drilling umhängen. Ich wurde ihr zugeteilt.
„Aus Pietät meinem verstorbenen Manne gegenüber schleppe ich das Gewehr mit," klärte sie mich auf, als sie meinen spöttischen Blick bemerkte.
Ich besah mir dieses Hutzelweiblein, das sich mit dem Geschütz abmühte.
„Das muss Liebe sein," seufzte ich leise, als sie mit erstaunlich fester Stimme die Vermutung aussprach:
„Ich glaube, ich erspähe ein Schmalreh!"

Sie spannte den Büchsenlauf und schoss, wobei sie durch den Rückstoß die Balance verlor und seitlich umkippte. Ich wollte ihr spontan aufhelfen, tat es dann aber doch nicht. Aus Protest!

„So nah an der Schwelle des Todes und noch voller Mordgelüste,“ grollte es in mir. Das arme Reh schien getroffen, jedenfalls lief es nicht fort.
„Getroffen, getroffen," schrie die alte Frau, „wenn das mein Erwin noch erlebt hätte!"
Dieses dürre Weiblein drückte mir die Flinte in die Hand und humpelte zu der Stelle, an der sie das weidwunde Tier vermutete.
„Zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder einmal ein Erfolg," frohlockte sie, als ich sie überholte und bang auf etwas Dunkles starrte, was am Waldessaum lag.
Ich fürchtete mich vor den gebrochenen Augen des Tieres und wollte nicht weitergehen. Tat es dann aber doch und stellte voller Freude fest, dass das Reh eine knorrige Baumwurzel war.
Die Jägerin kam heran. Als sie fast über den Knorzen stolperte, sah auch sie, um was es sich handelte und weinte vor Enttäuschung leise vor sich hin. Mir fehlte jedes Mitleid.

„Halbblind, aber schießen," schnaubte ich und wollte augenblicklich nach Hause.
Frau von Schnell erbot sich als einzige, mich zum Bahnhof zu fahren. Alle anderen waren dem Jagdfieber erlegen.
Unterwegs grölte sie ein Lied, vermutlich über die Jagd. Ein mir unbekannter Text, den ihre benebelte Zunge mir auch nicht näher brachte.

„Niemals wieder wirst du eine solch’ bigotte Jagdgesellschaft begleiten," schwor ich mir.
Obwohl, ganz frei von Schuld bin auch ich nicht. Es geht mir wie dem Hehler, der den Dieb naserümpfend betrachtet, während er die halbe Beute einkassiert. Was würde man zu einer wie mir sagen, die wie ich, liebend gern Wildschweinbraten konsumiert und das Töten verachtet?
Mir fiel kein geeigneter Spruch ein, als ich mich von Frau von Schnell verabschiedete, die mir zulallte:
„Ssssorry, ich muß schnell zrück, sons kommich nich mehr rechzeitich zum Hlali!"

© H.H.
 



 
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