Jünglings Blaulied

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  • Ersteller Gelöschtes Mitglied 15780
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G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Gekrümmt verzerrt zerdehnt erschlagen
wo rollen die Folgen aus
habe ich nicht die Kraft meine gebrochenen Glieder aus dem Rad zu ziehen
meine geschwollenen Augen im Schlaf zu schließen
da häng ich noch verknotet in die Speichen
durch meine Brust klafft ein schneidender Schmerz
und spaltet alle Anfänge
in Verzweiflung

In einem Bach voll kühler Strudel will ich liegen
Gurgeltöne saugen durch mein altes Leben
öffnen alle Poren und das Wasser wäscht mich aus
ein laffer Schwamm zusammensinkt
und alle letzten Worte schwimmen fort
Gedanken
verloren

geb ich mich fort an dich
ein nasses Handtuch
das über deinen Rücken klatscht
und deine müde Haut
mit strengem Mut erfrischt
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Hallo mondnein!

Wir unterscheiden uns zwar in der Art des Schreibens aber was wir gemeinsam haben: Das lyr.ich ist ein Ich und nicht irgendwelche zusammengeschusterte Worte, zu denen man hinterher nicht mehr steht.

Du verstehst dein Handwerk und deshalb sollte dieses Gedicht nicht unkommentiert bleiben.

Ich entdecke hier eine strenge Dreiteilung:


Gekrümmt verzerrt zerdehnt erschlagen
wo rollen die Folgen aus
habe ich nicht die Kraft meine gebrochenen Glieder aus dem Rad zu ziehen
meine geschwollenen Augen im Schlaf zu schließen
da häng ich noch verknotet in die Speichen
durch meine Brust klafft ein schneidender Schmerz
und spaltet alle Anfänge
in Verzweiflung
Im ersten Teil die Folter, die Pein und die Verzweiflung des Jünglings.

In einem Bach voll kühler Strudel will ich liegen
Gurgeltöne saugen durch mein altes Leben
öffnen alle Poren und das Wasser wäscht mich aus
ein laffer Schwamm zusammensinkt
und alle letzten Worte schwimmen fort
Gedanken
verloren
Hier haben wir die Linderung und die Heilung des Jünglings.

geb ich mich fort an dich
ein nasses Handtuch
das über deinen Rücken klatscht
und deine müde Haut
mit strengem Mut erfrischt
Erfrischt und erstärkt tritt nun der Jüngling in Aktion.
Vor allem das nasse Handtuch entbehrt hier nicht einer gewissen Ironie. Ein wenig Leid will man dann doch weitergeben.

Ein schöner Blues! Stevie Ray Vaughn hätte ihn besungen.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
der pubertäre Weltschmerz

Danke, Franke!
Ursprünglicher Blues ist natürlich viel erdiger, alltagsgegenständlicher, wahrscheinlich nie so in Bildern verloren, sondern dann eher erzählend, oft biographisch, schlichter im Ausdruck. Seit Bob Dylan, der natürlich nicht mitten im Blues steht, kommt dann eine surreale Note hinein, mit absoluten Metaphern (Tamburin Man, Watchtower). Das hat dann Hendrix z.B. hineingetragen in die Texte (Voodoo Chile ist ja ein schwerer, weitmelodischer Blues). Aber hier ist es der selbstmitleidige Weltschmerz eines jungen Mannes, in etwa postpubertär, der sich so extrem in seiner Metapher verliert, daß sie ihm ironisch umkippt, sich verselbständigt: wo er sich wie einen nassen Lappen zur - nennen wir's - Anregung einer besseren Rückendurchblutung, zur Prügelmassage, hergibt. Die Interpretation als Strafe finde ich gut: die Frische des Schlags gewinnt an Frechheit.
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Ach ja, Bob Dylan!
Mit ihm geht es mir wie so vielen anderen, es verbindet mich eine Art Hassliebe. Auf jeden Fall trägt er eine Mitschuld, dass ich heute Gedichte schreibe, nachdem ich in den Siebzigern ein Textbuch von ihm mit deutscher Übersetzung in der Bibliothek entdeckt habe.

Liebe Grüße
Manfred
 
G

Gelöschtes Mitglied 15780

Gast
Mich hat fasziniert, wie hingerissen John Lennon und Hendrix von Dylan als Dichter waren. Der war ihr Gott. Meine Götter waren John Lennon und Hendrix, textlich wie komponierend (z.B. "Walrus" bei dem einen oder "1983" bei dem anderen).
 

Franke

Foren-Redakteur
Teammitglied
Da sind wir uns absolut einig!
Das könnte jetzt ein hochinteressanter Austausch über Musik werden, gehört aber leider nicht hierher.

Liebe Grüße
Manfred
 



 
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