Jede Menge Bits

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Silberstreif

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Mein größter Wunsch ist es, ein Buch zu veröffentlichen. Nicht als Verlegerin, sondern als Autorin, selbstverständlich. Möglicherweise ist es jedoch nicht sehr produktiv, nur allein durch stete Willens- und Vorhabensäußerung diesen Wunsch erfüllt zu bekommen. Es ist ja schließlich nicht so, als würde man sagen: “ich wünsche mir ein paar Prada-Sandalen”. Bei meinem Wunsch ist schon mehr körperlicher Einsatz gefragt.
Meine Buchbesessenheit ist inzwischen so weit fortgeschritten, dass meine Ex-Freunde und Ex-Bekannten den Kopf über die arme Irre schütteln; meine Tante Milli mich gelegentlich zur Seite nimmt und etwas über den Ernst des Lebens flüstert und dass ich mich in meinem Alter diesem doch vielleicht mal zuwenden könnte.
Meine Mutter hält noch zu mir, obwohl ich vermute, dass sie sich gelegentlich heimlich des Nachts fragt, was sie wohl bei meiner Erziehung falsch gemacht haben könnte. Darauf kann ich jedoch keine Rücksicht nehmen.
So utopisch mein Wunsch auch immer sein mag, so eindringlich hat er sich bei mir festgefressen.

Ich habe sogar schon mal was geschrieben.

Daraufhin suchte ich mir gleich einen Literaturagenten. Die gibt es wie Sand am Meer und da sie an mir mitverdienen wollen, kann es ihnen nur gelegen sein, mich meinem Ziel näher zu bringen und einen Verlag für mich zu finden.
Sehr eindrücklich erschien mir aber die Aussage, dass eine, auf einer einzigen Seite Platz findenden, Kurzgeschichte - auch wenn sie noch so gut ist (beeilte sich ein Agent zu versichern) - nicht ganz dafür geeignet ist, zwei Buchdeckel zu füllen. Zumindest wäre es sehr schwierig, jemanden zu finden, der dieses minimalistische Buch dann auch kaufen würde, wo es doch sehr viel bequemer und billiger ist, es gleich - innerhalb kürzester Zeit - in der Buchhandlung direkt zu lesen, sofern es jemals dahin käme. Dieses Argument leuchtete mir ein. Ich habe zu Hause auch kein Buch, bestehend aus nur einer Seite.

Doch so schnell gebe ich mich nicht geschlagen.
Ich begann zu rechnen. Eine DIN-A4 Seite voll Geschichte ergibt im DIN A5- Buchvormat 2 Seiten. Um also ein einigermaßen standardisiert, dickes Buch zu bekommen, müsste ich ca.150-200 Geschichten schreiben. Mehr als eine Seite kriege ich nämlich pro Geschichte nicht hin. Für die eine habe ich 3 Monate gebraucht. Macht bei 150 Geschichten 450 Monate, also 37,5 Jahre. Ich hätte also am Tag meiner Geburt mit dem Schreiben beginnen müssen, um mir dieses Jahr zu Weihnachten meinen Wunsch erfüllen zu können.
Leider habe ich das versäumt.
Ich stelle fest, meine Eltern haben bei meiner Erziehung wirklich etwas falsch gemacht. Sie hätten hier viel konsequenter vorgehen müssen. In weiteren 37 Jahren bin ich 74. Wenn ich endlich mein Buch zusammen hätte, könnte es ja sein, dass ich dann plötzlich einen ganz anderen Wunsch habe. Darauf kann ich mich also nicht verlassen, zumal ja bekannt ist, dass die Menschen oft ganz sprunghaft in ihren Bedürfnissen sind.
So habe ich das Geschichtenschreiben aufgegeben - ich gebe zu, dass es auch ziemlich mühselig war - und versuche nun durch die Hintertür doch noch meinen Willen zu bekommen. Und sogar in ganz großem Stil.

“10 Millionen Kunden” prangt in Goldbuchstaben die Eigenwerbung auf einem Katalog. Während ich diesen flüchtig durchblätterte, ereilte mich die geniale Idee. Ich wurde nämlich nebst den Bildern, mit sehr viel Text konfrontiert. Und irgendjemand muss diesen Text ja auch schreiben, der dann fein säuberlich gedruckt und VERÖFFENTLICHT wird. 10 Millionen Leser. Auf einen Schlag. Wenn das kein großer Coup ist.
Ein Text sprach mich ganz spontan an:
“Mit diesem Bit-Satz haben sie die perfekte Lösung für fast alle Schraubfälle. Der Bithalter mit 2-Komponentengriff gewährleistet ihnen formschlüssiges Greifen und komfortables Arbeiten. Übrigens: die aus Chrom-Molybdän-Silizium-Mangan-Vanadium legiertem Spezialstahl gefertigten Bits sind auch für den maschinellen Einsatz geeignet. Die Lieferung erfolgt in der praktischen und stabilen Stahlbox. Inhalt: 7 Innensechskant-Bits, metrisch mit Innenbohrung, 9 Innensechskant-Bits, zöllig, mit Innenbohrung, 12 TROX-Bits mit Innenbohrung, 3 Clutch-Einsätze, 4 Außenvierkant-Bits, 5 TRI-WING-Bits, 3 TORQ-SET-Bits, 3 XZN-Vielzahn-Bits, 5 Klauenschlüssel-Bits, 3 Kreuzschlitz-PH-Bits, 2 Kreuzschlitz-PZ-Bits, 2 Schlitz-Bits, Adapter mit Außenvierkant und Außensechskant, Spezialeinsatz zum zentrischen Spannen von Schraubhaken, etc., Adapter mit Innenvierkant und Innensechskant, Maschinen-Bithalter für Bohr-, Elektroschrauber und Bohrmaschinen, Bithalter. Set 39,80 €.”

'WOW', werden sie jetzt sagen. 'Der Typ, der das verfasst hat, scheint richtig was auf dem Kasten zu haben. Er spricht die enorme Fachkompetenz des Lesers direkt an, zählt schlüssig und nachprüfbar alle vorhandenen Elemente auf, hat einen poetischen Einstieg gefunden und einen zwar ernüchternden, doch prägnanten Schluß. Wenn man das so liest, ist es nicht verwunderlich, dass Männer die Science-Fiction-Literatur erfunden haben. Handwerk ist inspirierend. Diese ganzen TROXe, Clutche und Torqs. Man kann sie sich regelrecht vorstellen, als schleimbeutelige, vielzahnige Klauen-Alien-Agressoren. Und dann die Helden in ihren TRI-WINGs und XZNs - wie sie der Übermacht letztlich doch noch den Garaus machen'.

Schön und gut, darin stimme ich mit ihnen weitgehend überein. Doch rein handwerklich müsste an dem Text noch gefeilt werden. Hier käme ich mit meinem Know-how dann ins Spiel. Ich stelle nämlich fest, dass der Text zwar durchaus auch eine erotische Komponente aufweist, doch ist die, für die vornehmlich männliche Leserschaft, wohl viel zu subtil.
Daraus kann man einen richtigen Knüller machen. Allein die Beschreibung des Chrom-Molybdän-Silizium-Mangan-Vanadium legierten Spezialstahls schreit geradezu nach dem Zusatz: “so einen Harten haben sie noch nie gehabt”. PH kenne ich auch. Ich muss beim Einkauf meiner Intimbereich-Waschlotionen immer darauf achten, dass dieser Wert neutral ist. Mein Lieblingswort ist “Schlitz-Bits”. Eine wirklich hübsche Metapher. Ein klein wenig vulgär vielleicht, doch ziemlich ansprechend für die Fantasie. Das “formschlüssige Greifen” könnte auch noch präzisiert werden. Der Leser will sich ja mit dem Text identifizieren können. Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr Kritikpunkte finde ich. Außerdem ist der Text viel zu lang. Da besteht die Gefahr, dass der Leser vorher schon aussteigt.

Ich werde demnächst meinen Text an die Versandthaus-Redaktion schicken:
“Was ihnen fehlt um ein ganzer Mann zu sein, ist unser Spezialbitsatz ROXXOR.
Jede Menge Bits aus Chrom-Molybdän-Silizium-Mangan-Vanadium legiertem Spezialstahl, verschaffen ihnen eine Härte, die sie so noch nie ihr Eigen nennen durften. Werden sie mit ihrem TRI-WING-Bit zum Retter des Universums, indem sie alle Schraubfälle präzise und perfekt lösen. PH geprüft bleibt jeder Kreuzschlitz ohne Reizungen. Ihre Schlitz-Bits werden sich formschlüssig allen Schlitzen anpassen. Für extreme Eventualitäten, bieten sich die Adapter an, oder auch der Spezialeinsatz zum zentrischen Spannen von Haken aller Art. Werden sie ein Mann, und investieren sie lediglich 39,80€.”
Ich bin ganz sicher, dass ich dann endlich veröffentlicht werde. In einem Buch. Na ja, so gut wie ein Buch. Das einzig betrübliche ist, dass mein Name nicht auf dem Buchdeckel erscheinen wird. Dafür habe ich aber 10 Millionen Leser. Und DAS ist doch das bisschen Anonymität wert.
 

flammarion

Foren-Redakteur
Teammitglied
prust, kicher, lach!

diese story finde ich super. kommt in meine sammlung "Lupengold".
n paar kommas sind zuviel, aber was macht das schon bei soviel spaß . . .
ganz lieb grüßt
 

Silberstreif

Mitglied
hallo flammarion

gleich ins "Lupengold" - welche Ehre. Dankeschön. Mit den Kommata habe ich es nicht so - ich habe seinerzeit in der Schule nicht so genau aufgepasst. Aber ich tue jeden Fehler mit dem Kommentar: "neue Rechtschreibung" ab. Hilft immer noch. :)
Doch irgendwie bin ich mit der Story nicht ganz zufrieden, ich weiß allerdings auch nicht was mich stört. Die Bewertungen lassen dasselbe vermuten. Hast du eine Ahnung?

Grüße von
Silberstreif
 

Herzog

Mitglied
Vielleicht ein wenig zu lang?

Mir gefällt der Text durchaus gut, besonders die ihm zu Grunde liegende Idee, aber vielleicht solltest du versuchen, ihn zu kürzen... Die (echte) Prospektbeschreibung ist ein bisschen ermüdend zu lesen, und auch die eine oder andere weitere Stelle könnte eine Kürzung vertragen. - Mein Vorschlag wäre, den Text auf Band zu sprechen und ihn ein paar Tage "ruhen" zu lassen. Dann abhören und kürzen, bis dir selbst die Fassung gefällt.

Frdl. Gruß, Herzog
 

Silberstreif

Mitglied
hallo Herzog,

danke für deinen Tipp, doch vorgelesen habe ich den Text schon etliche Male und genau diese Beschreibung ist jedesmal der Brüller. Vor allen Dingen kann ich das Wort Schlitz-Bits nicht ohne Lachanfall (von meinen und Seiten des Publikums) lesen. Wahrscheinlich hat er seine Wirkung tatsächlich nur beim laut lesen. Im übrigen ist der Text bereits stark gekürzt. Im Katalog war er viel länger.

Grüße vom Silberstreif
 



 
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